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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: 10 W 90/00
Rechtsgebiete: KostO


Vorschriften:

KostO § 18
KostO § 102
KostO § 103 Abs. 2
Wird durch das Amtsgericht ein "Nachtrag" mit einem Änderungsvorbehalt zu einem Vor- und Nacherbfolge anordnenden Ehegattentestament eröffnet, wonach dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt wird, die für den Fall seines Todes in diesem Testament getroffenen Verfügungen zu widerrufen und über den Nachlaß insgesamt anderweitig zu verfügen, so fällt eine Eröffnungsgebühr nach dem vollen Nachlaßwert an.
OLG Düsseldorf 10. Zivilsenat

Beschluß vom 19. Oktober 2000

Az.: 10 W 90/00

Gründe:

I.

Die weitere Beschwerde ist gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 KostO statthaft, weil das Landgericht das Rechtsmittel wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen hat. Es hat jedoch in der Sache aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses keinen Erfolg.

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Beschwerde der Kostenschuldnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Rechtspflegers - Wuppertal vom 11. April 2000 zurückgewiesen. Die von der Kostenschuldnerin gegen die Rechtmäßigkeit des Kostenansatzes des Amtsgerichts Wuppertal vom 20. Januar 2000 vorgebrachten Bedenken sind unbegründet. Ihr Rechtsmittelvorbringen gibt keinen Anlaß, als Geschäftswert für die Eröffnung des gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testamentes, welches sie unter dem Datum des 4. November 1985 zusammen mit ihrem verstorbenen Ehemann errichtet hat, einen geringeren Betrag als den vollen Nachlaßwert (3.592.429,00 DM) in Ansatz zu bringen. Damit verhält sich der angefochtene Kostenansatz zu Recht auf der Rechtsgrundlage der §§ 32, 46 Abs. 4, 102, 103 KostO über den Betrag von 2.755,00 DM als die gesetzlich vorgeschriebene Hälfte der vollen Gebühr.

Entgegen der durch die Kostenschuldnerin vertretenen Auffassung ist es für ihre Gebührenschuld aus Anlaß der am 20. Januar 2000 durch das Amtsgericht Wuppertal vorgenommenen Eröffnung des gemeinschaftlichen Testamentes vom 4. November 1985 ohne Bedeutung, daß es bereits zuvor am 13. September 1991 zu einer Eröffnung von weiteren durch sie und den Erblasser verfaßten gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testamenten gekommen war. Sie dringt nicht mit ihrem Einwand durch, am 20. Januar 2000 sei lediglich ein Nachtragstestament eröffnet worden, welches die bereits eröffneten letztwilligen Verfügungen nur ganz unwesentlich ändere, so daß auch nicht der volle Nachlaßwert als Geschäftswert in Ansatz gebracht werden dürfe.

II.

1)

Gemäß § 102 KostO wird für die Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen die Hälfte der vollen Gebühr erhoben. § 46 Abs. 4 KostO ist die für diesen Verfahrensakt einschlägige Wertvorschrift (§ 103 Abs. 1 KostO). Nach dieser Bestimmung ist dann, wenn - wie hier - über den ganzen Nachlaß verfügt wird, der Gebührenberechnung der Wert des nach Abzug der Verbindlichkeiten verbleibenden reinen Vermögens zugrunde zu legen, ohne daß Vermächtnisse, Pflichtteilsrechte und Auflagen abgezogen werden. Die Kostenschuldnerin stellt weiterhin nicht in Abrede, daß der in dem angefochtenen Gebührenansatz ausgewiesene Geschäftswert von 3.592.429,00 DM dem nach Abzug der Verbindlichkeiten verbleibenden reinen Vermögen des Erblassers entspricht.

2a)

Die Vorschrift des § 102 KostO stellt für den Anfall der halben Gebühr allein auf den zweifelsfrei feststellbaren Verfahrensakt der Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen ab. Kommt es - wie hier - zu mehreren Testamentseröffnungen gemäß § 2260 Abs. 1 BGB, so entsteht jedes Mal die Gebühr des § 102 KostO neu - auch dann, wenn dasselbe Gericht mit diesen Vorgängen befaßt war. Nur die gleichzeitige Eröffnung mehrerer Verfügungen von Todes wegen desselben Erblassers bei demselben Gericht ist gemäß § 103 Abs. 2 KostO mit der Gebührenfolge privilegiert, daß dann nur eine Gebühr nach dem zusammengerechneten Wert zu erheben ist; soweit mehrfach über den ganzen Nachlaß oder über denselben Bruchteil verfügt ist, kommt der Wert nur einmal in Betracht.

b)

Dementsprechend hat die Kostengläubigerin für den Eröffnungsvorgang des Nachlaßgerichts Wuppertal vom 13. September 1991, der die gemeinschaftlichen Testamente vom 19. Januar 1983, 29. Januar 1984 sowie 5. Juni 1986 zum Gegenstand hatte, nur eine einheitliche Gebühr gemäß § 102 KostO in Höhe von 2.755,00 DM nach dem vollen Nachlaßwert erhoben. Diese Gebühr hat Eingang in den hier nicht angefochtenen früheren Kostenansatz vom 26. Mai 1992 gefunden. Die Kostenschuldnerin wendet sich insbesondere nicht dagegen, daß in diesem Kostenansatz gemäß § 103 Abs. 3 KostO für eine am 30. Dezember 1991 durch das Amtsgericht Mühldorf am Inn erfolgte Eröffnung eines die Gesellschaftsanteile des Erblassers betreffenden Erbvertrages eine weitere Gebühr von 2.755,00 DM berechnet worden ist.

