Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 103/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 68 b
Der als Beistand gemäß § 68 b StPO bestellte Rechtsanwalt kann grundsätzlich die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG und - bei Teilnahme an der Hauptverhandlung - auch die Terminsgebühr nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 VV RVG verlangen (Fortführung der Rechtsprechung im Beschluss vom 06. November 2007, 2 Ws 495/06).
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Beschluss

Aktenzeichen: 2 Ws 103/08

vom 06. November 2008

in der Strafsache gegen

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.

hier: Beschwerde im Vergütungsverfahren des Zeugenbeistan- des Rechtsanwalt

Tenor:

Auf die Beschwerde von Rechtsanwalt wird der Beschluss des Landgerichts Dresden vom 07. Februar 2008 aufgehoben.

Die an Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird auf seinen Antrag vom 07. November 2007 auf 437,92 EUR (vierhundertsiebenunddreißig 92/100 Euro) festgesetzt.

Auf seinen Antrag bereits ausbezahlte oder festgesetzte Gebühren sowie Vorschüsse im Sinne von § 58 RVG sind anzurechnen.

Gründe:

I.

In der Strafsache gegen wurde Rechtsanwalt dem Zeugen mit Beschluss des Landgerichts Dresden vom 25. Oktober 2007 für die Dauer seiner Vernehmung vor der 3. Strafkammer des Landgerichts gemäß § 68 b StPO als Zeugenbeistand beigeordnet.

Der Zeuge sollte in der Hauptverhandlung am 30. Oktober 2007 um 11.00 Uhr vernommen werden.

Am Tag der Hauptverhandlung erschien Rechtsanwalt um 11.01 Uhr. Eine Vernehmung des Zeugen war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht möglich. Die Verhandlung wurde um 11.04 Uhr unterbrochen und um 12.36 Uhr mit der Vernehmung des Zeugen im Beisein von Rechtsanwalt als Zeugenbeistand fortgesetzt. Der Zeuge wurde um 14.15 Uhr entlassen.

Nachdem das Urteil gegen den Angeklagten am 06. November 2007 rechtskräftig geworden ist, beantragte Rechtsanwalt am 07. November 2007, folgende Gebühren und Auslagen gegen die Staatskasse festzusetzen:

 Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG132,00 EUR
Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 VV RVG216,00 EUR
Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG (pauschal)20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG69,92 EUR
mithin insgesamt437,92 EUR.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2007 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts die an Rechtsanwalt zu zahlende Vergütung auf 223,72 EUR fest. Die Abweichung vom Antrag wurde damit begründet, dass für die Tätigkeit des Zeugenbeistandes lediglich eine Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG in Höhe von 168,00 EUR erstattungsfähig sei.

Mit Beschluss vom 07. Februar 2008 hat das Landgericht die dagegen gerichtete Erinnerung, der der Urkundsbeamte nicht abgeholfen hatte, als unbegründet zurückgewiesen. Das Landgericht hat sich dabei den Entscheidungen des 1. und 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden (1 Ws 28/07; 1 Ws 138/07; 1 Ws 173/07 und 3 Ws 85/07) angeschlossen, wonach die Tätigkeit als Zeugenbeistand eine Einzeltätigkeit sei.

Gegen den am 11. Februar 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13. Februar 2008 eingegangenen Beschwerde von Rechtsanwalt .

II.

1. Nachdem das Verfahren vor dem Landgericht der Kammer übertragen war, entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

2. Gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zu der Festsetzung der Gebühren und Auslagen in dem von Rechtsanwalt beantragten Umfang.

Rechtsanwalt kann für seine Tätigkeit als Zeugenbeistand gemäß § 68 b StPO im vorliegenden Fall sowohl die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG als auch die Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 VV RVG beanspruchen.

Der Senat hält an seiner Entscheidung vom 06. November 2007, Az.: 2 Ws 495/06 fest.

Der Auffassung, wonach einem nach § 68 b StPO bestellten Zeugenbeistand nur die Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG zugesprochen werden kann (vgl. zum Meinungs- und Streitstand nur OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Mai 2008, Az.: 5-2 StE 2/05) ist zwar zuzugestehen, dass die "Vorbemerkung 4" alle Abschnitte des Teils 4 des Vergütungsverzeichnisses umfasst und damit auch den Abschnitt 3 über die Einzeltätigkeiten einschließt. Die gegenteilige Auffassung wird jedoch ebenfalls vom Wortlaut der Bestimmung erfasst. Sie wird durch den Willen des Gesetzgebers gestützt, dass es auch dem gerichtlich bestellten Zeugenbeistand möglich sein muss, die Gebühren des Abschnittes 1 zu verdienen, soweit er entsprechende Tätigkeiten erbracht hat. Hierzu merkt der Senat in Fortführung seines Beschlusses vom 06. November 2007 Folgendes an:

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1971, S. 145 f.) soll die Tätigkeit des Rechtsanwalts erstmalig als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen ausdrücklich geregelt werden. Danach soll der Rechtsanwalt für diese Tätigkeit die gleichen Gebühren wie ein Verfahrensbevollmächtigter in dem entsprechenden Verfahren erhalten. Schon aus dieser Formulierung, die sich an anderer Stelle des Gesetzesentwurfes (S. 220 - "Gebühren wie ein Verteidiger" -) in ähnlicher Weise wiederfindet, wird deutlich, dass der Gesetzgeber in erster Linie den Abschnitt 1 des Teils 4 des Vergütungsverzeichnisses, nicht aber den Abschnitt 3 über die Einzeltätigkeiten in den Blick genommen haben muss, weil sich der Abschnitt 3 nur an Rechtsanwälte richtet, denen gerade nicht die Verteidigung oder Vertretung generell übertragen worden ist, die also gerade nicht "Verfahrensbevollmächtigte" oder "Verteidiger" sind. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (S. 146), wonach "die Gleichstellung hinsichtlich des Gebührensatzes" gerechtfertigt sei. Diese Formulierung erhält nur dann einen Sinn, wenn es sich nicht lediglich um eine Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 VV RVG handelt. Im Anschluss daran erläutert der Gesetzgeber, weshalb diese gebührenrechtliche Gleichstellung gerechtfertigt sei und weist sowohl für die Fälle der Rahmengebühren des Teils 4 (Strafsachen) wie auch für die Fälle der streitwertabhängigen Gebühren des Teils 3 (bürgerliche Rechtsstreitigkeiten usw.) des Vergütungsverzeichnisses auf die Möglichkeit hin, dass durch eine sachgerechte Ausschöpfung des Spielraums bei der Rahmengebühr oder durch eine der Tätigkeit "lediglich" als Zeugenbeistand angemessene Festsetzung des Gebührenstreitwertes eine angemessene (im Sinne von nicht übermäßige) Gebührenhöhe erreicht werden kann. Diese Ausführungen sind nur dann verständlich, wenn der Gesetzgeber die Gebührentatbestände des ersten Abschnitts für den Zeugenbeistand hätte rechtfertigen wollen.

Damit ist zunächst das tragende Argument des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden in seinem Beschluss vom 17. September 2007 (1 Ws 173/07) - ein extremes Missverhältnis von Leistung und Vergütung und eine nicht gerechtfertigte Gleichstellung mit der Vergütung des Verteidigers - widerlegt; der Gesetzgeber hat diese Gleichstellung ausdrücklich gerechtfertigt und damit auch ausdrücklich gewünscht.

Auch die Argumentation des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2007 (3 Ws 85/07), die Begründung des Gesetzgebers beziehe sich offenkundig nur auf den Wahlbeistand, könne aber nicht für Fälle des gerichtlich bestellten Zeugenbeistandes gelten, trägt nicht. Zwar rechtfertigt der Gesetzgeber die Gleichstellung hinsichtlich des Gebührensatzes mit dem Spielraum bei der Rahmengebühr (oder der angemessenen Streitwertfestsetzung), den es bei der Bestellung nach § 68 b StPO nicht gibt; daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass der Gesetzgeber nur den Wahlbeistand gebührenrechtlich besserstellen wollte, nicht aber den gerichtlich bestellten. Eine solche Absicht findet in der Gesetzesbegründung keine Stütze, obwohl es die Vorschrift des § 68 b StPO bereits lange vor Inkrafttreten des RVG gab; zum anderen wäre es eine nicht hinzunehmende und nicht zu rechtfertigende Schlechterstellung des gerichtlich bestellten Zeugenbeistandes gegenüber einem Wahlbeistand, wenn man ihn lediglich auf die Gebühr für die Einzeltätigkeit verweisen würde. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine solche Differenzierung bewusst nicht vorgenommen hat. Hätte man den Zeugenbeistand generell oder nur den gerichtlich bestellten Zeugenbeistand auf die Gebühr für eine Einzeltätigkeit verweisen wollen, wäre es ein Leichtes und naheliegend gewesen, ihn in den Katalog der Nr. 4301 VV RVG aufzunehmen, anstatt mit einer Vorbemerkung den Vorrang des 1. Abschnitts vor dem 3. Abschnitt auch für ihn gelten zu lassen.

Die sich daran anschließende Frage, welche Gebühren des 1. Abschnitts der Zeugenbeistand im Einzelnen beanspruchen kann, hat der Senat in seinem Beschluss vom 06. November 2007 dahingehend beantwortet, dass die Grundgebühr generell, die Terminsgebühr bei Teilnahme an der Hauptverhandlung, die Verfahrensgebühr dagegen nicht grundsätzlich anfällt, weil die damit typischerweise abgegoltenen Tätigkeiten von einem Zeugenbeistand in der Regel grundsätzlich nicht erbracht werden.

Dem steht auch nicht die Auffassung entgegen, wonach schon der enge Wortlaut der Vorschrift des § 68 b StPO (Beiordnung für die Dauer der Vernehmung) zwingend für eine Einzeltätigkeit spreche. § 68 b StPO regelt die Rolle des Zeugenbeistandes im Prozessverlauf, definiert aber nicht die zur Erfüllung seiner Aufgaben zu erbringenden Leistungen, schränkt sie also auch nicht gebührenrechtlich auf eine Einzeltätigkeit ein; vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass zur wirksamen Erfüllung der Aufgaben eines Zeugenbeistandes die Einarbeitung in das Verfahren und möglicherweise auch Vorgespräche mit dem Mandanten, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht erforderlich sind, die den Zeugenbeistand insoweit als "vollen Vertreter", nicht nur subsidiär als Beistand im Sinne des 3. Abschnitts des 4. Teils des Vergütungsverzeichnisses erscheinen lassen.

III.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

Ende der Entscheidung

Zurück