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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 147/08
Rechtsgebiete: StGB, GG, StPO


Vorschriften:

StGB § 68b
StGB § 145a
GG Art. 103
StPO § 453 Abs. 2
Zur Führungsaufsicht:

1) Der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz verlangt eine genaue Abstimmung der zu erteilenden Weisungen auf den konkreten Täter, seine Taten und - damit zusammenhängend - auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten. Nur so ist die mit dem Institut der Führungsaufsicht beabsichtigte Sozialisierungshilfe zu gewährleisten. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlaut bei einer Anordnung ohne individuelle Konkretisierung genügt diesen Anforderungen nicht.

2) Die Strafvollstreckungskammer hat eine ordnungsgemäße Ermessensausübung bei der Auswahl ihrer Weisungen vorzunehmen und darzulegen; fehlt sie, kann das Beschwerdegericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht prüfen.

3) Tätigkeits- und Aufenthaltsverbote im Rahmen des § 68 b StGB dürfen nicht einem generellen Berufsverbot gleichkommen, sofern das erkennende Gericht von der rechtsstaatlichen Möglichkeit des § 70 StGB gerade keinen Gebrauch gemacht hat (Anschluss an Thüringer OLG, Beschluss vom 02.03.2006 - 1 Ws 66/06 -).


Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Beschluss

Aktenzeichen: 2 Ws 147/08

vom 27. März 2008

in der Führungsaufsichtssache

wegen: sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. hier: Dauer und Ausgestaltung der Führungsaufsicht

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig mit dem Sitz in Döbeln vom 30. Januar 2008 in Nr. 4 der Beschlussformel, ausgenommen die Nrn. 4 a) und 4 b), aufgehoben.

Allerdings wird die Weisung Nr. 4 a) neu gefasst:

"Der Verurteilte wird angewiesen, sich in den ersten vier Monaten nach seiner Haftentlassung zweimal monatlich, im weiteren einmal monatlich, bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Sozialen Dienst des Landgerichts Telefon: (0 ) zu melden und die Einbestellungen durch seinen Bewährungshelfer termingerecht wahrzunehmen."

2. Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Durchführung des Verfahrens und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

Die ausschließlich gegen die Dauer und inhaltliche Ausgestaltung der Führungsaufsicht gerichtete (einfache) Beschwerde des Verurteilten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang vorläufig Erfolg.

Soweit die Strafvollstreckungskammer vorliegend eine Abhilfeentscheidung unterlassen hat, steht dies der Entscheidung des Senats nicht entgegen, da die Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung darstellt (Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 306 Rdnr. 10).

Nach § 463 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das Rechtsmittel allerdings nur darauf gestützt werden, dass eine Führungsaufsichtsanordnung gesetzeswidrig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Fischer in KK-StPO, 5. Aufl. § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 453 Rdnr. 12; Pfeiffer, StPO 4. Aufl. § 453 Rdnr. 5, jeweils m.w.N.). Ansonsten verbleibt es bei der Regel, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2000, 500 m.w.N., dort zu Bewährungsanordnungen).

Die genannte Einschränkung betrifft allerdings nur den Umfang des Prüfungsrechts des Beschwerdesenats, ohne bereits grundsätzlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels in Frage zu stellen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Beschwerden gegen Gerichtsbeschlüsse für ihre Zulässigkeit grundsätzlich keiner Begründung bedürfen.

1. Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall die Bestimmung der Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre nicht zu beanstanden. Wenngleich der Beschwerdeführer auf eine "insgesamt durchaus günstige Sozialprognose" verweist, ist es von der Strafvollstreckungskammer nicht rechtsfehlerhaft, von der Ausnahmevorschrift des § 68 c Abs. 1 Satz 2 StGB vorerst keinen Gebrauch zu machen, sondern dies einer späteren Entscheidung nach § 68 d StGB vorzubehalten. Anhaltspunkte dafür, dass die in § 68 c Abs. 1 Satz 1 StGB vorgegebene Höchstdauer von vornherein verfehlt sei, liegen nicht vor.

2. Hingegen haben die unter Nr. 4 der Beschlussformel angeordneten Weisungen, ausgenommen die Weisungen Nrn. 4 a) und 4 b), keinen Bestand. Allerdings ist der Senat an einer eigenen Neufassung (§ 309 Abs. 2 StPO) der Anordnungen aus tatsächlichen Gründen gehindert, weshalb es insoweit der Zurückverweisung der Sache an die Straf-vollstreckungskammer bedarf. Der angefochtene Beschluss lässt bereits dem Grunde nach eine Abwägung maßgeblicher Umstände und damit eine Ermessensausübung vermissen; vielmehr erschöpft sich die Begründung der Strafvoll-streckungskammer in der Mitteilung, dass sie "in Übereinstimmung mit dem (- nicht mitgeteilten -) Bericht der Führungsaufsichtsstelle und dem Antrag der Staatsanwaltschaft es für erforderlich (hält)", den Beschwerdeführer "über einen kritischen Zeitraum hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Für die Dauer der Führungsaufsicht...waren die im Beschluss genannten Weisungen dem Verurteilten entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu erteilen, § 68 b Abs. 1 Ziffer 2 bis 4, Ziffer 7, 8, Abs. 2 StGB."

