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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 09.05.2000
Aktenzeichen: 2b Ss 86/00 29/00 I
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 56 Abs. 1 Satz 1 |
Zur notwendigen nachprüfbaren tatrichterlichen Darlegung der günstigen Sozialprognose, wenn die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, obwohl der Angeklagte bereits mehrfach erheblich vorbestraft ist, längere Freiheitsstrafen verbüßt, sich wiederholt als Bewährungsversager erwiesen und auch die neue Straftat während des Laufes einer Bewährungszeit begangen hat.
OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, Urteil vom 09.05.2000 - 2b Ss 86/00 29/00 I
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
2b Ss 86/00 - 29/00 I 230 Js 548/98 StA Düsseldorf
Eingegangen auf der Geschäftsstelle
am 11. Mai 2000
Renner, Justizsekretärin z.A.
In der Strafsache
gegen
wegen Betruges
hat der 1. Strafsenat auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der XXI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 4. November 1999 in der Hauptverhandlung vom
9. Mai 2000,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht S als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht H , Richter am Oberlandesgericht S als beisitzende Richter,
Staatsanwältin H
als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizsekretärin z.A. R
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Das angefochte Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Langenfeld (Rhld) hat den Angeklagten am 18. Juni 1999 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer durch das angefochtene Urteil verworfen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel ist begründet.
II.
1.
Die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung war wirksam, so daß der Schuldspruch und der Strafausspruch in Rechtskraft erwachsen sind.
Die Berufung kann grundsätzlich auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden (BGHSt 24, 164; 11, 395; OLG Hamburg JR 79, 258 m. Anm. Zipfel; OLG Karlsruhe NJW 1980, 133).
Das gilt nur dann nicht, wenn sich die Frage der Strafaussetzung nicht von der Strafzumessung trennen läßt, weil z.B. die Feststellungen fehlerhaft oder unzulänglich sind oder sich ein Rechtsfehler sowohl auf die Bemessung der Strafhöhe als auch auf die Aussetzungsfrage ausgewirkt hat. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Wie sich aus den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils ergibt, besteht zwischen Strafzumessungsgründen und den Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung kein untrennbarer Zusammenhang; insbesondere haben die Ausführungen zur Strafaussetzung auf die Strafzumessung keinen Einfluß gehabt.
III.
Die Entscheidungen nach § 56 Abs. 1 StGB, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose zu stellen ist, und nach § 56 Abs. 3 StGB, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Strafe gebietet, obliegen dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat sie im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren" zu respektieren (BGH NJW 1982, 40; NStZ 1983, 118; StV 1991, 360; Senat VRS 91, 355; Urteil vom 23. Februar 1999 - 5 Ss 405/98 - 109/98 I - ). Es kann sie deshalb nur auf Rechts- und Ermessensfehler nachprüfen (BGHSt 6, 392).
Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
1.
Nach § 56 Abs. 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird.
Die Strafkammer führt zwar aus, sie gehe von der Erwartung aus, daß der Angeklagte künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Jedoch setzt eine Strafaussetzung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB voraus, daß diese Erwartung durch Tatsachen begründet ist (BGH VRS 25, 426). Es bedarf zwar keiner Gewähr einer straffreien Führung des Angeklagten und auch keiner sicheren Erwartung, sondern sie läßt ein gewisses Risiko einer Fehlprognose zu.
Der Richter muß jedoch von der durch Tatsachen begründeten Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit überzeugt sein (BGHSt 7, 6; BGH VRS 25, 426; BGH NStZ 1988, 452; BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 13; BGH StV 1991, 514). Dabei muß die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer sein als diejenige neuer Straftaten (BGHR StGB § 56 Abs. 1, Sozialprognose 30). Der Grundsatz in dubio pro reo gilt hierbei nicht (Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl., § 56 Rn 5 m.w.N.).
a) Die Strafkammer begründet die Strafaussetzung zur Bewährung wie folgt:
"Wie schon das Amtsgericht geht auch die Kammer trotz des so sehr gegen ihn sprechenden Strafregisters und der Rückfallgeschwindigkeit von der Erwartung aus, daß der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Er lebt nun schon zwei Jahre straffrei. Hierauf brauchte man eine günstige Sozialprognose nicht zu stützen, wenn nicht diese zwei Jahre einhergingen mit dem deutlichen Bemühen des Angeklagten, in ein ordentliches, straffreies Leben zu finden. Er hat die Möglichkeit zur Teilnahme an einer einjährigen ABM-Maßnahme zufriedenstellend genutzt. Er bemüht sich, wie die Aussage des Bewährungshelfers ergibt, durch Vorsprachen beim Arbeitsamt und Stellenbewerbungen immer wieder um neue Arbeit. Das alles hängt damit zusammen, daß er in der Sorge um seinen Sohn eine Lebensaufgabe sieht, der er sich stellt und die er ernst nimmt. Gewiß fiel auch die Straftat schon in die Zeit, in der ihm die Sorge für den Sohn anvertraut worden ist. Die Aufgabe als Vater und der Wunsch nach Konsum, der hinter der Tat steckt, widerstritten miteinander. Inzwischen hat der Angeklagte eingesehen, daß Straftaten vor allem für den Sohn unabweisbaren Schaden bedeuten. Er ist nun anders als zuvor bemüht, mit dem auszukommen, was ihm finanziell zur Verfügung steht. Früher, so der Bewährungshelfer, "brauchte er, was er brauchte". Das ist nun nicht mehr so. Der Bewährungshelfer und der Angeklagte selbst haben der Kammer den Eindruck vermittelt, daß im Leben des Angeklagten eine ernsthafte Wende zum Besseren eingetreten ist, die für die Zukunft eine zu günstigen Erwartungen berechtigende Grundlage bildet."
b) Diese Ausführungen reichen nicht aus, um eine günstige Sozialprognose zu begründen.
