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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 19.02.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 118/01
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 101 Abs. 1
Eine Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen des Angeklagten auf Auslagen, die nach der Beiordnung des Pflichtverteidigers entstanden sind kommt nur in Betracht, wenn der Verteidiger (aufgrund wirksamer Honorarvereinbarung) einen Anspruch gegen den Angeklagten auf Erstattung dieser Auslagen hat. (Fortführung der Senatsentscheidung vom 31. August 2000 - 1 Ws 218/00)
Oberlandesgericht Dresden 1. Strafsenat

Beschluss

Aktenzeichen: 1 Ws 117/01 und 1 Ws 118/01

vom 19. Februar 2002

in der Strafsache gegen

wegen Betruges

hier: Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung

Tenor:

1. Die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 22.02.2001 wird als unbegründet verworfen.

2. Auf die Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluss des Landgerichts Dresden vom 22. Februar 2001 dahingehend abgeändert, dass die dem Verteidiger zu erstattende Pflichtverteidigervergütung auf (brutto) 12 880,72 DM (= 6 585,81 Euro) festgesetzt wird.

Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Mit Beschluss des Landgerichts Dresden vom 03.04.2001 ist der Beschwerdeführer dem Angeklagten (während laufender Hauptverhandlung) als Verteidiger beigeordnet worden. Für seine vorherige Tätigkeit als Wahlverteidiger hatte er auf Grundlage von schriftlichen Honorarvereinbarungen bis zur Beiordnung als Pflichtverteidiger einen Vergütungsanspruch in Höhe von 241 570,00 DM verdient, auf den er Vorschusszahlungen in Höhe von insgesamt 128 600,00 DM erhalten hat. Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens hat er die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung beantragt, wobei er einen Gebührenanspruch für das gesamte Verfahren in Höhe von 12 500,00 DM netto sowie Auslagen von insgesamt 42 302,06 DM geltend macht. Die nach Beiordnung als Pflichtverteidiger entstandenen Auslagen machen insgesamt einen Teilbetrag von 13 135,72 DM aus. Nachdem die Rechtspflegerin beim Landgericht Dresden mit Beschluss vom 12.02.2001 den Vergütungsfestsetzungsantrag insgesamt zurückgewiesen hat, weil die vom Verteidiger erhaltenen Zahlungen des Angeklagten gemäß § 101 Abs. 2 BRAGO auf die Pflichtverteidigervergütung, d. h. sowohl die Gebühren wie die Auslagen, anzurechnen seien und weil auch nach Anrechnung dem Verteidiger ein Betrag in Höhe der doppelten Pflichtverteidigergebühren verbleibe, hat der Vorsitzende der Kammer auf die Erinnerung des Verteidigers diesen Beschluss dahingehend abgeändert, dass dem Verteidiger die nach seiner Beiordnung entstandenen Auslagen, d. h. 13 135,72 DM, zu erstatten seien. Gegen diese Entscheidung richten sich die Beschwerde des Verteidigers, der die Ansicht vertritt, bis zum Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung verdiente und gezahlte Wahlverteidigerhonorare seien anrechnungsfrei, und die Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Dresden, der eine Wiederherstellung der Entscheidung der Rechtspflegerin begehrt. Der Vorsitzende der Kammer hat beiden Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde des Verteidigers ist unbegründet.

1. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 31.08.2000 (l Ws 218/00) dargelegt hat, sind auch Zahlungen für die Tätigkeit des Verteidigers vor der Beiordnung anrechenbar, soweit für diese gemäß § 97 Abs. 3 BRAGO eine Pflichtverteidigervergütung beansprucht werden kann (OLG Düsseldorf, MDR 1993, 808; Hadert in Gerold u.a., BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 101 Abs. 1 Rdnr. 2 m.w.N.). Soweit der Verteidiger sich auf eine entgegenstehende Äußerung von Madert (aaO, Rdnr. 3) beruft, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die dort in Bezug genommene Rechtsprechung beruht auf der Rechtslage vor Einführung des nunmehr geltenden § 97 Abs. 3 BRAGO, die zu einer Unterscheidung nach Verfahrensabschnitten führte. Nachdem diese Unterscheidung abgeschafft ist, bleibt für die vom Verteidiger vertretene Differenzierung kein Raum. Die eindeutige Regelung in § 101 BRAGO lässt sich nur dahingehend verstehen, dass dem Verteidiger eine Anrechnung aller Zahlungen zugemutet wird, die den Betrag der doppelten ge-samten Pflichtverteidigergebühren übersteigen. Diese Unterscheidung ist auch sachgerecht, da anderenfalls ein Wahlverteidiger mit seinem Mandanten für die ersten Verfahrensabschnitte eine besonders hohe Vergütung vereinbaren könnte mit der Erwartung, dass für spätere Verfahrensabschnitte, in denen eine entsprechende Zahlung durch den Mandanten nicht mehr möglich ist, eine Vergütung aus der Staatskasse über den Weg der Pflichtverteidigerbeiordnung erlangt werden könnte. Auch wenn im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine derartige Manipulation bestehen, ändert dies nichts an der ratio der Gesetzeslage.

