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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: III-3 Ws 160/08
Rechtsgebiete: StPO, RVG


Vorschriften:

StPO § 408b
RVG Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV
RVG Nr. 4100 VV
RVG Nr. 4106 VV
RVG Nr. 4302 VV

Entscheidung wurde am 08.08.2008 korrigiert: die Rechtsgebiete und Vorschriften wurden geändert und ein Leitsatz hinzugefügt
Die Tätigkeit des Pflichtverteidigers, der gemäß § 408b StPO für das Strafbefehlsverfahren bestellt wurde, ist vergütungsrechtlich nicht lediglich als Einzeltätigkeit zu werten. Vielmehr kann der Pflichtverteidiger in diesem Fall als "Vollverteidiger" die Grund- und Verfahrensgebühr beanspruchen.
Tenor:

Die weitere Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ausgeblieben war und die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehlsantrag gestellt hatte, hat das Amtsgericht dem Angeklagten Rechtsanwalt ......... in ....... gemäß § 408b StPO zum Pflichtverteidiger für das Strafbefehlsverfahren bestellt. Der sodann erlassene Strafbefehl ist dem Pflichtverteidiger zugestellt worden. Dieser hat Akteneinsicht genommen und versucht, mit dem Angeklagten Kontakt aufzunehmen. Da kein Einspruch eingelegt wurde, ist der Strafbefehl rechtskräftig.

Der Pflichtverteidiger hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV in Höhe von 132 Euro und die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV in Höhe von 112 Euro zur Festsetzung angemeldet. Der Rechtspfleger bei dem Amtsgericht hat statt dessen lediglich die Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV in Höhe von 108 Euro festgesetzt. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Pflichtverteidigers hat der Abteilungsrichter als unbegründet verworfen und die Beschwerde zugelassen. Das Landgericht hat den Festsetzungsbeschluss auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers dahin abgeändert, dass nicht die Gebühr für eine Einzeltätigkeit, sondern die Grund- und Verfahrensgebühr aus der Staatskasse zu zahlen sind. Die Strafkammer hat in der Besetzung mit drei Richtern entschieden und die weitere Beschwerde zugelassen. Der Vertreter der Staatskasse hat weitere Beschwerde eingelegt und die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Festsetzung beantragt.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 RVG), jedoch nicht begründet.

Dass bei dem Amtsgericht der Rechtspfleger anstelle des gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über den Festsetzungsantrag entschieden hat, ist ungeachtet der Regelung des § 8 Abs. 5 RPflG für das Verfahren über die weitere Beschwerde schon deshalb ohne Belang, weil das Landgericht eine eigene Sachentscheidung getroffen hat.

Das Landgericht hat zugunsten des Pflichtverteidigers für dessen Tätigkeit in dem Strafbefehlsverfahren zu Recht die Grundgebühr Nr. 4100 VV in Höhe von 132 Euro und die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV in Höhe von 112 Euro festgesetzt.

Zwar ist anerkannt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 408b StPO lediglich für das Strafbefehlsverfahren, nicht aber darüber hinaus für das weitere Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl gilt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 408b Rdn. 6). Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Tätigkeit des nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers vergütungsrechtlich lediglich als Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV zu beurteilen wäre.

Nach der Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 VV entstehen die Gebühren Nr. 4300 bis 4304 VV für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist. Der nach 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist indes "Vollverteidiger", seine Tätigkeit in dem Strafbefehlsverfahren unterliegt inhaltlich keinen Beschränkungen. Seine Funktion beschränkt sich ersichtlich nicht etwa darauf, nach § 145a Abs. 1 StPO den Strafbefehl für den Angeklagten in Empfang zu nehmen und hiergegen nach dessen Willen oder vorsorglich ggf. Einspruch einzulegen. Vielmehr gehört zu seinen Aufgaben, dem Angeklagten fachkundige Beratung zukommen zu lassen und dessen verfahrensmäßigen Rechte in dem Strafbefehlsverfahren wahrzunehmen. Um dieser Funktion gerecht zu werden, ist der Pflichtverteidiger gehalten, Einsicht in die Ermittlungsakten zu nehmen und als fachkundiger Berater mit dem Angeklagten zu erörtern, ob es zweckmäßig erscheint, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen. Eine Beschränkung der Verteidigerbefugnisse besteht wegen der auf das Strafbefehlsverfahren beschränkten Bestellung lediglich in zeitlicher Hinsicht.

Dass es sich bei dem nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidiger um einen "Vollverteidiger" handelt, zeigt auch § 408b Satz 2 StPO mit dem Verweis auf § 141 Abs. 3 StPO, wonach der Pflichtverteidiger auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden kann. Unabhängig davon, ob die Bestellung im Vorverfahren unmittelbar nach § 141 Abs. 3 StPO oder unter Zwischenschaltung des § 408b Satz 2 StPO erfolgt ist, kann der Pflichtverteidiger im Vor- und Zwischenverfahren etwa Beweisanträge stellen, Stellungnahmen abgeben und an Vernehmungen teilnehmen. Dass die Befugnisse des nach 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers inhaltlich in irgendeiner Form Beschränkungen unterliegen sollen, findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze und läuft dem Sinn und Zweck der Regelung zuwider, den erforderlichen anwaltlichen Beistand zu gewährleisten, wenn der Richter erwägt, einen Strafbefehl mit der in § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO genannten Rechtsfolge (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung) zu erlassen.

Dementsprechend hat das LG Bayreuth (StV 1988, 614) vor Inkrafttreten des RVG mit überzeugender Begründung entschieden, dass es sich bei der Tätigkeit des nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers nicht um eine einzelne Tätigkeit im Sinne des § 91 BRAGO handelt. Der Senat schließt sich dieser Auffassung unter Geltung der Bestimmungen des RVG an. Der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist aus den dargelegten Gründen ein "Vollverteidiger", dessen Tätigkeit nicht nach den subsidiären Regelungen für bloße Einzeltätigkeiten zu vergüten ist. Vielmehr sind vorliegend die Grundgebühr Nr. 4100 VV und die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV angefallen. Dass der Pflichtverteidiger nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten keinen Kontakt zu dem Angeklagten herstellen und deshalb eine Beratung nicht stattfinden konnte, ändert hieran nichts.

Das Verfahren über die weitere Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 u. 3 RVG).

Ende der Entscheidung

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