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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 19.07.1999
Aktenzeichen: 2 U 3676/98
Rechtsgebiete: VOB/B, GesO


Vorschriften:

VOB/B § 8 Nr. 6
GesO § 2 Abs. 4
Leitsatz:

1. Der vertragliche Rückforderungsanspruch aus Überzahlung eines Bauvorhabens wird bei vorzeitiger Beendigung des Werkvertrages mit Zugang der Kündigungserklärung fällig, ohne dass es einer prüffähigen Berechnung bedarf.

2. Ist über das Vermögen des Auftragnehmers das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet, kann mit dem Rückgewähranspruch aus Überzahlung gegen Vergütungsforderungen aus anderen Bavorhaben nur aufgerechnet werden, wenn die Kündigung vor Stellung des Gesamtvollstreckungsantrages zugegangen ist.


Oberlandesgericht Dresden

Urteil vom 19.07.1999

- 2 U 3676/98 -

(rechtskräftig)

Sachverhalt :

Die Klägerin begehrt als Verwalterin im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der M. GmbH (künftig: Gemeinschuldnerin) von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns.

In den Jahren 1993 und 1994 beauftragte die Beklagte die Gemeinschuldnerin mit der Errichtung von vier Bauvorhaben in R. zu Pauschalpreisen.

Gegen die zuletzt noch streitgegenständlichen Werklohnforderungen aus den Bauvorhaben A.-Straße, M.-Straße und W.-Straße in Höhe von insgesamt DM 264.434,63 verteidigt sich die Beklagte vorrangig durch Aufrechnung mit einem aus dem Bauvorhaben H.-Straße hergeleiteten Rückzahlungsanspruch in Höhe von DM 445.625,00.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klageforderung sei durch Aufrechnung der Beklagten erloschen. Diese könne aus Bereicherungsrecht die Rückzahlung des ihrer Ansicht nach überzahlten Betrages in Höhe von DM 445.625,00 verlangen, da sie lediglich Abschlagszahlungen geleistet und die Klägerin einen Vergütungsanspruch der Gemeinschuldnerin aus dem Bauvorhaben M.-Straße nicht schlüssig dargelegt habe.

Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

Der Gemeinschuldnerin stehen aus den Bauvorhaben A.-Straße, M.-Straße und W.-Straße restliche Vergütungsansprüche in Höhe von DM 186.373,56 zu.

Die Beklagte kann gegen die Klageforderung nicht mit Rückgewähransprüchen aus Überzahlung des Bauvorhabens H.-Straße aufrechnen (unten A.). Vergütung für die bei den Bauvorhaben A.-Straße, M.-Straße und W.-Straße erbrachten Bauleistungen ist der Klägerin in Höhe von DM 186.373,56 zuzusprechen, da nur insoweit die Werklohnansprüche der Gemeinschuldnerin den der Beklagten durch die Erfüllungsverweigerung der Klägerin entstandenen Schaden übersteigen(unten B.).

A.

Die - von der Beklagten für den Fall einer Aufrechnungslage nicht bestrittenen - streitgegenständlichen Vergütungsansprüche sind nicht durch die vorrangig erklärte Aufrechnung der Beklagten erloschen. Zwar steht dieser ein Rückgewähranspruch aus dem Bauvorhaben H.-Straße in Höhe von DM 445.625,00 zu (unten I.); doch hindert § 2 Abs. 4 GesO die Aufrechnung mit dieser Gegenforderung (unten II).

I.

Der Beklagten ist gegen die Gemeinschuldnerin ein vertraglicher Rückforderungsanspruch (vgl. BGH WM 1999, 811 [814]) von DM 445.625,00 erwachsen, da sie auf das Bauvorhaben H.-Straße vereinbarungsgemäß Abschlagszahlungen in Höhe von DM 1.474.875,00 geleistet und der Senat seiner Entscheidung einen Vergütungsanspruch der Gemeinschuldnerin von DM 1.029.250,00 zu Grunde zu legen hat.

1. ...

