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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 28.06.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 121/04
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 153 a | |
StPO § 213 | |
StPO § 305 Abs. 1 | |
StPO § 467 Abs. 1 |
Oberlandesgericht Dresden
1. Strafsenat
Aktenzeichen: 1 Ws 121/04
Beschluss
vom 28. Juni 2004
in der Strafsache gegen
wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung
hier: Beschwerde gegen Ablehnung einer Terminsverlegung
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird die Verfügung des Vorsitzenden der 5. Strafkammer des Landgerichts Chemnitz vom 09. Juni 2004 aufgehoben.
2. Die mit Verfügung des Vorsitzenden vom 28. Mai 2004 anberaumten Hauptverhandlungstermine am 06., 08., 19., 20. und 22. Juli 2004 werden aufgehoben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Chemnitz vom 13. Juni 2003 wurde der Angeklagte nach elftägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Beihilfe zur vorsätzlichen Insolvenzverschleppung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Chemnitz mit Beschluss vom 10. Oktober 2003 das Verfahren nach § 153 a StPO gegen Bezahlung eines Geldbetrages vorläufig eingestellt. Nachdem der Angeklagte die Geldauflage nicht bezahlt hatte, hat der Vorsitzende der Berufungskammer das Verfahren wieder aufgenommen und mit Verfügung vom 28. Mai 2004 - ohne Terminsabsprache mit den drei aus Berlin stammenden Wahlverteidigern - Termine zur Berufungshauptverhandlung auf den 06. Juli 2004 mit Fortsetzungsterminen am 08., 19., 20. und 22. Juli 2004 bestimmt. Unmittelbar nach Eingang der Ladungen haben Rechtsanwalt Dr. P und Rechtsanwalt F die Aufhebung der Hauptverhandlungstermine mit der Begründung begehrt, sie seien am 06. und 08. Juli 2004 in einem länger geplanten und fest gebuchten Jahresurlaub, dessen Verschiebung aufgrund von Buchungen und aus bürointernen Gründen nicht in Betracht komme. Gleichzeitig befinde sich auch der Angeklagte im Juli in seinem ebenfalls seit längerer Zeit geplanten Jahresurlaub. Der weitere Verteidiger, Rechtsanwalt S , hat ebenfalls unverzüglich nach Erhalt der Ladung Terminsverlegung beantragt, da er am 06., 08. und 20. Juli 2004 jeweils in anderen Strafsachen vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin gebunden sei.
Mit Verfügung vom 09. Juni 2004 hat der Vorsitzende der Berufungskammer die Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die drei Verteidiger müssten in der Lage sein, die Verteidigung zu bewerkstelligen. Im Übrigen liege ein Fall notwendiger Verteidigung nicht vor. Darüber hinaus habe der Angeklagte gewusst, dass eine Verhandlung bevorstehe.
Hiergegen richtet sich die von den Rechtsanwälten Dr. P und F namens ihres Mandanten eingelegte Beschwerde vom 15. Juni 2004, der der Vorsitzende mit Verfügung vom 16. Juni 2004 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der ablehnenden Entscheidung über die Terminsverlegung sowie zur Aufhebung der anberaumten Hauptverhandlungstermine.
1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO). Zwar ist eine ablehnende Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts im Hinblick auf § 305 Abs. 1 StPO in der Regel unanfechtbar (Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. Rdnr. 8 zu § 213 m.w.N.). Sie ist jedoch nach der vom Senat geteilten herrschenden Meinung ausnahmsweise dann statthaft, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessenausübung getroffene Entscheidung für Verfahrensbeteiligte eine besondere selbstständige Beschwer bewirkt, weil sie zum Beispiel unschwer vermeidbar das Recht des Angeklagten beeinträchtigt, sich des Beistandes eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen (OLG München, NStZ 1994, 451) und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung evident ist (KG Berlin, Beschluss vom 16. Februar 1998 - 4 Ws 28/98 -). Dies macht der Angeklagte vorliegend geltend, indem er vorträgt, die Ablehnung der Terminsverlegung trotz Verhinderung aller drei Wahlverteidiger trage ermessensfehlerhaft seinem Recht, einen Verteidiger seines Vertrauens bei der Hauptverhandlung zugegen zu haben, nicht (ausreichend) Rechnung.
