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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 27.10.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 509/09
Rechtsgebiete: StGB, GG


Vorschriften:

StGB § 68 b
StGB § 145 a
GG Art. 103
Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht müssen in der Sache überprüfbar sein. Erst die genaue Bestimmung gibt § 145 a StGB, für den die Weisung die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die Kontur und gewährleisten so seine Vereinbarkeit mit Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts nach § 68 b StGB ohne individuelle Konkretisierung für den Einzelfall genügt nicht. Entsprechend sind Anordnungen "sich nicht an Orten aufzuhalten, die erfahrungsgemäß Menschen zum Treffpunkt dienen, die illegal Betäubungsmittel konsumieren oder handeln (§ 68 b Abs. 1 Ziff. 2 StGB)" bzw. "Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder Gegenstände zur Aufbereitung von Betäubungsmitteln nicht zu besitzen, zu erwerben, bei sich zu führen, zu verwahren oder für sich verwahren zu lassen (§ 68 b Abs. 1 Ziff. 5 StGB)" zu undefiniert und daher mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar.
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 509/09

Beschluss

vom 27. Oktober 2009

in der Führungsaufsichtssache gegen M, geboren am

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande u.a. hier: Anordnung und Ausgestaltung der Führungsaufsicht

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer Döbeln des Landgerichts Chemnitz vom 27. August 2009 hinsichtlich der Weisungen Nrn. 4 c) und 4 d) der Beschlussformel aufgehoben.

Die weitergehende (einfache und sofortige) Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Verurteilte; allerdings wird die Gerichtsgebühr um ein Zehntel ermäßigt. Ein Zehntel der notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Das Landgericht Leipzig hatte den Beschwerdeführer am 09. Februar 2006 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe hatte es die zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 30. Januar 2008 auf Grundlage eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Der Verurteilte ist als Vollverbüßer am 07. April 2009 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 27. August 2009 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass bei dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes Führungsaufsicht eingetreten ist; deren Dauer hat sie auf fünf Jahre bestimmt und den Verurteilten für diese Zeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt.

Zugleich hat das Gericht den Verurteilten angewiesen,

"a) sich mindestens einmal monatlich persönlich in der Sprechstunde des für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshelfers einzufinden (§ 68 b Abs. 1 Ziff. 7 StGB),

b) jeden Wechsel des Wohnortes binnen einer Woche der Führungsaufsichtsstelle mitzuteilen (§ 68 b Abs. 1 Ziff. 8 StGB),

c) sich nicht an Orten aufzuhalten, die erfahrungsgemäß Menschen zum Treffpunkt dienen, die illegal Betäubungsmittel konsumieren oder handeln (§ 68 b Abs. 1 Ziff. 2 StGB),

d) Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder Gegenstände zur Aufbereitung von Betäubungsmitteln nicht zu besitzen, zu erwerben, bei sich zu führen, zu verwahren oder für sich verwahren zu lassen (§ 68 b Abs. 1 Ziff. 5 StGB),

e) den Anordnungen des Bewährungshelfers Folge zu leisten (§ 68 b Abs. 2 StGB).

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verurteilte mit einer im Verteidigerschriftsatz vom 15. September 2009 rechtzeitig erhobenen "sofortigen Beschwerde".

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel des Verurteilten, das sich vollumfänglich gegen den landgerichtlichen Beschluss richtet, ist zum einen als sofortige Beschwerde gegen die Feststellung des gesetzlichen Eintritts der Führungsaufsicht sowie zum anderen als einfache Beschwerde gegen die Bestimmung der Maßregeldauer, die Bestellung eines Bewährungshelfers und die Anordnung von Weisungen zulässig. Es ist indes im Wesentlichen unbegründet und hat nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ist unbegründet, soweit es sich als sofortige Beschwerde dagegen richtet, dass die Strafvollstreckungskammer nicht gemäß § 68 f Abs. 2 StGB ein Entfallen der Führungsaufsicht angeordnet hat.

Nach § 68 f Abs. 1 StGB tritt kraft Gesetzes mit der Entlassung eines Verurteilten aus dem Strafvollzug Führungsaufsicht ein, wenn - wie hier - Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten vollständig vollstreckt worden ist.

Eine Anordnung nach § 68 f Abs. 2 StGB, dass die Führungsaufsicht entfalle, hat Ausnahmecharakter; sie kommt in der Regel nur in Betracht, wenn im letzten Stadium des Vollzuges Umstände eingetreten sind die eine Strafaussetzung zur Bewährung gerechtfertigt hätten, eine solche aber entweder aus Zeitgründen oder wegen fehlender Einwilligung des Verurteilten nicht (mehr) beschlossen werden konnte (OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 283; std. Rspr. d. Senats). Die Entscheidung nach § 68 f Abs. 2 StGB setzt dabei beim Verurteilten günstige Lebensumstände voraus, die mehr als die gesetzlichen Anforderungen in § 57 Abs. 1 Satz 1, 2 StGB erfüllen. Hieran gemessen ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht zu beanstanden, weshalb es bei der gesetzlichen Folge des Eintritts der Führungsaufsicht verbleibt, § 68 f Abs. 1 StGB.

2. Soweit sich das Rechtsmittel gegen die angeordnete Dauer der Führungsaufsicht (§ 68 c Abs. 1 Satz 1 StGB) und die Bestellung eines Bewährungshelfers (§ 68 a Abs. 1 StGB) wendet, ist das Begehren als die nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 StPO statthafte einfache Beschwerde auszulegen (§ 300 StPO analog). Zwar hat die Strafvollstreckungskammer entgegen § 306 Abs. 2 StPO insoweit keine Entscheidung über die Frage der Abhilfe getroffen. Gleichwohl ist der Senat an einer sofortigen Sachentscheidung nicht gehindert.

