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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 26.06.2003
Aktenzeichen: 19 U 2278/02
Rechtsgebiete: VOB/B, GesO, BGB, KO


Vorschriften:

VOB/B § 6 Nr. 5
VOB/B § 8
VOB/B § 8 Nr. 2
VOB/B § 8 Nr. 2 Abs. 1
VOB/B § 8 Nr. 2 Abs. 2
VOB/B § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1
VOB/B § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2
GesO § 2 Abs. 4
BGB § 394
BGB § 635
KO § 54
Zur Frage der Aufrechnung oder Saldierung der Ansprüche des Werkunternehmers nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (Vergütung) und des Bestellers nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 VOB/B (Schadenersatz) im Gesamtvollstreckungsverfahren.
Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 19 U 2278/02

Verkündet am 26.06.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2003 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Z Richter am Oberlandesgericht H und Richterin am Amtsgericht M

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 25.09.2002, Az. 10-O-1843/02, dahingehend abgeändert, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10 % über dem zu vollstreckenden Betrag abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Hinsichtlich der Frage, ob ein Vergütungsanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 VOB/B mit einem Schadensersatzanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 VOB/B verrechnet werden kann, wird die Revision zugelassen.

Streitwert: 34.019,69 Euro

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten als Gesamtvollstreckungsverwalter über das Vermögen der restlichen Werklohn für die Fassadensanierung eines Leipziger Studentenwohnheimes in der , wohingegen der Beklagte Schadensersatzansprüche wegen der insolvenzbedingten vorzeitigen Beendigung des Werkvertrages geltend macht. Die Höhe der Werklohnforderung ist zwischen den Parteien unstreitig. Bezüglich des Schadensersatzes bestreitet der Kläger insbesondere Ortsüblichkeit und Angemessenheit der Mehrkosten.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage - vom einem Teilbetrag i.H.v. 2.800,85 DM abgesehen - stattgegeben. Die Vergütungsforderung des Unternehmers und die Schadensersatzforderung des Bestellers stünden sich im Fall des § 8 Nr. 2 VOB/B als zwei rechtlich selbständige Forderungen gegenüber. Daher könne keine Verrechnung innerhalb einer einheitlichen Forderung, sondern allenfalls eine Aufrechnung erfolgen. Die Aufrechnungslage sei hier mit der Kündigung des Beklagten nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstanden, da es auf eine Fälligkeit der Gegenforderung des Auftraggebers durch Rechnungslegung (§ 8 Nr. 3 IV VOB/B analog) insolvenzrechtlich nicht ankomme. Daher sei die Aufrechnung nach §§ 2 Abs. 4 GesO, 394 BGB ausgeschlossen. Da § 54 KO im Geltungsbereich der GesO nicht analog anzuwenden sei, könne nicht von einer Entstehung des Schadensersatzanspruches bereits vor Stellung des Eröffnungsantrages aufschiebend bedingt ausgegangen werden. Aber auch in diesem Falle würde die aufschiebend bedingte Forderung erst mit der Gesamtvollstreckungseröffnung fällig. Zu diesem Zeitpunkt greife aber bereits das von der Rechtsprechung entwickelte Aufrechnungsverbot nach §§ 2 Abs. 4 GesO, 394 BGB.

Mit seiner Berufung erstrebt der Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung. Er trägt vor, eine Verrechnung von Vergütungs- und Schadensersatzanspruch sei nach aktueller Literatur und Rechtsprechung möglich.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 25.09.2002 - 10-O-1843/02 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der BGH habe entschieden, dass eine Aufrechnung mit vor Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens begründeten Ansprüchen gegen Schuldnerforderungen aufgrund nachher erbrachter Werkleistungen unzulässig sei. Vorliegend seien die vom Beklagten aufgerechneten Forderungen unstreitig erst nach Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstanden, auch wenn sie in ihrem Rechtsgrund möglicherweise bereits vorher angelegt waren. Zudem sei der Schadensersatzanspruch und der Werklohnanspruch jeweils ein nicht identisches Rechtsverhältnis, die Bestimmungen der VOB würden lediglich buchhalterische Verrechnungsregelungen beinhalten, die materiell-rechtlich jedoch als Aufrechnung i.S.v. § 394 BGB zu qualifizieren seien. Im Übrigen bestreitet er nach wie vor den Schadensersatzanspruch bzgl. der Höhe.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Beklagte kann den Schadensersatzanspruch aus § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B im Wege der Verrechnung geltend machen.

