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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.11.2000
Aktenzeichen: 2a Ss 295/00 - 78/00 I
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 78 a
StGB § 78 c Abs. 3 S. 2
StPO § 337
StPO § 397
1. Mit dem Wegfall des rechtskräftigen Urteils durch Wiederaufnahme des Verfahrens beginnt die Verfolgungsverjährung neu. Dies gilt auch für die absolute Verjährung nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB.

2. Ist weder der Nebenkläger noch sein Bevollmächtigter zur Hauptverhandlung geladen worden und nimmt infolgedessen weder er noch sein Bevollmächtigter an der Verhandlung teil, so stellt dies einen Verfahrensmangel dar, auf dem in der Regel das in der Hauptverhandlung ergehende freisprechende Urteil beruht.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss 295/00 - 78/00 I 311 Js 618/91 StA Düsseldorf

In der Strafsache

wegen Beleidigung

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S und die Richter am Oberlandesgericht H und S am

22. November 2000

auf die Revision des Nebenklägers Rechtsanwalt T B aus Mülheim a.d. Ruhr gegen das Urteil der XXII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11. August 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mülheim a.d. Ruhr hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. August 1983 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50,-- DM verurteilt.

Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die VI. kleine Strafkammer des Landgerichts Duisburg durch Urteil vom 8. März 1984 verworfen. Nach den Ausführungen des Urteils hatte der Angeklagte den Nebenkläger in einem an diesen und dessen Ehefrau gerichteten Brief vom 13. August 1981 beleidigt, indem er ihm vorwarf, er habe Parteiverrat zu seinem - des Angeklagten - Nachteil begangen. Die hiergegen von dem Angeklagten eingelegte Revision hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch Beschluß vom 29. Oktober 1984 als unbegründet verworfen.

Durch Schreiben seines Bevollmächtigten vom 11. November 1983 hatte der Nebenkläger seinen Anschluß an die erhobene öffentliche Klage gemäß § 396 Abs. 1 StPO erklärt.

Durch Beschluß vom 16. Oktober 1998 hat die XXII. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf auf Antrag des Angeklagten die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie die Erneuerung der Berufungshauptverhandlung angeordnet.

Zu der auf den 11. August 1999 anberaumten Berufungshauptverhandlung hat der Strafkammervorsitzende Rechtsanwalt B als Zeugen, nicht jedoch als Nebenkläger laden lassen. Auch der bevollmächtigte Anwalt wurde nicht geladen. In der Hauptverhanlung ist Rechtsanwalt B als Zeuge vernommen worden.

Er hat an ihr jedoch nicht als Nebenkläger teilgenommen und war ebenso wie sein bevollmächtigter Anwalt auch nicht bei der Urteilsverkündung zugegen.

Durch Urteil vom 11. August 1999 hat die XXII. kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf unter Aufhebung des Urteils der VI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 8. März 1984 das Urteil des Amtsgerichts Mülheim a.d. Ruhr vom 15. August 1983 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Das schriftliche Urteil ist, nachdem innerhalb einer Woche keine Revision eingegangen war, in abgekürzter Form gemäß § 267 Abs. 5 StPO abgefaßt.

Durch Schriftsatz vom 23. November 1999, bei dem Landgericht eingegangen am 25. November 1999, hat der Nebenkläger, dem das Urteil zuvor nicht zugestellt worden war, gegen das Urteil vom 11. August 1999 Revision eingelegt und das Rechtsmittel zugleich begründet.

Nachdem dem Nebenkläger das Urteil am 20. März 2000 zugestellt worden war, hat er mit am 24. März 2000 eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23. März 2000 die Revision wiederholt, vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt und das Rechtsmittel erneut begründet.

II.

Die Revision ist zulässig.

Der Nebenkläger ist, wie sich aus § 395 Abs. 4, 401 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt, zur Rechtsmitteleinlegung berechtigt, soweit er durch die Entscheidung in seiner Stellung als Nebenkläger beschwert ist (BGHSt 29, 216, 218; 33, 114, 115).

Dem Angeklagten wird eine Beleidigung zum Nachteil des Rechtsanwalts B zur Last gelegt und dieser war deshalb nach § 395 Abs. 1 Nr. 1b StPO berechtigt, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen. Das hat er auch wirksam getan, indem er durch schriftliche Erklärung seines damaligen Bevollmächtigter vom 11. November 1983 gegenüber dem Landgericht Duisburg seinen Anschluß gemäß § 396 Abs. 1 StPO erklärt hat.

Eine Entscheidung des Landgerichts gemäß § 396 Abs. 2 StPO über die Berechtigung des Anschlusses ist zwar nicht bei den Akten, jedoch ist der Protokollband der Akten 74 Js 1281/81, in dem sie sich befinden könnte, nicht mehr auffindbar (vgl. Akten 74 Js 1281/81, Bd. I, Bl. 203-213).

