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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.10.1999
Aktenzeichen: 22 U 87/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
§ 823 BGB § 847 BGB

1. Eine Straßenbaustelle muß bei Dunkelheit durch Beleuchtung oder andere Maßnahmen so abgesichert werden, daß Fußgänger sie gefahrlos passieren können.

2. 10.000 DM Schmerzensgeld für eine 76 Jahre alte Frau, die durch einen fahrlässig verursachten Unfall eine Tibiakopftrümmerfraktur mit Zerstörung des rechten Kniegelenks sowie deswegen erforderlicher Kniegelenksendoprothese erlitten hat und nach fast 5-wöchigem stationären Krankenhausaufenthalt zunächst drei Monate lang nur mit zwei Krücken und seither nur mit einer Krücke gehen kann.

3. Von einer das Schmerzensgeld erhöhenden unangemessenen Hinauszögerung der Schadensregulierung kann keine Rede sein, wenn im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung der Unfall erst ein Jahr und sieben Monate zurückliegt und der Schädiger mit seiner Verteidigung bis in die Berufungsinstanz nur die von der Rechtsordnung vorgesehenen Möglichkeiten in Anspruch nimmt.

Am 11. 2. 1998 gegen 19 Uhr beging die Kl in N die Straße in Richtung L im Baubereich einer neuen Autobahnbrücke. Mit der Durchführung der Bauarbeiten war die Erstbekl beauftragt. Verantwortlicher Polier war der Zweitbekl. Die Fahrbahn war rechtsseitig durch Warnbaken mit aufstehenden Blinklichtern abgetrennt. Ein Meter weiter rechts waren Leitplanken angebracht. Dahinter befand sich ein 1 m breiter Asphaltstreifen, der rechts durch 5-10 cm hervorragende Holzbalken begrenzt wurde. Rechts davon war ein ungefähr 50 cm tiefer Graben ausgehoben. Im Baustellenbereich war es zu dieser Zeit sehr dunkel. Außer den Blinklichtern auf den Baken gab es keine Lichtquellen. Die Kl wollte die Baustelle auf dem Asphaltstreifen durchqueren. Dabei stolperte sie und fiel in den Graben. Sie erlitt eine Tibiakopftrümmerfraktur rechts. Das LG hat ihrer Schadenersatzklage stattgegeben.

OLG Düsseldorf Urteil 22.10.1999 - 22 U 87/99 - 4 O 245/98 LG Krefeld


hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 17. 09. 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, den Richter am Oberlandesgericht Muckel und den Richter am Landgericht Galle für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 13. 04. 1999 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 85 % und die Klägerin zu 15 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin sind unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Schmerzensgeld aus unerlaubter Handlung nach §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB in Höhe von 10.000 DM.

Die Beklagten haben ihre gegenüber der Allgemeinheit bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen haben, entweder den Weg entlang der Grube abzusperren oder die Baustelle durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Anbringen einer ausreichenden Beleuchtung und/oder eines Geländers so weit abzusichern, daß ein gefahrloses Durchschreiten des Gefahrenbereichs auch bei Dunkelheit möglich war.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme (Sitzungsprotokoll vom 9. 3. 99, Bl. 51 ff. GA) steht fest, daß der Weg entlang der Baugrube nicht durch den auf den Lichtbildern S. 7, 8 der Ermittlungsakte abgebildeten Balken abgesperrt war. Der Zeuge H. hat klar und unmißverständlich ausgesagt, daß die auf den Lichtbildern Bl. 7 und 8 der Ermittlungsakte abgebildete Absperrung nicht vorhanden gewesen sei. Entsprechend haben sich die Zeugen P., Z. und G. geäußert. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß die Zeugen die Unwahrheit gesagt haben.

