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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 11.02.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 535/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB, JGG, EGStGB, Verjährungsgesetz, Alliiertes Kontrallratsgesetz Nr. 4, RStGB, StGB/DDR


Vorschriften:

StPO § 203
StPO § 395
StPO § 396
StGB § 2 Abs. 3
StGB § 9 Abs. 2 S. 2
StGB § 11
StGB § 29
StGB § 78
StGB § 78 a, c
StGB § 239
StGB § 339 Abs. 1 Nr. 2 a
JGG § 41
JGG § 108
EGStGB § 315 a Abs. 1
Verjährungsgesetz Art. 1
Alliiertes Kontrallratsgesetz Nr. 4 Art. III c
RStGB § 3
RStGB § 48
RStGB § 50 Abs. 1
RStGB § 239
RStGB § 336
RStGB § 359
StGB/DDR § 22
StGB/DDR § 131
StGB/DDR § 244
Leitsatz:

Anstiftung zur Freiheitsberaubung durch Denunziation beim NKWD 1947/48 und ihre Verjährung.


0berlandesgericht

Dresden

2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 535/99 3 KLs 824 Js 47193/93 LG Leipzig Ws-G 625/99 StA OLG Dresden

Beschluss

vom 11. Februar 2000

in der Strafsache gegen

G,

geboren am in,

wohnhaft,

Verteidiger: Rechtsanwalt,

Nebenkläger: K,

wohnhaft,

Nebenklägervertreter: Rechtsanwalt,

wegen Verdachts der Freiheitsberaubung u. a.

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts vom 27. Juli 1999 (3 KLs 824 Js 47193/93) aufgehoben.

2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 7. Oktober 1997 wird mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass dem Angeklagten in drei Fällen begangene Anstiftung zur Freiheitsberaubung, davon in zwei Fällen in jeweils drei tateinheitlichen Fällen, zur Last gelegt wird.

Das Hauptverfahren wird vor dem Landgericht - Jugendkammer - eröffnet.

3. Es wird festgestellt, dass K hinsichtlich Tatziffer 1 der Anklage zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt ist.

Gründe:

A.

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat dem Angeschuldigten mit ihrer zum Landgericht erhobenen Anklageschrift vom 07.10.1997 folgenden Sachverhalt als Freiheitsberaubung in drei Fällen, dabei zweimal in jeweils drei rechtlich zusammentreffenden Fällen, zur Last gelegt:

"1. Der Angeschuldigte gab im August oder Anfang September 1947 in an den sowjetischen Geheimdienst NKWD folgende Informationen weiter: Der Geschädigte I sei im Begriff, ein Agentennetz aufzubauen. Er habe bereits die Geschädigten K, der über Spionagematerial verfüge, und W als Agenten angeworben.

Dem Angeschuldigten war bekannt und bewußt, daß die Weitergabe solcher Informationen an das NKWD zu einer widerrechtlichen Verurteilung der Geschädigten mit der Folge langjähriger Haftstrafen führen würde.

Der Geschädigte I wurde aufgrund dieser Denunziation am 11.09.1947, die Geschädigten K und W am 16.09.1947 in verhaftet.

Das Militärgericht der sowjetischen Militäradministration für das Land in verurteilte am 02.12.1947 die Geschädigten I, 21 Jahre, und den Jugendlichen K, 16 Jahre, zu je 25 Jahren Freiheitsentzug, den Geschädigten W, 24 Jahre, zu 15 Jahren Freiheitsentzug jeweils in Besserungsarbeitslagern mit Einziehung des gesamten persönlichen Vermögens gemäß Artikel 58 Abs. 6 Strafgesetzbuch der Russischen sozialistischen Föderativen Sowjetischen Republik (RSFSR). Die Verurteilung erfolgte zu Unrecht, weil die ausgesprochene Strafe in grobem Mißverhältnis zur zugrundeliegenden Tat stand.

Der Geschädigte I verstarb im Juni 1949 in der Haft. Der Geschädigte K wurde am 06.10.1950, der Geschädigte W am 16.01.1954 aus der Haft entlassen, nachdem sie sich jeweils seit ihrer Verhaftung ununterbrochen in Haft befunden hatten.

2. Der Angeschuldigte übergab dem Geschädigten B am 05.09.1947 in schriftliche Hintergrundinformationen über die 1. Studentenratswahlen. Dieser sollte das Material in an die Süddeutsche Zeitung weiterleiten. Hierüber informierte der Angeschuldigte den sowjetischen Geheimdienst NKWD, so daß der Geschädigte B am 07.09.1947 aus dem Messesonderzug in heraus verhaftet wurde.

