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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 17.01.2006
Aktenzeichen: 2 U 753/04
Rechtsgebiete: HeimG


Vorschriften:

HeimG § 4e a.F.
Heimträger sind verpflichtet, zum Schutz von sturzgefährdeten Heimbewohnern Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Hierbei sind allerdings das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Heimbewohers zu beachten.

Bei der Intensität der mit Heimbewohnern zur Abwendung von Sturzgefahren zu führenden Beratungsgespräche kommt den Pflegekräften ein Beurteilungsspielraum zu.


Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 2 U 753/04

Verkündet am 17.01.2006

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz aus Heimvertrag

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2005 durch Vizepräsident des Oberlandesgerichts H., Richter am Oberlandesgericht Dr. M. und Richterin am Oberlandesgericht B.

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 26.03.2004 - 14 O 3013/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren fallen der Klägerin zur Last.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringt. Sicherheit kann jeweils durch unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Europäischen Union zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers geleistet werden.

- Streitwert der Berufung: EUR 86.067,04 -

Gründe:

A.

Die Klägerin, ein gesetzlicher Krankenversicherer, begehrt vom Beklagten als Träger eines Pflegeheimes die Erstattung jener Krankenbehandlungskosten, die durch einen in den späten Abendstunden des 09.03.2000 zugetragenen Sturz ihres Mitglieds I. M. (künftig: die Versicherte) ausgelöst wurden.

Die im Jahre 1915 geborene Versicherte war nach näherer Maßgabe des Heimvertrages vom 04.02.1999 als Leistungsempfängerin der sozialen Pflegeversicherung vollstationär in dem vom Beklagten gemäß § 1 Abs. 1 HeimG (in der damals geltenden Fassung) unterhaltenen Heim A. in D. untergebracht. Anlass hierfür war, dass in einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Klägerin vom 10.12.1996 bei der Versicherten u.a. zeitweise schwere Schwindelzustände bei Kleinhirnatrophie mit Stürzen diagnostiziert worden waren.

Nach Aufnahme in das Heim des Beklagten ist die Versicherte jeweils zur Nachtzeit am 28.01.2000, am 31.01.2000 und am 24.02.2000 in ihrem Zimmer zu Fall gekommen. Nach dem Sturz vom 31.01.2000 wurde die Versicherte wegen Schmerzen im Oberarm ärztlich untersucht, wobei sich aber der Verdacht einer Fraktur nicht bestätigte.

Am 09.03.2000 stürzte die Versicherte gegen 22:30 Uhr in ihrem Zimmer abermals. Etwa eine halbe Stunde zuvor hatte die für den Beklagten tätigen Pflegekraft W. das Zimmer der Versicherten aufgesucht, die zu diesem Zeitpunkt im Begriff war, das Bett zu verlassen. Nachdem die Pflegekraft das Bett neu gerichtet hatte, legte sich die Versicherte wieder zum Schlafen. Die Pflegekraft löschte hierauf das Licht und verließ das Zimmer. Kurz danach hörte Frau W. Hilferufe aus dem Zimmer der Versicherten und fand diese neben dem Bett liegend vor.

Bei diesem Sturz zog sich die Versicherte eine Fraktur des Halswirbelkörpers C1/C2 mit Lähmung aller Extremitäten und eine rispiratorale Insuffizienz zu, die später zu einer Lungenentzündung führte. Die Versicherte wurde unmittelbar nach dem Schadensereignis in das Städtische Klinikum D. verbracht, in dem sie an den Unfallfolgen am 07.06.2000 verstarb.

Die Klägerin hat - wie inzwischen unstreitig ist - für die sturzbedingte stationäre Behandlung der Versicherten Aufwendungen von DM 167.985,54 erbracht. Unter Einschluss weiterer Kosten für Krankentransport u.a. beliefen sich ihre gesamten Versicherungsleistungen, abzgl. der Eigenanteile, auf DM 168.332,50 (= EUR 86.067,04).

