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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 05.10.2001
Aktenzeichen: 11 AR 196/01
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 122
ZPO § 279
ZPO § 123
GKG § 49
GKG § 54 Ziff. 1
GKG § 58 II 2
GKG § 58 Abs. 2
GKG § 58 Abs. 2 Satz 2
§ 58 II 2 GKG ist verfassungskonform einschränkend auszulegen wie folgt:

Soweit einem Kostenschuldner, dem ... durch einen vor Gericht abgeschlossenen Vergleich ... die Kosten auferlegt sind, die Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, soll die Haftung des anderen Kostenschuldners nicht geltend gemacht werden.


Oberlandesgericht Dresden des 11. Zivilsenats Beschluss

Aktenzeichen: 11 AR 196/01

vom 05.10.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Erinnerung gegen den Kostenansatz

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht und Richter am Amtsgericht

beschlossen:

Tenor:

Auf die Erinnerung des Klägers und Berufungsführers wird der Kostenansatz in der Berufungssache ..... gegen .... vom 06.02.01 geändert:

Der Kläger hat von den gerichtlichen Kosten und Auslagen zu tragen 274,25 DM.

Gründe:

I.

Der Kläger hat die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Vermögensübernahme auf Bezahlung von Verbindlichkeiten ihres Sohnes in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Beklagten ist für die Verteidigung dagegen Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.12.2000 haben die Parteien den Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet. Danach tragen der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3 der Kosten des Rechtsstreits (Bl. 115 d. A.). Die Kostenbeamtin hat mit Kostenansatz vom 06.02.2001 (Kostenrechnung vom 22.06.2001, KSB 634011018804 über 822,75 DM, vgl. vor Bl. 1 d. A.) die gesamten Gerichtskosten der Berufungsinstanz vom Kläger eingefordert. Dagegen richtet sich dessen mit Schriftsatz vom 20.07.2001 (Bl. 174 d. A.) eingelegte Erinnerung.

II.

Die Erinnerung hat Erfolg.

Der Kläger haftet auch als Anlassschuldner nur für diejenige Quote der Kosten, die ihm im gerichtlichen Vergleich auferlegt ist, nämlich 1/3. 1/3 von 822,75 DM (Summe der Gerichtskosten 2. Instanz) sind 274,25 DM.

1. Wortlaut von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG i.V.m. § 54 Ziff. 2 GKG

Der Kläger hat gegen das Landgerichtsurteil Berufung eingelegt und haftet damit als Veranlasser des zweitinstanzlichen Verfahrens gemäß § 49 GKG für dessen gerichtliche Kosten. Daran hat sich grundsätzlich nichts dadurch geändert, dass die Beklagte im Vergleich vom 06.12.2000 2/3 der Gerichtskosten übernommen hat, denn der Kläger haftet subsidiär weiter für die vollen Kosten, für den Fall, dass die Kostenquote des Vergleichsschuldners nicht beigetrieben werden kann, § 58 Abs. 2 Satz GKG. Das soll nach dem Wortlaut des Gesetzes auch denn gelten, wenn die Beklagte Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt erhalten hat. Dann kann zwar das Gericht von der Beklagten keine Kosten erstattet verlangen, auch wenn die Beklagte durch Urteil, Beschluss oder Vergleich einen Teil oder die ganzen Gerichtskosten zu tragen verpflichtet ist, § 122 ZPO. Würde der Justizfiskus nun den Kläger oder Berufungskläger in solchen Fällen gemäß § 49 GKG als Anlassschuldner für alle Gerichtskosten in Anspruch nehmen, also über die Quote hinaus, die er nach Urteil, Beschluss oder Vergleich zu tragen hat, würde man ihm erlauben müssen, gemäß § 123 ZPO diesen überschießenden Teil der Gerichtskosten als Auslage von der Beklagten zu verlangen, mit der Folge, dass sie trotz Prozesskostenhilfe Gerichtskosten bezahlen müsste, zwar nicht direkt an den Justizfiskus, aber mittelbar über den Gegner.

2. Die verfassungskonforme Auslegung

Das kann nicht richtig sein. Das Gesetz selbst hat das auch so gesehen und für die Fälle, in denen der Prozesskostenhilfeberechtigte durch Urteil oder Gerichtsbeschluss zur Kostentragung verpflichtet wurde (Entscheidungsschuldner), davon abgesehen, diesen Teil der Gerichtskosten vom Anlassschuldner zu verlangen, § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG i.V.m. § 54 Ziff. 1 GKG. Nur für den Fall, dass der Prozesskostenhilfeberechtigte sich in einem außergerichtlichen oder in einem gerichtlichen Vergleich zur Übernahme von Gerichtskosten verpflichtete, hat der Gesetzgeber des Gerichtskostengesetzes befürchtet, die Prozessparteien würden sich auf Kosten der Prozesskostenhilfe vergleichen, dem Prozesskostenhilfeberechtigten also eine höhere Kostenquote im Vergleich auferlegen als von der Sache her gerechtfertigt wäre. Deswegen soll dem Justizfiskus erlaubt sein, den Anlassschuldner wegen der vollen Gerichtskosten in Anspruch zu nehmen, auch wenn der Gegner Prozesskostenhilfe erhalten hatte, § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 54 Ziff. 2 GKG.

