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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 05.10.2007
Aktenzeichen: IV-2 Ss (OWi) 139/06 - (OWi) 73/07 II
Rechtsgebiete: StVG, StVZO, BKatV
Vorschriften:
StVG § 25 Abs. 1 Satz 1 | |
StVG § 25 Abs. 2a | |
StVG § 25 Abs. 2a Satz 1 | |
StVZO § 50 | |
BKatV § 4 Abs. 1 Nr. 1 |
Tenor:
1. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Duisburg zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
Es wird klargestellt, dass der Betroffene der fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften schuldig ist [§§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG].
Gründe:
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h (außerhalb geschlossener Ortschaften) eine Geldbuße von 100 Euro festgesetzt und ihm - ohne Gewährung der "Viermonats-Frist" gemäß § 25 Abs. 2a StVG - für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das zulässige Rechtsmittel hat zumindest einen vorläufigen Teilerfolg.
1. Soweit der Schuldspruch wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (außerhalb geschlossener Ortschaften) betroffen ist, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO). Der Schriftsatz des Verteidigers vom 2. Oktober 2007 lag vor.
a) Bei einer Geschwindigkeitsmessung zur Nachtzeit außerhalb geschlossener Ortschaften durch Nachfahren bedarf es im Urteil angesichts der in der Regel schlechten Sichtverhältnisse bei Dunkelheit grundsätzlich näherer Angaben dazu, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren, ob der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch die Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeuges oder durch andere Lichtquellen aufgehellt und damit ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte, und ob für die Schätzung des gleichbleibenden Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz der Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren. Auch sind grundsätzlich Ausführungen dazu erforderlich, ob die Umrisse des vorausfahrenden Fahrzeuges und nicht nur dessen Rücklichter erkennbar waren. Auf entsprechende Feststellungen kann namentlich bei größeren Abstandsverhältnissen nicht verzichtet werden (vgl. zu einem Abstand von 200 m: OLG Hamm VRS 109, 373 ff = DAR 2006, 31, 32 = NZV 2006, 108, 109; Senat, Beschluss vom 2. August 2005 [IV-2 Ss (OWi) 89/05-(OWi) 59/05]; zu einem Abstand von 150 m: OLG Hamm NStZ-RR 2004, 26, 27 = VRS 105, 229, 230 = NZV 2003, 494, 495 = DAR 2003, 429, 430; VRS 104, 226, 230 = NZV 2003, 249, 250).
Eingehende Feststellungen zu den Beleuchtungsverhältnissen sind in der Rechtsprechung auch bei einem (geringeren) Abstand von 100 m verlangt worden, wenn tragfähige Feststellungen zu ausreichenden und trotz der Dunkelheit zu erkennenden Orientierungspunkten für die Schätzung eines gleichbleibenden Abstands zwischen dem nachfahrenden und vorausfahrenden Fahrzeug fehlten (vgl. OLG Zweibrücken VRS 102, 392, 393 = DAR 2002, 182; OLG Hamm VRS 96, 458 ff; OLG Düsseldorf, Senat NZV 1999, 138, 139 = NStZ 2000, 305 [Ls]). Die Orientierung an "Nebelpfählen" oder "Leitposten" kann dabei ausreichend sein (vgl. OLG Celle NZV 2004, 419, 420; BayObLG DAR 2000, 224; OLG Hamm VRS 96, 458, 459; VRS 93, 380, 381; MDR 1998, 156).
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass bei einem Abstand von 100 m ohne zusätzliche Beleuchtung die sichere Beurteilung eines gleichbleibenden Abstands nicht möglich sei, weil unter Berücksichtigung der Reichweite des Abblendlichts die Scheinwerfer des nachfolgenden Messfahrzeugs dann keine ausreichende Aufhellung herbeiführten und demgemäß nur noch die Rücklichter, nicht indessen der Umriss des vorausfahrenden Fahrzeugs festgestellt werden könne (vgl. OLG Hamm VRS 110, 279, 280; DAR 1998, 75, 76; VRS 96, 458, 459, 460; NJW 2007, 1298, 1299 [zu einem Abstand von 80 m ]), vermag sich der Senat in Anbetracht der heutigen technischen Ausrüstung der Beleuchtungsanlagen von Kraftfahrzeugen dieser Meinung nicht anzuschließen. Selbst wenn in Anbetracht der Sichtverhältnisse bei einem Abstand von 100 m zwischen vorausfahrendem Fahrzeug und Messfahrzeug nur noch die Rücklichter des vorausfahrenden Fahrzeugs erkennbar sein sollten, ist unter Berücksichtigung der technischen Anforderungen des § 50 StVZO an die Ausleuchtung der Fahrbahn durch die Kraftfahrzeugscheinwerfer jedenfalls dann eine ausreichend zuverlässige Beurteilung der Gleichmäßigkeit des Abstands allein durch optische Wahrnehmung und Einschätzung ohne Weiteres grundsätzlich noch möglich, wenn - wie im vorliegenden Fall - für die Schätzung des gleichbleibenden Abstands trotz der Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren. Das Risiko von Fehlschätzungen ist in diesem Längenbereich bei Messfahrten durch geschulte Polizeibeamte deutlich reduziert (vgl. OLG Hamm VRS 93, 380, 381).