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe die sich aus dem Heimvertrag ergebenden Pflichten gegenüber der Versicherten verletzt. Der hieraus folgende Schadensersatzanspruch sei in Höhe der kongruenten Versicherungsleistungen von EUR 86.067,04 gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf sie als gesetzlicher Krankenversicherer übergegangen. Das Fehlverhalten des Beklagten hat die Klägerin darin gesehen, dass trotz der bekannten Gefahren wirkungsvolle Maßnahmen zur Sturzprophylaxe unterblieben seien. So wären etwa ein Hochziehen des seitlichen Bettgitters, die Verwendung einer Sensormatratze, ein Lichtschrankensystem, ein Verstellen der Betthöhe, eine Veränderung des Bodenbelages im Zimmer oder das Anlegen einer Hüftschutzhose in Betracht gekommen. Anlass für derartige Maßnahmen hätte umso mehr bestanden, als die Versicherte die Angewohnheit gehabt habe, beim Aufstehen, insbesondere bei nächtlichen Toilettengängen, nicht die ihr angeratene Hilfe des Pflegepersonals in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie EUR 86.067,04 nebst Zinsen in Höhe von 4 %-Punkten über dem jeweiligen Basis-Zinssatz seit dem 12.01.2002 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Klägerin vom 10.12.1996 nicht gekannt zu haben. Unabhängig hiervon sei den Fürsorgepflichten damit genügt worden, dass der Versicherten immer wieder ein Hochziehen des seitlichen Bettgitters und ein Herbeiholen des Pflegepersonals mittels der vorhandenen Rufeinrichtung angeraten worden sei. Nachdem sich die Versicherte diesen Empfehlungen gegenüber wenig zugänglich gezeigt habe, sei zur Reduzierung der Gefahren ein sog. Nachtstuhl an das Bett gestellt und die Toilette nachts dauerhaft beleuchtet worden.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 23.06.2004 -14 O 3013/03 -, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, abgewiesen. Auf die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden mit Grundurteil vom 23.09.2004 - 7 U 753/04 -(OLGR 2004, 438) unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Beklagte angesichts der vorangegangenen drei Stürze von akuten Sturzrisiken hätte ausgehen müssen. Dieser Gefahrenlage seien die vom Beklagten ergriffenen Maßnahmen, vor allem die mehr oder weniger routinemäßigen Fragen nach dem Einverständnis mit dem Hochziehen des Bettgitters und der Hinweis auf die Nutzung der Rufeinrichtung, nicht gerecht geworden. Vielmehr wäre geboten gewesen, unter Einschaltung eines Arztes, der Heimleitung, eines Verwandten oder anderer Vertrauenspersonen das intensive Gespräch mit der Versicherten zu suchen und auf diese eindringlich einzuwirken. Hätten derartige Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt, wäre erforderlich gewesen, beim Vormundschaftsgericht die Einsetzung eines vorläufigen Betreuers zu begehren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Grundurteil vom 23.09.2004 Bezug genommen.

Auf die hiergegen vom Beklagten - nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde - erhobene Revision hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 14.07.2005 - III ZR 391/04 -(NJW 2005, 2613) das Grundurteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat beanstandet, dass das Grundurteil auf Aspekte gestützt sei, welche die Parteien erkennbar übersehen bzw. für unerheblich erachtet hätten und auf die deshalb ohne einen nach § 139 Abs. 2 ZPO erfolgten Hinweis eine Verurteilung des Beklagten nicht hätte gegründet werden dürfen.

Im erneuten Berufungsverfahren ...

haben die Parteien ihren Vortrag im Lichte der Ausführungen des Bundesgerichtshofs konkretisiert. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang u.a. ihr Vorbringen zu den einzelnen in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen vertieft.

Wie bereits im ersten Berufungsverfahren beantragt die Klägerin auch im erneuten Berufungsrechtszug,

das Urteil des Landgerichts Dresden vom 26.03.2004 -14 O 3013/03 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 86.067,04 nebst Zinsen in Höhe von 4 % über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 12.01.2002 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat im erneuten Berufungsverfahren seine Darstellung der mit der Versicherten geführten Gespräche intensiviert und weiteren Beweis zu den getroffenen Maßnahmen angetreten.