Dies genügt den Anforderungen an eine zielgerichtete und ermessensfehlerfreie Ausgestaltung der Führungsaufsicht nicht. Vielmehr hat die Strafvollstreckungskammer - wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat - im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht die für ihre Entscheidungs-findung maßgeblichen Tatsachen festzustellen und in eine ordnungsgemäßen Ermessensabwägung einzubeziehen. Das Institut der Führungsaufsicht nach § 68 f StGB hat nämlich die Aufgabe, gefährliche oder (rückfall)gefährdete Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (BVerf-GE 55, 28, 29). Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisie-rungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Tat(en), deretwegen er verurteilt wurde, und - damit zusammenhängend - auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abzustimmen sind. Um dieser kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht zu werden, ist eine Schematisierung der zu erteilenden Weisungen nicht möglich (so zutreffend Thüringer OLG, Be-schluss vom 02. März 2006 - 1 Ws 66/06 - juris; Senats-beschluss vom 12. Februar 2008 - 2 Ws 12/08 -).

Die Strafvollstreckungskammer, die einen Verurteilten grundsätzlich mündlich zu hören hat und sich so einen eigenen Eindruck von der Täterpersönlichkeit verschaffen soll, hat deshalb bei der Auswahl der erforderlichen Weisungen einen Ermessensspielraum (OLG Nürnberg NStZ-RR 1999, 175). Die Ausübung dieses pflichtgemäßen Ermessens auf Grundlage festgestellter Tatsachen muss der Anordnungsbegründung allerdings zu entnehmen sein. Fehlt sie - wie hier -, kann das Beschwerdegericht die Rechtsfehlerfreiheit der Weisungen nicht prüfen, weshalb bereits aus diesem Grund die Beschwerde begründet ist. Dem Beschwerdegericht ist es als Folge des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO aus Rechtsgründen verwehrt, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu setzen (Senat a.a.O.).

3. Bestehen bleiben können hingegen die Weisungen Nr. 4 a) - Vorstellungsverpflichtung beim Sozialen Dienst der Justiz - und Nr. 4 b) - Mitteilung des Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsels -, weil es hierzu keiner besonderen Tatsachenfeststellung als Ermessensgrundlage bedarf und eine Rechtswidrigkeit dieser Anordnungen nicht ersichtlich ist. Allerdings war die Weisung Nr. 4 a) dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Bestimmtheitsgebot entsprechend (vgl. § 68 b Abs. 1 S. 2 StGB) genauer zu fassen.

4. Für die erneute Durchführung des Verfahrens weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Zu den bisherigen Nummern 4 c) - (Verbot des Aufenthalts in Badeanstalten, Kinderspielplätzen etc.) und 4 e) -(Verbot einer Tätigkeit, bei denen er Umgang mit Kindern haben "könnte"):

Abgesehen von der Unbestimmtheit der Weisung Nr. 4 e) legen die einem Vorschlag der Führungsaufsichtsstelle ungeprüft übernommenen generellen Verbote nahe, dass Ermessensfehler vorliegen. Der Vorschlag hat nämlich nicht bedacht, dass Tätigkeits- und Aufenthaltsverbote nicht einem Berufverbot gleichkommen dürfen, weil damit nicht nur dessen eigenständigen Voraussetzungen (§ 70 StGB) unterlaufen und die rechtsstaatlich gebotene Verfahrensweise - die Anordnung erfolgt durch das erkennende Gericht, das von dieser Möglichkeit gerade keinen Gebrauch gemacht hat - umgangen, sondern dem Verurteilten auch die Verschonungsmöglichkeit des § 70 a StGB abgeschnitten würde (so zutreffend Thüringer OLG, Beschluss vom 02. März 2006 - 1 Ws 66/06 - juris). Für entsprechende Weisungen, die konkret zu fassen sind, verbleiben daher nur außerberufliche Tätigkeiten sowie spezifische Tätigkeiten innerhalb der Berufsausübung, die diese nicht grundsätzlich ausschließen (Thüringer OLG a.a.O. mit weiteren Nachweisen auf die Kommentarliteratur).

Dies wird die Strafvollstreckungskammer bei dem hauptberuflich als Schwimmmeister tätigen Verurteilten zu berücksichtigen haben.

Ende der Entscheidung

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