2. Die Beklagte hat ihre behauptete Überzahlung hinreichend substantiiert dargetan.

Ihre ... vorgelegte Abrechnung entspricht den Anforderungen, die an die Darlegung des Überschusses zu stellen sind, da sich aus ihr nachvollziehbar ergibt, in welcher Höhe die Beklagte Abschlagszahlungen vorgenommen hatte und dass diesen keine DM 1.029.250,00 übersteigende Werklohnforderung der Gemeinschuldnerin gegenüber steht (vgl. BGH WM 1999, 811 [814]).

a) Die Beklagte hat bei ihrer Berechnung des Vergütungsanspruches die ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zumutbar ausgeschöpft, indem sie die von der Gemeinschuldnerin ausgeführten Arbeiten zu dem von dem Generalunternehmervertrag vom 11.01.1994 erfassten Leistungsvolumen und zu dem vereinbarten Pauschalpreis in Relation gesetzt und bei den einzelnen Gewerken von ihr kalkulierte Beträge unter Berücksichtigung des Baubeschreibung angesetzt hat.

b) Den Überschuss aus den geleisteten Abschlagszahlungen konnte die Beklagte in der geschehenen Weise selbst ermitteln, weil die Klägerin nach erfolgter Kündigung das Bauvorhaben entgegen § 8 Nr. 6 VOB/B nicht unverzüglich prüfbar abgerechnet hatte. Von der Beklagten war weder zu verlangen, dass sie sich weiteres Wissen durch ein Auskunftsverlangen verschafft, noch dass sie ihrerseits entsprechend § 14 Nr. 4 VOB/B eine prüffähige Rechnung erstellt.

aa) Die von der Klägerin gelegte Schlussrechnung zeigt nicht nachvollziehbar auf, in welchem Verhältnis die von der Gemeinschuldnerin bis zur Kündigung des Werkvertrages erbrachten Arbeiten zu den insgesamt geschuldeten stehen und wie sich der für die Gesamtleistung vereinbarte Pauschalpreis zum verwirklichten Leistungsvolumen verhält. ...

bb) Hat aber die Klägerin die Vergütungsforderung der Gemeinschuldnerin nicht prüffähig abgerechnet, war die Beklagte berechtigt, den sich aus den geleisteten Abschlagszahlungen im Verhältnis zur erbrachten Leistung ergebenden Überschuss selbst zu ermitteln (vgl. BGH WM 1999, 811 [814]).

2. Die Klägerin hat es versäumt, nach Vorlage der Abrechnung der Beklagten einen höheren als den von der Beklagten angenommenen Vergütungsanspruch prüffähig darzulegen (§ 8 Nr. 6 VOB/B) (unten a). Ebensowenig kann sie Vergütung aus den Nachtragsvereinbarungen Nr. 1, 5 und 7 beanspruchen (unten b).

a) Sie hat weder nachvollziehbar dargetan, in welchem Umfang vertraglich geschuldete Bauarbeiten erbracht wurden, noch hat sie die dafür anteilig anzusetzende Vergütung nach dem Verhältnis des Wertes der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Pauschalvertrag geschuldeten Gesamtleistung ermittelt, d. h. eine Bewertung der erbrachten Leistungsteile unter Beibehaltung des Preisniveaus der vereinbarten Pauschale vorgenommen (vgl. BGH BauR 1999, 632 f.; BGH BauR 1998, 234; BGH NJW 1997, 733 [734]; BGH BauR 1997, 643 [644]).

b) Der Senat hat in Folge der Rechtskraftwirkung des landgerichtlichen Teilurteils vom 01.04.1998 weiter davon auszugehen, dass der von der Klägerin mit DM 16.700,00 bezifferte Vergütungsanspruch für die Ausführung der Nachträge Nr. 1, 5 und 7 nicht entstanden ist. ...

II.

Mit ihrer Rückzahlungsforderung in Höhe von DM 445.625,00 konnte die Beklagte gemäß § 2 Abs. 4 GesO nicht wirksam aufrechnen.

1. Der Anspruch der Beklagten auf Rückgewähr des Überschusses wurde gemäß § 271 Abs. 1 BGB mit dem - am 11.11.1994 bewirkten - Zugang der Kündigungserklärung fällig, da ab diesem Zeitpunkt der Generalunternehmervertrag nicht mehr erfüllt werden konnte und damit sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen für einen sich ergebenden Rückforderungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach feststanden. Unerheblich ist, ob die Gemeinschuldnerin Inhalt oder Umfang ihrer Verbindlichkeit zu diesem Zeitpunkt kennen konnte.