Der Senat hat durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen S. H. sowie durch Vernehmung der als Pflegekräfte des Beklagten tätigen Zeugen R. M., J. H., K. H. und G. W. Beweis erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2005 verwiesen. ...

B.

Die Berufung der Klägerin bleibt im Ergebnis ohne Erfolg, da ihrer Versicherten kein auf sie gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangener Schadenersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrages bzw. § 823 Abs. 1 BGB erwachsen ist.

I.

Im Ausgangspunkt ist der Klägerin allerdings darin beizutreten, dass dem Beklagten aus § 11 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 3 SGB XI, § 4e HeimG (jeweils in der im März 2000 geltenden Fassung) i.V.m. den Bestimmungen des Heimvertrages vom 04.02.1999 oblag, bei der stationären Pflege der Versicherten den Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse einzuhalten und damit auch in zumutbarem Umfange wirkungsvolle Maßnahmen zur Sturzprophylaxe zu ergreifen.

1. Die Verpflichtung zu einer dem anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse entsprechenden Leistungserbringung erfordert, dass der - insoweit allein sachkundige - Heimträger einem sturzgefährdeten Heimbewohner das Wissen um mögliche Vorkehrungen vermittelt, da der Heimbewohner nur dann eine sachbezogene eigenverantwortliche Entscheidung über Art und Umfang der von ihm gewollten Vorsorge treffen kann.

Hierbei darf es der Heimträger nicht ohne weiteres bei einer rein verbalen Beschreibung bewenden lassen, sondern hat ggf. auch - soweit angemessen und zumutbar -die in Betracht kommenden technischen und/oder pflegerischen Maßnahmen zu demonstrieren. Eine praktische Veranschaulichung kann nämlich - je nach Persönlichkeitsbild des Heimbewohners - deutlich mehr als eine abstrakttheoretische Beschreibung der Schutzmaßnahme geeignet sein, eine beim Heimbewohner vorhandene Scheu vor einer Veränderung des Gewohnten oder eine latente Abneigung gegenüber Unbekanntem abzubauen.

2. Darüber hinaus kann es erforderlich sein, diese Empfehlungen und Ratschläge nicht nur in freundlich zurückhaltender Form zu vermitteln, sondern - abhängig von der psychischen und physischen Verfassung des Heimbewohners und dessen persönlicher Zugänglichkeit - die bestehenden Risiken auch unmissverständlich vor Augen zu führen und so eine sachbezogene Entscheidungsfindung zu begünstigen. In geeigneten Fällen kann hierbei auch in Betracht kommen, das Gespräch mit Personen zu suchen, auf deren Empfehlung vor allem Heimbewohner mit spezifischer persönlicher Prägung tendenziell empfänglicher reagieren als auf Ratschläge der Pflegekräfte (vgl. auch Klie, Anm. zu OLG Koblenz, Urteil vom 21.03.2002 -5 U 1648/01 - [NJW-RR 2002, 867], in: www.vincentz.net/altenheim/heimrecht).

Allerdings sind hierbei wegen des Selbstbestimmungsrechts der Heimbewohner, die zu fördern gemäß § 2 HeimG die Heimträger gehalten sind, der Intensität der psychischen Einwirkung Schranken gesetzt (vgl. zur Güterabwägung bei Heimunterbringung: BGHZ 163, 53 ff.).

3. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kann der Heimträger des Weiteren gehalten sein, eine Betreuerbestellung mit einem auf Maßnahmen der Sturzprophylaxe beschränkten Aufgabenkreis oder vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen nach § 1908i Abs. 1, § 1846 BGB zu beantragen.

II.

An diesen Anforderungen gemessen ist weder ein organschaftliches Verschulden des Beklagten i.S.v. § 31 BGB noch eine diesem zurechenbare Pflichtverletzung seiner Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen nach § 278 BGB bzw. § 831 BGB festzustellen.