Dieses Misstrauen mag berechtigt sein, wenn die Parteien sich außergerichtlich einigen oder wenn die Partei mit Prozesskostenhilfe durch einseitige Erklärung Kosten übernimmt. Das Misstrauen ist aber unberechtigt, wenn die Parteien mit gerichtlicher Vermittlung einen Vergleich schließen. In diesem Fall wachen diejenigen, die der Staat selbst mit der Konfliktregelung betraut, darüber, dass der Vergleich interessengerecht ist, auch in der Kostenregelung. Gleichwohl von gesetzeswegen zu unterstellen, das Gericht werde an einer Kostenregelung zu Lasten des Justizfiskus mitwirken, ist durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt. Der Staat verpflichtet den Vorsitzenden im Zivilprozess, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung bedacht zu sein, § 279 ZPO. Es ist hinterhältig, dem prozesskostenhilfeberechtigten Beklagten von Gerichts wegen zu einem Vergleich zu raten und ihn, wenn er der Empfehlung gefolgt ist, danach mit der Pflicht zu bestrafen, dem Kläger den Gerichtskostenvorschuss zu erstatten.

Diese Regelung ist willkürlich und deswegen verfassungskonform einschränkend auszulegen wie folgt:

Soweit einem Kostenschuldner, dem durch gerichtliche oder staatsanwaltliche Entscheidung oder durch einen vor Gericht abgeschlossenen Vergleich die Kosten auferlegt sind, die Prozesskostenhilfe ... bewilligt worden ist, soll die Haftung des anderen Kostenschuldners nicht geltend gemacht werden.

So sieht es auch das Oberlandesgericht Frankfurt und legt deswegen § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG genauso einschränkend verfassungskonform aus wie wir (Beschluss vom 10.11.1999, 12 W 258/99, veröffentlicht in NJW 2000 S. 1120).

a) Anders die 1. Beschlusskammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts

Nun hat die 1. Beschlusskammer am 28.06.2000 (1 BvR 741/00 in MDR 2000, 1157) es abgelehnt, den § 58 Abs. 2 GKG wie vorgeschlagen einzuschränken, weil es wenigstens ein sachlicher Gesichtspunkt sei, dem möglichen Missbrauch der Prozesskostenhilfe durch "unrichtige" Kostenquoten im Vergleich vorbeugen zu wollen.

Die 1. Beschlusskammer hat sich dabei allerdings nicht mit dem Unterschied auseinandergesetzt, der zwischen einem vor Gericht geschlossenen und einem außergerichtlich ausgehandelten Vergleich besteht.

Die 1. Beschlusskammer hat auch nicht erörtert, dass die gegenwärtige Fassung der Vorschrift den beklagten Prozesskostenhilfeberechtigten ohne rechtfertigenden Grund schlechter stellt als den klagenden.

b) Verstoß gegen den Gleichheitssatz

Ist der PKH-Empfänger nämlich Kläger, braucht er die Gerichtskosten nicht vorzuschießen. Vergleicht sich der klagende PKH-Berechtigte, übernimmt er dabei gar die vollen Kosten, führt das nicht zu einer subsidiären Haftung des nicht PKH-berechtigten Beklagten, weil der Beklagte als Nicht-Veranlasser kein Kostenschuldner ist. Nur der beklagte PKH-Berechtigte läuft Gefahr, über den Umweg des Anlassschuldners und dessen Ersatzanspruch doch noch Gerichtskosten tragen zu müssen. Das hat die 3. Beschlusskammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts mit dürren Worten für den Entscheidungsschuldner für gleichheitswidrig gehalten und mit dieser Begründung § 58 Abs. 2 GKG für Entscheidungsschuldner ähnlich eingeschränkt, wie das hier für die Vergleichsschuldner geschieht (Beschluss vom 26.06.1999, 1 BvR 984/89, MDR 99, 1089 mit Anmerkung Egon Schneider = NJW 99, 3173 Anmerkung Lappe). Bis zu diesem Beschluss war es herrschende Meinung gewesen, dass § 58 Abs. 2 den prozesskostenhilfeberechtigten Entscheidungsschuldner nur davor schütze, vom Staat unmittelbar in Anspruch genommen zu werden. Der obsiegende, nicht PKH-berechtigte Kläger durfte seinen Kostenvorschuss auch von der armen Partei ersetzt verlangen, § 123. Man las den § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG so, dass der Staat nur gehindert sei, noch nicht bezahlte Gerichtskosten vom Anlassschuldner zu verlangen. Die bereits als Vorschuss bezahlten Gerichtskosten sollte der Justizfiskus behalten dürfen; damit musste der Kläger einen Ausgleichsanspruch gegen den PKH-berechtigten Entscheidungsschuldner haben. Den PKH-berechtigten Kläger traf ein solches Risiko nicht. Das verstieß gegen den Gleichheitssatz.

Wenn es aber gleichheitswidrig ist, den PKH-Berechtigten als Kläger besser zu behandeln als den PKH-Berechtigten als Beklagten, dann muss das sowohl für den Entscheidungsschuldner wie auch für den Vergleichsschuldner gelten (so auch OLG Frankfurt, a.a.O.).

Ende der Entscheidung

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