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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: I-10 U 203/04
Rechtsgebiete: EGBGB, StVO, BGB, ZPO


Vorschriften:

EGBGB Art. 229 § 5
EGBGB Art. 229 § 8 Abs. 1
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7
BGB § 249 Satz 2 a.F.
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 3. November 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 546 ZPO) noch rechtfertigen die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen (§§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 ZPO) eine abweichende Beurteilung. Der Senat folgt den Gründen der Entscheidung nach Maßgabe der folgenden durch das Berufungsvorbringen veranlassten Ausführungen.

1.

Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin einen Schadensersatzanspruch nach Ziffer 10 lit. a. und lit. b. der Allgemeinen Vermietbedingungen (Bl. 19 GA) bzw. wegen Verletzung der Pflicht zur Rückgabe der Mietsache in ordnungsgemäßem, d.h. nicht über die normale Abnutzung hinaus beeinträchtigtem Zustand (vgl. BGH NJW 1978, 945 [946]) nach den - auf das vor dem 01.01.2002 begründete Schuldverhältnis nach Art. 229 § 5 EGBGB weiterhin anzuwendenden - Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung zuerkannt. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt die unter Ziffer 10 lit. e der Allgemeinen Vermietbedingungen vorgesehene Haftungsfreistellung nicht zum Tragen, weil der Beklagte den Unfall grob fahrlässig verursacht hat.

a.

Ungeachtet der durch das Landgericht erhobenen Beweise, ist zu Gunsten der Klägerin zu vermuten, dass der Beklagte den Unfall schuldhaft (§ 276 BGB) verursacht hat.

Bei einem typischen Auffahrunfall, wie er hier unstreitig anzunehmen ist, spricht nach gefestigter Rechtsprechung der Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende entweder durch einen ungenügenden Sicherheitsabstand (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVO), durch unangepasste Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 StVO) und/oder durch allgemeine Unaufmerksamkeit (§ 1 Abs. 2 StVO) den Unfall schuldhaft verursacht hat (BGH NJW-RR 1989, 670 [671]; BGH NJW-RR 1988, 406; OLG Düsseldorf, MDR 2003, 330).

Ist mithin zu Gunsten der Klägerin eine schuldhafte Unfallverursachung zu vermuten, oblag es dem Beklagten zur Erschütterung des Anscheinsbeweises, den Nachweis einer ernsthaften Möglichkeit eines anderweitigen Geschehensablaufs zu erbringen (vgl. BGH NJW 1972, 1131; BGH NJW 1978, 2032 [2033]). Hieran fehlt es.

aa.

Soweit der Beklagte nunmehr auf ein Ausweichmanöver verweist, genügt dies zur Darlegung eines atypischen Geschehensablaufes schon deshalb nicht, weil es selbst - erst recht in Kombination mit einer Bremsung - gefahrerhöhend wirkte (vgl. BGH NJW 1997, 1012 [1013]).

bb.

Mit dem Landgericht ist aufgrund des im Ermittlungsverfahren eingeholten und urkundlich verwerteten Gutachtens des Sachverständigen G. (Bl. 50 f GA) sowie dessen Aussage im Strafverfahren (Bl. 92 BA) auch ein Versagen der Bremsanlage auszuschließen. Daran ändert der Umstand, dass das Steuergerät des ABS-Systems sowie der Fehlerspeicher nicht mehr überprüft bzw. ausgelesen werden konnten, nichts. Vielmehr hat der Sachverständige, der hierauf selbst verweist, seine überzeugenden Schlussfolgerungen aus dem ihm zur Verfügung stehenden übrigen Untersuchungsmaterial gezogen. Hinzu kommt, dass der im Strafverfahren gehörte Zeuge S. (Bl. 91 f BA), dessen Aussage im Wege des Urkundenbeweises ebenfalls Berücksichtigung finden kann, bekundet hat, noch am Unfallort das Bremspedal betätigt zu haben, wobei Druck vorhanden gewesen sei. Überdies hat der Beklagte ausweislich der Verkehrsunfallanzeige (Bl. 1 f BA) und der Angaben des Zeugen S. im unmittelbaren Anschluss an das Eintreffen der Polizei vor Ort selbst zunächst zu Protokoll gegeben, dass die Bremsen funktionstüchtig gewesen seien.

cc.

Schließlich ist auszuschließen, dass zum Unfallzeitpunkt Glatteis herrschte oder die Fahrbahn lokal vereist war. So hat der Zeuge S. - in Übereinstimmung mit den Angaben in der Verkehrsunfallanzeige - im Strafverfahren zu Protokoll gegeben, dass die Fahrbahn zwar nass, jedoch nicht vereist gewesen sei. Dergleichen hat selbst der Beklagte weder im Ermittlungs- noch im Strafverfahren behauptet. Im Einklang hiermit hat auch keiner der übrigen im Ermittlungs- oder Strafverfahren gehörten Zeugen, die unmittelbar zuvor die Unfallstelle passiert hatten, angegeben, dass die Fahrbahn vereist gewesen sei.

dd.

