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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.10.2008
Aktenzeichen: I-24 U 45/07
Rechtsgebiete: BGB, HeimG
Vorschriften:
BGB § 611 | |
BGB § 280 | |
BGB § 823 | |
BGB § 831 | |
HeimG § 3 |
2. In einer Gefahrensituation ist die Obhutspflicht gesteigert mit der Folge, dass dem Pflichtigen im Schadensfall der Entlastungsbeweis obliegt (hier verneint für Brandverletzungen eines rauchenden Heimbewohners).
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 14. Oktober 2008
In dem Rechtsstreit
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 02. September 2008 durch seine Richter Z., T. und S.
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26. Januar 2007 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg -Einzelrichter- teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten beider Rechtszüge werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, die Gegenseite leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.
Gründe:
A.
Die klagende Krankenkasse verlangt aus übergegangenem Recht von der beklagten Pflegeheim-Betreibergesellschaft Ersatz unfallbedingter Kosten in Höhe von 189.391,15 EUR (nebst Zinsen), die der auf sie verschmolzenen Rechtsvorgängerin, BM. (künftig: Klägerin), durch die stationäre Behandlung und Pflege des Kassenmitglieds G. M., geb. am 11. Mai 1930, verstorben am 21. Juli 2003 (künftig: Versicherter) entstanden sind. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Der Versicherte, der wegen eines generalisierten cerebralen Krampfleidens mindestens seit dem Jahre 1997 ärztlich verordnete Medikamente regelmäßig einnahm, war seit dem 29. Januar 2001 Bewohner des von der Beklagten betriebenen Altenpflegeheims, wo ihn seine Ehefrau (künftig: Ehefrau) täglich (Ausnahme dienstags) besuchte. Er war anamnestisch bei seiner Aufnahme zeitlich, örtlich, zur Person und situativ nicht orientiert. Der Versicherte war bis zuletzt pflegebedürftig nach der Pflegestufe II und ohne Hilfe Dritter gehunfähig, weshalb er einen Rollstuhl nutzte. Er war starker Raucher. Seine Fähigkeit, beim Tabakgenuss für ausreichende Sicherheit zu sorgen, galt als eingeschränkt. Weil er in seinem Zimmer absprachewidrig im Bett geraucht hatte, wurden deshalb im Februar des Jahres 2003 die folgenden pflegerischen Maßnahmen angeordnet:
- Tabakgenuss in seinem Zimmer nur bei Anwesenheit der Ehefrau, aber nie im Bett, sondern nur am Zimmertisch
- Ansonsten selbstständiger Tabakgenuss nur im kleinen Tagesraum des Wohnbereichs ("Raucherecke")
- Entzug der selbstständigen Verfügung über Tabak/Feuerzeug und deren Deposition im Schwesternzimmer des Wohnbereichs
- Kontrollierte Abgabe von zwei Zigaretten im Zweistundenabstand mit Überlassung des Feuerzeugs
- Kontrolle der Feuerzeugrückgabe ("Feuerzeug nie behalten lassen !")
Am frühen Abend des 22. März 2003 hatte sich der Versicherte mit zwei Zigaretten und dem Feuerzeug versorgt, um wie üblich in der "Raucherecke" zu rauchen. Wenig später entdeckte die zur Unfallzeit in diesem Wohnbereich des Pflegeheims ihren Dienst verrichtende Zeugin P., dass die Oberbekleidung des Versicherten, der am Tisch in der "Raucherecke" in seinem Rollstuhl saß, lichterloh brannte. Nachdem die Flammen mit Decken erstickt worden waren, wurde der von Verbrennungen II. bis III. Grades im Bereich des Halses, des Unterkiefers, der Thoraxvorderseite, beider Achsel- und Leistenregionen sowie beider Unterarme verletzte Versicherte nach notärztlicher Erstversorgung stationär aufgenommen. Er wurde mehrfach operiert und intensiv-pflegerisch behandelt. Nachdem er am 09. Juli 2003 in das Pflegeheim der Beklagten entlassen worden war, verstarb er an den Unfallfolgen am 21. Juli 2003, am Tag seiner erneuten stationären Aufnahme, die infolge einer dramatischen Verschlechterung seines Zustands erfolgt war.
