Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: 2 U 290/05 (1)
Rechtsgebiete: AktG, HGB


Vorschriften:

AktG § 253
AktG § 256 Abs. 5 Nr. 1
AktG § 302
HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4
Zur Nichtigkeit von Jahresabschluss und Gewinnverwendungsbe- schluss einer Aktiengesellschaft wegen Überbewertung von Bilanzposten, wenn im Jahresabschluss

a) eine aus einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit einer Tochtergesellschaft resultierende Verlustausgleichsverpflichtung nur in Höhe des im Jahresabschluss der Tochtergesellschaft festgestellten Jahresfehlbetrages passiviert worden ist, obwohl der Jahresfehlbetrag wegen einer Aktivierung von nicht existierenden Forderungen aus fingierten Rechnungen objektiv zu niedrig ausgewiesen ist;

b) eine Forderung aus dem Verkauf der Anteile der Tochtergesellschaft aktiviert worden ist, obwohl dem Anteilskäufer ein Rücktrittsrecht zustand, mit dessen Ausübung spätestens zum Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses zu rechnen war.


Oberlandesgericht Dresden

Beschluss

des 2. Zivilsenats

vom 16.02.2006

Aktenzeichen: 2 U 0290/05

In dem Rechtsstreit

wegen aktienrechtlicher Nichtigkeitsklage

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hagenloch, Richter am Oberlandesgericht Dr. Märtens und Richterin am Oberlandesgericht Bokern

beschlossen:

Tenor:

1. Die von ihren Streithelfern zu 1), zu 2) und zu 4) gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Zwickau vom 25.08.2004 - 1 HKO 116/03 - geführte Berufung der Beklagten zu 1) wird

zurückgewiesen.

2. Die Beklagte zu 1) trägt im erstinstanzlichen Verfahren ihre außergerichtlichen Kosten sowie jeweils die Hälfte der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Den Streithelfern zu 1), zu 2) und zu 4) werden jeweils gesamtschuldnerisch die Hälfte der im Berufungsverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie 7/8 der im Berufungsrechtszug entstandenen Gerichtskosten auferlegt. Die Streithelfer zu 1), zu 2) und zu 4) haben des Weiteren ihre im Berufungsverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten zu tragen. Sämtlichen Streithelfern fallen die Kosten ihrer jeweiligen erstinstanzlichen Nebenintervention zur Last. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden dem Kläger auferlegt.

- Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 703.526,97 -

Gründe:

A.

Der Kläger, Verwalter in dem vom Amtsgericht C. am 01.09.2002 über das Vermögen der Beklagten zu 1) eröffneten Insolvenzverfahren, begehrt, den Jahresabschluss der Beklagten zu 1) zum 31.12.1999 und den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung der Beklagten zu 1) vom 15.06.2000 als nichtig festzustellen. Dieses Begehren stützt der Kläger auf eine aus seiner Sicht im Jahresabschluss der Beklagten zu 1) zu gering festgestellte Verlustausgleichsverpflichtung gegenüber der Tochtergesellschaft SF GmbH und auf die nach seiner Meinung bilanzrechtswidrige Aktivierung einer Kaufpreisforderung von DM 48 Mio. aus der Veräußerung der von der Beklagten zu 1) an der S. M. GmbH gehaltenen Geschäftsanteile.

I.

Im Einzelnen:

1. Die Beklagte zu 1) hatte mit der SF GmbH am 16.12.1999 mit wirtschaftlicher Wirkung zum 01.01.1999 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen, aufgrund dessen sie den Jahresfehlbetrag der SF GmbH auszugleichen hatte. Diese Verlustausgleichsverpflichtung der Beklagten zu 1) wurde in der Gewinn- und Verlustrechnung des festgestellten Jahresabschlusses zum 31.12.1999 - korrespondierend mit dem im festgestellten Jahresabschluss 1999 der SF GmbH ausgewiesenen Fehlbetrag - mit DM 10.838.735,22 als "Aufwendungen aus Verlustübernahme" verbucht. In der Bilanz zum 31.12.1999 sind bestehende Verlustausgleichsverpflichtungen gegenüber der SF GmbH nicht passiviert. Im Rahmen des Jahresabschlusses 1999 der SF GmbH waren gemäß den von der Beklagten zu 1) und der SF GmbH gelegten Rechnungen Ansprüche gegen Unternehmen aus dem Konzernverbund der V. AG über insgesamt DM 12.798.118,00 berücksichtigt, die nach Darlegung des Klägers nicht bestanden. Ohne eine Aktivierung dieser behaupteten Forderungen hätte sich der Jahresfehlbetrag der SF GmbH auf DM 23.636.853,22 belaufen, so dass nach Meinung des Klägers der Differenzbetrag zu den bereits ausgeglichenen DM 10.838.735,22, mithin DM 12.798.118,00, als Verlustausgleichsverpflichtung in den Jahresabschluss 1999 der Beklagten zu 1) hätte eingehen müssen.

2. Des Weiteren ist aus der Sicht des Klägers im Jahresabschluss 1999 der Beklagten zu 1) eine Kaufpreisforderung aus einem am 23.12.1999 mit der J. AG geschlossenen Vertrag über die Veräußerung der von der Beklagten zu 1) an der SM GmbH gehaltenen Geschäftsanteile zu Unrecht aktiviert. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der J. AG in der Vertragsurkunde vom 23.12.1999 ein Rücktrittsrecht gewährt worden sei, mit dessen Ausübung habe gerechnet werden müssen. Sei aber der Bestand der Kaufpreisforderung nicht gesichert gewesen, hätte diese im Jahresabschluss nicht aktiviert werden dürfen.

II.

Der vom Aufsichtsrat festgestellte Jahresabschluss der Beklagten zu 1) zum 31.12.1999 wies - ohne Passivierung einer Verlustausgleichsverpflichtung gegenüber der SF GmbH und unter Aktivierung einer Kaufpreisforderung von DM 48.000.000,00 aus der Veräußerung der Geschäftsanteile an der SM GmbH - einen Bilanzgewinn von DM 5.797.397,00 aus. Auf der Grundlage dieses Jahresabschlusses fasste die ordentliche Hauptversammlung der Beklagten zu 1) am 15.06.2000 u.a. den Beschluss, den Bilanzgewinn - bei insgesamt 9.040.000 dividendenberechtigten Aktien - für eine Dividende von DM 0,35 je Stück Aktie, insgesamt also für Dividendenzahlungen über DM 3.164.000,00 zu verwenden und den verbleibenden Betrag von DM 2.633.733,00 als Gewinn vorzutragen. Dieser Beschlussfassung entsprechende Dividenden schüttete die Beklagte zu 1) nachfolgend ihren Aktionären aus.

III.

Der Kläger hat im August 2003 beim Landgericht Z. gegen die Beklagte zu 1) und gegen den zum Sonder-Insolvenzverwalter mit Wirkungskreis für den vorliegenden Rechtsstreit bestellten Beklagten zu 2) Klage mit dem Antrag erhoben, den Jahresabschluss der Beklagten zu 1) zum 31.12.1999 und den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung der Beklagten zu 1) vom 15.06.2000 als nichtig festzustellen. Mit Urteil vom 25.08.2004, zugestellt am 20.01.2005, hat das Landgericht Z. gemäß den Anträgen des Klägers erkannt. Nach Verkündung dieses Urteils wurde der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten zu 1) vom Landgericht Z. durch Beschluss vom 30.12.2004, zeitgleich zugestellt mit dem mit Gründen versehenen Urteil vom 25.08.2004, mit dem Hinweis darauf ausgesetzt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten zu 1) ihr Mandat niedergelegt hätten und diese deshalb nicht mehr von den gemäß § 246 Abs. 2 AktG zuständigen Organen vertreten sei.