Anderes ergibt sich weder aus dem Generalunternehmervertrag noch aus den Bestimmungen der ergänzend vereinbarten VOB/B oder aus der Natur des Rückzahlungsanspruches.

a) Auf die Fälligkeit der Rückgewährforderung der Beklagten finden §§ 8 Nr. 6, 14 Nr. 4 VOB/B nicht spiegelbildlich Anwendung.

Diese in den Generalunternehmervertrag über das Bauvorhaben H.-Straße einbezogenen Regelungen sollen die Zusammensetzung und Ermittlung des Vergütungsanspruchs verdeutlichen (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB/B, 13.Aufl., § 14, Rn. 55) und dienen damit dem Schutz anerkennenswerter Belange des Schuldners. Dieser Vertragszweck bleibt aber einseitig zu Gunsten der Beklagten und erstreckt sich nicht korrespondierend auf die Rückforderungsverpflichtung der Gemeinschuldnerin, da niemand besser als diese zu wissen hat, wie sich ihre Werklohnforderung - und damit auch ein sich etwa ergebender Rückforderungsanspruch in Folge zu hoch erbrachter Abschlagszahlungen - errechnet.

b) Die Fälligkeit des vertraglichen Rückforderungsanspruchs wird auch nicht dadurch hinausgeschoben, dass die beweispflichtige Beklagte erst nach Ablauf der Prüfungsfrist des § 16 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B in den Genuss der unter A I.1 dargelegten Erleichterungen gelangte. Diese Wechselwirkungen zwischen der Versäumung der Schlussrechnungslegungsfrist der Gemeinschuldnerin und der Intensität der Darlegungslast der Beklagten gründen allein im Prozessrecht - nicht im materiellen Recht - und müssen schon von daher ohne Auswirkungen auf die Fälligkeit bleiben.

2. Ist aber der Rückzahlungsanspruch der Beklagten mit Zugang der Kündigung des Generalunternehmervertrages am 11.11.1994 fällig geworden, scheitert die von der Beklagten erklärte Aufrechnung an § 2 Abs. 4 GesO, da sich die restliche Vergütungsforderungen der Gemeinschuldnerin aus den Bauvorhaben A.-Straße, M.-Straße und W.-Straße einerseits sowie die aus dem Bauvorhaben H.-Straße abgeleitete Gegenforderung der Beklagten andererseits erstmals nach Erlass des Verfügungsverbotes des Amtsgerichts D. vom Vortage - und damit jedenfalls nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung - aufrechenbar gegenüberstanden (vgl. BGHZ 130, 76 [86]; BGH ZIP 1999, 289 [290]; BGH ZIP 1999, 665 [666]; BGH ZIP 1996, 926; BGH ZIP 1996, 845).

Ohne Belang bleibt hierbei, wann das Verfügungsverbot den Beteiligten des Gesamtvollstreckungseröffnungsverfahrens zugestellt oder der Beklagten bekannt wurde (vgl. BGH ZIP 1999, 665 [667]).

Ob § 2 Abs. 4 GesO auch bei wechselseitigen Ansprüchen aus einem rechtlich einheitlichen Geschäft die Aufrechnung ausschließt, bedarf keiner Entscheidung (vgl. unten B.I.3.a.E.). Jedenfalls scheitert hier die Aufrechnung daran, dass Rückforderungsansprüche der Beklagten aus Überzahlung des Bauvorhabens H.-Straße und die Werklohnansprüche der Gemeinschuldnerin aus den sonstigen Bauvorhaben - wie schon die getrennten Vertragsurkunden und die unterschiedlichen Standorte der Bauvorhaben belegen - aus unterschiedlichen Rechtsverhältnissen resultieren.

B.

Für die von der Gemeinschuldnerin bei den Bauvorhaben A.-Straße, W.-Straße und M.-Straße erbrachten Leistungen ist unter Berücksichtigung des - nachrangig zur Aufrechnungserklärung unterbreiteten - Sachvortrags der Beklagten lediglich ein restlicher Vergütungsanspruch in Höhe von DM 186.373,56 offen. Insoweit übersteigt die von der Gemeinschuldnerin für deren Leistung zu fordernde Vergütung von DM 264.434,61 den durch die Erfüllungsverweigerung der Klägerin entstandenen Schaden von DM 78.061,05 (vgl. BGH NJW 1977, 1345; BGHZ 68, 379 [382 f]). ...