Die Klägerin hat behauptet: Zur Entzündung der Bekleidung habe es nur deshalb kommen können, weil der Versicherte, der zur Unfallzeit mit einem baumwollenen und deshalb nur schwer entflammbaren Schlafanzug bekleidet gewesen sei, über einen längeren Zeitraum sich selbst überlassen worden sei, so dass abgefallene Zigarettenglut zunächst in der Kleidung habe schwelen können, die sie dann erst sehr viel später entzündet habe. Die abweichende Darstellung des Unfallverlaufs durch die Beklagte (GA 20f) diene nur dazu, die schuldhaft vernachlässigte Beaufsichtigung des rauchenden Versicherten zu verschleiern.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 189.391,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Juli 2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat um
Klageabweisung
gebeten. Sie hat den Anspruch nach Grund und Höhe bestritten und insbesondere geltend gemacht, ihre Aufsichtspflichten nicht verletzt zu haben. Dazu hat sie behauptet: Zur Entzündung der Bekleidung des Versicherten sei es innerhalb eines nur äußerst kurzen unbeobachteten Zeitraums gekommen. Die Zeugin P. habe sich zunächst in der "Raucherecke" bei dem dort rauchenden Versicherten aufgehalten, der zur Unfallzeit mit einem Freizeit-/Tagesanzug aus 100% Polyester bekleidet gewesen sei. Sie habe ihn dann kurz allein gelassen und sich abgewandt, um das in der Nähe auf demselben Flur des Wohnbereichs gelegene Zimmer eines anderen Bewohners zu betreten. Als sie sich nach einem Moment wieder umgewandt habe, habe sie die lichterloh brennende Kleidung des Versicherten wahrgenommen und sofort die Rettungsaktion eingeleitet. Einer ständigen, gar ununterbrochenen Beaufsichtigung des Versicherten habe es nicht bedurft. Seit seiner Aufnahme im Pflegeheim habe er nämlich gelernt, gewisse Tätigkeiten wieder selbstständig zu verrichten (z. B. Nahrungsaufnahme, Rasur, Reinigung von Gesicht und Oberkörper, Rollstuhlfahren im Wohnbereich). Auch habe er die Zigarette mit dem von ihm üblicherweise verwendeten Einwegfeuerzeug ohne fremde Hilfe anzünden, sie selbstständig rauchen und sie auch wieder ausdrücken können. Krampfanfälle seien ihr nicht bekannt geworden.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme bis auf einen geringfügigen Teil der Zinsen stattgegeben. Es hat die Ursache und näheren Umstände des Unfallgeschehens für unaufklärbar gehalten und die Auffassung vertreten, wegen des instabilen gesundheitlichen Zustands des Versicherten, insbesondere wegen dessen Krampfleidens habe jederzeit, wenn auch mit möglicherweise nur geringer Wahrscheinlichkeit mit einem totalen Kontrollverlust des Versicherten gerechnet werden müssen, so dass dessen Zigarettengenuss nur unter ständiger Aufsicht vertretbar gewesen sei. Allein, dass es zur Entzündung der Bekleidung des Versicherten mit den schweren Verletzungsfolgen habe kommen können, indiziere die mangelhafte Aufsicht, so dass die Beklagte das Risiko der Unaufklärbarkeit der Unfallursache trage.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage vollständig abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und bittet um
Zurückweisung der Berufung.
Der Senat hat ergänzenden Beweis erhoben durch erneute Vernehmung der Zeugin P. sowie durch Einholung eines Gutachtes des Brandsachverständigen Dipl.-Ing. Christoph Winter. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 29. November 2007 sowie auf das schriftlich erstattete Gutachten des Sachverständigen vom 25. März 2008 verwiesen.
B.
Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet. Das Landgericht hat die Beklagte rechtsirrtümlich zur Leistung von Schadensersatz verurteilt. Die Klägerin hat keinen solchen Anspruch aus übergegangenem Recht des Versicherten (§ 116 Abs. 1 SGB X), und zwar weder auf vertraglicher (§§ 611, 280 Abs. 1 BGB) noch auf deliktischer Grundlage (§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 222, 229 StGB). Dabei bedarf es keiner differenzierten Prüfung der hier genannten vertraglichen und deliktischen Anspruchgrundlagen, weil sich das jeweils entscheidende Tatbestandsmerkmal, nämlich die in Betracht zu ziehende Verletzungshandlung (Verletzung der Aufsichtspflicht), weder nach seinen vertraglichen und deliktischen Voraussetzungen noch nach seinem jeweiligen Umfang unterscheidet.
1. Richtig ist, dass der Beklagten aus dem Heimvertrag Obhutspflichten und deliktisch inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des ihr anvertrauten Versicherten erwuchsen, deren schuldhafte Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen konnte. Ebenso bestand zum Schutze des Versicherten vor Schädigungen, die diesem wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung seiner Kräfte durch ihn selbst drohten, eine Aufsichtspflicht. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten war daher geeignet, sowohl einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrages (§§ 611, 675, 280 Abs. 1 BGB) als auch einen damit konkurrierenden deliktischen Anspruch (§§ 823, 831 BGB) zu begründen (vgl. BGH NJW 2005, 1937; 2005, 2613; OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867, 868; Senat VersR 2008, 1079 = OLGR Düsseldorf 2008, 585).
2. Diese Pflichten sind aber begrenzt auf die Maßnahmen, die in Pflegeheimen mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das Erforderliche sowie das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere auch die menschliche Würde der Bewohner zu beachten. Daraus folgt, dass deren Interesse und Bedürfnis nach einem möglichst selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Leben auch in der Heimunterbringung zu wahren und zu fördern und vor unzumutbaren Beeinträchtigungen zu schützen sind (vgl. BGH NJW 2005, 1937 unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG i.d.F. vom 5. November 2001 BGBl. I S. 2970; Senat aaO). Die zu erbringenden Leistungen haben sich hierbei nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu richten (§ 3 Abs. 1 HeimG; BGH NJW 2005, 2613).
3. Unter Anlegung dieser Kriterien kann entgegen der Auffassung der Klägerin und des ihr folgenden Landgerichts nicht festgestellt werden, dass der Unfall des Versicherten vom 22. März 2003 auf einer Pflichtverletzung der Beklagten oder ihrer Mitarbeiter beruht. Der vom Landgericht angelegte Sorgfaltsmaßstab ist überzogen. Das liegt bereits an einer fehlerhaften Risikoanalyse, aber auch daran, dass das Landgericht nicht der von der Beklagten unter Beweis gestellten Behauptung nachgegangen ist, der Unfall habe sich, wie das jetzt vom Senat gewonnene ergänzende Beweisergebnis belegt, innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums zugetragen, so dass er nur dann hätte verhindert werden können, wenn der Versicherte entweder ständig, gleichsam ununterbrochen beaufsichtigt oder wenn ihm der Tabakkonsum vollständig verboten worden wäre. Weder die eine noch die andere Maßnahme wäre mit Blick auf die der Beklagten erkennbaren Risiken verhältnismäßig gewesen.
a) Der Allgemeinzustand des Versicherten war nach der Bekundung seines Hausarztes, des im ersten Rechtszug vernommenen sachverständigen Zeugen Dr. N., zwar reduziert. Das erforderte aber entgegen der Behauptung der Klägerin, wovon auch das Landgericht im Ergebnis auf der Grundlage des gewonnenen Beweisergebnisses zu Recht ersichtlich ausgeht, keine besonderen Aufsichtsmaßnahmen. Denn alle erstinstanzlich vernommenen Zeugen, einschließlich der mit den Verhältnissen am besten vertrauten Ehefrau, haben nämlich abweichend von dem Eindruck, den das Pflegegutachten vom 21. November 2002 vermittelt, im Ergebnis übereinstimmend und, wovon auch das Landgericht ausgeht, mit Blick auf den Detailreichtum glaubhaft bekundet, dass der Versicherte alle von der Beklagten dargestellten Tagesverrichtungen, für die er insbesondere seine Hände - auch feinmotorisch - einzusetzen hatte, durchaus selbstständig und sicher auszuführen vermochte. Dazu gehörte auch die selbstständige und sichere Handhabung des Feuerzeugs und das selbstständige und sichere Rauchen.
