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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 10.01.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 1/00
Rechtsgebiete: StGB, StGB/DDR, EGStGB, EinigV


Vorschriften:

StGB § 2
StGB/DDR § 45
EGStGB Art. 315 Abs. 3
EinigV Anl. I Kap. III Sachgeb. C Absch. II Nr. 1 b
Leitsatz:

Strafaussetzung zur Bewährung bei vor dem Beitritt in der DDR begangenen Straftaten.


0berlandesgericht

Dresden

2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 1/00 StVK 303/99 LG Chemnitz - StVK Stollberg 516 VRs 835 Js 1756/92 StA Dresden Ws-G 899/99 StA OLG Dresden

Beschluss

vom 10. Januar 2000

in der Strafvollstreckungssache gegen

geboren am in,

zurzeit in der Justizvollzugsanstalt,

wegen Rechtsbeugung u. a.

Verteidiger: Rechtsanwalt,

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 6. Dezember 1999 aufgehoben.

2. Die Vollstreckung der Hauptstrafe von zwei Jahren sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts vom 14. Mai 1998 wird zur Bewährung ausgesetzt.

Die Bewährungszeit wird auf zwei Jahre festgesetzt.

3. Die mündliche Belehrung der Verurteilten über die Bedeutung der Aussetzung, die Dauer der Bewährungszeit und die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung wird der Justizvollzugsanstalt übertragen.

4. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschwerdeführerin dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Die 6. Strafkammer des Landgerichts hat am 14. Mai 1998 gegen die Verurteilte wegen Rechtsbeugung in zehn Fällen, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und in einem Fall in Tateinheit mit einer weiteren Freiheitsberaubung (Tatzeitraum: April 1984 bis März 1989), die Hauptstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verhängt.

Die Verurteilte hat sich am 7. Juni 1999 zum Strafantritt selbst gestellt. Halbstrafentermin ist der 5. September 2000.

Sie hat mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 15. August 1999 beantragt, den Vollzug der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts vom 14. Mai 1998 nach Art. 315 Abs. 3 EGStGB, § 2 Abs. 3 StGB, § 45 StGB/DDR zur Bewährung auszusetzen.

Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts hat am 6. Dezember 1999 den Antrag der Verurteilten abgelehnt; sie hat zur Begründung sinngemäß ausgeführt, dass die Anwendung des § 45 StGB/DDR nur dann in Betracht kommen könnte, wenn dem Vollzug der Freiheitsstrafe ein Urteil eines Gerichts der ehemaligen DDR zu Grunde liegt.

Gegen den ihrem Verteidiger am 8. Dezember 1999 zugestellten Beschluss hat die Verurteilte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 10. Dezember 1999, eingetroffen beim Amtsgericht am 13. Dezember 1999, form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung erstrebt.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden hat beantragt, das Rechtsmittel aus den Gründen des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.

Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer ist § 45 StGB/DDR vorliegend anzuwenden.

Nach der durch den Einigungsvertrag (Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1 b) geschaffenen Neufassung des Art. 315 Abs. 3 EGStGB finden die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Aussetzung eines Strafrestes auf Verurteilungen auf Freiheitsstrafen Anwendung, die wegen vor dem Wirksamwerden des Beitritts in der Deutschen Demokratischen Republik begangener Taten verhängt worden sind, soweit sich nicht aus den Grundsätzen des § 2 Abs. 3 StGB etwas anderes ergibt.

Nach § 2 Abs. 3 StGB ist, wenn sich das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gegolten hatte, vor der Entscheidung geändert hat, das mildeste Gesetz anzuwenden.

Danach ist nach Art. 315 Abs. 3 EGStGB i.V.m. § 2 Abs. 3 StGB für die Prüfung der Strafaussetzung § 45 Abs. 1 StGB/ DDR anzuwenden, falls er eine mildere Beurteilung als § 57 StGB zulässt.

Dies gilt nach den Wortlauten des Art. 315 Abs. 3 EGStGB und des § 2 Abs. 3 StGB für alle vor dem Beitritt am 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR begangenen Straftaten, unabhängig davon, ob diese auch vor dem Beitritt und damit durch ein Gericht der ehemaligen DDR abgeurteilt worden sind (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. vor § 3 Rdnr. 55).

Auch aus der systematischen Stellung des Art. 315 Abs. 3 EGStGB ist nicht zu entnehmen, dass er eine Verurteilung durch ein Gericht der ehemaligen DDR voraussetzt; Art. 315 Abs. 1 und 2 EGStGB sehen nämlich ebenfalls Regelungen für nach dem Beitritt ergangene Urteile vor.