1. Dem Beklagten musste sich allerdings angesichts der dem streitgegenständlichen Vorkommnis vorangegangenen Stürze vom 28.01.2000, vom 31.01.2000 und vom 24.02.2000 die Erkenntnis aufdrängen, dass bei der Versicherten - aus welchen medizinischen Gründen auch immer - eine akute Sturzgefahr vorhanden war und sich jederzeit weitere Stürze ereignen konnten. Dieses Risiko war umso größer, als sich alle drei früheren Stürze innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums und unter weitgehend identischen äußeren Rahmenbedingungen, die bis zum Schadensfall vom 09.03.2000 unverändert geblieben waren, zugetragen hatten.

Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen auf S. 9 erster Absatz des Grundurteils des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 23.09.2004 Bezug genommen.

2. Die Verantwortungsträger des Beklagten haben aber der Versicherten die Nutzung sämtlicher zum damaligen Erkenntnisstand in Betracht kommenden Maßnahmen der Sturzprophylaxe in der gebotenen Weise angeraten.

a) Die Pflegekräfte des Beklagten haben der Versicherten hinreichend empfohlen, sich mit hochgezogenem Seitengitter zu Bett zu legen und bei einem nächtlichen Aufstehen die Hilfe des Personals in Anspruch zu nehmen. Des Weiteren wurden durch das Aufstellen eines Nachtstuhles die Anlässe für die gefahrträchtigen Gänge zur Toilette verringert.

aa) Die als Zeugen vernommenen Pflegekräfte haben bekundet, der Versicherten sei immer wieder geraten worden, bei einem nächtlichen Gang zur Toilette mittels der vorhandenen Rufeinrichtung eine Pflegekraft anzufordern. Diese Schilderungen erachtet der Senat als glaubhaft:

Die Aussagen der Zeuginnen waren ohne greifbare Widersprüche und ohne erkennbare Begünstigungstendenzen. Ersichtlich waren auch alle Zeuginnen bestrebt, zwischen eigenen Wahrnehmungen und Informationen Dritter zu differenzieren und dem Senat gegenüber offenzulegen, wenn sie sich ihrer Erkenntnisquellen nicht mehr sicher waren.

Die gelegentlichen Unsicherheiten bei der Wiedergabe konkreter Geschehen sowie die manchmal fehlende plastische Schilderung von Einzelheiten sprechen unter den vorstehenden Gegebenheiten nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen, sondern tendenziell sogar für deren Wahrheitsstreben. So ist etwa angesichts der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit durchaus verständlich, dass sich die Zeuginnen an den Verlauf der vor dem Schadensereignis mit der Versicherten geführten Gespräche, die zu den Routineaufgaben der Zeuginnen zählten und besonderes Gewicht erst nachträglich durch das streitgegenständliche Geschehen erlangten, mehr ihrem allgemeinen Inhalt nach entsinnen und Details eher weniger bekunden konnten.

bb) Die Pflegekräfte des Beklagten haben der Versicherten auch in der gebotenen Weise ein Hochziehen des Bettgitters angeraten.

(1) Eine solche Maßnahme war grundsätzlich geeignet, die Gefahr von Stürzen bei einem nächtlichen Gang zur Toilette zu mindern, da ein seitlich angebrachtes Bettgitter - je nach Höhe - für die Versicherte ein mehr oder weniger unüberwindbares Hindernis geschaffen und daher die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Hilfe des Pflegepersonals günstig beeinflusst bzw. dessen Beiziehung zwingend erfordert hätte. Mit einem Hochziehen des seitlichen Bettgitters wäre aber - je effektiver in der Wirkung, je intensiver im Eingriff - das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten berührt worden, sodass ohne deren Einvernehmen diese erhebliche Begrenzung der eigenverantwortlich wahrzunehmenden Bewegungsfreiheit nicht in Betracht kam.