1. In der Rechtsprechung und Literatur werden zu der Frage, ob es sich bei dem Vergütungsanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 VOB/B und dem Schadensersatzanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 VOB/B um im Wege der Saldierung zu behandelnde Verrechnungsposten oder um der Aufrechnung zugängliche selbständige Forderungen handelt, verschiedene Ansichten vertreten:

a) Der BGH hat sich in zwei älteren Entscheidungen dafür ausgesprochen, dass es sich um zwei rechtlich selbständige Forderungen handelt, die aufgerechnet werden können (BGHZ 36, 316; BGH NJW 1977, 1345). Durch die Kündigung werde der Vertrag in einen erfüllten und einen nicht erfüllten Teil "aufgespalten". Auf diese Entscheidungen beziehen sich auch Teile der Kommentarliteratur (Heiermann/Riedel/Rusam, VOB, 9. Aufl., § 8 Rdn. 19; Franke/Kemper/Zander/Grünhagen, VOB, § 8 Rdn. 49; Nicklisch/Weik, VOB Teil B, 3. Aufl., § 8 Rdn. 18). Von einer Aufrechnungslage geht ohne weiteres Eingehen auf die vorliegende Problematik auch der 11. Senat des BGH (BGHZ 136, 254 ff.) innerhalb einer Leitsatzentscheidung zum Scheckrecht aus.

b) Auf eine Verrechnung, die nicht alle Erfordernisse der Aufrechnung voraussetzt, weisen dagegen Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl., Rdn. 2576 ff., Ingenstau/Korbion, VOB 14. Aufl. Teil B § 8 Rdn. 79 ff., Kuß, VOB A und B, 3. Aufl., § 8 VOB/B Rdn. 72 sowie die neuere Rechtsprechung (OLG Dresden, 2. Zivilsenat, NZI 2000, 269; OLG Naumburg, BauR 2001, 1615) hin. Die Naumburger Entscheidung, die der BGH durch einen Nichtannahmebeschluss bestätigt hat, betrifft zwar nicht direkt § 8 VOB Teil B, sondern Schadensersatzansprüche aus § 635 BGB, die Situation ist aber weitgehend vergleichbar. Diese Auffassung wird damit begründet, dass durch die Kündigung an die Stelle des Vertrages ein Abrechnungsverhältnis trete, wobei die erbrachten Teilleistungen nur Rechnungsposten bei der Ermittlung des dem Auftraggeber entstandenen Schadens seien. Übersteige der Wert der Teilleistungen den Schaden nicht, könne der Verwalter nichts zur Masse verlangen (Ingenstau/Korbion, a.a.O., § 8 Rdn. 80).

c) Der Senat folgt der zuletzt genannten Ansicht. Angesichts des Wortlautes der VOB liegt es nahe, das Schadensersatzverlangen des Auftraggebers als Teil der Abrechnung nach § 6 Nr. 5 VOB/B zu betrachten. Da im Falle einer Kündigung nach § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B nahezu immer sowohl Vergütungs- als auch Schadensersatzansprüche anfallen, erscheint das Modell einer einheitlichen Gesamtabrechnung stimmiger als die künstlich wirkende Aufspaltung des Schuldverhältnisses. Zudem erscheint es unbillig, den Auftraggeber zur Zahlung der Vergütung zu verpflichten und ihm die Geltendmachung seiner Schadensersatzforderung abzuschneiden. Wie der o.g. Nichtannahmebeschluss des BGH zeigt, tendiert der 7. Senat des BGH wohl auch zu einer Ausweitung der Differenztheorie. Die vom Kläger zitierte Entscheidung des BGH vom 04.10.2001 (ZIP 2001, 2055) steht dem nicht entgegen, da diese Entscheidung nicht Schadensersatzansprüche des dortigen Beklagten aus demselben Werkvertragsverhältnis, sondern alte Steuerforderungen betraf, die in keinem Zusammenhang mit dem Werkvertrag gestanden haben.

2. Soweit der Kläger die Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruches bestreitet, ist sein Vortrag unsubstantiiert. Die Mehrkosten, die durch die unvollständige Erfüllung angefallen sind, hat der Beklagte insbesondere im Schriftsatz vom 13.06.2002 detailliert aufgeführt und belegt. Es ist daher nicht ausreichend, vorzutragen, sämtliche geltend gemachten Schadensersatzpositionen seien dem Grunde und der Höhe nach nicht nachvollziehbar und die Rechnung sei nicht prüffähig.

Soweit der Kläger behauptet, die Einheitspreise der Firma K seien nicht ortsüblich und angemessen, ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Einheitspreise in der Anlage B 14, dass die Abweichungen zu den Einheitspreisen der Firma K äußerst gering sind. Auch die Differenz der Gesamtsummen bewegt sich angesichts des Auftragsvolumens und der Tatsache, dass die Fertigstellung eines fremden Werkes grundsätzlich kostenintensiver ist als die Arbeit am eigenen Werk, im Rahmen des Üblichen. Der Senat sieht daher keinen Anlass, zur Ortsüblichkeit und Angemessenheit der Einheitspreise der Firma K ein Sachverständigengutachten einzuholen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gem. § 3 ZPO.

Die Revision wurde im angegebenen Umfange zugelassen, da die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordert, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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