Dafür, daß das Landgericht die Berechtigung des Rechtsanwalts B zum Anschluß als Nebenkläger ausdrücklich festgestellt hat, spricht, daß er in dem Urteil mehrfach als "Nebenkläger" bezeichnet wird und daß sein früherer Bevollmächtigter durch mehrere Verfügungen von Verhandlungsterminen in Kenntnis gesetzt worden ist. Allein darin läge seine stillschweigende Zulassung (vgl. OLG Düsseldorf - 2. Strafsenat - NStE Nr. 5 zu § 397 a StPO m.w.N.)

Im übrigen hätte Rechtsanwalt B sich auch ohne eine Entscheidung des Landgerichts dem Verfahren wirksam als Nebenkläger angeschlossen, denn der Zulassungsbeschluß hat nur feststellende Bedeutung und die Nebenklägerstellung wird bereits durch die wirksame Anschlußerklärung begründet (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 386 Rn. 13 m.w.N.). Daß die Anschlußerklärung des Rechtsanwalts E nach § 395 Abs. 1 Nr. 1b StPO wirksam war, steht außer Frage.

Der Anschluß des Rechtsanwalts B als Nebenkläger bestand für das Wiederaufnahmeverfahren fort. Einer erneuten Anschlußerklärung für dieses bedurfte es nicht (OLG Köln, JMBLNW 1984, 21).

In fehlerhafter Weise ist der Nebenkläger nicht als solcher, sondern nur als Zeuge zur Hauptverhandlung vom 11. August 1999 geladen worden. Er war infolgedessen nicht als Nebenkläger in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsverkündung anwesend und auch nicht durch einen Bevollmächtigten vertreten. Ebenfalls wurde ihm das Urteil zunächst nicht zugestellt. Seine mit Schriftsatz vom 23. November 1999 eingelegte und am 25. November 1999 bei dem Landgericht Düsseldorf eingegangene Revision ist deshalb rechtzeitig. Nach der am 20. März 2000 erfolgten Zustellung hat der Nebenkläger mit bei dem Landgericht am 24. März 2000 eingegangenem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. März 2000 die Revision wiederholt und zugleich begründet. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und insbesondere, daß er als Nebenkläger bisher nicht am Wiederaufnahmeverfahren beteiligt worden ist.

Der Nebenkläger ist zur Anfechtung nach § 400 Abs.1 StPO auch berechtigt, da er die Verurteilung des freigesprochenen Angeklagten erstrebt.

Da die Revision zulässig ist, ist der Antrag des Nebenklägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegenstandslos.

III.

Die zulässige Revision ist auch begründet.

1.

Die Verfolgung der dem Angeklagten zur Last gelegten Beleidigung zum Nachteil des Nebenklägers ist nicht verjährt.

Nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB ist die Verfolgung spätestens verjährt, wenn seit Beendigung der Tat das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist. Da die Beleidigung nach § 185 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, beträgt die gesetzliche Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB drei Jahre und demnach die absolute Verjährungsfrist nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB sechs Jahre.

Die dem Angeklagten zur Last gelegte Beleidigung zum Nachteil des Nebenklägers wurde gegebenenfalls begangen durch ein Schreiben des Angeklagten vom 13. August 1981 an die Eheleute B, das diesen vor dem 17. August 1981 zugegangen ist. Daraus folgt jedoch nicht, daß die absolute Verjährungsfrist im August 1987 abgelaufen ist, denn in sie ist die Zeit zwischen dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens durch Beschluß des 2. Strafsenats vom 29. Oktober 1984 und der Wiederaufnahme des Verfahrens durch Beschluß vom 16. Oktober 1998 nicht einzubeziehen.

a)

Der Sinn des Instituts der Verjährung, der in dem mit zunehmenden Abstand von der Tat schwindenden Strafanspruch, der Herbeiführung des Rechtsfriedens, der Vergänglichkeit der Beweismittel oder auch allen diesen Erwägungen gesehen wird, kollidiert mit der dem Wiederaufnahmeverfahren zugrunde liegenden Gerechtigkeitserwägung, daß es zur Beseitigung von Fehlentscheidungen in den engen Grenzen der §§ 359 ff. StPO geboten ist, auch die Rechtskraft eines Strafurteils zu durchbrechen.

b)

Daran knüpft, da eine gesetzliche Regelung fehlt, ein in Rechtsprechung und Schrifttum ausgetragener Meinungsstreit, der seiner Grund in der unterschiedlichen Gewichtung der Verjährung einerseits und der Wiederaufnahme andererseits hat.

