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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 24.04.2002
Aktenzeichen: 11 U 2120/01
Rechtsgebiete: BGB, EGZGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 575 Sächsisches
EGZGB § 6
EGBGB Art. 1875
EGBGB Art. 233 § 3 Abs. 1 Satz 1
Ein nach sächsischem BGB ohne Grundbucheintrag wirksam bestelltes Wegerecht hat alle Rechtsordnungen überlebt und kann heute als Grunddienstbarkeit eingetragen werden.
Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 11 U 2120/01

Verkündet am 24.04.2002

In dem Rechtsstreit

wegen Abgabe einer Willenserklärung

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2002 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 27.07.2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die einzutragende Grunddienstbarkeit als Wegerecht den Verlauf hat, wie in der Katasterkarte im Tatbestand dieses Urteils als punktierte Linie eingezeichnet.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Beschwer der Beklagten, zugleich der Streitwert für die zweite Instanz, ist 5.369,75 EUR.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn in Lichtenstein, C. 1 und 3. Sie streiten darüber, ob den Klägern (C. 3) ein Wegerecht zusteht, mit welchem sie über das Grundstück der Beklagten auf den Hof ihres Hausgrundstücks fahren dürfen, um so ihr Auto auf dem eigenen Grundstück parken zu können. Die öffentliche Straße ist so viel befahren und der Bürgersteig ist so schmal, dass es vor dem Haus nicht einmal möglich ist, einen Pkw zu be- und entladen.

Die Kläger leiten ihr Wegerecht aus einem Servitutenvertrag her, den sie am 06.05.1887 beurkundet abgeschlossen, aber nicht hatten in das Grundbuch eintragen lassen. Dort hatte der damalige Eigentümer des Grundstücks der Beklagten, E. , seinem Nachbarn, H. , "für jetzt und alle Zeit" das Recht zum Gehen und Fahren (mit schwerem und leichtem Geschirr) unbeschränkt zugestanden. Dieses Wegerecht wurde bisher nie eingetragen.

Das Landgericht hat antragsgemäß die Beklagte verurteilt, die Berichtigung des Grundbuchs dahin zu bewilligen, dass das begehrte Wege- und Überfahrtsrecht eingetragen wird. Das Landgericht hat gemeint, der Servitutenvertrag sei nach § 580 f. Sächsisches BGB auch ohne Eintragung ins Grundbuch wirksam gewesen und habe eine Grunddienstbarkeit zu Gunsten des Grundstücks der Kläger auf dem Grundstück der Beklagten begründet. Diese Grunddienstbarkeit sei weder durch die Zwangsversteigerung des Grundstücks der Beklagten im Jahre 1925, noch durch das Inkrafttreten des ZGB 1976, noch durch die Wiedereinführung des BGB erloschen. Die Einzelheiten finden sich im angefochtenen Urteil.

Die Beklagte hat das Urteil des Landgerichts mit der Berufung angegriffen. Sie meint, die Servitut sei untergegangen, schon 1925 durch die Zwangsversteigerung, weil nicht im geringsten Gebot enthalten, spätestens aber durch Überführung des Grundstücks in Volkseigentum am 07.07.1966, weil Volkseigentum nicht dinglich belastet sein durfte.

Die Kläger verteidigen das landgerichtliche Urteil.

Die Einzelheiten finden sich in den gewechselten Schriftsätzen und Anlagen dazu.

Der Senat hat noch in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2001 die Sache dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Der Einzelrichter hat am 08.02.2002 einen Augenschein eingenommen. Die Einzelheiten finden sich im Terminsprotokoll vom 08.02.2002.

Er hat zwei amtliche Auskünfte des Grundbuchamts Hohenstein-Ernstthal zu den Eigentumsverhältnissen an den Grundstücken C. 1 bis 7 in dem Zeitraum eingeholt, in welchem Herr P. das Grundstück der Beklagten von F. erworben hatte. In jener Zeit, nämlich im Jahre 1886, war F. Eigentümer sämtlicher Grundstücke gewesen, die heute die C. 1, 3, 5 und 7 sind.

