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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: I-10 W 109/08
Rechtsgebiete: RVG, ZPO, BerHG
Vorschriften:
RVG § 55 | |
RVG § 56 Abs. 2 Satz 1 | |
RVG § 33 Abs. 3 | |
ZPO §§ 104 f | |
BerHG § 1 Abs. 2 |
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - vom 01.09.2008 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Auf die Erinnerung der Landeskasse wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Urkundsbeamter der Geschäftsstelle - vom 04.03.2008 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die dem Rechtsanwalt S. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf EUR 782,88 festgesetzt. Der weitergehende Festsetzungsantrag wird zurückgewiesen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Beschwerde der Landeskasse vom 03.09.2008 (Bl. 48ff PKH-Heft) richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts - Einzelrichter - vom 01.09.2008 (Bl. 46f PKH-Heft), durch den die Erinnerung des Bezirksrevisors vom 19.03.2008 (Bl. 28ff PKH-Heft) gegen den landgerichtlichen Beschluss vom 04.03.2008 (Bl. 21 PKH-Heft) zurückgewiesen wurde. Hierin war die für die erste Instanz aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung für den Antragsteller gemäß dessen Antrag vom 28.11.2007 (Bl. 12 PKH-Heft) - bis auf EUR 4,- für Auslagen - antragsgemäß mit EUR 1049,80 festgesetzt worden. Prozesskostenhilfe war der von dem Antragsteller vertretenen Partei für die hier fragliche erste Instanz erst nachträglich, mit Beschluss vom 22.02.2008 (Bl. 18 PKH-Heft = Bl. 203 GA) bewilligt worden.
Mit ihrer Beschwerde macht die Landeskasse geltend, auf die u.a. in Höhe von EUR 460,20 ohne Mehrwertsteuer berücksichtigte 1,3 Verfahrensgebühr müsse sich der Antragsteller eine Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 hälftig anrechnen lassen; diese sei hier für die Fertigung des vorgerichtlichen Anspruchsabwehrschreibens vom 26.01.2008 (Bl. 11 GA) angefallen und mit der Regelgebühr in Höhe von 1,3 anzusetzen.
II.
Die Beschwerde der Landeskasse ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig und begründet; sie führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Zu Recht rügt die Landeskasse die unterbliebene Anrechnung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr.
1.
Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinen Urteilen vom 07.03.2007, VIII ZR 86/06 (Rpfleger 2007, 505) und 11.07.2007, VIII ZR 310/06 (AGS 2008, 41) ausgeführt, dass - sofern nach RVG VV-Vorbem. 3 Abs. 4 eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist - sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr vermindert, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren ebenfalls anfallende Verfahrensgebühr. Mit Beschluss vom 22.01.2008, VIII ZB 57/07 (Rpfleger 2008, 332 = MDR 2008, 592 = AGS 2008, 158) hat der Bundesgerichtshof seine Rechtssprechung dahingehend präzisiert, dass die Verfahrensgebühr gem. RVG VV-Nr. 3100 wegen der in RVG VV-Vorbem. 3 Abs. 4 vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 von vornherein nur in gekürzter Höhe entsteht. Daher kommt nach Auffassung des Bundesgerichtshofes im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 104 f ZPO keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht. Ob die vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist, ist vielmehr ohne Bedeutung. Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat mit Beschluss vom 02.10.2008, I-10 W 58/08 angeschlossen.
2.
Die Frage, ob diese Grundsätze auch auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG anzuwenden sind, stellt sich nur dort, wo ein Anrechnungsfall der RVG VV-Vorbemerkung 3.4 vorliegt, mithin eine Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 anfällt. Dies ist unter den gegebenen Umständen des Falles anzunehmen.
Der Anfall einer Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 ist ausgeschlossen im Bereich der Beratungshilfe. Wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, bereits zum Zeitpunkt der vorprozessualen Tätigkeit vorgelegen haben, hatte der Mandant einen Anspruch auf Beratungshilfe, § 1 Abs. 2 BerHG. Ihm wäre auf Antrag ein Beratungshilfeschein auszustellen gewesen. Es wäre lediglich eine Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2503 in Höhe von EUR 70,- angefallen, die im Innenverhältnis (im Verhältnis zum Gegner gilt § 9 BerHG) hälftig auf die Gebühren eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen gewesen wären (vgl. Abs. 2). Ein Anwalt ist - sofern er Anhaltspunkte dafür hat, dass der Rechtssuchende zum Kreis der nach dem BerHG Berechtigten gehört - verpflichtet, auf die Möglichkeit der Beratungshilfe hinzuweisen (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Aufl., § 44 Rn. 3f). Unterlässt er den gebotenen Hinweis und wird ohne Beratungshilfeschein tätig, so steht ihm lediglich die Gebühr des RVG VV-Nr. 2500 in Höhe von EUR 10,- zu (OLG Oldenburg Beschluss vom 23.06.2008, 5 W 34/08), die nur der Mandant schuldet und die nicht anzurechnen ist. Die aus der Staatkasse zu erstattenden Gebühren nach RVG VV-Nr. 2501 bis 2508 setzen die Erteilung eines Beratungshilfescheines voraus (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, § 44 Rn. 3).
