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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 2 U 372/06
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 111
1. Die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats kann lediglich von diesem in seiner Gesamtheit wahrgenommen werden, so dass ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied keinen Anspruch auf Durchführung von Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Aufsichtsrat hat.

2. Dem Aufsichtsrat stehen allein solche Ansprüche zu, die der sachgerechten Wahrnehmung der Kontollfunktion, wie Auskunfts-, Einsichtnahme- und Vorlageansprüche, dienen, nicht aber solche, die auf die Durchsetzung gegenüber dem Leitungsorgan abzielen.


Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 2 U 372/06

Verkündet am 09.05.2006

In dem Verfahren

wegen gesellschaftsrechtlicher Forderung

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2006 durch Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hagenloch, Richter am Oberlandesgericht Dr. Märtens und Richter am Amtsgericht Gnad

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Leipzig vom 11.01.2006 - 6 HKO 5193/05 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen insoweit abgeändert, als zum Nachteil der Verfügungsbeklagten erkannt wurde. In diesem Umfang werden die Anträge der Verfügungsklägerin abgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfahrens. - Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 15.000,00 -

Gründe:

A.

Die Verfahrensbeteiligten streiten im Verfahren der einstweiligen Verfügung mittelbar um die Rechtmäßigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen, die in den 14./15. außerordentlichen Sitzungen des Aufsichtsrates der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) vom 21.12.2005 bzw. 28.12.2005 gefasst wurden. Die Beklagte, die in kommunaler Trägerschaft steht, betreibt einen Verkehrsbetrieb. Bei der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) handelt es sich um ein Mitglied des bei der Beklagten gemäß § 7 ihrer Satzung gebildeten Aufsichtsrates.

Am 21.12.2005 fasste der Aufsichtsrat - seinen statuarischen Kompetenzen gemäß - u.a. folgende Beschlüsse:

TOP 2:

Der Aufsichtsrat ermächtigt die Geschäftsführung eine Europäische Investitionszusatzfinanzierung (sog. Swedish Lease) mit der Skandinaviska Enskilda Banken AB (SEB) oder einer Konzerngesellschaft der SEB sowie unter Beteiligung der Bank of Ireland oder einer Konzerngesellschaft der Bank of Ireland oder weiterer europäischer Finanzinstitute für Stadtbahnwagen der LVB in mehreren Tranchen abzuschließen.

...

TOP 3:

Der Aufsichtsrat stimmt der Veräußerung eines Mehrheitsanteils von zunächst 51 % der von der Lxxxxxxxx Vxxxxxxxxxxxxxxx (LVB) GmbH an der LEOLINER Fxxxxxxx-Bxx Lxxxxxg GmbH gehaltenen Geschäftsanteile an die Kxxxx Lxxxxxx KE Kxxxxxx Exxxxxxxxx AG zu. ...

Weiterhin stimmt der Aufsichtsrat zu, dass die LVB nach dem Ende des LVB-Auftrags über die Lieferung von 30 Leoliner-Fahrzeugen im Jahr 2008 weitere 25 % des Stammkapitals an die Kxxxx AG veräußert. ...

TOP 4:

Der Aufsichtsrat stimmt der Übertragung der von der LVB an der Vxxxxxxx-Cxxxxxx-Leipzig (VCL) GmbH gehaltenen Geschäftsanteile in Höhe von bis zu 75 % auf die Ixxxx GmbH & Co. KG mit wirtschaftlicher Wirkung zum 01. Januar 2006 zu. Die Geschäftsführung der LVB wird ermächtigt, alle dafür notwendigen Erklärungen abzugeben und Vereinbarungen abzuschließen.

Die Klägerin hielt schon im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung vom 21.12.2005 die in § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages vorgesehenen Förmlichkeiten der Einberufung für nicht gewahrt und verweigerte deshalb die Stimmabgabe. Aus diesem Grunde lud der Vorsitzende des Aufsichtsrats am 21.12.2005 zu einer erneuten Sitzung auf den 28.12.2005, in welcher die o.a. Tagesordnungspunkte nochmals zur Abstimmung gelangten.