Gegen das Urteil vom 25.08.2004 haben die bereits erstinstanzlich den Beklagten beigetretenen Streithelfer zu 1) und 2) als Aktionäre der Beklagten zu 1) sowie die Streithelferin zu 4) als Abschlussprüferin und der Beklagte zu 2) Berufung eingelegt.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat für die Beklagte zu 1) mit Beschluss vom 10.08.2005 (AG 2005, 812 ff.) einen Prozesspfleger bestellt. Nachfolgend hat der Kläger den Rechtsstreit aufgenommen. Die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage ist inzwischen - nach rechtlichem Hinweis des Senats - zurückgenommen.

B.

Die von den Streithelfern zu 1), zu 2) und zu 4) geführte Berufung der Beklagten zu 1) ist durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg bietet und eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung nicht aus den in § 522 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 ZPO genannten Gründen erforderlich ist.

I.

Der Rechtsstreit ist zu einer Sachentscheidung reif, da die von der Berufung - allerdings zu Recht - gerügten erstinstanzlichen Verfahrensfehler kein Vorgehen gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO gebieten... (wird ausgeführt).

II.

Die sachlichen Einwendungen der für die Beklagte zu 1) geführten Berufung sind unbegründet, da deren Jahresabschluss zum 31.12.1999 und der hierauf basierende Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung vom 15.06.2000 wegen einer Überbewertung von Bilanzposten im Jahresabschluss gemäß § 256 Abs. 5 Nr. 1, § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG nichtig sind und der Kläger - wie kein Verfahrensbeteiligter in Abrede stellt - wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Insolvenzmasse klagebefugt ist (vgl. MünchKommAktG/Hüffer, 2. Aufl., § 245 Rn. 66).

1. Der Kläger hat die Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Beklagten zu 1) zum 31.12.1999 und des Gewinnverwendungsbeschlusses vom 15.06.2000 vor Ablauf der dreijährigen Heilungsfrist nach § 256 Abs. 6, § 253 Abs. 1 Satz 2 AktG, welche vorliegend mit Veröffentlichung des Jahresabschlusses im Bundesanzeiger am 18.08.2000 zu laufen begonnen hat, prozessordnungsgemäß geltend gemacht... (wird ausgeführt).

2. Eine zur Nichtigkeit führende Überbewertung im Sinne von § 256 Abs. 5 Nr. 1 AktG ist darin zu sehen, dass in der Bilanz zum Jahresabschluss der Beklagten zu 1) zum 31.12.1999 die nach dem Ausgleich von nur DM 10.838.735,22 noch bestehende Verlustausgleichsverpflichtung gegenüber der SF GmbH über weitere DM 12.798.118,00 nicht passiviert worden ist.

Eine solche Verlustausgleichsverpflichtung besteht in Höhe des Nettobetrages der an Unternehmen des Konzernverbundes der V. AG gestellten (Schein-)Rechnungen, die in der Bilanz zum Jahresabschluss der SF GmbH zum 31.12.1999 rechtswidrig aktiviert wurden. Ohne diese fehlerhafte Bilanzierung beträgt der von der Beklagten zu 1) auf Grund von § 3 des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages vom 16.12.1999 i.V.m. § 302 Abs. 1 AktG, Art. 47 Nr. 16 EGInsO auszugleichende Jahresfehlbetrag der SF GmbH nicht DM 10.838.735,22, sondern DM 23.636.853,22.