Eine in der Rechtsprechung überwiegende und auch im Schrifttum vertretene Meinung geht davon aus, daß mit Abschluß des Strafverfahrens durch ein rechtskräftig verurteilendes Erkenntnis die Verjährung der Strafverfolgung wegen Fehlens eines verjährungsfähigen Gegenstandes nicht mehr in Betracht kommt (so Senat JR 1988, 519; RGSt 76, 46, 48; OLG Frankfurt MDR 1978, 513). Die Gegenmeinung, die einen Vorrang der Verjährung sieht, nimmt demgegenüber an, daß nach dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens die Verjährung nur ruht ( so Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 362 Rn. 1 u. § 370 Rn. 14; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 78b Rn. 11; SKStGB-Rudolphi, vor § 78 Rn. 7; Lenzen JR 1988, 520 ff.) oder gehemmt ist (§ 78 b Abs. 1 und 3 StGB). Führt entsprechend der ersten Meinung die Rechtskraft zum Abschluß der Verfolgung und zur Beendigung der Verfolgungsverjährung, so wird mit der Durchbrechung der Rechtskraft durch die Wiederaufnahme eine neue Strafverfolgung mit einer neuen vollen Verjährungsfrist begonnen (Senat aaO; BGH GA 1974, 149, 150: OLG Stuttgart MDR 1986, 608 f.; Gössel NStZ 1988, 537 ff. und LR, StPO, 24. Aufl., § 362 Rn 3; § 370 Rn. 39). Demgegenüber hat das Ruhen oder die Hemmung der Verjährung zur Folge, daß mit der Wiederaufnahme die frühere Verjährungsfrist fortgesetzt wird (OLG Nürnberg NStZ 1988, 555; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, aaO; Tröndle/Fischer, StGB aaO; SKStGB-Rudolphi aaO; Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl., § 78 Rn. 7), was u.U. die baldige Beendigung des Wiederaufnahmeverfahrens durch Eintritt der absoluten Verjährung zur Folge haben kann.

c)

Beide dargestellten Meinungen gehen jedoch zutreffend davon aus, daß mit einer rechtskräftigen Verurteilung die Strafverfolgung abschließt, damit bis zu einer evtl. Wiederaufnahme des Verfahrens eine Verjährung nicht mehr in Betracht kommt und deshalb auch die absolute Verjährungsfrist des § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB nicht läuft, weil eine nicht stattfindende und auch nicht mögliche Strafverfolgung nicht verjähren kann (Senat aaO; RG aaO; BGH aaO; Peters, Fehlerquellen III, S. 109; OLG Nürnberg NStZ 1988, 555). Ist aber nach rechtskräftiger Verurteilung die Strafverfolgung abgeschlossen und kann sie infolgedessen nicht verjähren, so kann die Verjährung auch nicht ruhen, denn das Ruhen setzt eine mögliche Verjährung voraus, deren Beginn oder Weiterlauf nur durch die in § 78 b StGB aufgeführten Hindernisse gehemmt ist (Senat aaO; RGSt aaO; OLG Stuttgart aaO; Gössel aaO).

Mit der in der Rechtsprechung herrschenden Meinung ist deshalb davon auszugehen, daß mit der Wiederaufnahme des Verfahrens eine neue gesetzliche und absolute Verjährungsfrist beginnt, die hier nicht abgelaufen ist.

2.

Die Revision hat bereits mit der (§ 344 Abs. 2 StPO genügenden) Verfahrensrüge des Nebenklägers, sein Recht auf Beteiligung am Wiederaufnahmeverfahren sei verletzt worden, Erfolg. Zwar liegt kein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO vor, denn der Nebenkläger braucht in der Hauptverhandlung nicht anwesend zu sein, jedoch ist seine Rüge nach § 337 StPO begründet. Da der Nebenkläger gemäß § 397 Abs. 1 StPO zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt ist, hätten der Nebenkläger selbst und sein bevollmächtigter Anwalt gemäß §§ 385 Abs. 1, Abs. 2, 378, 218 Abs. 1 StPO zu der Hauptverhandlung geladen und darin, sofern sie von dem Anwesenheitsrecht Gebrauch gemacht hätten, gehört werden müssen (OLG Celle MDR 1966, 256; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 378 Rn. 4 und § 397 Rn. 8).

In der unterbliebenen Ladung des Nebenklägers und seines Bevollmächtigten zur Hauptverhandlung des Wiederaufnahmeverfahrens mit der Folge ihres Nichterscheinens ist ein der Revision zugänglicher Verfahrensfehler im Sinne des § 337 StPO zu sehen, auf den das Urteil beruhen kann (BGH StV 1981, 535;OLG Karlsruhe Justiz 1974, 345; VRS 50 119; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 398 Rn.4) Das ist hier - wie regelmäßig - der Fall. Es ist nicht auszuschließen, daß der Nebenkläger durch Abgabe von Erklärungen, durch die Behauptung tatbestandserheblicher Umstände, durch die Stellung von Anträgen und die Einführung von zusätzlichen Bewiesmitteln auf eine Verurteilung des Angeklagten hingewirkt hätte.

3.

Auch die Sachrüge ist begründet.

Da die Urteilsgründe in fehlerhafter Weise gemäß § 267 Abs. 5 Satz 2 StPO in abgekürzter Form niedergelegt worden sind und insbesondere keine Beweiswürdigung enthalten, ermöglichen sie dem Senat nicht die Möglichkeit der sachlich-rechtlichen Überprüfung auf ihre Richtigkeit (KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 268 Rn. 47 m.w.N.).

Das angefochtene Urteil war danach gemäß § 353 StPO aufzuheben und die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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