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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 12/08
Rechtsgebiete: StGB, GG, StPO


Vorschriften:

StGB § 68b
StGB § 145a
GG Art. 103
StPO § 453 Abs. 2
1) Der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz verlangt eine genaue Abstimmung der zu erteilenden Weisungen auf den konkreten Täter, seine Taten und - damit zusammenhängend - auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten. Eine Schematisierung und Pauschalisierung der zu erteilenden Weisungen ist nicht möglich.

2) Die Strafvollstreckungskammer hat eine ordnungsgemäße Ermessenausübung bei der Auswahl ihrer Weisungen vorzunehmen und darzulegen. Fehlt sie, kann das Beschwerdegericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht prüfen.


Oberlandesgericht Dresden

2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 12/08

Beschluss

vom 12. Februar 2008

in der Führungsaufsichtssache

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig mit dem Sitz in Döbeln vom 19. November 2007 in Nr. 5 der Beschlussformel, ausgenommen die Nrn. 5 a) und 5 f), aufgehoben.

Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Durchführung des Verfahrens und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

Die (einfache) Beschwerde des Verurteilten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang vorläufig Erfolg.

Soweit die Strafvollstreckungskammer vorliegend eine Abhilfeentscheidung unterlassen hat, steht dies der Entscheidung des Senats über die Beschwerde nicht entgegen, da die Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung darstellt (Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 306 Rdnr. 10).

Nach § 463 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das Rechtsmittel allerdings nur darauf gestützt werden, dass eine Führungsaufsichtsanordnung gesetzeswidrig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Fischer in KK-StPO, 5. Aufl. § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 453 Rdnr. 12; Pfeiffer, StPO 4. Aufl. § 453 Rdnr. 5, jeweils m.w.N.). Ansonsten verbleibt es bei der Regel, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2000, 500 m.w.N., dort zu Bewährungsanordnungen).

Diese Einschränkung betrifft allerdings nur den Umfang des Prüfungsrechts des Beschwerdesenats, ohne bereits die Zulässigkeit des Rechtsmittels in Frage zu stellen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Beschwerden gegen Gerichtsbeschlüsse für ihre Zulässigkeit grundsätzlich gar keines Begründungsvortrags bedürfen.

1. Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall die Bestimmung der Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre nicht zu beanstanden. Wenngleich der Beschwerdeführer bereits zuvor in anderer Sache unter Führungsaufsicht stand und dieser seinem Bekunden nach entsprochen hat, ist es von der Strafvollstreckungskammer nicht rechtsfehlerhaft, von der Ausnahmevorschrift des § 68 c Abs. 1 Satz 2 StGB vorerst keinen Gebrauch zu machen, sondern dies einer späteren Entscheidung nach § 68 d StGB vorzubehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die in § 68 c Abs. 1 Satz 1 StGB vorgegebene Höchstdauer von vornherein verfehlt sei, liegen nicht vor.

2. Hingegen haben die unter Nr. 5 der Beschlussformel angeordneten Weisungen, ausgenommen die Weisungen Nrn. 5 a) und 5 f), keinen Bestand. Allerdings ist der Senat an einer eigenen Neufassung (§ 309 Abs. 2 StPO) der Anordnungen aus tatsächlichen Gründen gehindert, weshalb es insoweit der Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer bedarf. Der angefochtene Beschluss lässt bereits dem Grunde nach eine Abwägung maßgeblicher Umstände und damit eine Ermessensausübung vermissen; vielmehr erschöpft sich die Begründung der Strafvollstreckungskammer in der Bemerkung, dass sie "in Übereinstimmung mit dem (- nicht mitgeteilten -) Bericht der Führungsaufsichtsstelle und dem Antrag der Staatsanwaltschaft es für erforderlich (hält)", den Beschwerdeführer "über einen kritischen Zeitraum hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Für die Dauer der Führungsaufsicht...waren die im Beschluss genannten Weisungen dem Verurteilten entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu erteilen, § 68 b Abs. 1 Ziffer 1 bis 4, Ziffer 7 bis 9, Abs. 2 StGB."

Dies genügt den Anforderungen an eine zielgerichtete und ermessensfehlerfreie Ausgestaltung der Führungsaufsicht nicht. Vielmehr hat die Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht die für ihre Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen festzustellen und in eine ordnungsgemäßen Ermessensabwägung einzubeziehen. Das Institut der Führungsaufsicht nach § 68 f StGB hat nämlich die Aufgabe, gefährliche oder (rückfall)gefährdete Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (BVerfGE 55, 28, 29). Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisierungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Tat(en), deretwegen er verurteilt wurde, und - damit zusammenhängend -auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abgestimmt sind. Um dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, ist eine Schematisierung der zu erteilenden Weisungen nicht möglich (so zutreffend Thüringer OLG, Beschluss vom 02. März 2006 - 1 Ws 66/06 - juris).