Im Einzelnen:

a) Eine Überbewertung im Sinne des § 256 Abs. 5 Nr. 1 AktG ist nicht nur gegeben, wenn ein in Ansatz gebrachter Bilanzposten zu hoch angesetzt ist, sondern auch wenn - wie vorliegend - bestehende Passivposten in der Bilanz rechtswidrig nicht gebildet worden sind (vgl. BGHZ 83, 341 [347 f.] (zur GmbH); MünchKommAktG/Hüffer, 2. Aufl., § 256 Rn. 59).

b) Die Feststellungen des Landgerichts, den im Dezember 1998 von den Zeugen S. und K. namens der Beklagten zu 1) erstellten und später zu Gunsten der SF GmbH umgebuchten Rechnungen über insgesamt DM 8.298.118,00 sowie der im Juni 1999 von der SF GmbH erstellten Rechnung über DM 4.500.000,00 hätten keine aktivierungsfähigen Forderungen zu Grunde gelegen, halten berufungsrechtlicher Prüfung Stand... (wird ausgeführt).

c) Die Verlustübernahmeverpflichtung der Beklagten zu 1) wird weder davon berührt, dass zum Bilanzstichtag der Jahresabschluss der SF GmbH noch nicht festgestellt war noch dass er - wovon mangels gegenteiligen Vortrages der Verfahrensbeteiligten auszugehen ist - nachfolgend unter Berücksichtigung der Ausgleichsleistung der Klägerin von DM 10.838.735,22 mit einem ausgeglichenen Jahresergebnis festgestellt wurde.

aa) Der Anspruch auf Verlustübernahme wurde zum Bilanzstichtag fällig (vgl. BGHZ 142, 382 [395]), sodass nicht nur eine (ohnehin auch nicht erfolgte) Rückstellung für eine künftige Verbindlichkeit zu bilden, sondern diese als gegenwärtige zum 31.12.1999 zu passivieren war.

bb) Auf Grund und Höhe der Verpflichtung zur Verlustübernahme wirkt auch nicht ein, dass in dem bestandskräftigen Jahresabschluss der SF GmbH der Jahresfehlbetrag unter Aktivierung der nicht durch Forderungen unterlegten Rechnungen über insgesamt DM 12.798.118,00 festgestellt wurde. Vielmehr gebietet der Regelungszweck von § 3 des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und von § 302 AktG, die Höhe der Ausgleichsforderung im Interesse der Gesellschaftsgläubiger und der außenstehenden Aktionäre an der materiellen Rechtslage zu orientieren und jenen Jahresfehlbetrag zu Grunde zu legen, der sich bei objektiv zutreffender Bilanzierung ergäbe (vgl. BGHZ 142, 382 [386]).

d) Des Weiteren bleibt ohne Belang, ob die Streithelferin zu 4) die Rechnungsmanipulationen und die Fälschung des Schreibens der V. AG vom 01.03.2000 im Rahmen der Abschlussprüfung hätte erkennen können.

3. Eine von den Scheinrechnungen unabhängige und betragsmäßig noch gravierendere Überbewertung liegt in der im Jahresabschluss 1999 erfolgten Aktivierung der Kaufpreisforderung von DM 48 Mio. aus dem mit der J. AG am 23.12.1999 geschlossenen Vertrag über die Veräußerung der von der Beklagten zu 1) an der SM GmbH gehaltenen Geschäftsanteile sowie in der korrespondierenden Ausweisung eines außerordentlichen Ertrages von DM 43 Mio. in der Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 1999.

a) Der J. AG war in § 9 der Vertragsurkunde vom 23.12.1999 ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt worden, dass der zuvor geschlossene Anteilskaufvertrag vom 25.11.1999, mit welchem die Beklagte zu 1) von der R. GmbH die Mehrheit der Aktien an der J. AG erworben hatte, keine Rechtswirksamkeit erlangen sollte. Letztere war nach § 18 der Vertragsurkunde vom 25.11.1999 davon abhängig, dass sowohl die Aufsichtsräte der R. GmbH als auch jene der Beklagten zu 1) dem Vertrag zustimmen.

b) Hiervon ausgehend hätte die Kaufpreisforderung von DM 48 Mio. nicht aktiviert werden dürfen.