Die Beschwerden können allerdings nur erfolgreich sein, wenn die getroffenen Anordnungen gesetzeswidrig sind, §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO. Angesichts der dem Verurteilten zu stellenden Gefährlichkeitsprognose ist jedoch gegen die Dauer der Maßregel ebenso wie gegen die gesetzlich vorgeschriebene Bestellung eines Bewährungshelfers nicht zu erinnern.

3. Auch gegen die angeordneten Weisungen ist das Rechtsmittel nicht fristgebunden, §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 1 StPO, weshalb es nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO nur darauf gestützt werden kann, dass die jeweils angefochtene Anordnung gesetzeswidrig sei. Die Vorschrift bestimmt ein nur eingeschränktes Nachprüfungsrecht des Beschwerdegerichts.

Von Amts wegen ist daher nur die Gesetzmäßigkeit der jeweiligen Weisung, nicht hingegen deren Zweckmäßigkeit zu prüfen. Dabei liegt Rechtswidrigkeit einer Weisung unter anderem vor, wenn diese im Gesetz nicht vorgesehen, sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder wenn sie sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (std. Rechtsprechung; OLG Dresden NStZ-RR 2008, 27; StV 2008, 317; Appl in KK-StPO, 6. Aufl., § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner StPO, 52. Aufl., § 453 Rdnr. 12). Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit den Führungsaufsichtsanordnungen verbundene Ermessensentscheidung der ersten Instanz zu überlassen. Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit umfasst aber neben der Prüfung, ob die angefochtene Entscheidung in der angewendeten Vorschrift eine ausreichende Rechtsgrundlage hat und ob Ermessensmissbrauch vorliegt auch die Prüfung, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (Meyer-Goßner, a.a.O.).

4. Gemessen hieran sind die Weisungen Nrn. 4.c) und 4.d) als rechtswidrig zu beanstanden und aufzuheben.

Wie der Senat wiederholt betont hat, gebietet das grundlegende Rechtsstaatsprinzip, das in § 68 b Abs. 1 Satz 2 StGB noch einmal klarstellend aufgenommen wurde, die Vorhersehbarkeit, Bestimmtheit und Klarheit von Regelungen gerade bei Maßnahmen im Bereich des Strafrechts. Entsprechend ist das Gericht zur genauen Bestimmung des verbotenen oder verlangten Verhaltens verpflichtet. Dies hat im Hinblick auf § 145 a StGB besondere Bedeutung, weil der Verstoß gegen Weisungen des Maßnahmekatalogs nach §§ 68 b Abs. 1 Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Erst die genaue Bestimmung gibt diesem Tatbestand, für den die Weisung die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die Kontur und gewährleisten so seine Vereinbarkeit mit Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz.

a) Dieser Anforderung genügt die nach Weisung Nr. 4.c) angeordnete Verpflichtung, "sich nicht an Orten aufzuhalten, die erfahrungsgemäß Menschen zum Treffpunkt dienen, die illegal Betäubungsmittel konsumieren oder handeln", nicht. Es bleibt bereits offen, welche Orte erfasst sind und auf wessen Erfahrung in Bezug auf die Einstufung der Treffpunkte abzustellen ist, geschweige denn, wie der Verurteilte erkennen soll, ob es sich bei seinem Aufenthaltsort um einen solchen "erfahrungsgemäßen" Treffpunkt handelt.

Die Einhaltung dieser bereits früher vom Senat (vgl. Beschluss vom 12. März 2008 - 2 Ws 125/08 -, NStZ-RR 2008, 326) als unzureichend beanstandeten Anordnung ist im Einzelfall nicht überprüfbar. Daher ist die Weisung ungeeignet, die Blankettbestimmung des § 145 a StGB in rechtsstaatlicher Weise hinreichend auszufüllen. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts ohne individuelle Konkretisierung genügt hierfür nicht. Entsprechend ist die Anordnung mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar und daher rechtswidrig.

b) Aus dem gleichen Grund hat auch die Weisung Nr. 4.d) keinen Bestand.

Nach ihrer Formulierung sind Art und Umfang der Anweisung infolge ihres weiten Rahmens ("Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes", "Gegenstände zur Aufbereitung") nicht geeignet, die Blanketbestimmung des § 145 a StGB verfassungsgemäß auszufüllen. Soweit die Strafvollstreckungskammer hierbei auf verbotene Substanzen abzielen will, ohne dass sie diese in geeigneter Form konkretisiert hätte, würde sich eine Anordnung wegen der ohnehin gegebenen Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz (§§ 29 ff. BtMG) erübrigen. Aber auch der Begriff der "Gegenstände" (welche?) zur "Aufbereitung" (was ist hierunter zu verstehen?) von Betäubungsmitteln ist ohne Konkretisierung mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren.

III.

Die Verletzung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots führt zu Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung beider Weisungen. Der Senat, der wegen seiner nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO eingeschränkten Prüfungskompetenz nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer setzen darf, hat von einer Rückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer Abstand genommen, weil die Ausgestaltung der Führungsaufsicht jederzeit (§ 68 d StGB) angepasst werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 StPO. Die Aufhebung der Weisungen Nrn. 4 c) und 4 d) stellt nur einen gering zu berücksichtigenden Teilerfolg der Beschwerde dar.

Ende der Entscheidung

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