Die Klägerin votierte an diesem Tag für die vorgeschlagene Beschlussfassung zu TOP 3 und lehnte die Beschlussvorlagen zu TOP 2 und TOP 4 ab.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die am 21.12.2005 und am 28.12.2005 zu TOP 2 und TOP 4 gefassten Beschlüsse sowie der zu TOP 3 am 21.12.2005 gefasste Beschluss seien unter Missachtung der statuarischen Einberufungsfrist zu Stande gekommen. Des Weiteren hat die Klägerin die Beschlüsse für inhaltlich rechtswidrig gehalten, da der Beschluss zu TOP 2 einer kommunalaufsichtlichen Genehmigung bedurft hätte, für den Beschluss zu TOP 4 keine hinreichend beschlussfähige Vorlage vorhanden gewesen sei und für den Verkauf der Geschäftsanteile eine vorherige Ausschreibung erforderlich gewesen wäre.

Im Wege der einstweiligen Verfügung hat die Klägerin zuletzt beantragt:

1. Es wird bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einstweilen festgestellt, dass die Beschlüsse der 14. außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrates der Beklagten vom 21.12.2005 und die Beschlüsse der 15. außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrates der Beklagten vom 28.12.2005 jeweils zu Punkt 4 der Tagesordnung nichtig sind.

2. Die Geschäftsführung der Beklagten wird bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, den in der 14. und 15. außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrates der Beklagten jeweils unter dem TOP 4 getroffenen Beschluss nicht durchzuführen.

Ihre Anträge hatte die Klägerin zunächst auch auf die Beschlussfassungen am 21.12.2005 zu TOP 2 und TOP 3 erstreckt, dieses Begehren aber einseitig für erledigt erklärt, da der Beschluss zu TOP 2 von der Geschäftsführung der Beklagten vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung vollzogen worden war und sie dem Beschluss zu TOP 3 in der Aufsichtsratssitzung vom 28.12.2005 zugestimmt hatte.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht antragsbefugt, da der Aufsichtsrat nicht auf eine Geschäftsführungsmaßnahme einwirken könne. Im Übrigen sei es nicht möglich, gegen einen vom Aufsichtsrat mehrheitlich gefassten Beschluss mittels einer Inanspruchnahme der Geschäftsführung vorzugehen. Zudem seien die Aufsichtsratsbeschlüsse formell und materiell rechtmäßig.

Das Landgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattgegeben, soweit die Klägerin beantragt hatte, die Geschäftsführung der Beklagten zu verpflichten, den zu TOP 4 gefassten Beschluss einstweilen nicht durchzuführen. Dem Erledigungsbegehren hat die Vorinstanz insoweit entsprochen, als es sich auf den ursprünglichen Antrag zu 2) bezog. Den weitergehenden Antrag hat das Landgericht abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (Bl. 157 ff. dA) verwiesen.

Mit ihrer Berufung greift die Beklagte das landgerichtliche Urteil insoweit an, als gemäß den Anträgen der Klägerin erkannt wurde. Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor, dass die Klägerin die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht gewahrt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 11.01.2006 -6 HKO 5193/05 - abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 11.01.2006 -6 HKO 5193/05 - aufzuheben und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist begründet.

I.

Der Klägerin fehlt die Antragsbefugnis, soweit sie gegen die Beklagte etwaige organschaftliche Rechte des Aufsichtsrats verfolgt.

1. Es spricht bereits viel dafür, dass die Kontrollfunktion lediglich vom Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit wahrgenommen werden kann und sich deshalb bei einer Rechtsverfolgung, die auf die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen des Aufsichtsrats gerichtet ist, eine Anlehnung an die auf Gesellschafterebene entwickelten Grundsätze der actio pro socio generell verbietet (vgl. zum Meinungsstand: BGHZ 106, 54 [66]; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl., Rn. 710; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., § 52 Rn. 56; LG Hannover AG 1989, 448; LG Köln AG 1976, 329). Zumindest steht aber einer Antragsberechtigung der Klägerin entgegen, dass diese nicht etwa vom Aufsichtsrat als Gremium beanspruchte Rechte verfolgt, sondern einen Binnenkonflikt zwischen ihr und der Aufsichtsratsmehrheit auf Geschäftsführungsebene auszutragen versucht (vgl. BGHZ 106, 54 [66]; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner, GmbHG, 4. Aufl., § 52 Rn. 45; Semler/Spindler in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., vor § 76 Rn. 134).