2. Eine Erhöhung des festgesetzten Betrages um die Summe der vor Beiordnung angefallenen Auslagen des Verteidigers kommt deshalb nicht in Betracht, weil dieser Betrag durch die Zahlungen des Angeklagten an den Verteidiger bereits abgedeckt ist. Wie der Senat in vorgenannter Entscheidung bereits näher begründet hat, kommt eine nochmalige Erstattung von Auslagen nicht in Betracht, wenn diese bereits durch Zahlungen des Angeklagten beglichen sind. Dies folgt - ohne dass es auf § 101 Abs. 1 BRAGO ankäme - bereits aus der Natur der Sache; hat der Angeklagte an den Verteidiger bereits Zahlungen geleistet, die die diesem erwachsenen Auslagen abdecken, so hat der Verteidiger wirtschaftlich betrachtet gegenüber der Staatskasse keine offenen Auslagen mehr, eine nochmalige Erstattung würde auf eine Doppelzahlung hinauslaufen. Dabei betont der Senat nochmals, dass dieser Betrag von den erhaltenen Zahlungen abzusetzen ist, bevor die Frage der Anrechenbarkeit auf die Pflichtverteidigergebühren zu prüfen ist, und bekräftigt, dass nur der einfache Auslagebetrag abzusetzen ist (OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 64; für die Auslagenpauschale anders OLG Stuttgart JB 1996, 134) .

III.

Auch die Beschwerde der Staatskasse ist im Wesentlichen unbegründet .

1. Die dem Verteidiger nach seiner Beiordnung entstandenen Auslagen sind durch die Zahlungen des Angeklagten nicht abgegolten, da ein entsprechender Auslagenerstattungsan-spruch gegenüber dem Angeklagten nicht besteht. Denn das Mandatsverhältnis, aus dem sich ein Auslagenerstattungs-anspruch des Verteidigers ergibt, hat mit Niederlegung des Wahlmandats, welches Voraussetzung für die Pflichtverteidigerbestellung war, konkludent ihr Ende gefunden (BGHZ 86, 98 (102); OLG Bremen StV 1987, 162). Zwar wäre eine auch die Zeit der Pflichtverteidigung erfassende Honorarvereinbarung nach zwischenzeitlich wohl einhelliger Ansicht zulässig (vgl. statt aller BGH Rechtspfleger 1979, 312), doch hätte eine solche wegen der regelmäßigen Beendigung des zivilrechtlichen Mandatsverhältnisses durch die Niederlegung des Wahlmandats nach der Pflichtverteidigerbestellung in der Form des § 3 BRAGO erneuert werden müssen. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Da der Verteidiger mithin vom Angeklagten eine Erstattung der während der Pflichtverteidigung entstandenen Auslagen nicht verlangen konnte, verbietet sich einen Anrechnung der geleisteten Zahlungen auf diese. Dies stünde zwar prinzipiell einer kraft Gesetzes angeordneten Anrechnung im Rahmen der Berechnung der Pflichtverteidigervergütung nicht entgegen, doch fehlt es an einer entsprechenden Regelung. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 101 Abs. 1 sind erhaltene Vorschüsse und Zahlungen (nur) auf die von der Staatskasse zu zahlenden Gebühren anzurechnen. Angesichts der konsequenten Unterscheidung des Gesetzes zwischen Gebühren und Auslagen verbietet sich eine erweiternde Auslegung dahingehend, dass eine Anrechnung (lösgelöst von der Frage einer bereits erfolgten Erstattung im vorgeschilderten Sinne) auch hinsichtlich der zu zahlenden Auslagen zu erfolgen hat. Selbst wenn der Gesetzgeber durch die Regelung in § 101 Abs. 2 BRAGO hätte erreichen wollen, dass der Verteidiger "unter dem Strich" anrechnungsfrei nur den doppelten Betrag der ihm netto (OLG Hamm, StV 1996, 334; OLG Stuttgart JB 1996, 134) zustehenden Gebühren behalten soll, würde diese über den eindeutigen Wortlaut der Regelung in Abs. 1 der Vorschrift nicht hinweghelfen.

2. Der vom Vorsitzenden der Kammer in dem gegriffenen Beschluss festgesetzte Erstattungsbetrag war jedoch wie geschehen zu ändern, da von den tatsächlichen angefallenen Auslagen in Höhe von 13 135,72 DM ein Betrag von 255,00 DM abzusetzen ist, weil der Verteidiger in dieser Höhe jeweils 165,00 DM übersteigende Übernachtungskosten geltend macht. Nach den vom Landgericht durchgeführten Erhebungen war im fraglichen Zeitraum in der Hochsaison für ein Hotelzimmer der fraglichen Kategorie nur ein Preis von durchschnittlich 165,00 DM zu zahlen und es ist nicht ersichtlich, dass der Verteidiger zu diesem Entgelt zu den Verhandlungstagen kein Hotelzimmer in Dresden in angemessener Nähe des Gerichts bekommen hätte.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 98 Abs. 4 BRAGO.

Ende der Entscheidung

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