Die Behauptung der Beklagten, ein Dritter müsse den Balken entfernt haben, steht im Widerspruch zu der unstreitigen Tatsache, daß dieser Balken am Tag nach dem Unfall - wie auf den Lichtbildern Bl. 7, 8 der Ermittlungsakte abgebildet - quer zum Weg lag. Eine Erklärung, wie er dort hingekommen ist, nachdem ihn angeblich Dritte weggenommen haben, geben die Beklagten nicht. Ihr Sachvortrag erschöpft sich in der zwar zutreffenden, aber nicht ausreichenden Feststellung, die Polizeibeamten hätten den Unfallort nicht auf das Vorhandensein der Absperrung untersucht. Das verkennt, daß es den Beklagten oblag, vorzutragen, wo dieser Balken verblieben war. Wenn unbekannte Dritte den Balken entfernt haben, müssen ihn Mitarbeiter der Beklagten zu 1 am Tag darauf gefunden haben. Andernfalls ist es nicht zu erklären, wie dieser Balken nach dem Unfall angeblich wieder in seine alte Position kam. Die Annahme, daß andere als Mitarbeiter der Beklagten mit dem Balken die Absperrung wieder hergestellt haben, erscheint abwegig.

Bewiesen ist auch, daß die Klägerin infolge der Dunkelheit über einen Balken gestolpert und in eine ca. 50 cm tiefe Grube gefallen ist. Belanglos ist, daß die Zeugin Z. keine detaillierten Angaben zum Hergang des Unfalls gemacht hat. Für die Unfalldarstellung der Klägerin streitet der Beweis des ersten Anscheins. Es ist unstreitig, daß der Baustellenbereich mit Ausnahme der blinkenden Warnlichter auf den Baken unbeleuchtet war, also nahezu völlige Dunkelheit herrschte. Es ist ferner unstreitig, daß zur Abgrenzung der Baustelle Holzbalken im Boden eingelassen waren, die in Höhe einer Handbreite über das Niveau des Asphaltweges herausragten. Aufgrund der Aussagen, daß sich neben den Balken eine ca. 50 cm tiefe Grube befand, in der die Klägerin nach dem Sturz lag. Bei einem derartigen Sachverhalt ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß die Klägerin infolge der Dunkelheit das Hindernis auf dem Boden nicht gesehen hat und deshalb darüber gestolpert ist.

Die Auffassung der Beklagten, sie seien nicht verpflichtet gewesen, die Baustelle zu beleuchten, ist unzutreffend. Die Baustelle war mit zumutbaren Mitteln so zu sichern, daß objektiv vorhersehbare Gefahren für Dritte ferngehalten wurden (vgl. BGH NJW 1997, 582 ff.); die Pflicht traf die Beklagte zu 1 als Bauunternehmerin und den Beklagten zu 2, der nach eigenen Angaben (vgl. Bl. 6 der Ermittlungsakte) als Polier für die Baustellenabsicherung zuständig war. Dies konnte durch eine ausreichende Beleuchtung geschehen oder durch ein Geländer entlang der Grube. Gerade weil die Straßenbeleuchtung ausgefallen war, bestand für die Beklagten Veranlassung, die Baustelle besonders sorgfältig abzusichern. Dazu reichte es nicht, die Balken vom Asphaltweg farblich deutlich abzusetzen. Es ist allgemeinbekannt, daß Farben in der Dunkelheit nicht zu erkennen sind. Die Beklagten konnten auch nicht darauf vertrauen, daß die Fußgänger den Bereich zwischen der Leitplanke und den Baken benutzen. Überzeugend hat der Zeuge P. ausgeführt, er habe den Eindruck gehabt, der Abschnitt zwischen Leitplanke und Grube sei als Gehweg vorgesehen. Diesen Eindruck vermitteln auch die Fotos Bl. 7 und 8 der Ermittlungsakten, denkt man sich den dort abgebildeten Querbalken weg. Zu Recht hat das Landgericht auch darauf hingewiesen, daß dieser Weg einen erheblich sichereren Eindruck machte, da er durch die Leitplanke Schutz vor herannahenden Autos bot.

