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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 28.05.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 31/08
Rechtsgebiete: ZPO, VwGO, GWB, VwKostG, VKR, VgV, RBerG


Vorschriften:

ZPO § 116 S. 1 Nr. 2
ZPO § 119 Abs. 1 S. 1
ZPO § 127
ZPO § 127 Abs. 1 S. 2
VwGO § 166
GWB § 99 Abs. 4
GWB § 104 Abs. 2
GWB § 128 Abs. 1 S. 2
GWB § 128 Abs. 3 S. 4
VwKostG § 19
VKR Art. 1 Abs. 2 lit. d
VgV § 13
RBerG Art. 1 § 3 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Sache wird der Vergabekammer zur Entscheidung zurückgegeben.

Gründe:

I.

Der antragstellende Verein möchte bei der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg ein Nachprüfungsverfahren gegen die Stadt B... einleiten. Nach den bisher vorliegenden Unterlagen hat er zur Gewährleistung eines "niedrigschwelligen Beratungsangebots für LeistungsbezieherInnen von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe in B..." einen Vertrag mit dem - mit dem Mieterverein B... e.V. kooperierenden - Ev. Kirchenkreis B... geschlossen, wobei diesem für die Jahre 2007 bis 2010 Gelder von insgesamt € 320.705 zur Verfügung gestellt werden. Der antragstellende Verein ist der Auffassung, dieser Vertrag habe ausgeschrieben werden müssen, und hat bei der Vergabekammer Prozesskostenhilfe beantragt. Die Vergabekammer ist der Auffassung, nach § 127 ZPO könne nur das Gericht darüber entscheiden; das sei nicht sie als Behörde, sondern der Vergabesenat.

II.

Die Sache ist der Vergabekammer zurückzugeben.

Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ist der Senat nicht zuständig. Über die Gewährung von Prozesskostenhilfe hat die Vergabekammer zu entscheiden. Dies ergibt sich aus einer sachgerechten Auslegung des § 127 Abs. 1 S. 2 ZPO (in Verbindung mit § 166 VwGO).

Nach § 127 Abs. 1 S. 2 ZPO hat das jeweils angerufene Gericht über einen Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Aus § 119 Abs. 1 S. 1 ZPO ergibt sich, dass Prozesskostenhilfe nur für die jeweilige Instanz bewilligt werden kann. Das bedeutet letztlich, dass nur das angerufene Gericht originär Prozesskostenhilfe für das vor ihm anhängige (oder noch anhängig zu machende) Verfahren bewilligen kann; andere Gerichte können nicht originär, sondern nur auf Rechtsmittel über Prozesskostenhilfe entscheiden.

Bereits diese Überlegung schließt es aus, dass der Vergabesenat originär über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zu entscheiden hat. Das Wort "Gericht" steht dem nicht entgegen. Wird beispielsweise Prozesskostenhilfe für ein Verwaltungsverfahren oder ein Widerspruchsverfahren begehrt, obwohl die dafür maßgeblichen Vorschriften die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorsehen, hat die betreffende Behörde zu entscheiden, und nicht etwa die Entscheidung nach § 166 VwGO i.V.m § 127 Abs. 1 S. 2 ZPO dem Verwaltungsgericht zu überlassen. Entscheidungen der Verwaltungsgerichte über Prozesskostenhilfe erfassen das vorgelagerte Verwaltungsverfahren (einschließlich des Widerspruchsverfahrens) nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 1995, 303). Das Wort "Gericht" steht deswegen im Gesetz, weil es danach nur für Verfahren vor einem "Gericht" Prozesskostenhilfe gibt, hat aber keine weitergehende Bedeutung.

Im Übrigen ist die Auffassung der Vergabekammer, Prozesskostenhilfe könne für das Nachprüfungsverfahren nicht bewilligt werden, unzutreffend (vgl. nachfolgend unter III.1.).

Eine sofortige Beschwerde gegen die bisher nur formlose Ablehnung von Prozesskostenhilfe hat der Antragsteller nicht eingelegt.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1.

Entgegen der Auffassung der Vergabekammer kann auch für einen bei ihr anhängigen Nachprüfungsantrag Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Zwar sieht das GWB dies nicht ausdrücklich vor, dies ergibt sich aber aus den für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen Grundsätzen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. zuletzt NJW 2008, 1060, 1061; s. auch Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., Art. 103 GG, Rdnr. 34 m.w.N.; Philippi, in Zöller, ZPO, 26. Aufl., vor § 114 ZPO Rdnr. 2).

Zwar wird außerhalb des gerichtlichen Rechtsschutzes diesem Grundsatz im Allgemeinen durch die Gewährung von Beratungshilfe Rechnung getragen (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; Philippi, a.a.O.). Das ist jedoch für ein Vergabenachprüfungsverfahren nicht ausreichend.

