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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.04.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 71/01
Rechtsgebiete: StPO, JGG, BGB
Vorschriften:
StPO § 406 g | |
StPO § 397 a | |
JGG § 48 Abs. 2 | |
JGG § 80 | |
BGB § 1626 Abs. 2 | |
BGB § 1795 Abs. 1 | |
BGB § 1796 | |
BGB § 1909 Abs. 1 |
Zur Entscheidung der Frage, ob zur Wahrnehmung der Rechte einer durch ein Sexualdelikt des Bruders geschädigten Minderjährigen ein Rechtsanwalt beauftragt werden soll, ist ein Pfleger zu bestellen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
2 Ws 71/01 14 Js 1250/00 StA Mönchengladbach
In der Strafsache
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S, den Richter am Oberlandesgericht B und den Richter am Landgericht am
30. April 2001
auf die für J W eingelegte Beschwerde der Rechtsanwältin H H in Mönchengladbach gegen den Beschluss der 1. Jugendkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 4. Dezember 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden Rechtsanwältin H in Mönchengladbach auferlegt.
Gründe:
1.
Das Rechtsmittel ist unzulässig.
Gemäß § 304 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde statthaft gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse. Voraussetzung ist allerdings, dass der Rechtsmittelführer zur Einlegung des Rechtsmittels befugt ist. Vorliegend ist die der Rechtsanwältin H am 21. August 2000 schriftlich erteilte Vollmacht zur Vertretung der Geschädigten in dem vorliegenden Strafverfahren von den Eltern der minderjährigen Geschädigten unterzeichnet worden. Die den Eltern insoweit grundsätzlich als Ausfluss des elterlichen Sorgerechts gemäß §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB zustehende Befugnis ist indessen hier gemäß §§ 1693, 1629 Abs. 2, 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen eines bestehenden Interessenkonflikts ausgeschlossen, weil es sich bei dem Angeschuldigten um den Bruder der Geschädigten, der zur Tatzeit ebenfalls minderjährig war, handelt.
Zwar ist die Anordnung der Ergänzungspflegschaft durch den Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 10. Juli 2000 (391F 152/00) lediglich bezüglich der Frage der Zeugnisverweigerung gemäß § 52 Abs. 2 StPO erfolgt, nachdem die Staatsanwaltschaft die richterliche Vernehmung der Geschädigten beantragt hatte. Dies bedeutete jedoch nicht, dass der bei den Eltern der Geschädigten bestehende Interessenwiderstreit nur für die Prüfung der Frage Bedeutung gewinnt, ob J in dem gegen ihren Bruder gerichteten Strafverfahren aussagen soll. Vielmehr besteht der Konflikt auch für die Beantwortung der Frage, ob die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung der übrigen Rechte der Geschädigten noch durch die Eltern erfolgen kann.
Denn nach Auffassung des Senats kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine unter das Sorgerecht fallende Maßnahme der Eltern von ihrer verwandtschaftlichen Stellung zu der Geschädigten einerseits und dem Angeschuldigten andererseits beeinflusst wird. Es ist eine derartige Verschiedenheit der beiderseitigen Belange gegeben, dass die Förderung des Interesses der Geschädigten sich zum Nachteil des Angeschuldigten auswirken könnte oder die gebotene Beachtung des Wohls der Tochter J aus Rücksichtnahme gegenüber dem Angeschuldigten beeinträchtigt sein kann. Der Ausschluss des allgemeinen Vertretungsrechts aus §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB führt vorliegend dazu, dass analog §§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 1, 1796, 1909 Abs. 1 BGB eine Pflegerbestellung erforderlich ist (vgl. dazu BayObLG NJW 1998, 614, 615; BayObLGZ 1966, 343, 352; OLG Hamm OLGZ 72, 157, 158; OLG Stuttgart NJW 1971, 2237, 2238 f; Palandt-Diederichsen, 60. Aufl., § 1629 BGB Rdnrn. 20, 21, 24, 26; § 1909 BGB Rdnr. 5). Nur der insoweit durch deklaratorischen Beschluss des zuständigen Gerichts bestellte Ergänzungspfleger kann eine wirksame Bevollmächtigung vornehmen. Daran fehlt es vorliegend, so dass die Beschwerde unzulässig ist.
An dieser Konsequenz ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der am l5. Juli 1982 geborene Angeschuldigte inzwischen volljährig ist und demgemäß die elterliche Sorgerechtsbefugnis beendet ist. Denn der Interessenkonflikt besteht unabhängig davon weiter, da es sich bei dem Angeschuldigten um den Bruder der minderjährigen Geschädigten handelt. Für die Beurteilung der Erheblichkeit des bestehenden Interessenwiderstreits spielt der Umstand der inzwischen eingetretenen Volljährigkeit des Angeschuldigten keine entscheidende Rolle. Vielmehr ist allein das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen der Geschädigten und dem Angeschuldigten der entscheidende Anknüpfungspunkt. Für die Eltern besteht der konkrete und erhebliche Interessengegensatz weiterhin. Die Beurteilung der Frage, ob ein erheblicher Interessenkonflikt vorliegt, orientiert sich allein daran, ob Rechte und Interessen des Kindes zu wahren sind und diese Wahrnehmung dem gesetzlichen Vertreter im Sinne einer uneingeschränkt und auch tatsächlich gewährleisteten Beachtung des allein entscheidenden Kindeswohls überlassen werden kann.
Für die Entscheidung der Frage, ob zur Wahrung der Rechte einer durch ein Sexualdelikt des Bruders geschädigten Minderjährigen ein Rechtsanwalt beauftragt werden soll, ist von Bedeutung, dass gerade der bestehende Interessenkonflikt im Hinblick auf zwei involvierte Kinder von den Eltern nicht sach- und interessengerecht und unabhängig von den bestehenden familiären Bindungen gelöst werden kann (vgl. auch OLG Frankfurt FamRZ 1980, 927, 928).
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Nach § 2 Nr. 1 KostO ist Rechtsanwältin H als Veranlasserin der Instanz Schuldnerin der durch die Beschwerde erwachsenen Gerichtskosten. Das gilt auch insoweit, als sie die Beschwerde für die minderjährige Geschädigte eingelegt hat. Da eine wirksame Vertretungsmacht nicht nachgewiesen ist, ist die Rechtsanwältin als vollmachtlose Vertreterin anzusehen. Ein vollmachtloser Vertreter haftet für die Gerichtskosten persönlich, weil er einen Beteiligten ohne wirksame Vollmacht nicht verpflichten kann, selbst wenn er diesen vertreten wollte (vgl. KG Rpfleger 1971, 193, 194 mwN; LG Lüneburg NdsRpfl 1966, 274 mwN).
Ende der Entscheidung
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