Dem Angeschuldigten war bekannt und bewußt, daß der Geschädigte B widerrechtlich zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden würde.

Im Februar 1948 wurde der 22jährige Geschädigte aufgrund dieser Denunziation von dem Militärgericht der sowjetischen Militäradministration für das Land in wegen Spionage zu 25 Jahren Freiheitsentzug in Besserungsarbeitslagern verurteilt.

Die Verurteilung erfolgte zu Unrecht, weil die ausgesprochene Strafe in grobem Mißverhältnis zur zugrundeliegenden Tat stand.

Der Geschädigte B befand sich seit seiner Verhaftung bis Juli 1956 ununterbrochen in Haft.

3. Der Angeschuldigte und die Geschädigten N, S und G gründeten in im Sommer 1948 das "Antikommunistische Aktionskommitee".

Der Angeschuldigte gab dem sowjetischen Geheimdienst NKWD bis ins Detail gehende Informationen über die Treffen des Kommitees weiter.

Dem Angeschuldigten war bekannt und bewußt, daß die Weitergabe dieser Informationen zu einer widerrechtlichen Verurteilung der Geschädigten führen würde und diese langjährige Freiheitsstrafen zu erwarten hatten.

Die Geschädigten S, 22 Jahre, N, 21 Jahre, und G wurden deswegen am 11.11.1948 verhaftet und im Januar 1950 durch das Militärgericht der sowjetischen Militäradministration für das Land wegen Spionage, antisowjetischer Propaganda und illegaler Gruppenbildung zu jeweils 3 x 25 Jahren Freiheitsentzug in Besserungsarbeitslagern verurteilt.

Die Verurteilung erfolgte zu Unrecht, weil die ausgesprochene Strafe im groben Mißverhältnis zur zugrundeliegenden Tat stand.

Der Geschädigte S wurde im November 1955, der Geschädigte G im Sommer 1956 und der Geschädigte N am 28.11.1956 aus der Haft entlassen."

Das Landgericht - Jugendkammer - hat in seinem Beschluss vom 27.07.1999 die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Freiheitsberaubung - und zusätzlich der Rechtsbeugung - bejaht; es hat aber die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil es an hinreichenden Anhaltspunkten für die Annahme fehle, der Angeklagte habe eine rechtswidrige Inhaftierung und Verurteilung der Geschädigten zumindest billigend in Kauf genommen, weshalb er wahrscheinlich nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" freizusprechen sein werde.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen diesen ihr am 12.08.1999 zugestellten Beschluss form- und fristgerecht beim Landgericht sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Hauptverfahren vor dem Landgericht - Jugendkammer - zu eröffnen.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden ist der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft beigetreten. Der Verteidiger des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 04.11.1999 beantragt, die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.

B.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.

Entgegen der in den Gründen des angefochtenen Beschlusses dargelegten Auffassung des Landgerichts ist der Angeschuldigte nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen auch hinsichtlich der subjektiven Tatseite der ihm zur Last gelegten Straftaten hinreichend verdächtig.

I.

Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn die Verurteilung bei vorläufiger Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) wahrscheinlich ist. Bei diesem Wahrscheinlichkeitsurteil ist für die Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo kein Raum. Zweifelhafte Tatfragen stehen der Eröffnung dann nicht entgegen, wenn in der Hauptverhandlung durch die Bewertung von Zeugenaussagen, ggf. einzuholender Sachverständigengutachten und die Einlassung des Angeschuldigten eine Klärung zu erwarten ist, die wahrscheinlich zu einer die Verurteilung tragenden Grundlage führen wird.

Der Angeschuldigte erscheint hinreichend verdächtig, die ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten begangen zu haben (unten II.) und sich deshalb - insoweit abweichend bewertet - jeweils der Anstiftung zur Freiheitsberaubung strafbar gemacht zu haben (unten III.).

II.

Der Angeschuldigte, der die Vorwürfe bestreitet, ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (unten 1. - 4.) dringend verdächtig, durch Denunziation der Geschädigten deren Verhaftung und Verurteilung herbeigeführt zu haben (unten 5.) und bei seinen Handlungen erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, dass die Geschädigten verhaftet und jeweils zu völlig unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Freiheitsstrafen verurteilt werden würden (unten 6.).

