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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 07.02.2006
Aktenzeichen: III - 4 Ausl(A) 16/05 - 44/06 III
Rechtsgebiete: EuAlÜbk, IRG, EMRK, GG
Vorschriften:
EuAlÜbk Art. 22 | |
IRG § 29 | |
IRG § 24 | |
EMRK Art. 3 | |
GG Art. 25 |
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
III - 4 Ausl(A) 16/05 - 44/06 III III - 4 Ausl(A) 16/05 - 49/06 III
In der Auslieferungssache
hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht F. und die Richterin am Landgericht M. am 7. Februar 2006 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten an die litauische Regierung zum Zwecke der Strafverfolgung ist unzulässig.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 1. Dezember 2005 wird aufgehoben.
Gründe:
I.
Die litauische Regierung ersucht um Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung. Ihr Auslieferungsersuchen vom 7. November 2005 stützt sich auf den Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Litauen vom 22. Februar 2005 (14.2.-864 (14.3.-112)), dem seinerseits der Haftbefehl des Kreisgerichts des Landkreises Kaunas vom 27. September 2004 (2-166-08/04) zugrundeliegt. Darin wird dem Verfolgten zur Last gelegt, in Kaunas in Kenntnis der Unwahrheit seiner Angaben drei Personen zunächst am 12. Juni 2001 bei der litauischen Polizei angezeigt und später am 10. Juli 2001 als Zeuge in einer staatsanwaltlichen Vernehmung bezichtigt zu haben, ihn am 1. Juni 2001 mit Gewalt in einem Auto an einen See verschleppt und dort durch Schläge mit Knüppeln und einem Hammer am Körper verletzt zu haben, um ihn dazu zu zwingen, den Diebstahl eines PKW der Marke Audi 100 zu gestehen und für diese Tat einen Schadensersatz in Höhe von 3.500 US-Dollar zu zahlen.
Der Verfolgte hat sich im April 2005 und nach Vollzug von Untersuchungshaft für das Verfahren 71 Js 121/05 der Staatsanwaltschaft Essen noch einmal im November bis zum 1. Dezember 2005 aufgrund eines anderen Auslieferungsersuchens der litauischen Behörden in Auslieferungshaft befunden. Insoweit hat der Senat durch Beschluss vom 1. Dezember 2005 die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung für unzulässig erklärt. Durch Beschluss desselben Tages hat der Senat für das vorliegende Auslieferungsersuchen die vorläufige Auslieferungshaft des Verfolgten angeordnet und zugleich den Vollzug der Haftanordnung ausgesetzt.
Der Verfolgte befindet sich seit dem Frühjahr 2005 in einem Zeugenschutzprogramm der Zeugenschutzdienststelle des Polizeipräsidiums Essen. Er hat gegen eine gewaltbereite und hoch gefährliche weißrussisch-litauische Tätergruppe, der eine Vielzahl von Straftaten im Bereich des bandenmäßigen schweren Raubes zur Last gelegt wird, umfassende Angaben gemacht. Diese haben im Rahmen hier durchgeführter Strafverfahren zur Überführung und Verurteilung mehrerer Tatbeteiligter beigetragen. Einige, zum Teil noch unbekannte Angehörige der Tätergruppe, die bei den von ihnen verübten Straftaten Schusswaffen verwendet und dabei Zeugen verletzt haben, befinden sich noch auf freiem Fuß. Nach einer Gefährdungsprognose des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen ist der Verfolgte in die höchste Gefährdungsstufe 1 eingeordnet worden. Das bedeutet, dass er erheblich gefährdet ist und mit einem Anschlag auf sein Leben und seine körperliche Integrität zu rechnen ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 22. November 2005 die litauischen Behörden über diesen Sachverhalt unterrichtet und um Mitteilung gebeten, ob und ggf. durch welche Maßnahmen und in welchem Rahmen der persönliche Schutz des Verfolgten bei einer Strafverfolgung bzw. Haftunterbringung dort gewährleistet werden könne. Nach Eingang der Antwort der litauischen Behörden vom 23. Januar 2006 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung des Verfolgten für unzulässig zu erklären.
II.
Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ist unzulässig, weil ihr das Auslieferungshindernis des Art. 3 EMRK, 25 GG entgegensteht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung auch die Überprüfung geboten, ob diese oder ihr zugrundeliegende Akte mit unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und mit dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des innerstaatlich geltenden Rechts bildet, vereinbar sind (BVerfGE 59, 280, 283; 63, 332; OLG Stuttgart, NStZ 1987, 80; Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2004 - Az 4 Aus! (A) 56/03 - 202/04 III). In diesem Rahmen gebietet die Achtung vor dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG), bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Eingriffen in dieses Recht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Steht demnach aufgrund der spezifischen Besonderheiten in der Person des Verfolgten im Auslieferungsverfahren konkret zu befürchten, dieser werde im Rahmen der Auslieferung sein Leben verlieren oder schwerwiegenden und irreparablen Schaden an seiner Gesundheit nehmen, so gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, von derartigen verfahrensrechtlichen Maßnahmen abzusehen.
Es ist anerkannt, dass dieser Grundsatz jedenfalls dann gilt, wenn der Gesundheitszustand eines Verfolgten solche Gefahren im Auslieferungsverfahren konkret befürchten lässt. Danach ist die Auslieferung unzulässig, wenn der angegriffene Gesundheitszustand eines Verfolgten spezifische Therapiemaßnahmen für die Dauer eines Straf- oder Vollstreckungsverfahrens erforderlich macht und der ersuchende Staat sich nicht in der Lage sieht, diese vor Überstellung des Verfolgten zu garantieren (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2004, OLG Stuttgart aaO).
Dieselbe Konsequenz muss gelten, wenn die Gefährdung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Verfolgten nicht aus seinem Gesundheitszustand resultiert, sondern aus einem Verhalten, das er - wie hier die umfassende Aussage gegen die Mittäter - auf Veranlassung der inländischen Strafverfolgungsbehörden und zu deren Nutzen an den Tag gelegt hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Gefahren, die dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit des Verfolgten in diesem Fall drohen, nicht unmittelbar von den litauischen Behörden ausgehen, sondern von dem voraussichtlichen Verhalten Dritter. Es macht für den Verfolgten keinen Unterschied, ob sich eine Gefährdung seiner höchstpersönlichen Rechtsgüter daraus ergibt, dass der ersuchende Staat bestimmte medizinische Mindeststandards nicht zu gewährleisten vermag oder aber es unterlässt, einer von Dritten ausgehenden konkreten Gefährdung hinreichend entgegenzuwirken.
Der Generalstaatsanwalt der Republik Litauen hat mit dem genannten Schreiben vom 23. Januar 2006 mitgeteilt, dass die in dem litauischen "Gesetz über den Schutz der Teilnehmer am Strafprozess und an operativen Tätigkeiten, Beamten der Justiz- und Rechtspflegebehörden der Republik Litauen vom 13. Februar 1996" vorgesehenen Schutzmaßnahmen, durch die der genannte Personenkreis gegen verbrecherische Einwirkungen geschützt werden soll, auf den Verfolgten nicht anwendbar seien.
Ohne wirksame Maßnahmen eines Zeugenschutzprogramms liegt aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in Litauen eine erhebliche Gefährdung des Verfolgten in Freiheit wie im Haftvollzug vor. Es ist davon auszugehen, dass sich zumindest ein Teil der noch auf freiem Fuß befindlichen Mittäter in Litauen aufhält, wo auch Familienangehörige der hier inhaftierten Täter leben. Zudem ist allgemein bekannt, dass bei Tätergruppierungen, die aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion stammen, ein strenger Verhaltenskodex gilt, der bei Personen, die mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren, massive Bestrafungen vorsieht. Aufgrund der intensiven Kontakte der Straftäter aus diesem Bereich untereinander erfolgen solche Bestrafungsaktionen auch innerhalb des Strafvollzuges. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass der Personenkreis, von dem die durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen angenommene Gefährdung des Verfolgten ausgeht, auch in Litauen konkrete Möglichkeiten haben wird, auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Verfolgten einzuwirken.
Ist der Verfolgte in seiner körperlichen Integrität erheblich gefährdet und ist ein Schutz vor körperlichen Angriffen Dritter in Litauen nicht gesichert, so stehen der Auslieferung zur Strafverfolgung und ggf. anschließenden Vollstreckung einer Freiheitsstrafe die eingangs zitierten Grundsätze des deutschen Verfassungsrechts entgegen. Dies bedeutet im Auslieferungsverfahren, dass schon die Zulässigkeit der Auslieferung zu verneinen ist. Jede andere Entscheidung verletzt den Verfolgten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
III.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 1. Dezember 2005 ist aufzuheben, weil die Auslieferung unzulässig ist und die Generalstaatsanwaltschaft die Aufhebung beantragt hat, § 24 Abs. 1, Abs. 2 IRG.
Ende der Entscheidung
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