Die Anwendung des Art. 315 Abs. 3 EGStGB wird auch nicht durch Absatz 4 dieser Vorschrift ausgeschlossen; für die Taten der Verurteilten hat nämlich das Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland vor dem Wirksamwerden des Beitritts nicht gegolten.

Die Prüfung, welches Gesetz das mildeste ist, ist durch einen Vergleich der verschiedenen Rechtszustände vor und nach der Gesetzesänderung zu ermitteln. Dabei sind nicht nur die Tatbestände und Rechtsfolgen des § 57 StGB und § 45 StGB/DDR abstrakt aneinander zu messen, vielmehr kommt es entscheidend darauf an, welche Vorschrift in dem zu entscheidenden Einzelfall die für den Verurteilten günstigere Entscheidung zulässt (vgl. Bandenburgisches OLG, NJ 1994, 535).

Dies ist vorliegend § 45 StGB/DDR.

Eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes zur Bewährung nach § 57 Abs. 2 StGB kommt gegenwärtig schon deshalb nicht in Betracht, weil die Verurteilte dafür die Hälfte der Freiheitsstrafe verbüßt haben müsste und dies erst am 5. September 2000 der Fall sein würde.

Nach § 45 StGB/DDR, der eine Mindestverbüßungszeit im Gegensatz zu § 57 StGB nicht voraussetzt, ist der Vollzug einer zeitigen Freiheitsstrafe auszusetzen, wenn unter Berücksichtigung der Umstände der Straftat, der Persönlichkeit der Verurteilten sowie ihrer positiven Entwicklung, insbesondere ihrer Disziplin und ihrer Arbeitsleistungen, der Zweck der Freiheitsstrafe erreicht ist.

Diese Voraussetzungen der im Lichte der gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen im wieder vereinten Deutschland auszulegenden Vorschrift des § 45 StGB/DDR liegen vor.

Zwar hat die Verurteilte von April 1984 bis März 1989 eine Vielzahl von Straftaten begangen.

Aber diesem belastenden Umstand stehen erhebliche, ihm günstige gegenüber, die in der Gesamtwürdigung überwiegen.

Zum einen war zu berücksichtigen, dass die Taten zwischen neun und vierzehn Jahre zurückliegen.

Zum anderen war zu Gunsten der Verurteilten zu werten, dass sie nicht vorbestraft und als Erstverbüßerin besonders haftempfindlich ist sowie im Strafvollzug eine günstige Entwicklung genommen hat; sie hat sich nicht nur vollzugsordnungsgemäß verhalten, sondern seit dem 3. Juli 1999 im offenen Vollzug zunächst bei einer Autowaschanlage und ab dem 2. August 1999 bei der Firma im freien Beschäftigungsverhältnis in gute Arbeitsleistungen erbracht; auch seit August 1999 bewilligte Lockerungen (Ausgang) hat sie beanstandungsfrei absolviert.

Ihrer positiven Entwicklung steht auch nicht entgegen, dass sie sich nach Einschätzung der zuständigen Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt nicht mit der Inhaftierung abfinden könne und diese als besondere Härte empfinde; vielmehr hat die Beschwerdeführerin durch ihren freiwilligen Strafantritt am 7. Juni 1999 gezeigt, dass sie die Verurteilung und die damit verbundene Strafvollstreckung akzeptiert.

Insbesondere auf Grund der positiven Entwicklung der Verurteilten im Strafvollzug, welche wesentliche Voraussetzung der Strafaussetzung auf Bewährung nach § 45 StGB/DDR ist, ist die Strafaussetzung zur Bewährung auch nicht als verfrüht anzusehen.

Nach allem sind die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 StGB/ DDR gegeben.

Die zweijährige Bewährungszeit ist erforderlich, aber auch ausreichend, § 45 Abs. 1 StGB/DDR.

Die Übertragung der mündlichen Belehrung der Beschwerdeführerin gemäß § 454 Abs. 4 Satz 1, § 268 a Abs. 3 Satz 1 StPO über die Bedeutung der Aussetzung und die Möglichkeit des Widerrufs auf die Justizvollzugsanstalt folgt aus § 454 Abs. 4 Satz 2 StPO.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Belehrung:

1. Der Strafrest wird erlassen, wenn sich die Verurteilte bewährt.

2. Die Aussetzung kann widerrufen werden, wenn die Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die der Aussetzung zu Grunde liegende Erwartung sich nicht erfüllt hat.

Ende der Entscheidung

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