1. Anklagepunkt I /K /W

a) Der am 25.06.1949 in der Haft verstorbene I gab ausweislich des sowjetischen Protokolls in seiner Vernehmung vom 24.09.1947 vor dem Untersuchungsführer der Abteilung 6 des operativen Sektors der SMA (Sowjetischen Militäradministration) für das Land, Unterleutnant D, an, er habe K um den 18.08.1947 herum zwei Agenturmeldungen zur Aufbewahrung gegeben, wobei er eine, in der die Menge der von der Sowjetunion aus Deutschland ausgeführten Industrieanlagen angegeben war, "vom Agenten G " erhalten habe, den er in den ersten Tagen des August 1947 zur "Spionage" angeworben habe. G sei wohnhaft in. Am 18.08.1947 habe er K und G in seiner Wohnung miteinander bekannt gemacht und ihnen erklärt, dass sie bei der Sammlung von "Spionageinformationen" zusammenarbeiten würden, d. h. K werde alle von G beschafften Materialien entgegennehmen. I erklärte in einer Nachvernehmung nochmals, er habe G für das Agentennetz angeworben.

b) K bestätigte ausweislich des Vernehmungsprotokolls am 27.09.1947 vor dem Untersuchungsführer D das erstmalige Zusammentreffen mit G in der Wohnung I ' (wobei er den 30.08.1947 als Datum angab) und den übrigen Inhalt der Aussage I '. Zusätzlich bekundete er, es sei vereinbart worden, er solle G in dessen Arbeitszimmer aufsuchen, hierbei vorsichtigt sein, damit niemand bemerke, wie er von G gesammelte Informationen erhalte. In der Vernehmung am 13.11.1947 bestätigte K, dass er eine der ihm vorgelegten, von ihm einer Kurierin übergebenen "Agenturmeldungen", in der es seiner heutigen Erinnerung nach um die Mengen von aus Deutschland in die Sowjetunion ausgeführter Ausrüstungen und Lebensmittel ging, seinerseits vom "Agenten G, " erhalten habe.

In seinen Zeugenaussagen im hiesigen Ermittlungsverfahren bestätigte K diese Angaben. I habe Informationen über den Abtransport von Wirtschaftsgütern aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in die Sowjetunion sammeln und an die Londoner Vier-Mächte-Konferenz weiterleiten wollen. Da I am 11.09.1947 sein Studium in habe fortsetzen wollen, habe jener ihn vor seiner für den 10.03.1947 geplanten Abreise instruiert, von ihm gesammeltes Material künftig an G, der die Führung der Gruppe übernehmen sollte, zu übergeben. Hierzu habe er diesen am 12.09.1947 aufgesucht. G habe ihm die mitgebrachten Informationen aber mit weiterem zusätzlichem Material zurückgegeben, welches er am 15.09.1947 um 15.00 Uhr an einem bestimmten Ort in an einen Kurier unter Angabe einer von G mitgeteilten Losung übergeben sollte. Anschließend habe er sich mit G in der Nähe des Postamtes S 3 ( Süd) treffen sollen. Nachdem alles wie besprochen abgelaufen war, sei er am 16.09.1947 in der elterlichen Wohnung verhaftet worden. Einer der drei sowjetischen Geheimdienstleute, die ihn verhaftet hätten, habe ihm später erzählt, dass er ihn bereits am Vortag mit G gesehen habe. In seinem Schreiben vom 28.03.1996 gab K ergänzend an, die Schwester von I, Sch, habe ihm am 14.01.1996 erzählt, G habe ihren Bruder am 10.09.1947 wenige Stunden vor seiner beabsichtigten Abreise nach in seiner Wohnung, in der auch sie sich befunden habe, aufgesucht und sich genau nach Einzelheiten seiner Abreise aus L erkundigt, worauf er dann wenige Stunden später in seiner Wohnung verhaftet worden sei.

c) W bekundete in seinen Vernehmungen vom 20.01.1993 und 19.07.1994, im Sommer 1947 habe ihm I angetragen, etwas gegen die "hemmungslose Demontage" in der SBZ durch die Sowjets zu tun. Er selbst habe weder I Material weitergegeben noch habe er K vor dem 02.12.1947, dem Tag der Verhandlung, persönlich gekannt; G habe er nur vom Sehen gekannt. In der Hauptverhandlung sei G vom Gericht als Mitglied der "Verbotenen Gruppe I " benannt worden. Nach der Verurteilung habe I in der Zelle zu ihm gesagt, er habe nur G in alles eingeweiht, niemand sonst habe von den Absprachen ihrer Gruppe Kenntnis gehabt, weshalb nur G als Spitzel des NKWD übrig bleibe, zumal die Sowjets in seiner (I ') Vernehmung genauestens über alle Einzelheiten seiner Aktivitäten informiert gewesen seien.