Die Strafkammer hat ihre positive Sozialprognose im wesentlich darauf gestützt, daß der Angeklagte sich seit zwei Jahren straffrei geführt, während dieser Zeit zufriedenstellend an einer einjährigen ABM-Maßnahme teilgenommen, sich anschließend um eine Arbeitsstelle bemüht und intensiv für seinen vierjährigen Sohn gesorgt habe.
Diese Umstände reichen zur Begründung einer Strafaussetzung nicht aus.
Die Strafkammer erwähnt in ihrer Begründung die Vorstrafen des Angeklagten und die Rückfallgeschwindigkeit nur beiläufig, ohne sie in die gebotene Gesamtwürdigung einzubeziehen und gegen die zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände abzuwägen.
Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils - von vier Jugendverfahren in den Jahren 1975 bis 1981 abgesehen - seit 1981 unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubs, Unterschlagung, vielfachen Betrugs und mehrfach wegen Diebstahls zu Jugend- und Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als sechs Jahren verurteilt worden. Ihm ist insgesamt neunmal Strafaussetzung gewährt worden, davon wiederholt nach Widerruf einer zunächst bewilligten Strafaussetzung und Teilverbüßung der erkannten Strafen. Fünfmal mußten Strafaussetzungen zur Bewährung widerrufen werden und auch die Tat, die den Gegenstand dieses Verfahrens ist, hat der Angeklagte während des Laufes einer Bewährungszeit begangen, und zwar nur etwa sechs Monate nach seiner letzten Verurteilung.
Diese Vorbelastungen hat die Strafkammer bei der Beurteilung, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose zu stellen ist, ebenso nicht gewürdigt wie den Umstand, daß bei dem Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliegt, die in mehreren Verfahren zur Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit und verminderter Schuldfähigkeit geführt hat und die Einstellung von 18 Verfahren wegen angenommener Schuldunfähigkeit zur Folge hatte. Zu der Art dieser Persönlichkeitsstörung und ihren derzeitigen Auswirkungen hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. Persönlichkeitsdefizite, auch wenn sie auf einer Erkrankung oder intellektuellen Minderbegabung beruhen, sind aber für die Sozialprognose bedeutsam (BGHSt 10, 287) und kein Anlaß, an die Erwartung zukünftiger straffreier Führung geringere Anforderungen zu stellen.
Angesichts dieses ungünstigen Persönlichkeitsbildes des Angeklagten bedarf es der Feststellung ganz besonderer Umstände, um gleichwohl noch zu einer positiven Prognose kommen zu können (vgl. OLG Koblenz VRS 74, 271; NZV 1988, 231). Hierfür reichen - wovon auch die Strafkammer ausgeht - eine zweijährige straffreie Führung ebenso nicht aus wie die Teilnahme des Angeklagten an einer ABM-Maßnahme und seine Bemühungen um eine Arbeitsstelle, denn auch früher ist der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen Beschäftigungen nachgegangen, gleichwohl aber wieder straffällig geworden. Daß allein die Sorge für seinen Sohn ausreichenden Anlaß für die Erwartung zukünftiger straffreier Führung begründet, begegnet - wie auch die Strafkammer nicht verkennt - Zweifeln, da der Angeklagte auch die diesem Verfahren zugrunde liegende Straftat begangen hat, als ihm bereits das Personensorgerecht für seinen Sohn übertragen war.
Im übrigen stützt die Strafkammer ihre Entscheidung sowohl auf eigene Wertungen und Eindrücke wie auch auf solche des Bewährungshelfers, die nicht mit Tatsachen begründet sind.
Wegen der nach alledem fehlenden erschöpfenden und nachprüfbaren Gesamtwürdigung kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben (§ 353 StPO).
2.
Mit Recht beanstandet die Revision ferner, daß die Erwägungen der Strafkammer zu der Frage, ob die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 3 StGB zu versagen ist, weil die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet, unzureichend sind.
Ob die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet, hat der Tatrichter unter allseitiger Würdigung von Tat und Täter zu entscheiden (BGH NStZ 1985, 459).
Diese umfassende Würdigung läßt das angefochtene Urteil - wie dargelegt - vermissen. Insbesondere in Anbetracht der zahlreichen und zum Teil erheblichen Vorstrafen, des mehrfachen Bewährungsversagens und der Begehung der Straftat während des Laufes einer Bewährungsfrist ist nicht ausgeschlossen, daß die Rechtstreue der Bevölkerung, auf deren Erhalt es ankommt, ernsthaft beeinträchtigt wird und es von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalltät angesehen werden müßte, wenn bei dieser Sachlage die Vollstreckung der Freiheitsstrafe erneut zur Bewährung ausgesetzt wird (BGHSt 24, 40, 45, 46; 24 64, 66, 69; BGH NStZ 1985, 459).
3.
Der Senat sieht davon ab, entsprechend § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst zu entscheiden, da die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen insbesondere zu der Persönlichkeit und den Persönlichkeitsstörungen des Angeklagten der Ergänzung bedürfen, aber auch seine Lebensverhältnisse und seine Führung in jüngster Zeit in die gebotene neue Gesamtbeurteilung einzubeziehen sind.
Ende der Entscheidung
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