aa) Eine Zustimmung des Aufsichtsrats der Beklagten zu 1) zum Kauf der Anteile an der J. AG ist nie erfolgt. Auch konnte eine Genehmigung weder zum Bilanzstichtag 31.12.1999 noch zum Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses durch den Vorstand, also am 23.02.2000, oder bei der Testierung des Jahresabschlusses durch die Streithelferin zu 4) als wahrscheinlich angesehen werden. Bei der am 29.03.2000 erfolgten Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat der Beklagten zu 1) stand das Scheitern des "J.-Deals" sogar fest, weil der Aufsichtsrat zuvor die Zustimmung zum Kauf der Aktien der J. AG verweigert hatte.

bb) Auf Grund des auch für die Aktivierung von Forderungen in der Handelsbilanz gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB geltenden allgemeinen Vorsichtsprinzips dürfen Rechte, deren endgültiger Bestand noch nicht gesichert ist, noch nicht Gewinn realisierend aktiviert werden (vgl. Hayn/Jutz/Zündorf in Beck'sches Handbuch der Rechnungslegung, EL Januar 2004, B 215 Rn. 16; Bolsenkötter, Handbuch des Jahresabschlusses, Abt. II/6, 1993, Rn. 143; Ellrott/St. Ring in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 5. Aufl., § 247 Rn. 90 m.w.N.).

(1) Nach diesen Maßstäben hätte der Kaufpreisanspruch aus dem Anteilskaufvertrag mit der J. AG zum 31.12.1999 nicht aktiviert werden dürfen, weil das vertraglich vereinbarte Rücktrittsrecht sowohl zum Bilanzstichtag als auch während der Bilanzaufstellung und zum Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat noch bestand. Deshalb sei auch nur ergänzend angemerkt, dass selbst dann, wenn dem Grunde nach eine Aktivierungsfähigkeit der Kaufpreisforderungen unterstellt wird, zumindest in Höhe des Differenzbetrages zu dem mit rund DM 5 Mio. angesetzten Bilanzwert der veräußerten Geschäftsanteile eine Rückstellung hätte gebildet werden müssen (vgl. Ellrott/St. Ring in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 5. Auflage, § 247 Rn. 90; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 2. Aufl., Rn. D 595 f.).

(2) Der von der Streithelferin zu 4) hierzu eigenommene gegenläufige Standpunkt betrifft Aspekte der Steuerbilanz, nicht aber der vorliegend allein maßgeblichen Handelsbilanz. Dessen ungeachtet gingen die Einwände der Streithelferin zu 4) im Ergebnis selbst dann fehl, wenn zu deren Gunsten steuerliche Bewertungsprinzipien der Bilanzierung zu Grunde gelegt würden.

(2.1) Im Ausgangspunkt mag der Streithelferin zu 4) zwar darin beizutreten sein, dass nach nicht unverbreiteter steuerbilanzieller Sicht eine auflösend bedingte Forderung aktiviert werden kann, sofern die Bedingung zum Bilanzstichtag noch nicht eingetreten ist (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 23. Aufl., § 5 Rn. 270 "Auflösend bedingte Forderungen"). Als Konsequenz einer solchen Aktivierung ist dann aber eine - die Forderung im Endergebnis ganz oder weitgehend "neutralisierende" - Rückstellung jedenfalls dann zu bilden, wenn der Bedingungseintritt am Bilanzstichtag wahrscheinlich ist (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 23. Aufl., § 5 Rn. 616; vgl. auch BFH DStR 2000, 1176 [1277] = BFHE 191, 339 zur Gewinnrealisierung bei späterer Wandelung eines Kaufvertrages).

(2.2) Danach hätte vorliegend selbst nach steuerrechtlichen Prinzipien eine Rückstellung in Höhe des Veräußerungsgewinns passiviert werden müssen, da eine Ausübung des Rücktrittsrechts durch die J. AG im gesamten Zeitraum zwischen Abschluss des Anteilskaufvertrages am 23.12.1999 und der zur tatsächlichen Ausübung des Rücktrittsrechts am 12.04.2000 wahrscheinlich war.