d) Mit Beschluss des Untersuchungsführers D vom 10.11.1947 wurde das Verfahren gegen "1.... 4. G,, ca. 20 Jahre alt, Wohnsitz unbekannt...", die "nach Aussagen (von I, K und W ) als Agenten des amerikanischen Geheimdienstes" gälten, "Unter Berücksichtigung dessen, daß die oben genannten Personen die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands verlassen haben, zwecks Einleitung eines gesonderten Ermittlungsverfahrens..." abgetrennt.

Tatsächlich aber hatte I am 24.09.1947 die Wohnanschrift G, der die SBZ nie verlassen hatte, offenbart. In der Anklageschrift gegen die drei Geschädigten vom 12.11.1947 wird ausgeführt, dass I im August 1947 "K,, G, und W, zur Beschaffung von Spionageangaben" angeworben und K von G "Spionageunterlagen über die Menge der von den sowjetischen Besatzungsbehörden aus der SBZ Deutschland ausgeführten technischen Güter und Nahrungsmittel" erhalten habe.

Auch das Urteil vom 02.12.1947 des Militärgerichts SMA für das Land S nimmt Bezug auf die Anwerbung G, "dessen Sache in einem besonderen Verfahren behandelt" werde.

2. Anklagepunkt B

a) B gab in seinen Vernehmungen am 21.10.1992 und 20.07.1994 an, er habe G am 04.09.1947 in der Wohnung von Ga in Leipzig kennengelernt. Im Gespräch habe G sein Interesse an einer publizistischen Tätigkeit für ein westlich lizensiertes Presseorgan bekundet, um Missstände in der SBZ aufzuzeigen, und ihn nach Kontakten zu einer Westzeitung befragt. G habe ihm Hintergrundinformationen über die ersten Leipziger Studentenratswahlen für den nächsten Tag zugesagt. Am 05.09.1947 habe er von G in der Geschäftsstelle der LDPD das versprochene Manuskript abgeholt. Nur Ga habe hiervon gewusst. Am 07.09.1947 nachmittags sei er im Zug von L nach M namentlich aufgefordert worden, sein Reisegepäck zusammenzupacken zum Zwecke der Überprüfung der Reisedokumente. Da er des Russischen mächtig gewesen sei, habe er verstanden, wie einer der Drei sagte, dass das "Material" auf keinen Fall zurückbleiben dürfe. Das Manuskript G und einen anderweitig erhaltenen Briefumschlag hätte er jedoch zuvor in einer unverschlossenen Klappe im Abteil unterhalb des Fensters versteckt, wo es unentdeckt geblieben sei. In der Dienststelle des NKWD in L sei ihm dann auf den Kopf zugesagt worden, er sei als Agent-Kurier tätig gewesen und solle das Material herausgeben. Am nächsten Tag habe ein sowjetischer General vergeblich versucht, ihn für den sowjetischen Geheimdienst anzuwerben; anschließend habe der General in seinem Beisein telefonisch die Verhaftung von Ga angeordnet. Der sowjetische Untersuchungsführer Major F habe ihm eröffnet, dass G gestanden habe, Spionagematerial an ihn, B, übergeben zu haben. Er habe zugegeben, von G einen Artikel über die Studentenratswahlen erhalten zu haben und eine Gegenüberstellung mit G verlangt, weil er darin kein Spionagematerial habe sehen können. Dies sei abgelehnt worden mit der Begründung, G habe sich der Verantwortung durch eine Flucht in den Westen entzogen.

b) Der Zeuge Ga bekundete in seiner Vernehmung am 02.02.1995, im Rahmen seiner Mitgliedschaft im Jugendausschuss der Stadt habe er das Recht gehabt, mit Inhaftierten zu sprechen. In diesem Zusammenhang habe er 1946 von dem russischen Major B erfahren, dass die Amerikaner den Sowjets G, den er bis dahin nicht kannte, und einen weiteren Jugendlichen unter dem Verdacht der Zugehörigkeit zu einer Werwolf-Organisation übergeben hätten. Er habe sich für G und den Jugendlichen verwandt. Zirka acht Tage nach der Haftentlassung sei der Jugendliche bei ihm in der Wohnung erschienen und habe ihm mitgeteilt, er solle sich vor G hüten, da dieser von Major B den Auftrag habe, über ihn zu berichten. Er habe G damals ständig im Jugendausschuss getroffen.