(2) Angesichts dieses Interessenwiderstreits hat der Beklagte mit den von den Zeuginnen wiederholt gegebenen Ratschlägen und mit der durch die Zeugin W. erfolgten Demonstration der Wirkungsweise eines hochgezogenen Bettgitters den ihm der Versicherten gegenüber obliegenden Fürsorgepflichten genügt.

(2.1) Die vom Senat vernommenen Zeuginnen haben der Versicherten immer wieder nahegelegt, sich gegen ein Hochziehen des seitlichen Bettgitters nicht zu sperren, hierbei aber keine Akzeptanz gefunden. Auch hat sich zumindest die Zeugin W. um einen Sinneswandel der Versicherten mit hin reichendem Nachdruck bemüht, indem sie es nicht bei allgemeinen verbalen Bekundungen belassen, sondern die Funktionsweise des Bettgitters veranschaulicht und hierdurch die Scheu der Versicherten abzubauen versucht hat.

(2.2) Weiteres war von den Pflegekräften des Beklagten nicht zu erwarten, nachdem die - den Schilderungen aller Zeuginnen zufolge eher eigenwillige - Versicherte in einer fast schon panischen Weise die sofortige Beseitigung des allein zu Demonstrationszwecken hochgezogenen Bettgitters begehrt und dessen Einsatz weiterhin kategorisch abgelehnt hatte.

(2.2.1) Die gerichtliche Kontrolle derartiger Beratungsgespräche zwischen dem Heimbewohner und den Pflegekräften ist darauf zu beschränken, ob sich letztere in gut vertretbarer Weise verhalten haben.

(2.2.1.1) Auf die Billigung weiterer Schutzmaßnahmen gerichtete psychische Einwirkungen auf die Heimbewohner bewegen sich per se an der Nahtstelle kollidierender Rechtsgüterziele, nämlich dem Schutz des Heimbewohners vor körperlicher Unversehrtheit einerseits sowie der Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts und seiner Würde andererseits. In dieser Grenzzone muss den Pflegekräften ein Raum für eine eigenverantwortliche Entscheidung über die konkrete Form und Nachhaltigkeit des erteilten Ratschlages schon im Hinblick darauf verbleiben, dass der Verlauf derartiger Gespräche und die in ihnen von den Heimbewohnern jeweils eingenommene Haltung mit von den subjektiven Wahrnehmungen der Pflegekräfte abhängen und damit nur begrenzt objektivierbar sind. Würden in einer derartigen - letztlich nur eingeschränkt rekonstruierbaren - Situation die Gerichte ihre Einschätzung des Gesprächsverlaufs generell an Stelle jener der Pflegekräfte setzen und letztlich jeden Zungenschlag der Beratungsgespräche überprüfen müssen, entstünden Rechtsunsicherheiten, welche den Zweck des Heimvertrages gefährden würden und mit denen deshalb letztlich auch nicht den berechtigten Belangen der Heimbewohner gedient wäre.

(2.2.1.2) Der Senat hält es deshalb für geboten, den Pflegekräften bei der Führung derartiger Beratungsgespräche einen Beurteilungsspielraum zuzubilligen und ihr Vorgehen nur daraufhin zu überprüfen, ob es auf einer gut vertretbaren Abwägung der gegenläufigen Rechtsgüterziele beruht (vgl. zum Beurteilungsspielraum bei Diagnosen: OLG Hamm VersR 2002, 578 [579]; zur gerichtlichen Kontrolle von Beratungsgesprächen im medizinischen Bereich ergänzend: BGHSt 38, 144 [154]; BGHZ 95, 199 [206]).