3)

Diese Gebühr ist noch ein weiteres Mal aufgrund des Umstandes angefallen, daß es am 20. Januar 2000 durch das Nachlaßgericht Wuppertal zu der hier in Rede stehenden Eröffnung des "Nachtrages zum gemeinschaftlichen Testament" vom 4. November 1985 gekommen ist. Dagegen wendet die Kostenschuldnerin ohne Erfolg ein, es handele sich bei diesem Testament um eine ganz unwesentliche Nachtragsänderung.

a)

Aus § 103 Abs. 2 KostO ergibt sich eindeutig, daß es nach dem Gesetz für die Entstehung der Gebühr allein darauf ankommt, ob ein einheitlicher Eröffnungsvorgang gegeben ist oder eine Mehrheit solcher Vorgänge. Der Inhalt der eröffneten letztwilligen Verfügung ist nach dieser formalisierten Betrachtungsweise ohne Bedeutung. Für die Festsetzung des Geschäftswertes des jeweiligen Eröffnungsaktes ist es irrelevant, welches materielle Gesamtergebnis sich unter Berücksichtigung aller bereits erfolgten Testamentseröffnungen ergibt und ob das separat eröffnete weitere Testament überhaupt noch eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung hat. Nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur folgt aus der Ausnahmevorschrift des § 103 Abs. 2 KostO, daß der Gesetzgeber für die Geschäftswertberechnung Überschneidungen des Regelungsbereichs mehrerer letztwilliger Verfügungen, gegebenenfalls auch die völlige Identität des Regelungsergebnisses, nicht als Ermäßigungsgrund anerkennen wollte, sofern die Eröffnung nicht bei dem selben Gericht gleichzeitig erfolgt (KG Rpfleger 1979, 277; OLG Frankfurt JurBüro 1986, 426; OLG Stuttgart Rpfleger 1988, 485; OLG Köln Rpfleger 1992, 394; BayObLG FamRZ 1997, 644; LG Bayreuth, JurBüro 1986, 261; LG Siegen Rpfleger 1986, 182; LG Duisburg Rpfleger 1988, 190; Göttlich/Mümmler, Kommentar zur Kostenordnung, 12. Aufl., Stichwort "Eröffnung" Anm. 1.4; Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl., § 103 KostO, Rdnr. 3).

b)

Demgegenüber vertritt ein Teil der Literatur die Auffassung, im Falle der alleinigen Maßgeblichkeit der Anzahl der Eröffnungsvorgänge komme es zu einer unbilligen Gebührenhäufung. Deshalb sei für bestimmte Fallkonstellationen als Geschäftswert zur Bemessung der Eröffnungsgebühr nur ein Bruchteil des vollen Nachlaßwertes oder lediglich eine Mindestgebühr in Ansatz zu bringen (Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, Kommentar zur Kostenordnung, 14. Aufl., § 103, Rdnrn. 30 ff.; Rohs/Wedewer/, Kommentar zur Kostenordnung, 3. Aufl., Stand September 2000, § 103, Rdnr. 12). So komme etwa bei mehreren Verfügungen mit demselben Inhalt nur der ersten der volle Wert zu, den übrigen lediglich ein Bestätigungswert; eine widerrufende Verfügung habe nur dann den vollen Wert, wenn über den widerrufenen Gegenstand nicht erneut verfügt werde und eine Verfügung, die eine frühere Verfügung wiederhole und ergänze, habe nur den Wert der Ergänzung (Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann a.a.O., Rdnrn. 31, 33, 34).

4)

Im Ergebnis kann die Entscheidung der Rechtsfrage dahinstehen, ob dieser Minderansicht aus Billigkeitserwägungen zu folgen ist. Denn im Hinblick auf die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung des am 20. Januar eröffneten "Nachtrages zum gemeinschaftlichen Testament" kommt keine der Fallkonstellationen in Betracht, für welche nach dieser Ansicht eine Reduzierung des Geschäftswertes oder des Gebührenumfanges geboten ist. Insbesondere hatte der fragliche Eröffnungsvorgang nicht nur eine geringerwertige Wiederholung oder Ergänzung einer früheren Verfügung von Todes wegen zum Inhalt.

a)