Ob aus der späteren Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gefolgert werden kann, dass regelmäßig bereits vorprozessual die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe erfüllt waren (so OLG Oldenburg Beschluss v. 23.06.2008, 5 W 34/08), erscheint zweifelhaft, mag aber letztlich dahinstehen. Die konkreten Umstände des vorliegenden Falles würden jedenfalls eine Ausnahme begründen. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Bedürftigkeit erst während des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist. Das maßgebliche, die Geschäftsgebühr auslösende vorgerichtliche Schreiben datiert vom 26.01.2006 (Bl. 11 GA). Der erstinstanzliche Klageabweisungsantrag datiert vom 26.04.2006 (Bl. 10 GA) und enthält keine Hinweise auf eine Bedürftigkeit. Erstmals mit Schriftsatz vom 20.09.2006 (Bl. 39 GA), mithin fast 9 Monate nach der vorprozessualen Tätigkeit und 5 Monate nach Klageerhebung, erfolgte die Beantragung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz, die mit Beschluss vom 22.02.2008 mit Wirkung ab Antragstellung bewilligt wurde (Bl. 203 GA). Unter diesen Umständen kann für die Zeit zuvor ohne weitere Darlegung nicht von einer Bedürftigkeit, mithin auch nicht von einem Anwendungsfall der Beratungshilfe ausgegangen werden. Damit konnte die vorprozessuale Tätigkeit des Antragstellers eine nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4 anzurechnende Geschäftsgebühr auslösen.
3.
Eine anzurechnende Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 ist auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4 uneingeschränkt auf die gerichtliche Verfahrensgebühr nach RVG VV-Nr. 3100 anzurechnen (so auch OLG Braunschweig Beschluss vom 12.09.2008, 2 W 358/08 (JURIS); OLG Bamberg Beschluss v. 01.07.2008, 2 WF 92/08 (JURIS); OLG Oldenburg Beschluss v. 08.05.2008, 8 W 57/08 (JURIS) sogar weitergehend auch für den Fall, dass die Prozesspartei Anspruch auf Beratungshilfe hätte; OLG Oldenburg Beschluss vom 12.06.2008, 13 WF 111/08 (JURIS); OLG Oldenburg Beschluss v. 27.05.2008, 2 WF 81/08 (JURIS).
Es gibt auch nach Auffassung des Senats keine rechtfertigenden Gründe dafür, im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG eine Anrechnung nur dann vorzunehmen, wenn der Anwalt die anrechenbare zweite Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat (so aber OLG Stuttgart Beschluss vom 15.01.2008, 8 WF 5/08). Der durch die Kürzung entfallende Teil der Verfahrensgebühr lebt nicht nachträglich wieder auf, sofern es dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nicht gelingt, seinen Vergütungsanspruch hinsichtlich der Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten oder dem Gegner zu realisieren; eine solche Ausnahme lässt sich weder der Anrechnungsvorschrift entnehmen (vgl. auch OLG Bamberg Beschluss vom 01.07.2008, 2 WF 92/08 und OLG Oldenburg Beschluss vom 27.05.2008, 2 WF 81/08) noch erscheint sie geboten.
Das Gesetz unterscheidet in RVG VV Vorbemerkung 3.4 nicht danach, ob der Partei im nachfolgenden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Anrechnung hat vielmehr immer dann zu erfolgen, wenn vorprozessual eine Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 entstanden ist und in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr nach RVG VV-Nr. 3100 anfällt, sei es auch in der verminderten Höhe des § 49 RVG.