Am 05.09.1947 habe ihn sein Bekannter B, der mit dem Sohn des Herausgebers der "Süddeutschen Zeitung" befreundet gewesen sei, in seiner Wohnung besucht; G sei auch dagewesen. G habe B gefragt, ob dieser Verbindungen zur "Süddeutschen Zeitung" herstellen könne, er sei gegen das System in der SBZ und wolle gern entsprechende Berichte in der Westpresse veröffentlichen. B habe ein militärisches Handbuch dabei gehabt und ihnen berichtet, dass er es nach M mitnehmen wolle. Dann habe G B gebeten, eine von ihm gefertigte Arbeit am nächsten Tag mit nach M zu nehmen. - Ihm sei an den folgenden Tagen aufgefallen, dass er offensichtlich beobachtet werde.

Am 10.09.1947 habe ihm G nach einem erneuten Treffen noch den neuen Sitzungssaal der LDP im Rathaus gezeigt und ihn befragt, wann er wieder zu Hause sei. Dort angekommen, sei er von sowjetischem Militärpersonal verhaftet worden. Als er später einem sowjetischen Vernehmungsoffizier gegenüber seine Vermutung geäußert habe, auf Grund einer Denunziation durch G verhaftet worden zu sein, habe der Offizier nur gelächelt.

3. Anklagepunkt N /S /G

a) N gab in seinen Vernehmungen vom 15.06.1993 und 19.09.1994 an, er habe 1948 mit S, G und G ein "Antikommunistisches Aktionskommitee" (AAK) gegründet, um dem Aufbau des Kommunismus in der SBZ entgegenzuwirken. Hierbei habe man Informationen, u. a. über Verhaftungen, insbesondere an Westberliner Zeitungen geleitet und auch eigene Stellungnahmen veröffentlicht. Alle Planungen und Aktionen hätten sie zu viert durchgeführt, G sei also immer dabei gewesen. Am 11.11.1948 sei er in der Wohnung seiner Mutter verhaftet worden.

Während der Vernehmungen habe er festgestellt, dass ein sehr umfangreicher Vorgang über ihn bestanden habe; in einem Inhaltsverzeichnis seien die Daten der AAK-Treffen und was dort besprochen worden sei ganz genau bezeichnet gewesen. Ihm seien aus diesem Vorgang präzise Vorhaltungen mit Datum gemacht worden, z. B. der Vorwurf der Sabotage auf Grund einer Äußerung, die er an einem bestimmten Tage im Kreis G, S und G gemacht hatte. Sie, d. h. er, S und G hätten später festgestellt, dass Vorgänge und Personen, die G nicht gekannt habe, nicht in den Akten verzeichnet gewesen seien. Anlässlich des "Aktenabschlusses" habe der sowjetische Richter auf eine Frage bedeutet, dass G sich der Verantwortung durch Flucht nach Westdeutschland entzogen habe. Tatsächlich sei G jedoch im April oder Mai 1950 mit den Stimmen der SED gegen die Stimmen der eigenen LDP zum Bürgermeister von gewählt worden.