In ihrem gemeinschaftlichen Testament vom 19. Januar 1983 hatten sich die Kostenschuldnerin und der Erblasser wechselseitig als Erben eingesetzt mit der gleichzeitigen Bestimmung, daß nach dem Tode des Letztversterbenden der beiderseitige Nachlaß an die Tochter aus der ersten Ehe der Kostenschuldnerin fallen sollte (§ 2269 Abs. 1 BGB; sogenanntes "Berliner Testament"). Gleichzeitig war Vor- und Nacherbfolge angeordnet ("der Letztversterbende von uns soll Vorerbe des Erstversterbenden von uns sein ... Nacherbe des jeweils Erstversterbenden von uns ist Frau ..."). Damit lagen wechselbezügliche Verfügungen im Sinne des § 2270 BGB mit der Folge vor, daß mit dem Tod eines Ehegatten die erbrechtliche Bindung des Überlebenden an seine wechselbezüglichen Verfügungen eintrat, die ihn grundsätzlich daran hinderte, diese noch zu widerrufen oder abweichend letztwillig neu zu verfügen (vgl. Palandt-Edenhofer, Kommentar zum BGB, 58. Aufl., § 2270, Rdnr. 2).

b)

Demgegenüber ist wesentlicher Inhalt des "Nachtrages zum gemeinschaftlichen Testament" vom 4. November 1985 ein sogenannter Änderungsvorbehalt: denn zu Ziffer 2 "gestehen sich die Erblasser das Recht zu, nach dem Tode eines von ihnen das Testament jederzeit ändern zu können". Nach der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ist es auch im Fall der Anordnung der Vor- und Nacherbfolge ohne Verstoß gegen § 2065 BGB zulässig, daß dem überlebenden Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament das Recht eingeräumt wird, die für den Fall seines Todes in dem Testament getroffenen Verfügungen zu widerrufen und über den Nachlaß insgesamt anderweitig zu verfügen (BGHZ 2, 35 ff; BayObLG FamRZ 1991, 1488; Staudinger-Otte, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., § 2065, Rdnrn. 19 f.; Erman-Schmidt, Kommentar zum BGB, 10. Aufl., § 2065, Rdnr. 5 m.w.N.; anderer Ansicht: Palandt-Edenhofer a.a.O., § 2271, Rdnr. 21; Münchener Kommentar-Leipold, § 2065, Rdnr. 10). Damit bezog sich der am 20. Januar 2000 eröffnete Änderungsvorbehalt - wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung richtig dargelegt hat - auf den ganzen Nachlaß und nicht nur auf einen Bruchteil. Damit ist auch der volle Nachlaßwert im Umfang von 3.592.429,00 DM zu berücksichtigen.

c)

Für die Bemessung des Geschäftswertes kommt es nicht darauf an, daß die Kostenschuldnerin - soweit dies der Akteninhalt erkennen läßt - bisher von dem Änderungsvorbehalt keinen Gebrauch gemacht hat und möglicherweise dies auch in Zukunft nicht beabsichtigt. Gemäß § 18 Abs. 1 KostO werden die Gebühren nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand des Geschäfts zur Zeit der Fälligkeit hat (Geschäftswert). Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt, in welchem die Gebühr fällig wird. Dies ist in der Regel (§ 7 KostO) der Zeitpunkt der Beendigung des Geschäftes (Robs/Wedewer a.a.O., § 18, Rdnr. 4; Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann a.a.O., § 18, Rdnr. 5), hier also der Beendigung der Testamentseröffnung. Für die Bewertung eines Geschäftes hat die spätere Entwicklung des Rechtsverhältnisses kostenrechtlich keine Bedeutung, vielmehr ist der beurkundete Inhalt des Geschäfts maßgebend. Es ist daher insbesondere ohne Bedeutung, ob der von den Beteiligten beabsichtigte Erfolg tatsächlich eintritt (Robs/Wedewer a.a.O.).

Demnach kommt es hier allein darauf an, daß der Kostenschuldnerin durch den am 20. Januar 2000 eröffneten "Nachtrag zum gemeinschaftlichen Testament" die unter anderem für ihre wirtschaftliche Dispositionsfreiheit ganz wesentliche Möglichkeit eingeräumt wurde, sich einseitig aus der Bindungswirkung des § 2271 BGB zu lösen und eine neue letztwillige Verfügung zu treffen, die in Widerspruch zu dem früheren gemeinschaftlichen Testament vom 19. Januar 1983 mit seinen Nachtragsänderungen vom 29. Januar 1984 und vom 5. Juni 1986 steht. Damit kann auch keine Rede davon sein, daß die am 20. Januar 2000 eröffnete letztwillige Verfügung lediglich eine untergeordnete Ergänzung der bereits am 13. September 1991 eröffneten gemeinschaftlichen Testamente mit begrenztem Geschäftswert darstellt.

5)

Dem Amtsgericht ist schließlich keine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 16 KostO aufgrund des Umstandes anzulasten, daß es nicht zu einer nach § 103 Abs. 2 KostO gebührengünstigen Eröffnung sämtlicher letztwilliger Verfügungen der Kostenschuldnerin und des Erblassers gekommen ist. Nach dem ersten Eröffnungsvorgang vom 13. September 1991 haben die Verfahrensbevollmächtigten der Kostenschuldnerin erst mit Eingabe vom 12. Januar 2000 das Nachtragstestament vom 4. November 1985 zur Eröffnung eingereicht, das bis dahin in einem Banktresor eingelagert und allem Anschein nach in Vergessenheit geraten war.

Ende der Entscheidung

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