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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 05.07.2002
Aktenzeichen: 2 U 729/02
Rechtsgebiete: StGB, GmbHG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StGB § 266
GmbHG § 43
GmbHG § 30 Abs. 1
GmbHG § 31 Abs. 1
GmbHG § 19 Abs. 2 Satz 1
BGB § 123 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 779 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 97 I
ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Nr. 3
Ein Vergleich zwischen einer GmbH und einem ihrer Gesellschafter verstößt nur dann gegen § 30 Abs. 1 GmbHG, wenn der Vergleichsschluss keine angemessene Bewertung der zu erledigenden Ansprüche enthält. Für die Angemessenheit besteht eine Vermutung, wenn der Gesellschafter auf den Willensbildungsprozess der Gesellschaft keinen Einfluss nehmen kann.
Oberlandesgericht Dresden des 2. Zivilsenats Beschluss

Aktenzeichen: 2 U 0729/02

vom 05.07.2002

In dem Rechtsstreit

wegen gesellschaftsrechtlichen Rückzahlungsanspruchs

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch

Vizepräsident des Oberlandesgerichts H ,

beschlossen:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Görlitz vom 01.03.2002 (Az.: 3 KFHO 49/01) wird

zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

- Streitwert des Berufungsverfahrens: Euro 13.804,88 -

Gründe:

Die Berufung war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen, da sie angesichts der Unbegründetheit der Klage keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und weder § 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO eine Entscheidung durch Urteil erfordern.

I.

Ein Rückgewähranspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG steht der Klägerin selbst auf der Grundlage ihres Sachvortrages nicht zu.

1. Im Ausgangspunkt ist der Klägerin allerdings darin beizutreten, dass auch ein Verzicht auf eine gegen den Gesellschafter gerichtete Forderung bei einer Unterbilanzierung der Gesellschaft (vgl. dazu: BGH ZIP 2000, 2163 [2164]) zu einem Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG führen kann.

2. Einer solchen gesetzwidrigen Auszahlung des Eigenkapitals steht vorliegend aber entgegen, dass die Klägerin die behaupteten Ansprüche im Rahmen eines die wechselseitigen Ansprüche angemessen bewertenden synallagmatischen Rechtsgeschäfts erlassen hat.

a) Keiner abschließenden Entscheidung bedarf dabei, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen eines Vergleichs ohne Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG auf Ansprüche verzichtet werden kann, die objektiv zur Vermeidung einer Unterbilanzierung im Vermögen der Gesellschaft erhalten werden müssten (vgl. Hachenburg/Goerdeler/Müller, GmbHG, 8. Aufl., § 31 Rn. 60; Rowedder/Rowedder, GmbHG, 3. Aufl., § 31 Rn. 30; zum Vergleich über Stammeinlagenverpflichtung: OLG Hamm GmbHR 1988, 308; Scholz/Schneider, GmbHG, 9. Aufl., § 19 Rn. 50 ff. m.w.N.).

b) Zumindest bei wechselseitig verpflichtenden Rechtsgeschäften, wie es der am 16.03.2001 zur Urkundenrolle Nr. 254/2001 des Notars Dr. Th. geschlossene Vergleich (Anl. K 2, Bl. 28 ff. d.A.) darstellt, kommt eine mit § 30 Abs. 1 GmbHG unvereinbare Rückgewähr von Stammkapital nur in Betracht, wenn der Gesellschafter - in einer der verdeckten Gewinnausschüttung im steuerrechtlichen Sinne vergleichbaren Weise - Leistungen bezogen hat, die er nur auf Grund seiner Gesellschafterstellung erlangen konnte (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2001 - 2 U 1041/01 -; BGHZ 111, 224 [227]; BGH ZIP 1992, 1152 [1153]; OLG Stuttgart OLGR 1999, 355 [356 f.]; Scholz/Schneider, GmbHG, 9. Aufl., § 30 Rn. 22). Dies gilt insbesondere, wenn durch den Vergleich nicht unmittelbar mit einem Erlassverbot (hier: § 31 Abs. 4 GmbHG) belegte Ansprüche erledigt werden, sondern allein im Raum steht, ob sich wegen einer sachfremden Bewertung der vom Vergleich betroffenen schuld- und deliktsrechtlichen Ansprüche Rückwirkungen auf das Kapitalerhaltungsgebot ergeben.

c) Hiervon ausgehend ist für eine unzulässige Rückgewähr des Stammkapitals nichts vorgetragen oder erkennbar.

aa) Die Angemessenheit der in einem Abfindungsvergleich getroffenen Regelungen ist allein daran zu messen, ob es sachgerecht war, die Ansprüche in der geschehenen Weise abzugelten.