Zutreffend ist zwar, dass der im späteren gerichtlichen Verfahren im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt den gegen seinen Mandanten gerichteten Anspruch in aller Regel nicht mit Erfolg wird geltend machen können, weil der Mandant ausweislich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe über eine etwa angeordnete Ratenzahlung hinaus wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist. Diesem Risiko kann der Anwalt jedoch begegnen, indem er seinen Vergütungsanspruch vor einem nachtäglichen Vermögensverfall durch einen Vorschuss sichert. Bei einer Vorschussanforderung wird ggfls. auch eine etwaige Bedürftigkeit des Mandanten im Sinne der Beratungshilfe offenbar, so dass der Anwalt sich über die Vorschriften der Beratungshilfe absichern kann (vgl. auch OLG Braunschweig Beschluss vom 12.09.2008, 2 W 358/08; OLG Oldenburg Beschluss v. 08.05.2008, 8 W 57/08). Macht der Anwalt von der Vorschussanforderung keinen Gebrauch, so hat er wie jeder andere Anwalt auch das Risiko einer nachträglich eintretenden mangelnden Leistungsfähigkeit seines Mandanten zu tragen. Wollte man die Anrechnung nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4 im Falle späterer Prozesskostenhilfe-Bewilligung nur dann vornehmen, wenn der Anwalt die vorprozessuale Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat, würde man letztlich das Risiko des nachträglichen Vermögensverfalls (in Höhe des anrechenbaren Teils der Geschäftsgebühr) auf die Landeskasse abwälzen, wofür kein rechtfertigender Grund besteht. Überdies bestünde die Gefahr, dass der Anwalt neben der aus der Staatskasse zu erstattenden vollen Verfahrensgebühr auch die vorgerichtliche Geschäftsgebühr durch einen bis dahin noch solventen Mandanten erhält (vgl. auch OLG Oldenburg Beschluss v. 08.05.2008, 8 W 57/08).
Die uneingeschränkte Anrechnung steht nicht im Widerspruch zur Forderungssperre nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, weil die Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 vor der Prozesskostenhilfe-Bewilligung entstanden ist. Auch steht § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen, weil es in den hier fraglichen Fällen nicht um die Frage der Verrechnung von Vorschüssen oder Zahlungen geht, sondern um die Frage, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstehen und festzusetzen sind (so auch OLG Braunschweig Beschluss vom 12.09.2008, 2 W 358/08; OLG Oldenburg Beschluss vom 12.06.2008, 13 WF 111/08 (JURIS).
4.
Die vorzunehmende Anrechung der Geschäftsgebühr gemäß RVG VV-Vorbemerkung 3.4. bewirkt, dass sich die Verfahrensgebühr der RVG VV-Nr. 3100 um den hälftigen Gebührensatz der Geschäftsgebühr vermindert, nicht um deren hälftigen Betrag.
Anzurechnen auf die Verfahrensgebühr des RVG VV-Nr. 3100 ist die Geschäftsgebühr nach RVG VV-Nr. 2300 "zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75". Dies bedeutet nach der unter Ziff. 1 dargelegten Rechtsprechung, dass die Verfahrensgebühr von vornherein nur in reduzierter Höhe entsteht. Da die Gebühren nach der Konzeption des RVG VV mit einem bestimmten Gebührensatz entstehen und die Anrechnungsvorschrift nach Vorbemerkung 3.4. auf einen maximal abzusetzenden Gebührensatz Bezug nimmt, liegt es nahe, die nach § 49 RVG zu bemessene Verfahrensgebühr nicht um den hälftigen Betrag der nach § 13 RVG berechneten Geschäftsgebühr, sondern um den hälftigen Gebührensatz der angefallenen Geschäftsgebühr zu vermindern (im Ergebnis ebenso LAG Beschluss vom 07.08.2008, 13 TA 185/08: die Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr ist unter Anwendung der Tabelle des § 49 RVG zu berechnen).
Der Senat vermag der Ansicht nicht zu folgen, dass die für den Fall des § 58 Abs. 2 RVG vorgesehene vorrangige Verrechnung der anteilig anzurechnenden Geschäftsgebühr auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und Wahlanwaltsvergütung auch dann vorzunehmen ist, wenn die Geschäftsgebühr noch nicht gezahlt worden ist (vgl. OLG Schleswig Beschluss vom 03.03.2008, 15 WF 9/08, MDR 2008, 947). Die nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4. vorgeschriebene Anrechnung würde dann in erster Linie und zu Lasten der Staatskasse der Deckung der über § 49 RVG hinausgehenden Wahlanwaltsgebühren dienen. Dies erscheint bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Anwalt - wie bereits dargelegt - die Gefahr hätte ausschließen können, dass er den Gebührenanspruch gegenüber seinem Mandanten wegen nachträglicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht realisieren kann.
5.
Die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Antragstellers für seine Tätigkeit in erster Instanz ist auf EUR 782,88 festzusetzen. Die in der beanstandeten Festsetzung berücksichtigte Verfahrensgebühr vermindert sich durch die nach RVG VV-Vorbemerkung 3.4 vorzunehmende Anrechnung auf 0,65. Dies führt zu einem um EUR 230,10 netto, entsprechend EUR 266,92 inklusive 16 % Umsatzsteuer verminderten Vergütungsanspruch des Antragstellers gegenüber der Staatskasse.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
Ende der Entscheidung
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