2. Unabhängig hiervon sei ergänzend angemerkt, dass auch dem Aufsichtsrat der von der Klägerin verfolgte Anspruch nicht zusteht.

a) Offen bleiben kann dabei, ob derartige subjektive Rechte bei der internen Verteilung von Organ-Kompetenzen nicht generell ausscheiden (vgl. zum Meinungsstand: BGHZ 106, 54 [59 ff.]; Bork ZGR 1989, 1; Raiser AG 1989, 185; Theisen DB 1989, 311; Brücher AG 1998, 190). Jedenfalls kommen gerichtlich durchsetzbare Rechte des Aufsichtsrats allenfalls dann in Betracht, wenn sie, wie etwa Auskunfts-, Einsichtnahme- und Vorlageansprüche nach § 90, § 111 Abs. 2, § 170 AktG i.V.m. § 52 Abs. 1 GmbHG, der sachgerechten Wahrnehmung der Kontrollfunktion - nicht aber deren Durchsetzung gegenüber dem Leitungsorgan - dienen.

b) Das von der Klägerin verfolgte Begehren zielt aber gerade nicht auf die sachgerechte Vorbereitung einer Überwachungsmaßnahme ab. Vielmehr will die Klägerin aus ausschließlich aufsichtsratsinternen Gründen verhindern, dass die Beklagte einen tatsächlich gefassten Aufsichtsratsbeschluss vollzieht.

3. Hieran vermag auch nichts zu ändern, dass die Beklagte in kommunaler Trägerschaft steht und die Klägerin entsprechend den Erfordernissen des § 98 Abs. 2 SächsGemO in Ausübung ihres kommunalen Mandats in den Aufsichtsrat berufen wurde.

Dahinstehen kann, inwieweit landesrechtliche Bestimmungen des Kommunal- und Haushaltsrechts zur Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen führen können. Hierauf käme es nämlich erst an, wenn die Klägerin befugt wäre, aus eigenem Recht oder in Verfolgung eines Rechts des gebildeten Aufsichtsrates von der Beklagten die Unterlassung einer Geschäftsführungsmaßnahme zu begehren, die auf einem (ggf. auch aus landesrechtlichen Gründen) unwirksamen Aufsichtsratsbeschluss beruhen soll. Diese Frage beurteilt sich aber allein nach Gesellschaftsrecht und ist bundesrechtlich abschließend geregelt.

4. Entgegen den Erwägungen der Klägerin ist auch nichts da für ersichtlich, dass die Satzung der Beklagten dem Aufsichtsrat oder dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied weitergehende subjektive Rechte gegenüber dem Leistungsorgan verleiht.

II.

Soweit die Klägerin durch die begehrte einstweilige Verfügung die Verwirklichung vermeintlich eigener Rechte sichern will, ist sie zwar gemäß § 935 ZPO antragsbefugt. Ihr Begehren ist aber insoweit in der Sache unbegründet, da aus den unter I.2. genannten Gründen nicht einmal dem Aufsichtsrat selbst entsprechende Rechte zustehen und damit solche erst recht nicht in der Person der Klägerin erwachsen können.

Anderes folgt entgegen deren Sicht auch nicht daraus, dass sie aus eigenem Recht heraus befugt wäre, eine etwaige Nichtigkeit der verfahrensgegenständlichen Aufsichtsratsbeschlüsse im Klagewege gegen die Beklagte feststellen zu lassen (vgl. BGHZ 135, 244 [247]). Die von der Klägerin erstrebte Anordnung sichert nämlich nicht i.S.v. §§ 935, 938 Abs. 1 ZPO die Verwirklichung dieses subjektiven Rechts, da die Klägerin aus den genannten Gründen selbst bei einem etwaigen Erfolg einer Feststellungsklage von der Beklagten nicht beanspruchen könnte, dass diese die Veräußerung der Geschäftsanteile unterlässt. Besteht aber ein solcher Anspruch unter keinem denkmöglichen Aspekt, bleibt für den Erlass einer einstweiligen Verfügung denknotwendig kein Raum (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 938 Rn. 18; Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, 25. Aufl., § 938 Rn. 4).

Ebenso kann keine einstweilige Verfügung ergehen, um etwa gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche abzuwenden. Unabhängig davon, dass für einen hierauf gerichteten negativen Feststellungsanspruch der Klägerin nichts ersichtlich ist, scheidet eine Schadenersatzpflicht der Klägerin schon dadurch aus, dass sie gegen die Beschlussvorlage votiert und ihre Bedenken mitgeteilt hat.

III.

Da der Erlass einer einstweiligen Verfügung von vornherein nicht in Betracht kam, erweist sich auch das Erledigungsbegehren der Klägerin als unbegründet.

IV.

Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne jedes Präjudiz für die zwischen den Verfahrensbeteiligten inhaltlich in Streit befindlichen Aspekte ist, insbesondere nicht auf die gesellschaftsrechtlichen Verantwortlichkeiten der Beteiligten einwirkt.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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