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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: I-12 U 7/06
Rechtsgebiete: SGB X, HPflG, BGB, Entwässerungssatzung, WHG, LWG
Vorschriften:
SGB X § 116 | |
SGB X § 119 | |
HPflG § 2 | |
HPflG § 9 | |
BGB § 823 | |
BGB § 839 | |
Entwässerungssatzung § 1 | |
WHG § 18 a Abs. 2 | |
LWG § 3 | |
LWG § 53 Abs. 1 | |
LWG § 53 Abs. 1 Satz 3 |
Tenor:
Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das am 9. Dezember 2005 verkündete Teilurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Haftung auf einen jährlichen Rentenbetrag von 30.000 DM, entsprechend 15.338,76 Euro, für jede getötete oder verletzte Person begrenzt ist.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte zu 1.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten zu 1. bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1. bleibt erfolglos. Allerdings wird die Haftungsbegrenzung entsprechend der zum Unfallzeitpunkt maßgeblichen Rechtslage für Renten auf jährlich 30.000 DM für jede getötete oder verletzte Person berichtigt.
Gründe:
A.
Die Klägerin macht Ansprüche auf Erstattung der an die Witwe des verunglückten Arbeiters D. und an den geschädigten Arbeiter L. gezahlten Rente geltend, die auf sie gemäß §§ 116, 119 SGB X übergegangen sind. Für die Zeit bis zum 31.12.2004 beansprucht sie 4.085,88 € für gezahlte Witwenrente D., 42.067,34 € für die Erwerbsunfähigkeitsrente L. sowie 32.722,02 € wegen der bis zum 31.12.2004 entgangenen Beitragsleistungen, insgesamt 78.880,24 €. Außerdem begehrt sie die Feststellung der entsprechenden Ersatzverpflichtung der Beklagten zu 1. für die Zeit ab dem 01.01.2005.
Daneben hat sie den Beklagten zu 2. auf Ersatzleistungen in Anspruch genommen, worüber in dem hier streitigen Teilurteil noch nicht entschieden ist.
Den Versicherungsfällen liegt zugrunde ein Unfallereignis aus dem Jahre 1997 im Bereich der D...straße in M. im Zuge von Kanalbauarbeiten. Auftraggeberin für diese Arbeiten waren die Stadtwerke M. GmbH - seit 1996 N. AG -. Mit der Durchführung der Arbeiten war beauftragt die "Arbeitsgemeinschaft D...straße", an der u. a. die G. Tiefbau GmbH - Insolvenzschuldnerin - beteiligt war. Im Bereich der Unfallstelle kam es zur Bildung eines hoch giftigen Schwefelwasserstoffs, weil einerseits die Streitverkündete zu 3., die M. GmbH & Co. KG, schwefelhaltigen Farbstoff in das Kanalnetz eingeleitet hatte und andererseits - möglicherweise - von anderer Stelle säurehaltige Abwässer in den Kanal eingeleitet worden waren, durch deren Zusammentreffen der hochgiftige Schwefelwasserstoff entstand. Der Mitarbeiter D. der Schuldnerin verstarb durch Vergiftung. Der Mitarbeiter L. der Schuldnerin erlitt eine Hirnschädigung und ist infolge des Unfalls erwerbsunfähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Unfallgeschehens wird auf den Tatbestand in dem erstinstanzlichen Urteil sowie auf die tatbestandlichen Feststellungen in dem Verfahren 3 O 205/99 LG Mönchengladbach, das sich auf das gleiche Unfallgeschehen bezieht, verwiesen sowie auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in dem Verfahren 9 Js 979/97 StA Mönchengladbach.
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1. als Inhaberin des Kanalnetzes gemäß § 2 des Haftpflichtgesetzes in Anspruch und außerdem gemäß § 823 BGB und nach § 839 BGB i.V.m. Artikel 34 Grundgesetz, weil nämlich die Beklagte zu 1. als Genehmigungsbehörde die vor Jahren angezeigte Einleitung des Abwassers durch die Streitverkündete zu 3. nie genehmigt aber auch nie verboten und auch zu keiner Zeit überprüft habe ob die von der Streitverkündeten zu 3. eingeleiteten Abwässer die Grenzwerte der Entwässerungssatzung überschritten. Wegen der Schwere der Pflichtverletzungen der Beklagten zu 1. als Genehmigungsbehörde habe diese zu beweisen, dass die Pflichtverletzung nicht für den Unfall ursächlich geworden sei.
