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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 31.03.2008
Aktenzeichen: III-1 Ws 167/07
Rechtsgebiete: StPO, BGB, VOB/B, StGB
Vorschriften:
StPO § 172 Abs. 2 Satz 1 | |
StPO § 172 Abs. 3 Satz 1 | |
BGB § 632 Abs. 2 Fall 2 | |
VOB/B § 15 Nr. 1 Abs. 2 | |
VOB/B § 15 Nr. 5 | |
StGB § 24 Abs. 2 | |
StGB §§ 153 f | |
StGB § 158 Abs. 2 | |
StGB § 163 Abs. 2 Satz 1 |
Tenor:
Der Antrag des H J aus Düsseldorf auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO gegen den Bescheid des hiesigen Generalstaatsanwalts vom 15. März 2007 wird als unzulässig verworfen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller bezichtigt den Beschuldigten der falschen uneidlichen Aussage und anderer Aussagedelikte sowie der Beihilfe zum Prozessbetrug. Der Beschuldigte soll als Sachverständiger in einem Zivilprozess um den Restwerklohn eines Handwerkers (Kläger), der für den Antragsteller gearbeitet hatte, ein falsches Gutachten erstattet und den Kläger vorsätzlich bei der (teilweisen) Durchsetzung seiner überzogenen Forderung unterstützt haben. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren eingestellt, der Generalstaatsanwalt hat die Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
II.
Der Antrag ist unzulässig, weil die erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe von dem tatsächlichen Vorbringen des Antragstellers nicht getragen werden.
1. Tatsächliche Grundlage der Überprüfung durch den Senat ist allein die Antragsschrift. Nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Daraus folgt, dass die Antragsschrift eine zusammenhängende, zeitlich und gedanklich geordnete, vollständige und aus sich heraus verständliche Darstellung des konkreten geschichtlichen Vorgangs (Lebenssachverhalts) enthalten muss, aus dem der erhobene strafrechtliche Vorwurf hergeleitet wird. Das Gericht muss allein anhand des Vorbringens in der Antragsschrift - ohne Rückgriff auf die Akten der Staatsanwaltschaft - prüfen und feststellen können, dass der Vorwurf strafbaren Verhaltens formell und materiell schlüssig und Anklage zu erheben ist, wenn hinreichender Tatverdacht unterstellt wird (Senat VRS 84 [1993], 450; NStZ-RR 1998, 365 und ständig; KK-Schmid, 5. Aufl. [2003], § 172 StPO Rdnr. 34 ff; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. [2007], § 172 Rdnr. 27; jeweils mwN; vgl. auch BVerfG NStZ 2007, 272 Rdnr. 10 mwN).
2. Der Vorwurf der Beihilfe zum (versuchten) Prozessbetrug setzt objektiv (äußere Tatseite) voraus, dass die Forderung (Restwerklohn) des Klägers auf einer Rechnung beruhte, die nicht erbrachte Leistungen enthielt oder, sei es insgesamt oder in einzelnen Positionen, "krass überhöht" (vgl. Lackner/Werle NStZ 1985, 503, 505; KGRep 1994, 218) war. Auf der Grundlage des tatsächlichen Vorbringens in der Antragsschrift war das nur bei einer Materialposition (Getriebe) der Fall. Im Einzelnen:
a) Stundensatz (49 €)
(1) Hat der Auftraggeber einen Handwerker bestellt und mit ihm keine bestimmte Vergütung vereinbart, ist nach § 632 Abs. 2 Fall 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Davon sind alle Beteiligten zutreffend ausgegangen. Die übliche Vergütung ist regelmäßig nicht auf einen festen Betrag oder Satz festgelegt, sondern bewegt sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite oder Spanne. Sätze oder Rechnungsposten, die innerhalb dieser Bandbreite liegen, sind in aller Regel als übliche Vergütung und gemäß § 632 Abs. 2 Fall 2 BGB ohne weiteres als vereinbart anzusehen (BGH NJW 2006, 2472; NJW-RR 2007, 56 und 123).
(2) "Ausreißer" bleiben bei der Ermittlung der üblichen Vergütung unberücksichtigt (BGH aaO) und sind nicht als vereinbart anzusehen. Daraus folgt aber nicht, dass jeder "Ausreißer nach oben" - um den es nur gehen kann - in einer Handwerkerrechnung ein (versuchter) Betrug zum Nachteil des Kunden ist. Die Grenze zur Strafbarkeit kann erst bei einem auffälligen Missverhältnis (vgl. § 291 Abs. 1 Satz 1 aE StGB, § 138 Abs. 2 aE BGB) von Leistung und Gegenleistung überschritten sein. Vom Sonderfall des Wohnungsmietwuchers abgesehen ist das Missverhältnis auffällig, wenn die vereinbarte oder verlangte Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (BGH NJW 2003, 1596, 1597; NJW-RR 2004, 1454; NJW 2004, 3553, 3554; 2006, 3054 [11]; 2007, 2841 [16]; 2008, 644 [34]).