(2.2.1) Wie auch die Beklagte zu 1) nicht in Abrede gestellt hat, war bei einem endgültigen Scheitern der Übernahme der Mehrheitsanteile an der J. AG damit zu rechnen, dass Letztere das in der Vertragsurkunde vom 23.12.1999 vereinbarte Rücktrittsrecht ausüben werde.

(2.2.2) Auch sprach von vornherein viel dafür, dass der unter Zustimmungsvorbehalt durch die Aufsichtsräte beider Vertragsparteien geschlossene Kaufvertrag vom 25.11.1999 nicht wirksam werden konnte, weil der Aufsichtsrat der Beklagten zu 1) dem Unternehmenserwerb von Anfang sehr skeptisch gegenüberstand. ... (wird ausgeführt).

(2.3) Entgegen der Auffassung der Streithelferin zu 4) hat sich an der Unwahrscheinlichkeit einer Realisierung des schwebend unwirksamen Kaufvertrages vom 25.11.1999 durch nachfolgende Vertragsschlüsse nichts geändert. ... (wird ausgeführt).

(2.4) Soweit die Streithelfer zu 1), zu 2) und zu 4) unter Beweisantritt darauf verweisen, dass die Aufsichtsratsmitglieder bei Feststellung des Jahresabschlusses ein Scheitern des Vertrages für nicht wahrscheinlich erachtet hätten, ist dies ohne Belang. Maßgeblich für die bilanzrechtliche Behandlung sind nämlich nicht die subjektiven Vorstellungen der Aufsichtsratsmitglieder, sondern die objektiven Gegebenheiten. Aus diesem Grunde ist auch unerheblich, was letztlich zum Rücktritt vom Kaufvertrag vom 23.12.1999 führte.

(3) Angesichts dieser Entwicklungen war spätestens bei der am 29.03.2000 erfolgten Feststellung des Jahresabschlusses 1999 durch den Aufsichtsrat der Beklagten zu 1) ein Rücktritt der J. AG vom Kaufvertrag über die Anteile an der SM GmbH vom 23.12.1999 nahezu sicher, sodass selbst unter Zugrundelegung des von der Streithelferin zu 4) für geboten erachteten Maßstabes der Jahresabschluss nicht mehr in der vorliegenden Form hätte festgestellt werden dürfen.

(3.1) Wesentliche Risiken und Wertminderungen müssen bei Wert aufhellenden Tatsachen über den Wortlaut des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB hinaus auch nach Aufstellung der Bilanz noch berücksichtigt werden (vgl. Hense/Geißler in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 5. Auflage, § 252 Rn. 39 m.w.N.). Hat sich ein zum Bilanzierungszeitpunkt bereits angelegtes wesentliches Wertrisiko realisiert, muss dieses deshalb die Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat (vgl. § 172 AktG) selbst dann noch beeinflussen, wenn die Veränderung erst nach Aufstellung und Testierung der Bilanz eingetreten ist.

(3.2) Zum Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses 1999 durch den Aufsichtsrat der Beklagten zu 1) war mit einem Rücktritt der J. AG von dem am 23.12.1999 geschlossenen Kaufvertrag sicher zu rechnen.

Der Aufsichtsrat der Beklagten zu 1) hatte ausweislich der Sitzungsniederschrift vor Feststellung des Jahresabschlusses 1999 beschlossen, dem Kaufvertrag über den Aktienerwerb vom 25.11.1999 nicht zuzustimmen, sodass der zunächst schwebend unwirksame Vertrag damit endgültig gescheitert war. Dem Aufsichtsrat war dabei bewusst, dass hiermit der Vorstand der J. AG vom Vertrag über den Kauf der Geschäftsanteile der SM. GmbH zurücktreten kann.