Die Beklagte zu 1. hat die Klageabweisung begehrt und dazu geltend gemacht, sie sei nicht Inhaberin des Kanalnetzes und hafte nicht gemäß § 2 des Haftpflichtgesetzes. Dazu verweist sie auf einen Abwasserentsorgungsvertrag, den sie im Jahre 1995 mit der Stadtwerke M. GmbH abgeschlossen hat, nach dem die sich daraus ergebenden Aufgaben inzwischen auf die Rechtsnachfolgerin der Stadtwerke GmbH, die N. AG, übergegangen seien. Pflichtverletzungen in dem Genehmigungsverfahren und bei der Abwasserkontrolle seien schon deshalb nicht kausal für das Unfallereignis, weil - ohne die möglicherweise von dritter Seite - zugeführte Säure es zu dem streitigen Schadensereignis nicht habe kommen können.
Das Landgericht hat in dem hier angegriffenen Teilurteil der Klage gegen die Beklagte zu 1. stattgegeben, weil diese im Sinne des § 2 Haftpflichtgesetz Inhaber des Kanalnetzes gewesen sei und deshalb unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung einstehen müsse. Das ergebe sich aus § 1 der Entwässerungssatzung der Beklagten und daran habe sich durch den im Jahre 1995 abgeschlossenen Entsorgungsvertrag zwischen der Stadt M. und den "Stadtwerken" im Außenverhältnis nichts geändert. Allerdings beschränke sich die Haftung gemäß § 9 Haftpflichtgesetz auf bestimmte Höchstbeträge (Rentenbetrag jährlich 36.000 €/Kapitalbetrag 600.000 €). Eine weitergehende Haftung - ohne Haftungsbegrenzung - gemäß § 839 BGB i.V.m. Artikel 34 Grundgesetz sei nicht gegeben, weil nicht festgestellt werden könne, dass der nicht genehmigte und nicht kontrollierte Zufluss von schwefelhaltigem Abwasser das Unfallereignis verursacht habe. Das Unfallereignis habe nämlich nur in der Verbindung mit dem Zufluss von Säure entstehen können, wobei nicht aufgeklärt werden könne, durch wen diese Säure in das Kanalnetz eingeleitet worden ist. Die Verjährungseinrede der Beklagten zu 1. - die im Berufungsverfahren nicht weiter verfolgt wird - hat das Landgericht zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Berufung der Beklagten zu 1. und die Anschlussberufung der Klägerin, die für den Fall erhoben ist, dass die Inanspruchnahme der Beklagten zu 1. aus § 2 Haftpflichtgesetz scheitere.
Während die Beklagte zu 1. die Klage abgewiesen sehen möchte, erstrebt die Klägerin in erster Linie die Zurückweisung der Berufung.
Die Beklagte zu 1. wiederholt, ergänzt und vertieft ihr Vorbringen dazu, dass sie nicht Inhaberin des Kanalnetzes im Sinne des § 2 des Haftpflichtgesetzes gewesen sei. Sie meint auch, weil die streitige Kanalanlage noch "im Bau" gewesen sei, komme § 2 des Haftpflichtgesetzes nicht zur Anwendung. Sie bestreitet schließlich die geltend gemachten Schäden mit Nichtwissen.
Die Klägerin wiederholt, ergänzt und vertieft ihr Vorbringen dazu, dass die Beklagte zu 1. als Inhaber der Kanalanlagen aus Gefährdungshaftung gemäß § 2 Haftpflichtgesetz haften müsse. Der Entsorgungsvertrag zwischen der Beklagten zu 1. und der N. AG sei nicht im beabsichtigten Umfang zum Tragen gekommen. Von der nach § 18 a Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes des Bundes möglichen Übertragung der Inhaberschaft auf Dritte habe das Land Nordrhein-Westfalen keinen Gebrauch gemacht. § 3 des Landeswassergesetzes schließe die Übertragung aus. § 53 Abs. 1 Satz 3 des Landeswassergesetzes lasse nur zu, Dritte als Erfüllungsgehilfen einzuschalten, wodurch die Inhaberschaft der Beklagten zu 1. für das Kanalnetz im Sinne des § 2 des Haftpflichtgesetzes nicht in Frage gestellt werde. Jedenfalls sei die Beklagte zu 1. Mitinhaberin, so dass ein Gesamtschuldverhältnis bestehe. Schließlich müsse sich die Beklagte zu 1. nach Treu und Glauben als Alleingesellschafterin der N. AG wie eine Inhaberin im Sinne des § 2 des Haftpflichtgesetzes behandeln lassen.