Als Zeugin wurde gehört Frau G. zur Frage, ob, und wenn ja, wie sich nach der Zwangsversteigerung 1925 die Benutzung des Grundstücks C. 1 durch die Nachbarn der C. 3 bis 7 geändert hatte. Die Einzelheiten finden sich im Terminsprotokoll vom 19.04.2002.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Kläger haben einen Anspruch aus Art. 187 I EGBGB auf Eintragung der begehrten Dienstbarkeit.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Entstehung und den Fortbestand des Wegerechts angenommen. Allerdings ist die Servitut nicht durch den Vertrag vom 06.05.1887 entstanden. Denn das Wegerecht, welches in diesem Vertrag begründet wurde, galt nur für den Zugang über das Grundstück C. 1 zu den Gärten des Herrn M. , links von der C. 1. Das Grundstück der Kläger liegt aber rechts von der C. 1, immer von der Straße aus betrachtet.

Das folgt zum einen aus dem ehemals vorhandenen Weg, den die Beklagte beim Augenschein gezeigt hat und der, tatsächlich in Spuren noch auf dem Grundstück sichtbar, links in den Garten des Flurstücks 198 (= E. -Th. -Straße 41) führte. Das folgt auch aus der Skizze, welche dem Servitutenvertrag vom 06.05.87 in der handschriftlichen Fassung beigefügt ist. Diese Skizze ist in die Flurkarte übertragen, welche Bestandteil dieses Urteils ist.

Das ändert aber nichts am richtigen Ergebnis des Landgerichts. Denn das Wegerecht der Kläger ist nach dem § 575 des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches begründet worden. Dort heißt es: "Eine stillschweigende vertragsmäßige . . . Bestellung einer Dienstbarkeit findet namentlich statt, wenn jemand zwei Grundstücke eigentümlich besitzt, deren eines das andere durch eine Anlage . . . belästigt und das Eigentum . . . beider Grundstücke auf verschiedene Personen, ohne Beseitigung der Anlage ..., übergeht.".

So war es hier. Durch die Anlage und die Art der Bebauung (geschlossene Häuserzeile zur Straße hin) war von vornherein die C. 1 (das Grundstück der Beklagten) die einzige Möglichkeit, Abfall und Fäkalien mit Fahrzeugen zu entsorgen sowie Brennstoff und sperrige Güter mit Fahrzeugen anzufahren. Denn das Gefalle zwischen der Straßenseite der Flurstücke und dem Hof beträgt ein ganzes Stockwerk. Nur durch die Baulücke auf dem Flurstück der Beklagten ist genügend Raum, um das Gefalle mit einem Fahrweg zu überwinden. In einem solchen Fall sorgte die genannte Vorschrift des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches dafür, dass durch Trennung des Eigentums an den Grundstücken die Benutzungsmöglichkeit des belasteten Grundstücks den anderen Eigentümern erhalten blieb. Das gilt im Geltungsbereich des BGB als stillschweigende Verpflichtung zur Bestellung einer Dienstbarkeit genauso (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1999, VIZ 99, 489).

Auch diese Dienstbarkeit ist nicht eingetragen ins Grundbuch.

Dieses Wegerecht der Eigentümer und Bewohner der C. 3 bis 7 ist im Vertrag zwischen H. und P. vom 06.05.1887 zwar nicht begründet, aber als selbstverständlich bestehend vorausgesetzt. Das ergibt sich aus Ziffer VII des genannten Vertrages, in dem es heißt:

"Mehrgedachter Weg (nämlich der Zuweg für Herrn M. von der C. zum Garten M. und zurück) ist auch von den Besitzern bzw. Bewohnern der Häuser Nr. 238 B, 238 C, 238 D und 238 E (= C. 3 bis 7) zu benutzen, was Herr M. vorbehaltlos und entschädigungsfrei dadurch einräumt."