(3) Den Stundensatz von 49 € für den Kläger hat der Antragsteller in seiner "Nachkalkulation" akzeptiert. Insoweit stellt sich die Frage des (versuchten) Prozessbetruges gar nicht erst. Aber selbst wenn zugunsten des Antragstellers Stundensätze von 42 € (wie in einer früheren Rechnung der Fa. ....) für den Kläger und 38 € für dessen Mitarbeiter Ehrich als üblich anzusehen waren, lag der für beide berechnete und eingeklagte Stundensatz von 49 € weit unter der "Grenze des Doppelten" (Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Aufl. [2008], § 138 Rdnr. 67; vgl. auch OLG Frankfurt und AG Frankfurt am Main WuM 2002, 320 und 616, jeweils zu Schlüsseldiensten) von 84 € (Kläger) und 76 € (.........), ab der strafbares Handeln in Betracht kommen konnte. Mangels Haupttat ist der auf den Stundensatz bezogene Vorwurf der Beihilfe zum (versuchten) Prozessbetrug durch den Beschuldigten damit gegenstandslos.
b) Stundenzahl (20 Stunden)
(1) Nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers hatte der Kläger an drei Tagen in seinem Haus gearbeitet. Die "in der Rechnung aufgeführten Zeiten" waren im Zivilprozess unstreitig gewesen (Seite 5 o. des schriftlichen Gutachtens des Beschuldigten, Seite 4 Mi. des amtsgerichtlichen Urteils). Dass der Kläger und sein Mitarbeiter Ehrich zusammen tatsächlich weniger als die abgerechneten 20 Stunden (einschließlich der Fahrzeiten, deren Berechnung üblich ist; Staudinger/Peters, BGB [Bearb. 2003], § 632 Rdnr. 23) aufgewandt hatten, ist nicht konkret und nachprüfbar dargetan. Deshalb hat der Senat davon auszugehen, dass die Rechnung nur die tatsächlich angefallenen Stunden enthielt.
(2) Der Angriff des Antragstellers zielte (und zielt) offenbar auch in eine andere Richtung: Er meint, der Kläger hätte den dritten Tag nicht abrechnen dürfen, weil er an dem Tag nur das "repariert" habe, was er vorher falsch gemacht habe (Material falsch bestellt und/oder durch unsachgemäße Behandlung zerstört). Daran ist richtig, dass ein Handwerker nur die Stunden abrechnen kann, die bei fachgerechter Arbeit mit durchschnittlichem Arbeitstempo anfallen (vgl. BGH NJW 2000, 1107; OLGR Düsseldorf 2000, 367; OLG Celle NJW-RR 2003, 1243). Bei der Überprüfung sind aber die Regeln in § 15 Nr. 1 Abs. 2 und Nr. 5 VOB/B zu beachten, die für den BGB-Werkvertrag entsprechend gelten (OLGe Düsseldorf und Celle, jeweils aaO). Danach werden die Stunden vergütet, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Betriebsführung erbracht wurden und einen wirtschaftlich vertretbaren Aufwand an Arbeitszeit darstellen. Insbesondere bei der strafrechtlichen Überprüfung ist ein kleinlicher Maßstab aber fehl am Platze; der wirtschaftlich vertretbare Aufwand ist keine feste Größe und lässt eine gewisse "Fehlertoleranz" zu. Im Übrigen lehrt die jedermann zugängliche Erfahrung, dass gerade kleinere Reparaturarbeiten sich nicht selten als schwierig und zeitaufwändig erweisen und durch unerwartete Umstände behindert werden. Hier drängt sich auf, dass ein solcher unerwarteter Umstand die Arbeitszeit verlängert hatte, denn - und darauf geht der Antragsteller nicht ein - "die dritte Anfahrt war ... nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ohnehin erforderlich, da bei dem zweiten Termin die Mieterin [den Kläger] wegschicken musste, da sie keine Zeit mehr hatte" (Seite 8 Abs. 2 des amtsgerichtlichen Urteils).
(3) Insbesondere mit Blick auf die "Fehlertoleranz", die bei der strafrechtlichen Überprüfung der berechneten Arbeitszeit zu beachten ist, liegt offensichtlich fern, dem Kläger als Betrug oder Betrugsversuch vorzuwerfen, dass er die tatsächlich aufgewandten 20 Stunden und nicht nur die 18,5 Stunden abgerechnet hat, die ihm nach der jedenfalls gut vertretbaren Entscheidung des Amtsgerichts einschließlich Fahrzeiten zustanden. Damit ist auch der auf die Stundenzahl bezogene Vorwurf der Beihilfe zum (versuchten) Prozessbetrug durch den Beschuldigten mangels Haupttat gegenstandslos.