Es sei unerheblich, dass die Anlage erst im Bau gewesen sei. Der Höhe nach sei der Schaden lückenlos durch Unterlagen belegt.
Richtig sei allerdings, dass die Haftungsgrenze zum Unfallzeitpunkt 30.000 DM pro Jahr für Renten betragen habe. Insoweit sei sie - die Klägerin - allerdings nicht beschwert, da die jährlichen Rentenleistungen unter diesem Höchstbetrag lägen. Sollte eine Haftung aus § 2 Haftpflichtgesetz der Beklagten zu 1. verneint werden, werde eine Schadensersatzverpflichtung aus § 823 BGB und gemäß §§ 839 BGB und Artikel 34 Grundgesetz weiterverfolgt im Wege der Eventualanschlussberufung. Es sei Sache der Beklagten zu 1., zu beweisen, dass ihre Pflichtverletzungen nicht für das Unfallereignis kausal geworden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die tatsächlichen rechtlichen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil verwiesen.
B.
Die Berufung der Beklagten zu 1. ist zulässig. Sie bleibt erfolglos, weil die Beklagte zu 1. nicht durch den Entversorgungsvertrag ihre Stellung als Inhaberin des Kanalnetzes im Sinne des § 2 Haftpflichtgesetz wirksam an die N. AG übertragen hat. Zur Eventual-Anschlussberufung der Klägerin bedarf es keiner Entscheidung, weil sie nur für den Fall eingelegt war, dass die Berufung der Beklagten zu 1. Erfolg gehabt hätte.
I.
Es ist unstreitig, dass die Beklagte zu 1. Eigentümerin des Kanalnetzes ist. Die Beklagte zu 1. hat das im Senatstermin außer Streit gestellt. Im übrigen fehlt auch hinreichender Vortrag für eine wirksame Eigentumsübertragung auf die E...
Aus der Eigentümerstellung der Beklagten zu 1. folgt aber nicht zwingend, dass diese dann auch Inhaberin des Kanalnetzes im Sinne des § 2 Haftpflichtgesetz sein müsste. Die Eigentümerstellung ist nur ein Indiz. Vertragliche Vereinbarungen als solche können mit Wirkung gegenüber Dritte nicht zum Inhaber machen. Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse. Abzustellen ist also darauf, wer die tatsächliche Herrschaft über die Anlage hat und deshalb "Herr der Gefahr" ist. Im Rahmen von Pacht-, Miet- oder Leasingverhältnissen kann es zur tatsächlichen Verlagerung der Verfügungsgewalt über die gefährliche Anlage kommen, die dazu führt, dass der Pächter/Mieter pp. Inhaber im Sinne des § 2 Haftpflichtgesetzes wird (vgl. dazu m.u.w.N. Filthaut, Haftpflichtgesetz, 7. Aufl., Rdnr. 44 ff).
II.
Im Berufungsverfahren ist der Entsorgungsvertrag zwischen der Stadt M. und der Stadtwerke M. GmbH - später N. AG - vom 21.12.1995 zentral in das Blickfeld geraten (Bl. 363). Der Text dieses Entsorgungsvertrages spricht dafür, dass es Ziel des Vertrags war, die tatsächliche Gewalt über das Kanalnetz durch die Stadtwerke M. GmbH - später AG (s.o.) - wahrnehmen zu lassen.
Dem steht aber gegenüber die Satzung aus dem Jahre 1984 (Anlageheft I K 1 = Anlageheft II K 8), wonach die Stadt Betreiberin der Abwasserbeseitigung und der Abwasseranlagen (ausgenommen die Hausanschlüsse) war.
Es lässt sich nicht feststellen, dass das Ziel des Entsorgungsvertrags zum Unfallzeitpunkt erreicht war, weil - die Übertragung der Inhaberstellung der "öffentlichen Hand" am Kanalnetz im Sinne des § 3 des Landeswassergesetzes ausgeschlossen ist.