Diesen länger andauernden und aus unterschiedlichen Perspektiven gewonnenen Beobachtungen der Zeugen kommt eine besondere Bedeutung zu. Darauf hat der erstinstanzlich vernommene medizinische Sachverständige Dr. med. H. mit Recht hingewiesen. Soweit die Beobachtungen der Zeugen von den Feststellungen im Pflegegutachten abweichen, sind letztere widerlegt. Einer Vernehmung der Pflegegutachterin bedurfte es nicht, weil die Klägerin deren Zeugnis nicht zum Beweis angeboten hat.
Zu dem Beweisergebnis im Widerspruch stehen nicht, wie auch das Landgericht im Ergebnis ersichtlich annimmt, die besonderen pflegerischen Maßnahmen, die die Pflegeleitung im Hause der Beklagten Ende Februar 2003 bezogen auf den Tabakkonsum des Versicherten getroffen hatte. Die Klägerin verkennt den Kontext, in dem sie getroffen worden sind. Die Unzuverlässigkeit des Versicherten bestand nicht in seiner mangelnden Fähigkeit, selbstständig zu rauchen, sondern darin, dass er absprachewidrig und in Überschätzung seiner Fähigkeit, diesbezüglich für Sicherheit zu sorgen, im Bett geraucht hatte. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass ein solches Verhalten erfahrungsgemäß in höchstem Maße gefährlich ist und zwar auch dann, wenn der Raucher kerngesund ist (vgl. Senat NJW - RR 2001, 241 = VersR 2001, 35 m. w. N.). Kurzfristiges Ziel der pflegerischen Maßnahme war es daher, den Versicherten von der Gefährlichkeit dieses Tuns zu überzeugen; langfristiges Ziel war es, ihn zur Reduktion seines Nikotingenusses zu führen.
b) Das Landgericht hat den besonderen Beaufsichtigungsbedarf denn auch nicht mit dem reduzierten Allgemeinzustand des Versicherten, sondern mit dessen bekannten Krampfleiden begründet. Dieser Rechtsauffassung folgt der Senat indes nicht.
aa) Richtig ist, dass auch die Beklagte auf der Grundlage der dokumentierten Krankengeschichte des Versicherten davon auszugehen hatte, dieser leide unter einem cerebralen Krampfleiden. Die Beklagte musste deswegen aber nicht für besondere Vorsichtsmaßnahmen sorgen. Dafür gab es keinen Anlass. Nach der glaubhaften, vom Sachverständigen Dr. H. im Kern bestätigten Bekundung des sachverständigen Zeugen Dr. N. war der Versicherte nämlich in ausreichendem Maße medikamentös eingestellt, so dass nach der Einschätzung sowohl dieses Zeugen als auch des Sachverständigen mit Krampfanfällen des Versicherten nicht zu rechnen war. Das diesbezügliche Risiko hat der Sachverständige Dr. H. dementsprechend auf "unter 1%" quantifiziert. Tatsächlich ist es während des mehr als zweijährigen Aufenthalts im Hause der Beklagten in feststellbarer Weise auch zu keinem Krampfanfall gekommen, der die Beklagte zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen hätte veranlassen müssen. Die beiden Zwischenfälle, die sich nach der Bekundung des Zeugen Dr. N. am 01. März 2002 und 27. Februar 2003 ereignet hatten hat die Ehefrau ausweislich ihrer Bekundung zwar als Krampfanfälle qualifiziert. Tatsächlich handelte es sich nach den Bekundungen des vorgenannten Zeugen, der jeweils als der behandelnde Hausarzt des Versicherten hinzugerufen worden war, aber nicht um Krampfanfälle. Die zu erwartenden Symptome konnte er nicht feststellen und die von der Ehefrau beschriebenen Symptome (kurzzeitige Bewusstlosigkeit des Versicherten ohne Kontraktion des Muskelgewebes) sprechen nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. auch eher gegen einen solchen Befund, zumal auch die zu Beginn des Jahres 2003 vom Hausarzt veranlasste pharmakologische Behandlung der aufgetretenen Unruhe des Versicherten nach den glaubhaften Feststellungen des Sachverständigen nicht zu einer signifikanten Erhöhung des Krampfrisikos geführt hatte. Die Ursache der beiden genannten Zwischenfälle ist nicht festgestellt worden. Davon geht auch das Landgericht aus.