I.

In Folge der von der Klägerin nach § 9 Abs. 1 GesO erklärten Erfüllungsverweigerung haben sich die Generalunternehmerverträge über die Bauvorhaben A.-Straße, M.-Straße und W.-Straße in Abrechnungsverhältnisse umgewandelt, innerhalb deren die gegenseitigen vermögenswerten Rechte unselbstständige Rechnungsposten bilden.

1. Die Klägerin war berechtigt, die Erfüllung der Generalunternehmerverträge gemäß § 9 Abs. 1 GesO zu verweigern, da diese bei Zugang ihres Schreibens vom 27.09.1995 wechselseitig noch nicht vollständig erfüllt waren.

Die Beklagte hatte restliche Vergütungsansprüche zu entrichten. Die der Gemeinschuldnerin obliegenden Leistungen waren insoweit noch nicht erbracht, als bei jedem der drei Bauvorhaben - als modifizierte Erfüllungsansprüche zu verstehende (vgl. BGHZ 26, 337 [340]; BGHZ 55, 354; BGHZ 61, 42 [45]) - Nachbesserungsverpflichtungen bestanden und diese trotz erfolgter Abnahme die Generalunternehmerverträge als i.S.v. § 9 Abs. 1 GesO nicht erfüllt erscheinen ließen (vgl. Huber, in: Gottwald, Nachtrag "Gesamtvollstreckungsordnung" zum Insolvenzrechtshandbuch, S. 50 Rn. 50; Huber, in: Gottwald Insolvenzrechtshandbuch, § 35 Rn. 29).

2. Das hierzu in der Rechtsprechung zu § 17 Abs. 1 KO Entwickelte (vgl. BGHZ 68, 379 [380]; BGHZ 89, 189 [195]; BGH NJW 1977, 1345) ist auf § 9 Abs. 1 GesO übertragbar, da beide Rechtsnormen denselben Regelungszweck verfolgen (vgl. BGHZ 137, 267 [286]; BGHZ 135, 25 [29]; Huber, in: Gottwald, Nachtrag "Gesamtvollstreckungsordnung" zum Insolvenzrechtshandbuch, Seite 51 Rn. 2, Seite 50 Rn. 1).

3. Sind aber die einzelnen "Forderungen" von Gemeinschuldnerin und Beklagter bloße Rechnungsposten eines rechtlich einheitlichen Anspruchs, werden die Schadenspositionen der Beklagten (im Folgenden vereinfachend "Schadensersatzforderungen" genannt) mit der nach den Generalunternehmerverträgen zu vergütenden Wertschöpfung der Gemeinschuldnerin (im Folgenden vereinfachend "Werklohnforderungen" genannt) unmittelbar verrechnet. Einer solchen Saldierung steht deshalb nicht entgegen, dass der Schadenersatzanspruch aus Erfüllungsverweigerung im Zeitpunkt der Anordnung des Verfügungsverbotes bzw. der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erst aufschiebend bedingt entstanden war (vgl. BGHZ 15, 333 [336]; RGZ 140, 10 [16]; Jaeger/Lent, KonkursO, 9. Aufl., § 54 Rn. 9; Mentzel/Kuhn, KonkursO, 11. Aufl. § 55 Rn. 9) und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend beantwortet ist, ob das Fehlen einer § 54 Abs. 1 KO korrespondierenden Regelung (vgl. dazu BGHZ 137, 267 [290 f]; BGH ZIP 1999, 289 [290]) im räumlichen Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung eine Aufrechnung auch insoweit hindert, als aus demselben Bauvorhaben Vergütungsansprüche einerseits und Schadenersatzansprüche aus Nichterfüllung andererseits erwachsen (vgl. hierzu: Huber, in: Gottwald, Nachtrag "Gesamtvollstreckungsordnung" zum Insolvenzrechtshandbuch Seite 54 Rn. 13).

II.

Hiervon ausgehend liegen die der Gemeinschuldnerin aus den Bauvorhaben A.-Straße, M.-Straße und W.-Straße entstandenen Vergütungsforderungen um DM 186.373,56 über den Schadenersatzforderungen der Beklagten.



Ende der Entscheidung

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