c) Materialkosten (Getriebe und Griffe) Bei den Materialkosten ist die Rechtslage dieselbe wie beim Stundensatz. Auch dort konnte die Grenze zur Strafbarkeit erst ab der "Grenze des Doppelten" überschritten sein. Das führt zu folgender Berechnung (Preise ohne Mehrwertsteuer):
Getriebe | Griff | |
Einkaufspreis/Stück | 9,25 € | 7,01 € |
100%-Aufschlag (= Aufwandsentschädigung) | 9,25 € | 7,01 € |
Fracht/Verpackung (je 1/2) | 2,94 € | 2,94 € |
21,44 € | 16,96 € | |
das Doppelte (= Grenze zum auffälligen Missverhältnis) | 42,88 € | 33,92 € |
aufgerundet | 43 € | 34 € |
Der Kläger hatte | 81 € | 26 € |
je Stück berechnet und damit bei den Materialkosten für die beiden Getriebe die Grenze zum auffälligen Missverhältnis überschritten. Wird insoweit ein Betrugsversuch des Klägers unterstellt, folgt daraus aber noch nicht, dass der Beschuldigte ihm Hilfe leisten wollte. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Beschuldigte die Befundtatsachen (Einkaufspreise des Klägers gemäß den beigefügten Rechnungen seines Lieferanten, 100%-Aufschlag) richtig mitgeteilt, "die abgerechneten Preise" (Beweisthema 1d) aber mit dem Gesamtbetrag der beiden Lieferrechnungen verglichen, obwohl die Rechnung, die der Kläger dem Antragsteller erteilt hatte, nur 4 der 13 gelieferten Teile enthielt. Dass und wie der Beschuldigte mit dieser offensichtlich falschen gutachterlichen Äußerung dem Kläger helfen wollte, ist nur schwer vorstellbar. Selbst wenn es so war, wäre der Beschuldigte rechtzeitig und nach § 24 Abs. 2 StGB strafbefreiend von der (unterstellten) Tat zurückgetreten, denn bei seiner mündlichen Anhörung hatte er den Fehler unmissverständlich klargestellt ("In meinem Gutachten habe ich den Gesamtpreis für alle bestellten Teile berechnet und nicht auf die einzelnen Teile runtergerechnet, die [der Kläger] dann tatsächlich in der Rechnung abgerechnet hat", Protokoll vom 9. Oktober 2006, Seite 3 o.).
3. Das tatsächliche Vorbringen in der Antragsschrift rechtfertigt auch nicht den Vorwurf, der Beschuldigte habe ein Aussagedelikt begangen.
a) Konkrete und überprüfbare Anhaltspunkte für vorsätzliches Handeln (§§ 153 bis 155, 15 StGB) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der offensichtliche Fehler im schriftlichen Gutachten zur Angemessenheit der Materialpreise zeugt von nachlässiger Arbeit, besagt aber nichts zur Frage des Vorsatzes. Der Blick auf den ebenfalls offensichtlichen Fehler im eigenen Vorbringen des Antragstellers verdeutlich das. In seiner Nachkalkulation (Seiten 38 f und 83 der Antragsschrift) hat er zu seinen Gunsten die Mehrwertsteuer "vergessen". Bei sonst gleichem Rechenwerk standen dem Kläger in jedem Fall 112,80 € (16% von 705 €) mehr zu, als der Antragsteller einräumt. Den Vorwurf, damit habe er vorsätzlich falsch vorgetragen, würde der Antragsteller aber entschieden und im Zweifel zu Recht zurückweisen.
b) Bei einem etwaigen fahrlässigen Falscheid (§§ 163 Abs. 1, 154 Abs. 1, 155 Nr. 2 StGB) war gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 StGB Straflosigkeit eingetreten. Die Frage, ob das schriftliche Gutachten eines Sachverständigen überhaupt eine Aussage im Sinne der §§ 153 f StGB darstellt (so Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. [2006], vor § 153 Rdnr. 22; anderer Ansicht Fischer, StGB, 55. Aufl. [2008], Rdnr. 3; LK-Ruß, 12. Aufl. [1999], Rdnr. 4; SK-Rudolphi [Stand 1999], Rdnr. 2; MK-Müller [2005], Rdnr. 8; alle zu § 153 und mwN; unter haftungsrechtl. Gesichtspunkt vgl. OLG Düsseldorf NJW 1986, 2891 und OLGR 2005, 533; OLG Rostock OLGR 2001, 194; OLG Hamburg OLGR 2001, 57; OLG Stuttgart BauR 2006, 712), braucht nicht vertieft zu werden. Jedenfalls hat der Beschuldigte bei seiner mündlichen Anhörung (unter Berufung auf seinen allgemein geleisteten Eid) am 9. Oktober 2006 die unklaren, missverständlichen oder falschen Angaben in seinem schriftlichen Gutachten klargestellt oder berichtigt. Die Berichtigung war rechtzeitig, §§ 163 Abs. 2 Satz 1, 158 Abs. 2 StGB, denn das Amtsgericht hat in seinem anschließenden Urteil den üblichen (s. o. unter 2.) Restwerklohn zugesprochen, und Anzeige hat der Antragsteller erst im November 2006 erstattet.
Ende der Entscheidung
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