(2.2.2) Die Zeugin W. hat damit das Erforderliche getan, zumal angesichts des eher eigensinnigen Charakters der Versicherten und deren beharrlich ablehnender Haltung weitere Bemühungen aller Voraussicht nach vergebens gewesen wären und das Vertrauensverhältnis zwischen den Pflegekräften und der Versicherten zumindest tendenziell ungünstig beeinflusst hätten.

cc) Des Weiteren hat der Beklagte die Anlässe für ein nächtliches Aufstehen - und damit den Eintritt konkreter Gefahrenlagen - durch einen neben dem Bett aufgestellten Nachtstuhl deutlich reduziert.

b) Sonstige Mittel, mit denen nach dem damaligen medizinisch-pflegerischen Erkenntnisstand den Sturzgefahren wirkungsvoll hätte begegnet werden können, bestanden nach den Darlegungen des Sachverständigen H. nicht.

aa) Dieser ist trotz seiner fehlenden öffentlichen Bestellung für die Beantwortung der verfahrensgegenständlichen Gesichtspunkte besonders sachkundig.

...

bb) Nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen H. gab es im März 2000 keine sonstigen Möglichkeiten, um - unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Versicherten - den Sturzgefahren entgegenwirken zu können.

(1) Wie der Sachverständige ausgeführt hat, wäre es unbehelflich gewesen, vor dem Bett der Versicherten - wie die Klägerin erwogen hat -eine Matratze auszulegen.

Diese hätte zwar die Folgen eines Sturzes aus dem Bett tendenziell abmildern können, aber bei der Versicherten insgesamt gesehen größere Gefahren geschaffen als abgewandt. Wie auch die Klägerin nicht in Abrede stellt, ist nämlich die Versicherte nicht etwa immobil gewesen und versehentlich aus dem Bett gefallen, sondern bei oder nach einem willentlichen Aufstehen gestürzt. Bei einem insoweit noch mobilen Heimbewohner entsteht aber durch eine vor dem Bett liegende Matratze ein zusätzliches Risiko, da diese dann beim Aufstehen begangen werden muss und hierfür einen sehr instabilen Untergrund bildet.

(2) Die von der Klägerin in Betracht gezogene Verwendung von Sensorenmatratzen und Lichtschrankensystemen schied schon dadurch aus, dass der Einsatz solcher Hilfsmittel nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht den damals anerkannten Stand medizinisch-technischer Pflege wiedergab. Dahinstehen kann deshalb, unter welchen Voraussetzungen der - unter dem Aspekt des Selbstbestimmungsrechts und der Würde der Heimbewohner sensible - Einsatz von Sensormatratzen und Lichtschrankensystemen im Pflegebereich überhaupt in Frage kommt.

(3) Des Weiteren hat der Sachverständige unangegriffen und überzeugend dargelegt, dass AntiRutsch-Socken (sog. ABS-Socken) im März 2000 noch nicht dem nach § 11 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 3 SGB XI maßgeblichen Stand der sozialen Pflegeversicherung entsprochen haben.

Die von der Klägerin genannte Hüftschutzhose hätte zumindest die Folgen des streitgegenständlichen Sturzes, also die Fraktur eines Halswirbelkörpers und eine rispiratorale Lähmung, nicht abwenden können.

Keinerlei tatsächlicher Anhalt besteht für die von der Klägerin - in ohnehin nur pauschaler Weise - erwogene Pflicht zu einer anderen Ausführung des Bodenbelags. Gleichermaßen mangelt es an einem substantiierten Vortrag der Klägerin dazu, dass von Möbelkanten o.ä. spezifische Gefahren ausgegangen sind oder gar die Sturzfolgen auf der fehlenden Polsterung von Möbelkanten etc. beruhen.

3. Ein Fehlverhalten des Beklagten bzw. dessen Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen liegt auch nicht darin, dass die Höhe des Bettes der Versicherten nicht noch tiefer als tatsächlich geschehen eingestellt war.

Wie der Sachverständige H. in plausibler Weise dargelegt hat, verringert ein tiefer gelegtes Bett zwar tendenziell wegen der niedrigeren Fallhöhe die Folgen bei einem Sturz aus dem Bett. Andererseits wird hierdurch aber bei einem Heimbewohner, der - wie die Versicherte - mobil ist, eine zusätzliche Gefahr beim Aufstehen geschaffen, da dann durch den niedrigeren Schwerpunkt des Körpers eine ungünstigere Kraftverteilung entsteht und ein idealer Kontakt zwischen dem Fußboden und der Fußsohle erschwert wird.