b) Die angefochtenen Urteilsgründe teilen mit, dass die Polizeibeamten "zwischen Kilometer 11,5 und 13" und damit über eine Strecke von 1.500 Metern mit einem gleichbleibenden Abstand von etwa 100 m auf trockener Fahrbahn und klarer Sicht dem von dem Betroffenen gesteuerten Fahrzeug nachgefahren sind und eine Geschwindigkeit von 120 km/h abgelesen haben. Die bei derartigen Fallgestaltungen (teilweise) geforderte zusätzliche Angabe von Orientierungspunkten für die Abstandsschätzung bei Nachtfahrten (vgl. OLG Celle NZV 2004, 419, 420; BayObLG DAR 2000, 224; OLG Hamm VRS 96, 458, 459; VRS 93, 380, 381; MDR 1998, 156) ist vorliegend " anhand der Leitpfosten" erfolgt. Der mit 15% bemessene Toleranzabzug zum Ausgleich von Messungenauigkeiten ist bei einem justierten Tachometer ausreichend (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 3 StVO, Rdn. 62 m. Rspr.nachw.). Irgendwelche Besonderheiten hinsichtlich des Verkehrs auf der A 59 während der Tatzeit (1. April 2006 gegen 1.50 Uhr) sind nicht festgestellt, so dass eine Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit der nachfahrenden Polizeibeamten unter Berücksichtigung des normalerweise zur Nachtzeit herrschenden geringen Verkehrsaufkommens nicht ohne Weiteres angenommen werden kann.
2.
Im Rechtsfolgenausspruch unterliegt das angefochtene Urteil indessen der Aufhebung, weil die Ausführungen zu der Erforderlichkeit der Anordnung eines Fahrverbots nicht frei von Rechtsfehlern sind.
a) Das Amtsgericht geht zutreffend davon aus, dass die festgestellte fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach der Bußgeld-Katalogverordnung (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 11.3 BKatV i.V.m. Tab. 1 Buchstabe c lfd. Nr. 11.3.7) das Vorliegen eines groben Verstoßes gegen die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert und ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf.
Weist der Sachverhalt keine wesentlichen Besonderheiten auf, die einen groben oder beharrlichen Verkehrsverstoß ausnahmsweise in Frage stellen, ist die Anordnung eines Fahrverbots ohne weitere besondere Begründung nicht zu beanstanden. Es bedarf dann keiner näheren Darlegungen dazu, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg im Hinblick auf die identische Zweckrichtung von Geldbuße und Fahrverbot und die zwischen beiden bestehende Wechselwirkung nicht durch eine - gegebenenfalls empfindliche - Erhöhung der Geldbuße ebenfalls erreicht werden kann (vgl. BGHSt 38, 231, 236 = NJW 1992, 1397, 1398 = NZV 1992, 286, 288 = MDR 1992, 703, 704 = DAR 1992, 265, 267 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 2 = VerkMitt 1992, Nr. 68 = VRS 83, 212, 215; OLG Düsseldorf, 3. Bußgeldsenat, NZV 1993, 241, 242 m.w.Nachw. = VRS 85, 235 ff. m.w.Nachw.; OLG Hamm NZV 1991, 121, 122).
Der Bußgeldrichter muss sich aber auch in diesen Fällen der ihm unter Anwendung der Regelbeispiele der Bußgeldkatalog-Verordnung eröffneten Entscheidungsmöglichkeiten bewusst sein und dies in den Entscheidungsgründen zu erkennen geben (vgl. BGHSt 38, 125, 136 = NJW 1992, 446, 448 = NStZ 1992, 135, 136 = DAR 1992, 69, 72 = NZV 1992, 117, 120 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 1). Dies bedeutet, dass er bei Verhängung eines Fahrverbots deutlich machen muss, dass er die Möglichkeit des Absehens von dieser Anordnung im Fall des Vorliegens besonderer Ausnahmeumstände gesehen und bei seiner Entscheidung bedacht hat. Der Tatrichter muss die konkreten Umstände des Einzelfalles feststellen und unter entsprechender Abwägung ausführen, ob Gründe ersichtlich sind (oder nicht), die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von dem an sich verwirkten Fahrverbot - ggf. unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße - abzusehen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die ihm zufallende Prüfung auf etwaige Rechtsfehler ermöglicht wird.
b) Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich im Entscheidungsfall die Anordnung des Fahrverbotes von einem Monat als nicht rechtsfehlerfrei. Das angefochtene Urteil beinhaltet zum Rechtsfolgenausspruch folgende Erwägungen: "Daneben war ein einmonatiges Fahrverbot, wie im Bußgeldkatalog vorgesehen, festzusetzen." Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, dass das Amtsgericht im Entscheidungsfall die grundsätzlich bestehende Möglichkeit bedacht hat, von der Anordnung der Nebenfolge bei Vorliegen besonderer Umstände - ggf. unter gleichzeitiger empfindlicher Erhöhung der Geldbuße - abzusehen. Der Senat vermag angesichts der unzureichenden Erwägungen auch bei einer Gesamtschau der Urteilsgründe nicht zuverlässig auszuschließen, dass der Begründungsfehler den Rechtsfolgenausspruch beeinflusst hat.
c) Falls die neue Hauptverhandlung wiederum zu einer Anordnung eines Fahrverbots führt, weist der Senat auf die Regelung des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG hin.
3.
Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Verweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ist nicht veranlasst.
Ende der Entscheidung
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