Soweit der Beklagte eine fehlende Winterbereifung rügt, entlastet ihn das ebenso wenig. Denn die Fahreigenschaften des Pkw mussten ihm nach der von ihm zurückgelegten Fahrstrecke bekannt sein.

b.

Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht das Verhalten des Beklagten weiterhin als objektiv grob fahrlässig eingestuft, da er das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste, weil einfache, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 2003, 330 mit zahlreichen Nachweisen). Zwar ist die Frage, ob ein Verschulden besonders schwer wiegt und sich als grob fahrlässig darstellt, einem Anscheinsbeweis nicht zugänglich. Ausgehend von den eingangs getroffenen Feststellungen kann das Verhalten des Beklagten jedoch einzig als grob fahrlässig beurteilt werden.

Unstreitig betrug die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagten mindestens 84 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h, welche bereits 330 m vor der Unfallstelle ausgeschildert und durch Herabsetzungen der Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf 100 km/h und dem folgend auf 80 km/h vorbereitet worden war. Weiterhin kann - da keine Eisglätte herrschte - aufgrund des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen J. vom 08.08.2003 (Bl. 81 f GA) davon ausgegangen werden, dass die Geschwindigkeit des Beklagten ca. 70 m vor der Unfallstelle mindestens 100 km/h bei zulässigen 60 km/h betrug. Wie die hinter der Lichtzeichenanlage befindliche Endposition des vom Beklagten gesteuerten Wagens eindrucksvoll belegt, war für den Beklagten zudem - obgleich er zunächst auf den vor dem Kreuzungsbereich auf der Linksabbiegerspur wartenden VW Polo und den rechts davon befindlichen Audi A 6 prallte und damit erheblich an Geschwindigkeit verlor - ein Rotlichtverstoß nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO unausweichlich. Bereits eine solche Pflichtverletzung begründet für sich genommen regelmäßig den Vorwurf objektiv grob fahrlässigen Handelns (vgl. BGH NJW 1992, 2418; BGH VersR 2003, 364 [365]). Erschwerend kommt hinzu, dass der Beklagte eine Autobahnausfahrt befuhr, an deren Ende er mit einem Kreuzungsbereich rechnen musste, und die Unfallstelle einschließlich Lichtzeichenanlage - wie anhand der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen J. in seinem Ergänzungsgutachten vom 20.11.2003 (Bl. 116 f GA) nachgewiesen - bereits aus etwa 70 m Entfernung einsehen konnte. Schließlich herrschten zum Unfallzeitpunkt Nässe und Dunkelheit bei allerdings ausgeleuchteter Fahrbahn. Unter diesen Umständen stellt sich das Verhalten des Beklagten als besonders schwerwiegender, den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigender Sorgfaltsverstoß dar. Entlastend wirkt insoweit nicht, dass weitere bei der Beurteilung zu berücksichtigende Gesichtspunkte wie der Zustand des Fahrzeuges und das Befinden des Fahrers keinen Schuldvorwurf begründen.

c.

Der Beklagte handelte auch subjektiv grob fahrlässig. Zwar trifft insofern die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast. In ständiger Rechtsprechung kann indes vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf die inneren Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH NJW 1992, 2418 [2419]; BGH VersR 2003, 364 [365]). Mangels entlastender Umstände ist im vorliegenden Fall der Schluss zu ziehen, dass der Beklagte subjektiv unentschuldbar handelte, als er sich mit stark überhöhter Geschwindigkeit der Lichtzeichenanlage näherte.

Hieran ändert nichts, dass der Beklagte ein Augenblicksversagen für möglich hält. Denn ein solches wäre allein kein Grund, den Schuldvorwurf grob fahrlässigen Handelns herabzustufen, wenn nicht noch weitere Umstände hinzukommen, die es rechtfertigen, im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig zu werten (BGH NJW 1992, 2418 [2419]). Hierzu hat der Beklagte ebenso wenig vorgetragen wie dazu, worin das Augenblicksversagen bestanden haben soll. Im Übrigen ist von einem durchschnittlichen Kraftfahrer zu erwarten, dass er an eine Kreuzung jedenfalls mit einem Mindestmaß an Konzentration heranfährt, das es ihm ermöglicht, die Verkehrsregelung wahrzunehmen und zu beachten (BGH, a.a.O.; OLG Hamm, VersR 1988, 1260 [1261]). Eine kurzfristige Geistesabwesenheit wäre daher keine entschuldigende Begründung für ein Außerachtlassen der gebotenen Sorgfalt (BGH, a.a.O.).

d.

Zu einem Mitverschulden der Klägerin nach § 254 Abs. 1 BGB wegen einer unterbliebenen Winterradbereifung hat der Beklagte erstmals mit der Berufung vorgetragen. Da die Klägerin insoweit jedenfalls eine Mitursächlichkeit für den eingetretenen Schaden bestreitet, hat der Sachvortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO keine Berücksichtigung zu finden.