Damit ist gemeint, dass die Nachbarn zur rechten von Herrn T. den Teil des Weges sollten mitbenutzen dürfen, der an der Gebäudelängsseite des Hauses T. entlang aus der Tiefe des Grundstücks bis zur Straße führt, ohne dass Herr M. sie etwa an den Kosten für die Wegeunterhaltung - er hatte dafür 500,00 Mark an Herrn T. gezahlt -sollte in Anspruch nehmen können.

Dieser Rechtslage trug auch der Kaufvertrag Rechnung, mit welchem P. von F. die C. 1 erworben hatte. Im Vertrag vom 17.05.1886 verpflichtete sich der Käufer (= P. ), "für sich und seine Rechtsnachfolger einen bei dem Hause Nr. 238 A Cat. beginnenden, an seiner Längs- und Giebelseite hinführenden Weg bis zur Chaussee auf seine Kosten herstellen zu lassen und allen in den Häusern Nr. 238 B bis D Wohnenden das freie und ungehinderte Gehen, Reiten und Fahren auf demselben zu gestatten. Die Instandhaltung dieses Weges obliegt alsdann dem Käufer in Gemeinschaft mit den Besitzern der Häuser Nr. 238 A, C und D. Der Käufer gestattet im voraus, die Bewohner der neben ihm noch zu erbauenden Häuser 238 C und D ihren Dünger, Holz und sonst alles, was sie nicht direkt von der Chaussee aus ohne Schaden für ihre Grundstücke zuführen können, über seine, Käufers, Grenze unterhalb seines Hofraums in einer Breite von 3 m mit Wagen, Karren oder sonst wie schaffen können. Doch ist ihm und besonders seinen Nachbesitzern der dadurch an seinem Gebäude oder an seinen Zäunen entstehende Schaden von demjenigen, der ihn verursacht hat, zu ersetzen. ...".

Dieses Wegerecht haben Franz Lorenz A. und P. am 08.03.1887 noch einmal bekräftigt.

Die Vertragstexte sind nachgewiesen als Abschriften der Gemeindeverwaltung aus den Grundakten. Die Grundakten selbst sind in Barbie verbrannt.

Diese nach sächsischem Recht ohne Eintragung entstandene Grunddienstbarkeit ist beim Inkrafttreten des BGB am 01.01.1900 erhalten geblieben, Art. 187 Abs. 1 EGBGB, obwohl das BGB selbst vorschrieb, dass Grunddienstbarkeiten ins Grundbuch eingetragen werden müssen, um wirksam zu werden.

Auch die Zwangsversteigerung des Grundstücks C. 1 hat die Grunddienstbarkeit nicht zum Erlöschen gebracht.

Allerdings bestimmt § 91 Zwangsversteigerungsgesetz, dass alle Rechte am Grundstück erlöschen, die nicht im geringsten Gebot aufgeführt sind. Was im geringsten Gebot an Rechten am Grundstück aufgeführt gewesen ist, lässt sich durch Urkunden nicht mehr belegen, weil nur noch der Zuschlagsbeschluss erhalten ist, aber nicht die Beschreibung des geringsten Gebotes. Die Aktenteile, welche das geringste Gebot enthalten hatten, sind in Barbie verbrannt.

Im vorliegenden Fall lässt sich aber aus dem tatsächlichen Verhalten der Nachbarn erschließen, dass 1925 im geringsten Gebot das Wegerecht zu Gunsten des Grundstücks der Kläger erhalten geblieben ist. Die Kläger haben vom Hörensagen berichtet, dass die Zwangsversteigerung nichts an der Möglichkeit der Nachbarn geändert habe, das Grundstück C. 1 als Zufahrt zum Grundstück C. 3 (und 5) zu benutzen. Die Beklagte selbst, 1935 auf dem streitigen Grundstück geboren und dort aufgewachsen, hat bestätigt, dass der Zugang vom Grundstück C. 1 zum Hof der Grundstücke C. 3 und 5 nie eingeschränkt gewesen ist.