(1) Der Sinn eines solchen Vergleichs liegt darin, ohne nähere Aufklärung von Details alle Ansprüche zwischen den Beteiligten zu erledigen. Hierdurch ist auch im Rahmen von § 30 Abs. 1 GmbHG allein entscheidend, ob der Gesellschafter bei Zugrundelegung der damals vorhandenen Erkenntnisse durch den Vergleich Leistungen empfangen hat, die ihm ohne die Gesellschafterstellung nicht gewährt worden wären.

(2) Hiergegen spricht aber zumindest dann, wenn die Vertragspartner ihre Entscheidung zum Abschluss des Abfindungsvergleiches autonom treffen konnten, eine von der Gesellschaft zu entkräftende Vermutung.

Insbesondere bei komplexen Rechtsbeziehungen und Streitigkeiten vermag niemand besser als die Beteiligten zu beurteilen, wie sie sich am sinnvollsten auseinandersetzen und wie die von ihnen jeweils begründeten oder aufgegebenen Rechtspositionen am sachnächsten zu bewerten sind. Anderes ist allenfalls zu erwägen, wenn bei den am Vergleich Beteiligten die Gefahr einer Interessenkollision besteht und im Hinblick darauf nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist, dass ein Vergleichsschluss mit verdeckten Gewinnausschüttungen an den Gesellschafter verbunden sein kann.

bb) Vor diesem Hintergrund liegt eine gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßende Auszahlung des Stammkapitals nicht vor, da alle Beteiligten die Entscheidung über den Abschluss des Vergleichs eigenverantwortlich getroffen haben und die dadurch begründete Vermutung für eine angemessene Bewertung der erledigten Ansprüche nach den konkreten Umständen des Vergleichsschlusses nicht in Zweifel gezogen werden kann.

(1) Der Senat sieht dabei, dass es in dem Vergleich vom 16.03.2001 weniger darum ging, die wechselseitigen Ansprüche möglichst exakt zu ermitteln, sondern vorrangig erstrebt war, die für die Klägerin Existenz gefährdenden Streitigkeiten zwischen ihren Gesellschaftern durch ein kurzfristiges Ausscheiden einer Gesellschaftergruppe zu bereinigen.

(2) Aber auch ein derart motivierter Vergleich ist als sachgerecht zu erachten.

Selbst wenn die Klägerin objektiv höhere Ansprüche aufgegeben hätte als der Beklagte, verbliebe es dabei, dass die Parteien am besten beurteilen konnten, ob ein wechselseitiger Verzicht auf sämtliche Ansprüche angemessen war, um ein kurzfristiges Ausscheiden des Beklagten zu erreichen. Dies gilt umso mehr, als angesichts der damaligen Interessenkonstellation fern liegt, dass die Klägerin, deren Geschäftsführung der gegnerischen Gesellschaftergruppierung nahe stand, bereit war, an den Beklagten Zahlungen zu erbringen, die zur Bereinigung der Streitigkeiten unangemessen waren.

cc) Dahinstehen kann, ob - wie für den Anwendungsbereich von § 31 Abs. 4 GmbHG und von § 19 Abs. 2 Satz 1 GmbHG allgemein angenommen - ein mittelbar § 30 Abs. 1 GmbHG berührender Vergleichsschluss über schuldrechtliche Beziehungen zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf. Vorliegend ist nämlich eine solche Beschlussfassung konkludent dadurch erfolgt, dass alle Gesellschafter der Klägerin am Vergleichsschluss beteiligt waren und diesen insgesamt gebilligt haben.

II.

Ebenso wenig stehen der Klägerin gegen den Beklagten Ansprüche aus § 43 GmbHG oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB zu, da etwa erwachsene Ansprüche durch den Vergleichsschluss erledigt sind.

1. Die mit der Klage verfolgten Schadensersatzansprüche sind in der Auseinandersetzungsvereinbarung vom 16.03.2001 abgegolten (vgl. BGH GmbHR 1998, 278 [279]); BGHZ 97, 382 [389]), da von ihr "sämtliche eventuellen Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund und gleich ob bekannt oder unbekannt" umfasst sind.