In § 53 Abs. 1 LWG ist festgelegt, dass die Abwasserbeseitigungspflicht den Gemeinden obliegt - hier also der Beklagten zu 1. § 18 a Abs. 2 a des Wasserhaushaltsgesetzes des Bundes gibt zwar den Ländern die Ermächtigung, unter bestimmten Bedingungen die Abwasserbeseitigungspflicht auf Dritte zu übertragen. Von dieser Ermächtigung hat das Land Nordrhein-Westfalen aber keinen Gebrauch gemacht, so dass der Entsorgungsvertrag das in der Präambel benannte Ziel nicht hat erreichen können, das darin bestanden hat, die Abwasserbeseitigung so auszugestalten, dass die Verantwortlichkeit der Stadt sich dauerhaft "auf den nicht übertragbaren Kernbestand hoheitlicher Aufgaben beschränkt".
Entscheidend ist somit, dass die zur Wahrnehmung der Abwasserbeseitigungspflicht notwendige Inhaberschaft am Kanalnetz noch zu dem nicht übertragbaren Kernbestand hoheitlicher Aufgaben gehört, weil nämlich das Land Nordrhein-Westfalen von der Möglichkeit, die Übertragung zu gestatten, keinen Gebrauch gemacht hat. Faktisch ist deshalb die N. AG nur als Besitzdiener im Bereich des Kanalnetzes tätig geworden, und deshalb ist die Beklagte zu 1. als Inhaberin im Sinne des § 2 Haftpflichtgesetz anzusehen, wie das der Senat in dem Vorverfahren (14 U 177/02) auch angenommen hatte, in dem allerdings der hier ins Blickfeld geratene Entsorgungsvertrag noch keine maßgebliche Rolle gespielt hat. Zudem war die Beklagte auch deshalb "Herrin der Gefahr", weil es nach den gesetzlichen Normen und den Bestimmungen der Satzung ihr oblag, die Berechtigung für Anschlüsse und Einleitungen sowie deren Art und Weise zu regeln. Insoweit wird auf die diesbezüglichen Ausführungen der Berufungserwiderung Bezug genommen. Im übrigen wird ergänzend auf die zutreffenden Erwägungen in dem landgerichtlichen Urteil verwiesen.
III.
Die Einwendungen der Beklagten zu 1., die Anlage sei noch im Bau gewesen und deshalb nicht in ihrer Inhaberschaft, gehen fehl. Nach der Entwässerungssatzung waren gerade auch bauliche Maßnahmen in der Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1. durchzuführen. Die Errichtung, der Betrieb und die Erweiterung oder Anpassung sowie deren Instandhaltung sind Kernbereich der gemeindlichen Abwasserbeseitigungspflicht, zu deren Erfüllung sich die Beklagte zu 1. der N. AG nur "bedienen" kann. Es ist nicht plausibel, dass die Haftung aus § 2 Haftpflichtgesetz nicht auch denjenigen treffen soll, dessen Kanalnetz in bestimmten Teilbereichen im Bau ist. Eine entsprechende Einschränkung sieht das Gesetz nicht vor. Das gilt erst recht, wenn während der Baumaßnahme die nicht fertiggestellten Rohrteile benutzt werden, um eine Verbindung zwischen dem alten Kanalnetz herzustellen, wie das hier geschehen ist.
IV.
Es ist weiter nicht nachvollziehbar, wieso die Beklagte zu 1. sich zur Höhe des entstandenen Schadens auf Nichtwissen beruft, nachdem die Klägerin die entsprechenden Schadensnachweisunterlagen lückenlos vorgelegt hat. Die entsprechenden Rentenbescheide sind bestandskräftig. Die Beklagte zu 1. hätte Umstände darlegen müssen, die Anlass zu Zweifeln geben, dass die Klägerin zu Unrecht von ihrer Leistungspflicht ausgegangen ist. Das ist nicht geschehen. Richtig ist allerdings, dass die Haftungsgrenze zu berichtigen war, weil sie zum Unfallzeitpunkt bei jährlich 30.000 DM Rentenleistung lag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Ziffer 10, § 711 ZPO.
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass (§ 546 ZPO). Die Sache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 141.325,24 €.
Ende der Entscheidung
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