bb) Das Landgericht scheint indessen der Meinung zu sein, jedenfalls der Zwischenfall vom 27. Februar 2003 hätte trotz der unbekannt gebliebenen Ursache die Beklagte veranlassen müssen, den Versicherten unter besondere Aufsicht zu stellen. Auch diese Rechtsauffassung ist von Rechtsirrtum beeinflusst.
(1) Allerdings hat derjenige, der Schutzpflichten (Obhuts- und/oder Verkehrssicherungspflichten) zu erfüllen hat, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um eine (Selbst-)Schädigung des Schutzbefohlenen möglichst zu vermeiden. Die rechtlich gebotene Sicherung umfasst die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um den Schutzbefohlenen vor Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch; denn eine Sicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr deshalb erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter des Schutzbefohlenen verletzt werden können. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet und zumutbar sind, die Schädigung des Schutzbefohlenen tunlichst zu vermeiden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist deshalb genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es aus, wenn diejenigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger dieser Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren und die ihm den Umständen nach zumutbar sind. Voraussetzung für eine Sicherung ist demgemäß, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter des Schutzbefohlenen verletzt werden können. Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzvorkehrungen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung des Schutzbefohlenen zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schadenseintritt, so muss der Geschädigte, so hart dies im Einzelfall auch sein mag, den Schaden hinnehmen. Er hat ein "Unglück" erlitten und kann dem Schädiger kein "Unrecht" vorhalten (vgl. zu allem BGH NJW 2006, 610 m. w. zahlr. N.; ständ. höchstrichterl. Rspr).
(2) Nach diesem Maßstab war der Zwischenfall vom 27. Februar 2003 kein hinreichender Anlass, den Versicherten während des Rauchens einer besonderen Aufsicht zu unterwerfen. Nach dem ärztlichen Zeugnis, dem eingeholten ärztlichen Gutachten und den zeugenschaftlichen Bekundungen des Fachpersonals und der Ehefrau bestand nicht die naheliegende Gefahr, dass sich der Versicherte beim Rauchen selbst schädigen werde. Vielmehr hat sich die Gefahr mit Blick auf die getroffenen pflegerischen Maßnahmen (kontrolliertes Rauchen in der gleichsam öffentlichen "Raucherecke") und den getroffenen Sicherungen (Verbot des Rauchens im Bett und im Zimmer nur in Anwesenheit der Ehefrau; Tabakregime) nur unter ganz entfernten und eigenartigen Umständen verwirklicht. Es gab nach dem Zwischenfall vom 27. Februar 2003 von ärztlicher Seite keine Hinweise darauf, dass mit einem krankheitsbedingten Kontrollverlust des Versicherten "jederzeit" zu rechnen sei. Der behandelnde und gerade wegen des Zwischenfalls hinzugezogene Hausarzt hatte keine bedrohliche Diagnose gestellt, er hatte keine weitere Untersuchung und spezifische Behandlung, keine neue Medikation und keine weiterreichenden pflegerischen Maßnahmen für erforderlich gehalten. Darauf durften sich die Beklagte und das von ihr beschäftigte Personal verlassen.
cc) Die Frage, ob es eine fahrlässige Schutzpflichtverletzung gewesen wäre, wenn das Pflegepersonal den Versicherten für einen längeren Zeitraum gänzlich unbeobachtet in der "Raucherecke" gelassen hätte, muss der Senat rechtlich nicht vertiefen und entscheiden. Die Klägerin hat ihre diesbezügliche Behauptung nicht beweisen können.