Die Klägerin trifft auch kein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB). Die Ansicht der Beklagten, die Klägerin hätte auf dem Weg zwischen den Warnbaken und der Leitplanke gehen müssen, ist unzutreffend. Die auf den Fotos (Bl. 7, 8 der Ermittungsakten) zu erkennende Gestaltung dieses Straßenabschnitts wirkte auf einen besonnenen Menschen geradezu als Aufforderung, den Weg hinter der Leitplanke zu gehen. Weil die Gefahrenlage aufgrund der Dunkelheit und wegen der fehlenden Hinweise nicht zu erkennen war, bestand für die Klägerin auch keine Veranlassung, auf Hindernisse in Höhe einer Handbreite zu achten. Es genügte die Sorgfalt, die beim Begehen unbeleuchteter Bürgersteige notwendig ist; Bürgersteige weisen gewöhnlich Hindernisse in dieser Höhe nicht auf.

Der vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeldbetrag ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Klägerin erlitt durch den Unfall eine Tibiakopf-Trümmerfraktur mit Zerstörung des rechten Kniegelenkes. Sie befand sich vom 11. 2. 98 bis 16. 3. 98 in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Es mußte ein Metallstab einoperiert und im oberen Knie eine Metallklammer implantiert werden. Bis zum 18. 6. 98 war sie außerstande, den Haushalt zu versorgen. Sie kann sich nur noch mit Krücken fortbewegen. Unter Berücksichtigung der bleibenden Gehbehinderung und der vom Senat in vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgeldbeträge (OLGR 1994, 219; 1995, 5; 1998, 133; 1998, 346, 348; 1999, 78, 80/81) ist eine Entschädigung von 10.000 DM angemessen. Die von den Beklagten zitierte Entscheidung des Landgerichts Köln 5 0 159/92 ist nicht einschlägig, weil das Landgericht Köln einen Mitverschuldensanteil von 1/2 berücksichtigt hat, während vorliegend kein Mitverschulden gegeben ist. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, mit Rücksicht auf die von der Klägerin zitierte Entscheidung des OLG Köblenz (ZfS 1990, 6) von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Ein höheres Schmerzensgeld läßt sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die Beklagten bzw. die hinter ihnen stehende Haftpflichtversicherung hätten die Schadensregulierung unangemessen hinausgezögert. Eine Erhöhung des Schmerzensgeldbetrags wäre gerechtfertigt, wenn die Beklagten in unverständlicher und in hohem Maße tadelnswerter Weise sich dem berechtigten Entschädigungsverlangen entgegengestellt hätten (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1999, 2447 und Müller, Zum Ausgleich des immateriellen Schadens nach § 847 BGB, VersR 1993, 909, 916). Dazu reicht es nicht, daß die Beklagten durch ihr Verteidigungsvorbringen die Klageerhebung und die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme erzwungen sowie durch die Berufung eine weitere Hinauszögerung der Entschädigungszahlung erreicht haben. Sie haben damit nur die von der Rechtsordnung vorgesehenen Möglichkeiten der Rechtsverteidigung für sich in Anspruch genommen. Überdies liegt der Unfall nur 1 Jahr und 7 Monate zurück, so daß auch von einer unangemessenen Hinauszögerung nicht die Rede sein kann. Die Klägerin hat ferner Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Haushaltshilfe nach § 843 Abs. 1 BGB. Ein Betrag von 1.000 DM pro Monat ist angemessen. Die für die Haushaltshilfe im Zweipersonenhaushalt der Klägerin anzusetzenden Kosten können gemäß § 287 ZPO geschätzt werden. Eine tägliche Hausarbeit von 2 Stunden ist in einem Zweipersonenhaushalt üblich. Das sind im Durchschnitt 60 Stunden monatlich. Bei einer angemessenen Vergütung von 16,66 DM ergibt sich der von der Klägerin geforderte Pauschalbetrag von 1.000 DM/Monat.

Schließlich ist auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet. Aufgrund der Schwere der Verletzung besteht die nicht eben fernliegende Möglichkeit von Folgeschäden.

Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlaß (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert für die Berufungsinstanz:

Zahlungsantrag: 17.000 DM,

Feststellungsantrag: 3.000 DM.

Beschwer für die Klägerin und die Beklagten: unter 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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