Die Strafvollstreckungskammer, die einen Verurteilten grundsätzlich mündlich zu hören hat und sich so einen eigenen Eindruck von der Täterpersönlichkeit verschaffen soll, hat deshalb bei der Auswahl der erforderlichen Weisungen einen Ermessensspielraum (OLG Nürnberg NStZ-RR 1999, 175). Die Ausübung dieses pflichtgemäßen Ermessens auf Grundlage festgestellter Tatsachen muss der Anordnungsbegründung allerdings zu entnehmen sein. Fehlt sie - wie hier -, kann das Beschwerdegericht die Rechtsfehlerfreiheit der Weisungen nicht prüfen, weshalb bereits aus diesem Grund die Beschwerde begründet ist. Dem Beschwerdegericht ist es als Folge des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO aus Rechtsgründen verwehrt, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu setzen.

Bestehen bleiben können hingegen die Weisungen Nr. 5 a) -Vorstellungsverpflichtung beim Bewährungshelfer - und Nr. 5 f) - Mitteilung des Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsels -, weil es hierzu keiner besonderen Tatsachenfeststellung als Ermessensgrundlage bedarf und eine Rechtswidrigkeit dieser Anordnungen nicht ersichtlich ist.

Für die neue Durchführung des Verfahrens weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Angesichts der bereits bestehenden und vollzogenen Führungsaufsicht erscheint es angebracht, die bisherige Bewährungshelferin in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Im Übrigen:

a) Zur bisherigen Nummer 5 b) - (Verbot, den Aufenthaltsort zu verlassen):

Dieses auf Grundlage von § 68 b Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgesprochene Verbot erschöpft sich in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts. Die Fassung dieser Weisung entspricht damit nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 68 b Abs. 1 Satz 2 StGB, zumal die Strafvollstreckungskammer "den Aufenthaltsort", den der Beschwerdeführer nicht ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle verlassen dürfen soll, weder genau abgrenzt noch in sonstiger Weise kontrollierbar bestimmt hat. Da der Beschwerdeführer aus dieser Weisung nicht erkennen kann, welches konkrete Verhalten von ihm zur Erfüllung der Weisung verlangt wird, hat sie bereits aus formellen Gründen keinen Bestand. Im Übrigen stößt auch das strikte, d.h. ohne zeitliche Freiräume (bspw.: "sofern länger als 1 Woche Abwesenheit" o.ä) ausgesprochene Verbot unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auf erhebliche Bedenken.

b) Zur bisherigen Nummer 5 c) - (Verbot des Aufenthalts an Spielplätzen etc.):

Das Verbot genügt zwar den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot, zumal die zu meidenden Örtlichkeiten ihrer Art nach genau bestimmt werden. Allerdings hat die Strafvollstreckungskammer es unterlassen, unter dem Blickwinkel von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG mögliche Grenzen dieses Verbots zu prüfen.

c) Gleiches gilt für die bisherigen Nummer 5 d) und 5 e) - (Beherbergungsverbot u.a. von Jugendlichen; ehrenamtliche Tätigkeit mit Kontakt zu Jugendlichen).

In diesem Zusammenhang unterstellt der Senat indes, dass der neue Lebenspartner des Beschwerdeführers das 18. Lebensjahr vollendet hat.

d) Zur bisherigen Nummer 5 g) - (Verpflichtung zur Meldung bei der Agentur für Arbeit):

Das Erfordernis einer solchen Weisung vor dem spezifischen Hintergrund der hier maßgeblichen Straftaten erschließt sich nicht ohne weiteres.

e) Zur bisherigen Nummer 5 h) - (Durchführung einer ambulanten Therapie mit Nachweisführung):

Diese Weisung sollte angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 06. Juni 2006 -2 BvR 1349/06 -) überdacht werden (vgl. hierzu aufschlussreich KG Berlin NStZ-RR 2007,169 f.). Wenngleich es verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, Nachweise über Beginn und Fortdauer einer Behandlung zu verlangen (vgl. BVerfG a.a.O), ist eine solche Anordnung jedoch streng unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu prüfen.

Ende der Entscheidung

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