2. Der Vergleich ist weder nach § 779 Abs. 1 Satz 1 BGB noch nach § 142 Abs. 1, § 123 Abs. 1 BGB unwirksam (unten a)). Auch kann die Klägerin keine Rückgängigmachung des Vergleichs nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo verlangen (unten b)).

a) Die Wirksamkeit des Vergleichs begegnet keinen Bedenken.

aa) Er hält vor § 779 Abs. 1 Satz 1 BGB stand, da sich die von der Klägerin ins Feld geführten Fehlvorstellungen über die Berechtigung und den Umfang ihrer Schadensersatzansprüche wegen der Geschäftsführertätigkeit des Beklagten nicht außer Streit befanden (vgl. BGH NJW-RR 1986, 1258 [1259]; BGH LM 1953, Nr. 4 zu § 123 BGB). Vielmehr sollte mit der Auseinandersetzungsvereinbarung gerade ein Ausgleich hinsichtlich der im Einzelnen ungewissen, von der Klägerin aber behaupteten Schadensersatzforderungen geschaffen werden.

bb) Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung greift nicht durch.

(1) Der Beklagte hat keine Täuschung durch Unterlassen begangen, da er nicht gehalten war, die Klägerin über die von ihr nunmehr zur Begründung der Schadensersatzansprüche herangezogenen Geschehensabläufe bei Abschluss des Vergleichs zu informieren.

(1.1) Zwar hat jeder Vertragspartner auch bei Vergleichsverhandlungen über solche Umstände aufzuklären, die für den Entschluss des anderen von wesentlicher Bedeutung sind und über die dieser nach der Verkehrsauffassung redlicherweise Aufklärung erwarten kann (vgl. BGH GmbHR 1998, 278; BGH NJW-RR 1996, 690, BGH NJW-RR 1986, 1258 [1259]; BGH NJW 1983, 2493; BGH LM 1953, Nr. 4 zu § 123 BGB; BGH WM 1972, 1443 [1444]; BGH DB 1976, 141; OLG Celle MDR 1995, 252; BGH VersR 1965, 449 [450]).

(1.2) Nach den gegebenen Umständen konnte die Klägerin jedoch keine weitere Aufklärung beanspruchen.

Dies folgt zum einen daraus, dass es bei der vorliegenden Auseinandersetzungsvereinbarung nicht um die Höhe einer an den Beklagten zu entrichtenden Abfindung ging (vgl. hierzu BGH GmbHR 1998, 278 [279]), sondern um den Umfang der vom Beklagten zu leistenden Zahlungen.

Zum anderen war - wie dargelegt - Sinn und Zweck des Vergleichsschlusses weniger eine Beseitigung von Streitigkeiten über die Höhe der wechselseitigen Ansprüche als eine zügige Trennung der Parteien. Hätte die Klägerin trotz dieses vorrangigen Ziels der Vereinbarung vom 16.03.2001 nähere Erkenntnisse über den Umfang etwaiger Schadenersatzansprüche gewinnen wollen, hätte sie sich beim Beklagten konkret nach den einzelnen Umständen erkundigen müssen und sich nicht darauf verlassen dürfen, dass dieser sich von sich aus äußere. Dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass die Klägerin auf Grund der am 23.01.2001 erfolgten Pfändung Einsicht in die Geschäftsunterlagen hätte nehmen können und der Beklagte daher aus dem Verhalten der Klägerin schließen durfte, dass diese eine nähere Aufklärung der tatsächlichen Gegebenheiten nicht erstrebe ( vgl. Münchner Kommentar/Pecher, BGB, 3. Aufl., § 779 Rn. 61; Staudinger/Marburger, BGB, 1997, § 779 Rn. 81; OLG Hamburg MDR 1953, 422; OLG Celle MDR 1995, 252).

(2) Zudem ist ein arglistiges Verhalten i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB nicht hinreichend dargetan (vgl. dazu BGH GmbHR 1998, 278).

Zwar genügt für den subjektiven Tatbestand das Bewusstsein, etwas unredlich zu verschweigen, was den Vertragspartner möglicherweise von einem Vertragsschluss abhalten würde (vgl. BGH GmbHR 1998, 278; BGH NJW-RR 1996, 690 [691]). Eine solche Arglist kann dem Beklagten aber nicht vorgeworfen werden, da er weder damit gerechnet noch billigend in Kauf genommen hat, dass die Klägerin von den ihm nunmehr vorgehaltenen Vorfällen keine Kenntnisse gehabt hatte (vgl. BGH a.a.O.). Insbesondere ist seine Darstellung, wonach die streitgegenständlichen Vorgänge aus den herausgegebenen Unterlagen erkennbar gewesen seien, nicht widerlegt.

b) Da dem Beklagten aus den dargelegten Gründen keine Aufklärungspflicht oblag, scheidet auch eine Haftung aus culpa in contrahendo aus.

III.

Die Kostenentscheeidung beruht auf § 97 I ZPO.

Ende der Entscheidung

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