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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.12.1999
Aktenzeichen: 1 Ws 951/99
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57
StGB § 57

Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist hinsichtlich des Erprobungswagnisses nicht ausschließlich auf die spezialpräventive Aufgabe der Resozialisierung des Täters abzustellen. Vielmehr sind daneben auch andere anerkannte Strafzwecke - wie etwa der des gerechten Schuldausgleichs oder der Verteidigung der Rechtsordnung - zu beachten, so dass auch generalpräventive Erwägungen Berücksichtigung finden dürfen und müssen, mag auch dem Grundsatz der Spezialprävention im Zweifelsfalle der Vorrang einzuräumen sein.

OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat Beschluß vom 08.12.1999 - 1 Ws 951/99 -


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

BESCHLUSS

1 Ws 951/99 36 VRs 1339/98 StA Mönchengladbach

In der Strafvollstreckungssache

gegen

G P aus V - B, geboren am, in W, zur Zeit in der JVA Willich I,

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S sowie die Richter am Oberlandesgericht H und S auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld vom 24. September 1999 - 33 StVK 449/99 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 8. Dezember 1999 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Verurteilten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) verworfen.

Die Strafvollstreckungskammer hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 20. Oktober 1997 bereits nach hälftiger Verbüßung gemäß § 57 Abs. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen.

Gründe:

Es mag sein, daß die bisher beanstandungsfreie Führung des Verurteilten im Strafvollzug für eine günstige Sozialprognose spricht. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 57 Rdnr. 6, sowie S/S - Stree, StGB, 25. Aufl., § 57 Rdnrn. 13 - 15), der ersichtlich auch die Verteidigung folgt, ist bei der Entscheidung nach § 57 StGB hinsichtlich des Erprobungswagnisses nicht ausschließlich auf die spezialpräventive Aufgabe der Resozialisierung des Täters abzustellen. Vielmehr sind daneben auch andere anerkannte Strafzwecke zu beachten, so daß außerdem generalpräventive Erwägungen Berücksichtigung finden dürfen und müssen, mag auch dem Grundsatz der Spezialprävention im Zweifelsfalle der Vorrang einzuräumen sein (vgl. Senat NStZ 1999, 478 sowie Senatsbeschluß vom 26. August 1999 - 1 Ws 741/99 -).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 21. März 1999 - abgedruckt in NJW 1995, 713 - ausdrücklich klargestellt, daß eine günstige Prognose nicht zwingend die Strafaussetzung zur Bewährung gebietet, wenn andere Strafzwecke - etwa der des gerechten Schuldausgleichs oder Verteidigung der Rechtsordnung - den weiteren Vollzug der Strafe erfordern. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet es in diesem Zusammenhang als die allgemeine Aufgabe des Strafrechts, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen, und hebt hervor, daß deshalb Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Verurteilten sowie Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht als wesentliche Aspekte einer angemessenen Strafsanktion in Betracht kommen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Demgemäß sind die vorbezeichneten Strafzwecke nicht nur bei der Bemessung und Festsetzung der Strafe, sondern auch bei der Strafvollstreckung und somit bei den nach § 57 StGB zu treffenden Entscheidungen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, a.a.O.; ferner Senatsbeschlüsse, a.a.O., sowie OLG Bamberg NStZ 1989, 389/390).

Die hiernach neben der prognostischen Bewertung gebotene vollstreckungsrechtliche Gesamtwürdigung (vgl. BerfG NJW 1986, 2241) verbietet vorliegend im Hinblick auf die Strafzwecke des gerechten Schuldausgleichs und der Verteidigung der Rechtsordnung, dem Verurteilten bereits nach Verbüßung der Hälfte der gegen ihn verhängten außerordentlich milden Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bereits Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 2 StGB zu bewilligen.

Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen hat der Beschwerdeführer seine Autorität und Vertrauensstellung als Pädagoge und Rektor einer Grundschule dazu mißbraucht, schwerwiegende sexuelle Handlungen an dem Tatopfer, der zur Vorfallszeit knapp 13 Jahre alten S R, einer der ihm anvertrauten Schülerinnen, vorzunehmen. Dabei führte er unter Vortäuschung einer notwendigen Untersuchung ein Massagegerät über den entblößten Körper des Kindes und berührte damit die Brüste, den Bauch, den Rücken, das Gesäß sowie die Innenseiten der auf sein Geheiß gespreizten Oberschenkel. Anschließend veranlaßte er das Mädchen, sich rücklings auf einen Couchtisch zu legen und die angezogenen Beine so weit wie möglich auseinanderzuspreizen. Dann schob er ein etwa 30 cm langes und daumendickes Thermometer, das er ansonsten zur Messung der Wassertemperaturen in seinen Fischteichen verwendete, so tief in die Scheide des Tatopfers ein, daß dieses einen Schmerz verspürte, und beließ es dort einige Minuten. Gleichgelagerte oder ähnliche sexuelle Handlungen hatte er unter Ausnutzung seiner Stellung als Lehrer bereits früher an mindestens drei weiteren Schülerinnen vorgenommen, wobei eine Aufklärung und Bestrafung nur deshalb unterblieb, weil keine Anzeigen erstattet wurden.

Bei dieser Sachlage erfordert der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs ungeachtet der Tatsache, daß der Vollzug den bisher unbestraften Beschwerdeführer als Erstverbüßer besonders empfindlich treffen mag, die weitere Vollstreckung der - wie erwähnt - sehr maßvollen Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die bisherige Vollstreckungsdauer reicht als angemessene Sühne und Vergeltung für die von dem Verurteilten begangene Tat angesichts ihres hohen Unrechts- und Schuldgehalts nicht aus.

Auch das Gebot der Verteidigung der Rechtsordnung steht einer Strafaussetzung zur Bewährung zum jetzigen Zeitpunkt entgegen. Eine solche Maßnahme bereits nach hälftiger Verbüßung der Freiheitsstrafe müßte wegen der schwerwiegenden Besonderheiten des Falles für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen und wäre deshalb geeignet, das Vertrauen der rechtstreuen Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und den Schutz der Rechtsordnung und hochrangiger Rechtsgüter vor kriminellen Angriffen nachhaltig zu erschüttern.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des bisherigen Strafvollzugs keine besonderen Umstände erkennen läßt, die diese Rechtswohltat bereits zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigen oder zumindest vertretbar erscheinen lassen.

Das Beschwerdevorbringen, das einseitig auf die beanstandungsfreie Führung des Verurteilten in der JVA abstellt, gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß.



Ende der Entscheidung

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