Angesichts dieser gegenläufigen Zielsetzungen ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass sich die Bediensteten des Beklagten entschlossen haben, die Höhe des Bettes an dem Nachtstuhl auszurichten.

Im Übrigen kam den Pflegekräften auch bei der Einstellung der Betthöhe ein Beurteilungsspielraum zu. Diesen haben sie aber ersichtlich bereits mit Blick darauf nicht überschritten, dass die spezifische Sturzgefahr bei der Versicherten nicht in einem ungewollten Fall aus dem Bett, sondern in ihrer Gehunsicherheit bestand.

4. Ein Fehlverhalten des Beklagten und dessen Mitarbeitern folgt nicht daraus, dass das seitliche Bettgitter nicht ohne Einvernehmen der Versicherten ganz oder teilweise hochgezogen wurde.

Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlass, abschließend zu entscheiden, ob Situationen denkbar sind, in denen bei einem mobilen Heimbewohner auch ohne dessen Willen ein Seitengitter am Bett angebracht werden kann, um hierdurch einen ungewollten Sturz aus dem Bett zu verhindern. Solches schied vorliegend schon deshalb aus, weil bei der Versicherten nicht die konkrete Gefahr eines ungewollten nächtlichen Fallens aus dem Bett bestand, sondern die Sturzgefahren beim gewollten Aufstehen eintraten. Ein bewusstes Aufstehen hätte aber nicht gegen den Willen der Versicherten durch ein seitlich angebrachtes Bettgitter verhindert werden dürfen.

5. Der Beklagte sowie dessen Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen waren nicht gehalten, bei der Versicherten einen Sinneswandel durch Einschaltung anderer Personen herbeizuführen.

Solches war vorliegend schon dadurch nicht veranlasst, dass die Versicherte nach den Bekundungen der Zeuginnen trotz gewisser Eigenwilligkeiten zu einer selbstverantwortlichen Willensbildung im Stande war. Damit wäre die - unter Aspekten des Selbstbestimmungsrechts ohnehin nicht unproblematische - Einschaltung Dritter nicht nur von vornherein ohne nennenswerte Aussicht auf Erfolg gewesen, sondern hätte auch die Gefahr einer Belastung des für die Erfüllung des Vertragszwecks hilfreichen Vertrauensverhältnisses zu den Pflegekräften in sich geborgen.

Bei Abwägung des Für und Wider ist deshalb nichts dagegen zu erinnern, dass sich der Beklagte in dieser Konfliktsituation nicht entschlossen hat, andere Personen als das Pflegepersonal für die Gespräche mit der Versicherten einzusetzen. Dies gilt umso mehr, als ansonsten leicht ein nicht unbedenklicher psychischer Druck hätte entstehen können und damit den Pflegekräften aus den bereits dargelegten Gründen auch insoweit ein eigenverantwortlich auszufüllender Beurteilungsspielraum zukommen muss.

6. Schließlich sieht der nunmehr erkennende Senat keinen Anlass für das vom 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden im Grundurteil vom 23.09.2004 erwogene vormundschaftsgerichtliche Einschreiten.

Hierfür mangelt es an tatsächlichen Anhaltspunkten. Auch hätte sich von vornherein verboten, dieses Persönlichkeitsrechte erheblich beeinträchtigende Instrumentarium als Art "Drohpotential" einzusetzen, um bei der Versicherten eine andere Entscheidung herbeizuführen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht - hinsichtlich der Kosten aller Instanzen - auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr.10, § 711 ZPO.

Ein Anlass für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht, da sämtliche anstehenden Rechtsfragen potentiell grundlegender Art durch die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 28.04.2005 (III ZR 399/04 - NJW 2005, 1937) und vom 14.07.2005 (III ZR 391/04 - NJW 2005, 2613) geklärt sind.

Ende der Entscheidung

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