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zwar ergibt sich aus dem Grundsatz der Terminshoheit des Vorsitzenden einer Strafkammer nach § 213 StPO eine Einschränkung der Überprüfbarkeit seiner angefochtenen Verfügung. Sie ist danach nur dahingehend zulässig, ob der Vorsitzende bei seiner Terminierung die rechtlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten oder ob er sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat. Dabei hat er das staatliche Interesse an der reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens und das Interesse des Angeklagten, sich in der Hauptverhandlung des Beistands gerade eines von ihm gewählten und sein besonderes Vertrauen genießenden Verteidigers bedienen zu können, in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Demnach hat das Beschwerdegericht bei der Nachprüfung der Ermessensausübung sich darauf zu beschränken, ob der Vorsitzende sämtliche relevanten Gesichtspunkte in seine Entscheidung eingestellt und rechtsfehlerfrei gegeneinander abgewogen hat. Die Zweckmäßigkeit der Verfügung unterliegt dagegen nicht der Nachprüfbarkeit (OLG Frankfurt/Main, StV 2001, 157, 158).
Danach erweist sich im vorliegenden Fall die Versagung der begehrten Terminsverlegung als evident ermessens- fehlerhaft.
Zwar hat ein Verteidiger kein Recht auf vorherige Terminsabsprache. Wird aber das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt, dass dieser die Termine wegen anderer Verteidigungen oder Verhinderung durch Urlaub nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminsanberaumung hätte nehmen können, kann die Terminsverfügung prozessordnungswidrig sein (OLG Hamburg, StV 1995, 11). Ein solcher Fall liegt hier jedenfalls deshalb vor, da das Verfahren nicht dem besonderen Beschleunigungsgebot unterliegt. Denn der Angeklagte befindet sich weder in Haft noch wird sonst eine vorläufige Maßnahme (z. B. § 111 a StPO) gegen ihn vollzogen. Auch ist nicht ersichtlich, zumindest hat der Kammervorsitzende hierauf seine ablehnende Entscheidung nicht gestützt, dass die Kammer bei einer Verlegung die Sache aufgrund einer angespannten Terminslage nicht später kurzfristig neu terminieren könnte.
Die vorliegende Verfahrensweise des Vorsitzenden entzieht dem Angeklagten damit letztlich ohne nachvollziehbaren Grund den Verteidiger seines Vertrauens. Dies ist hier auch deshalb bedenklich, da entgegen der Ansicht des Vorsitzenden ein Fall der notwendigen Verteidigung aus folgenden Gründen durchaus nahe liegt: Zum einen hat die Staatsanwaltschaft Anklage zum Schöffengericht des Amtsgerichts Chemnitz erhoben. Dem Ganzen liegt ein komplizierter Sachverhalt zugrunde. Das Amtsgericht hat in der Sache insgesamt an elf Sitzungstagen verhandelt. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das freisprechende Urteil Berufung mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten eingelegt.
Auch wenn der Angeklagte keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch hat, dass die Hauptverhandlung unter allen Umständen mit allen drei von ihm gewählten Verteidigern durchgeführt werden muss (OLG Frankfurt/Main, NStZ-RR 1997, 177, 178), so kann ihm jedenfalls durch eine Terminierung ohne Absprache mit den Verteidigern und der Ablehnung einer Terminsverlegung trotz Vorbringen nachvollziehbarer Verhinderungsgründe der Wahlverteidiger in dem konkret hier zur Entscheidung anstehenden Fall nicht das Recht genommen werden, sich zumindest von einem von ihnen in der Berufungshauptverhandlung vertreten zu lassen. Die Nichtbeachtung der prozessualen Rechte des Angeklagten führt deshalb zur Fehlerhaftigkeit der Ermessensentscheidung.
Die angefochtene Verfügung vom 09. Juni 2004 ist nach alledem aufzuheben. Weil nach dem Akteninhalt und der sich aus den Schriftsätzen der Verteidiger ergebenden Terminskollissionen nur eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, nämlich die Aufhebung der anberaumten Termine, in Betracht kommt, kann der Senat als Beschwerdegericht auch diese Entscheidung selbst treffen (OLG Frankfurt/Main, StV 1993, 6, 7).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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