(3.3) Die Hoffnungen auf eine Veräußerung der Geschäftsanteile für den im Jahresabschluss aktivierten Betrag von DM 48 Mio. hätte damit allenfalls noch darauf gründen können, dass die vom Vorstand in der Aufsichtsratssitzung ins Gespräch gebrachte private Investorengruppe um die M. GmbH & Co. KG bzw. die R. GmbH zum Kauf der Anteile bereit sein werde. Eine derartige Erwartung war aber in tatsächlicher Hinsicht durch keinerlei Fakten untermauert, geschweige denn rechtlich auch nur ansatzweise durch ein Angebot oder einen letter of intend abgesichert.

In dieser Situation hätte der die ungeschmälerte Forderung von DM 48 Mio. ausweisende Jahresabschluss vom Aufsichtsrat der Beklagten zu 1) selbst dann nicht festgestellt werden dürfen, wenn - entgegen der Sicht des Senats - auch handelsbilanziell eine Aktivierung auflösend bedingter Forderungen in Betracht käme. Solches gilt umso mehr, als in der Niederschrift der Aufsichtsratssitzung vom 29.03.2000 der Ertrag aus dem Verkauf der SM GmbH als "Stütze des Jahresergebnisses des Konzerns 1999" bezeichnet worden ist, den Aufsichtsratsmitgliedern mithin die grundlegende Bedeutung der hinfällig gewordenen Bilanzposition klar vor Augen gestanden hat.

Die aus der Sitzungsniederschrift hervorgehende Bitte des Aufsichtsrats, die Risiken aus dem Nichtzustandekommen des Verkaufs der SM GmbH im Lagebericht des Jahresabschlusses zu erwähnen, vermag an der offenkundig rechtswidrigen Feststellung des Jahresabschlusses nichts zu ändern, da es nicht die gesetzliche Funktion des Lageberichts ist, verfehlte Bilanzierungen verbal zu beschönigen oder zu relativieren (vgl. § 289 HGB).

c) Entgegen der Sicht der Streithelferin zu 4) können die erstmals im Schriftsatz vom 12.04.2004 mitgeteilten Nichtigkeitsgründe im vorliegenden Rechtsstreit berücksichtigt werden.

Anders als bei nachgeschobenen Anfechtungsgründen, die nach nicht unverbreiteter Meinung im Rahmen einer Anfechtungsklage unbeachtlich sein sollen (vgl. BGHZ 120, 141 [157]; BGHZ 15, 177 [180]; Münchner Kommentar AktG/Hüffer, 2. Aufl., § 256 Rn. 42 f.), sind weitere, erst später bekannt geworden Nichtigkeitsgründe relevant, soweit sie innerhalb der noch rechtshängigen Nichtigkeitsklage gemäß § 256 AktG geltend gemacht werden (vgl. MünchKomm AktG/Hüffer, 2. Aufl., § 256 Rn. 67; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 256 Rn. 30). Dies folgt daraus, dass § 256 Abs. 6 Satz 2 AktG der Grundvorschrift des § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG nachgebildet ist (vgl. MünchKomm AktG/Hüffer, § 256 Rn. 67) und sich bei dieser die Heilungsfrist verlängert, wenn bei ihrem Ablauf eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit rechtshängig ist (vgl. MünchKomm AktG/Hüffer, § 242 Rn. 8). Bis zur endgültigen Erledigung der Nichtigkeitsklage verlängerte sich damit auch die Möglichkeit, weitere Nichtigkeitsgründe - unbeschadet der Frist des § 256 Abs. 6 AktG - geltend zu machen.

d) Schließlich bleibt ohne Belang, dass der festgestellte Jahresabschluss der SF GmbH zum 31.12.1999 nicht angefochten wurde, da sich die zu passivierende Verlustübernahmeverpflichtung der Beklagten zu 1) - wie dargelegt (oben II.2.d)bb)) nach der materiellen Rechtslage und nicht nach der Bilanzierung bei der SF GmbH richtet.

III.

...

Ende der Entscheidung

Zurück