Auch Marianne G. , 1925 auf dem ehemaligen M. 'sehen Grundstück geboren und aufgewachsen, hat berichtet, seit sie sich erinnern könne, hätten die Bewohner der Häuser C. 3 bis 7 den Hof der C. 1 benutzt, um zur Straße zu gehen, zu fahren und Asche und Gülle zu entsorgen. Das Haus C. 1 habe einen Anbau gehabt, der den Zuweg zu den Höfen C. 3 bis 7 überbaut habe. Dieser Anbau habe aber eine Durchfahrt zu den Höfen freigelassen.

Der Ersteigerer des Grundstücks C. 1 im Jahre 1925, A. , habe keine Anstrengungen unternommen, die Benutzung seines Grundstücks durch die Nachbarn zu unterbinden.

Der Beklagten ist einzuräumen, dass dieses Zeugnis keinen unmittelbaren Beweis dafür liefert, dass die Grunddienstbarkeit im geringsten Gebot enthalten gewesen ist. Die Angaben über die Verhältnisse im Jahre der Versteigerung beruhen alle auf Hörensagen. Sie stimmen aber auch alle überein. Die unveränderte Benutzung des Wegs durch die Nachbarn begründet die Überzeugung, dass die Grunddienstbarkeit im geringsten Gebot enthalten gewesen ist.

Die Grunddienstbarkeit ist auch nicht erloschen, als das Grundstück am 07.07.1966 in Volkseigentum überführt wurde. Allerdings durfte Volkseigentum weder belastet noch verpfändet werden, eingetragene Belastungen erloschen mit Überführung in Volkseigentum von Rechts wegen. Das betraf aber nur die eingetragenen Belastungen. Auch für Eigentum des Volkes konnte nach Inkrafttreten des ZGB ein Wegerecht als Mitbenutzungsrecht vereinbart werden, nur konnte dieses Mitbenutzungsrecht entgegen § 322 Abs. 2 ZGB nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Die nicht eingetragene Dienstbarkeit entspricht in ihrer Wirkung einem Mitbenutzungsrecht und ist deswegen bei Überführung des Grundstücks in Volkseigentum nicht erloschen.

Die Dienstbarkeit hat auch das Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches am 01.01.1976 überstanden. Das ZGB kannte zwar keine Dienstbarkeiten, bestimmte aber in § 6 EGZGB, dass auf Rechte, die als Grundstücksbelastungen vor Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches begründet wurden, das vor Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches geltende Recht anzuwenden sei. Nur für die Ausübung dieser Rechte galten die allgemeinen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches (Satz 2). Damit hatten die Kläger zu DDR-Zeiten als Rechtsgrundlage für ihr Wegerecht die Dienstbarkeit, seine Ausübung richtet sich nach den Vorschriften der §§ 321, 322 ZGB. Das bedeutete, dass zu DDR-Zeiten das Wegerecht nicht eingetragen werden durfte.

Mit dem Beitritt hat sich an der Dienstbarkeit nichts geändert, § 3 Abs. 1 Satz 1 des Art. 233 EGBGB.

Der Weg selbst verläuft längs des auf dem Flurstück 195 errichteten Gebäudes. Der Augenschein hat ergeben, dass der Auszug aus der Flurkarte, welche das Landgericht zur Bestimmung des Wegerechts verwendet hat, nicht der tatsächlichen Bebauung entspricht. Das war den wirklichen Verhältnissen anzupassen. Der Weg wird, von der Straße aus gesehen, nach rechts begrenzt durch das Gebäude, nach links durch eine gedachte Linie im Abstand von 3 m zum Gebäude, so wie auf der diesem Urteil eingehefteten Katasterkarte als punktierte Linie eingezeichnet.

Die Berufung der Beklagten war erfolglos, deswegen hat die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

Das Urteil kann mit Rechtsmitteln nicht angegriffen werden, deswegen unterbleiben Anordnungen zum Vollstreckungsschutz, § 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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