2.

Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist auch der Höhe nach in vollem Umfang begründet.

a.

Wie zwischen den Parteien außer Streit steht und durch die in den Rechtsstreit eingeführten Lichtbilder (Bl. 58 f GA) untermauert wird, erlitt das angemietete Fahrzeug zumindest einen technischen Totalschaden. Die Klägerin hat daher nach § 249 Satz 2 BGB a.F. - welcher gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB Anwendung findet - Anspruch auf den zur Herstellung erforderlichen Betrag, mithin den nach Abzug des Restwertes verbleibenden Wiederbeschaffungswert (vgl. BGHZ 115, 364 [372]).

aa.

Soweit der Beklagte erstmalig in zweiter Instanz Einwendungen gegen den in dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten des Sachverständigen S. vom 02.03.2001 (Bl. 22 f GA) festgestellten Wiederbeschaffungswert erhebt, ist er hiermit nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Im Übrigen eröffnet eine unterbliebene Angabe der Laufleistung und des genauen Datums der Erstzulassung ("12.00", Bl. 22 GA) nicht zwingend den Schluss, dass der Sachverständige bei seiner Begutachtung von unvollständigen oder fehlerhaften Prämissen ausgegangen ist.

bb.

Ohne Erfolg wendet sich der Beklagte weiterhin dagegen, dass das Landgericht dem Umstand, dass die Klägerin als große Autovermietung Händlerrabatte bekommen dürfte, keine Rechnung getragen hat. Dahin stehen kann, ob der Beklagte hätte darlegen müssen, auf welchen Betrag sich der hiernach zu bestimmende Wiederbeschaffungswert beläuft und bei welchen Händlern entsprechende Vereinbarungen bestanden. Denn eine Anrechnung eines Rabattes kommt nach Sinn und Zweck des Schadensersatzrechtes nicht in Betracht. Zwar darf der Geschädigte durch das schädigende Ereignis nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen keine Bereicherung erlangen. Dies ist indes nicht der Fall, da dem verunfallten Pkw im Vermögen der Klägerin zum Unfallzeitpunkt objektiv der Wiederbeschaffungswert zukam, unabhängig davon, ob der zuvor entrichtete Kaufpreis hiervon im Verhältnis deutlich abwich. So hätte die Klägerin beispielsweise durch einen Verkauf den ihr in Form eines Rabattes zugeflossenen Vermögensvorteil realisieren können. Diese Möglichkeit wurde ihr hingegen durch den Unfall genommen (vgl. OLG Celle, VersR 1993, 624 [625]). Hiervon ausgehend würde der Klägerin vielmehr für den Fall, dass sie von ihrer durch § 249 Satz 2 BGB a.F. eingeräumten Ersetzungsbefugnis Gebrauch macht, ein Nachteil gegenüber der Naturalrestitution durch Neuerwerb eines Fahrzeuges zu gleichbleibenden Händlerbedingungen entstehen. Darüber hinaus würden dem Geschädigten Vorteile zukommen durch - hier allerdings im Vorgriff erbrachte - Leistungen Dritter, ohne dass diese - auch bei Neuerwerb eines Pkw - nach Sinn und Zweck den Schädiger entlasten sollten.

cc.

Ohne Erfolg beanstandet der Beklagte schließlich den durch die Vorinstanz in Ansatz gebrachten Restwert.

(1)

Soweit der Beklagte auf günstigere, insbesondere der Klägerin als Autovermietung zur Verfügung stehende Verwertungsmöglichkeiten hinweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Zwar ist der Geschädigte nach § 249 Satz 2 BGB a.F. gehalten, im Rahmen des Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen (BGHZ 115, 364 [372]; BGHZ 132, 373 [376]; BGH NJW 2000, 800 [801]). Eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines erst durch den Schädiger eröffneten Sondermarktes, etwa durch die Einschaltung spezialisierter Restwertverkäufer, resultiert hieraus jedoch nicht (vgl. BGH NJW 2005, 357 [358]).

Weiterhin genügt der Sachvortrag zur Annahme eines - von dem Beklagten darzulegenden und nachzuweisenden - Verstoßes gegen die der Klägerin obliegende Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB nicht. Ein derartiger Verstoß käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Beklagte der Klägerin eine ihr ohne weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeit nachgewiesen hätte (vgl. BGH NJW 2005, 357 [358]; BGH NJW 2000, 800 [802]; OLG Düsseldorf, VersR 1998, 518 [519]).

(2)

Soweit der Beklagte erstmalig in zweiter Instanz den Kaufvertrag in Frage stellt und geltend macht, dass der angesetzte Restwert nicht durch einen Gutachter unterlegt sei, ist er mit seinem Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert.

b.

Sonstiges Rechtserhebliches gegen die Schadenshöhe bringt die Berufung nicht vor.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Streitwert: 18.380,94 €

Ende der Entscheidung

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