(1) Die Ansicht des Landgerichts, die Beklagte müsse sich hier entlasten, weil bereits der Schadenseintritt eine derartige Pflichtverletzung indiziere, verkennt die Darlegungs- und Beweislast. Als Anspruchstellerin trägt die Klägerin die Beweislast für eine mögliche Pflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten (vgl. Senat VersR 2008, 1079). Der Umstand, dass der Versicherte im Bereich des von der Beklagten betriebenen Pflegeheims zu Schaden gekommen ist und sich dabei verletzt hat, rechtfertigt nicht umstandslos den Schluss auf eine Pflichtverletzung des Pflegepersonals (Senat aaO). Der Versicherte befand sich zum Unfallzeitpunkt - wie festgestellt - weder in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte Obhutspflichten ausgelöst und im Schadensfall zu einer Umkehr der Beweislast geführt hätte, noch wurde eine konkrete Pflegemaßnahme (wie etwa eine Bewegungs- oder Transportmaßnahme, vgl. BGH NJW 1991, 1540) durchgeführt. Der Versicherte befand sich vielmehr im Rollstuhl sitzend und eine Zigarette rauchend in der "Raucherecke", also in einer ganz alltäglichen, üblichen und allgemein ungefährlichen Situation, für die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2005, 1937) eine Umkehr der Beweislast nicht gerechtfertigt ist (Senat aaO).
(2) Die vom Senat ergänzend erhobenen Beweise belegen nicht, dass die Pflegekräfte der Beklagten den Versicherten für längere Zeit gänzlich aus den Augen gelassen hatten. Der Senat glaubt der Darstellung der vernommenen Zeugin P., die im Wesentlichen den von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt bestätigt hat. Ihre Bekundung ist glaubhaft, die Zeugin ist auch glaubwürdig. Dabei berücksichtigt der Senat, dass sie wegen ihrer Verantwortlichkeit für das Wohl und Wehe des Versicherten zur Unfallzeit und wegen ihres andauernden Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten objektiv ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben kann.
Die Glaubhaftigkeit der Bekundung und die Glaubwürdigkeit der Zeugin sieht der Senat nicht zuletzt belegt durch die Feststellungen des vom Senat mit der Begutachtung der Brandursache beauftragten Sachverständigen, die mit der Bekundung der Zeugin gut in Einklang zu bringen sind. Nach den Feststellungen des Sachverständigen, die in sich schlüssig sind und von der Klägerin auch nicht angegriffen werden, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Entzündung der Bekleidung des Versicherten nicht erst nach einem länger anhaltenden Schwelbrand, sondern - mit Blick auf die punktuelle Brandverletzung des Versicherten an der linken Daumenstreckseite - durch die Gasflamme des benutzten Einwegfeuerzeugs gekommen; der Sachverständige stellt unter Berücksichtigung der zur Unfallzeit von dem Versicherten getragenen Kleidung, die mit Sicherheit nicht aus schwer entflammbarem, bei Entzündung eher tropfendem Polyester, sondern entweder aus leicht entzündlicher Baumwolle oder ebenso leicht entzündlicher Viskose bestanden hat, fest, dass die Zündung der Textilien in den offenen Flammenbrand in wenigen Sekunden (weniger als fünf Sekunden) erfolgte, wobei die Flammen den Kopfbereich des Versicherten in weniger als zwei Minuten erreichten. Innerhalb dieses Zeitraumes hatte die Zeugin indes den Brand bereits entdeckt und die notwendigen und richtigen Rettungsmaßnahmen ergriffen.
dd) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang erneut den Vorwurf erhebt, die Beklagte habe mit einer Entzündung der Bekleidung durch den unbeaufsichtigten Gebrauch des Einwegfeuerzeugs aus naheliegenden Gründen (Krampfleiden des Versicherten) rechnen müssen, ist das rechtlich nicht zutreffend. Dazu ist zuvor bereits alles rechtlich Notwendige ausgeführt worden, so dass auf jene Erwägungen (oben sub II 3 b) zu verweisen ist. Der Versicherte hat einen außerordentlich bedauerlichen und in seinen schmerzhaften und letztlich tödlichen Folgen sehr tragischen Unfall erlitten, für den die Beklagte mangels eines feststellbaren Pflichtenverstoßes aber nicht haftbar zu machen ist.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen; die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.
Berufungsstreitwert: 189.391,15 EUR
Ende der Entscheidung
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