Der Gesetzgeber hat das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer als "Prozess" ausgestaltet. Zwar ist die Vergabekammer verfassungsrechtlich kein Gericht, sondern eine Behörde, das Verfahren ist jedoch praktisch ein gerichtliches Verfahren. Die Mitglieder der Vergabekammer entscheiden unabhängig. Das Verfahren wird auf einen Antrag hin eingeleitet, die Vergabekammer entscheidet darüber nach Gewährung rechtlichen Gehörs - im Allgemeinen nach mündlicher Verhandlung - bindend. Es findet im Unterliegensfall eine Kostenerstattung statt. Bereits die Gesetzesbegründung zum Vergaberechtsänderungsgesetz (BT-Drs. 13/9340) hatte zum jetzigen § 104 Abs. 2 GWB von einem "Rechtsweg" gesprochen. Der Bundesgerichtshof hat aus diesem Grunde in gewissem Umfange die entsprechende Anwendung von Grundsätzen des Verwaltungsgerichtsprozesses befürwortet (NZBau 2004, 229; s. auch Beschluss des Senats vom 23.01.2006, VII-Verg 96/05 zur Ablehnung eines Mitglieds der Vergabekammer). Für dieses gerichtsähnlich ausgestaltete Verfahren (vgl. Kadenbach, in Willenbruch/Bischoff, Vergaberecht, 11. Los S. 1178) passen die Vorschriften über Beratungshilfe nicht.

Zwar kann der finanziellen Situation des Antragstellers teilweise anderweit Rechnung getragen werden. So ist es möglich, von der Erhebung von Kosten aus diesem Grunde abzusehen, sei es nach § 128 Abs. 3 S. 4 GWB, sei es nach § 128 Abs. 1 S. 2 GWB i.V.m. § 19 VwKostG (vgl. Noelle, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 GWB Rdnr. 1375 m.w.N.). Das erfasst jedoch nur die Kosten der Vergabekammer", nicht die Kosten eines etwaig einzuschaltenden Rechtsanwalts (vgl. zu einer vergleichbaren Fallgestaltung Keller/Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 73a Rdnr. 1).

Allerdings wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, das Vergabenachprüfungsverfahren zu finanzieren, sind im Allgemeinen aus finanziellen Gründen leistungsunfähig; anders kann es - wie hier - bei Aufträgen im sozialen Bereich sein.

2.

Über die Prozesskostenhilfe ist nach Anhörung der Gegenseite zu entscheiden (§ 118 Abs. 1 ZPO). Da die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe nur entsprechend anzuwenden sind, dürfte auch eine Anhörung beizuladender Personen notwendig sein. Die Unterlagen des Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dürfen allerdings nur mit seiner Zustimmung der Gegenseite zugänglich gemacht werden (§ 117 Abs. 2 S. 2 ZPO, vgl. auch § 127 Abs. 1 S. 3 ZPO).

3.

Einer juristischen Person kann Prozesskostenhilfe nur nach Maßgabe des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO bewilligt werden. Bei der Frage, ob die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde, ist auch den Zielsetzungen des Vergabenachprüfungsverfahrens nach des GWB und der Rechtsmittelrichtlinie Rechnung zu tragen.

4.

Die Vergabekammer wird zu prüfen haben, ob Gegenstand des fraglichen Vertrages ein Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB, Art. 1 Abs. 2 lit. d) VKR ist. Sie wird weiter zu erwägen haben, ob ein Nachprüfungsverfahren trotz des Vertragsschlusses noch möglich ist, insbesondere ob der Vertrag im Hinblick auf § 13 VgV unwirksam ist; das wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller sein Interesse an der Beauftragung der Antragsgegnerin vor Vertragsschluss bekannt gegeben hat. Dazu ist - ggf. unter Vorlage von Unterlagen - noch vorzutragen.

Vorsorglich wird darauf allerdings darauf hingewiesen, dass es nicht Sache des Prozesskostenhilfeverfahrens ist, komplexe Rechts- und Tatfragen zu klären; dies ist einem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. BverfG, a.a.O.)

5.

Soweit der Antragsteller geltend macht, dem Ev. Kirchenkreis B... sei die fragliche Tätigkeit im Hinblick auf das Rechtsberatungsgesetz untersagt, wird darauf hingewiesen, dass die zitierte Entscheidung des OVG NRW nur die Vertretung Hilfesuchender, aber nicht auch deren Beratung betrifft, die er im Hinblick auf Art. 1 § 3 Nr. 1 RBerG nicht in Abrede stellt (vgl. Senge, in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Rechtsberatungsgesetz, § 3 Rdnr. 2 m.w.N.). Im Übrigen teilt der Bundesgerichtshof (NJW 2000, 2277) die vom OVG vorgenommene Auslegung des Begriffs "Rechtsbetreuung" nicht.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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