b) S bekundete im Ermittlungsverfahren, er sei damals Jugendreferent des Stadtbezirkes -Nord, N Jugendreferent -Ost und G Schulungsreferent gewesen. Im Juli 1948 hätten sie mit G, der damals in gewohnt habe, trotz aufgekommener politischer Differenzen das "Antikommunistische Aktionskommitee" gegründet, um über die bis dahin erfolgte Weiterleitung von Informationen über das politische Geschehen nach Westberlin hinaus "antikommunistische Aufklärungsarbeit" vor Ort zu leisten. Sie seien sich bewusst gewesen, im Falle der Entdeckung mit ihrer Verhaftung rechnen zu müssen. Am 11.11.1948 seien sie mit - P und H, die zwar nicht zum AAK gehörten, aber die Einzigen waren, die G von den übrigen Eingeweihten persönlich gekannt habe, vom NKWD in den Wohnungen verhaftet worden. Bei den wochenlangen Verhören habe er gemerkt, dass der NKWD über die internsten Einzelheiten Bescheid wusste, aber nur soweit, wie G unterrichtet gewesen sei. Wenn er sich z. B. auf eine Gedächtnislücke berufen habe, seien ihm vom sowjetischen Untersuchungsführer ganze Passagen vorgelesen worden, die protokollartig über die Besprechung des AAK berichteten. Jeder seiner Versuche, G zu belasten, sei vom Untersuchungsführer ignoriert und gar nicht erst zu Protokoll genommen worden. Wenn er G der Spitzeltätigkeit beschuldigt habe, habe der Untersuchungsführer nur gegrinst. Ende Dezember 1949 seien sie zum "Aktenabschluß" geholt worden, bei dem der Untersuchungsführer auf die Frage von G nach dem Mitangeklagten G geantwortet habe, dieser habe sich durch die Flucht nach Westdeutschland der Verantwortung entzogen und werde in einem späteren Gerichtsverfahren zur Rechenschaft gezogen.

4. Der Angeschuldigte G bestreitet jegliche Denunziation. Er sei selbst wegen seiner Tätigkeit im "Antikommunistischen Aktionskommitee" verhaftet worden, aber nach drei Tagen auf Fürsprache sowjetischer Offiziere wegen seiner Haltung als damals so genannter "fortschrittlicher Liberaler" wieder freigekommen.

Er war nach eigenen Angaben im Dritten Reich "Jungstammführer", weswegen er im April 1946 für knapp 14 Tage vom NKWD verhaftet wurde. Von 1946 bis 1950 war G, der seit 1945 Mitglied der LDP und im März 1946 Mitbegründer der FDJ in Leipzig war, Jugendreferent im Stadtverband und im Bezirksverband Nordwest- der LDP, von 1947 bis 1952 Mitglied des Landesvorstands der LDP. 1947 wurde er Abteilungsleiter im Kreisvorstand der FDJ, war von 1949 bis 1959 Mitglied in deren Zentralrat, ab 1949 auch Abgeordneter in der Volkskammer. Im April 1950 wurde er gegen die Stimmen der LDP und der CDU zum ersten Bürgermeister der Stadt gewählt. - In den Folgejahren setzte er seine politische Laufbahn bis in das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsrates der DDR kontinuierlich fort. Dieses Amt übte er von September 1960 bis zum 06.12.1989 aus. Danach war er für wenige Monate amtierender Vorsitzender des Staatsrates.

5. Es besteht - wie in der Anklage zutreffend ausgeführt - der hinreichende Verdacht, dass der Angeschuldigte die Geschädigten denunziert hat und die Verantwortlichen des NKWD sich auf Grund der ihnen von G überbrachten Informationen entschlossen, I, K, W, B, N, S und G - die ihnen nach den bisherigen Ermittlungen zuvor unbekannt waren - zu verhaften und sie wegen der von G mitgeteilten Sachverhalte einer Verurteilung zu außer jedem Verhältnis stehenden Freiheitsstrafen zuzuführen, um sie als politische Gegner auszuschalten.

a) Für eine Spitzeltätigkeit des Angeschuldigten - vor der der Zeuge G bereits 1946 gewarnt worden war - sprechen gravierende Indizien:

- In allen drei Tatkomplexen war G an den inkriminierten Aktivitäten maßgeblich beteiligt und wurde von den übrigen Geschädigten auch als Mittäter belastet. Er blieb im Gegensatz zu diesen unbehelligt und wurde gezielt aus den Verfahren jeweils mit der Behauptung herausgehalten, er habe sich nach Westdeutschland abgesetzt, obwohl er sowjetischen Stellen nicht nur von Person, sondern auch der Anschrift nach - die I in einer Vernehmung genannt hatte - bekannt war.

- G stand - abgesehen von den von ihm auch in seiner 1985 erschienen autobiographisch fundierten Schrift "Äußerungen über uns und unsere Zeit" bekundeten guten Kontakten zur SMAD - offenbar mit den Untersuchungsführern des NKWD auf vertrautem Fuße. Dies bekräftigen über das bereits Gesagte hinaus weitere Zeugen, insbesondere die als zum erweiterten Kreis des "AAK" (Fall 3) gehörend verhafteten - P und K. Letzterer hat nicht nur ein demonstratives Desinteresse der sowjetischen Vernehmer an der Person G bestätigt, sondern in seiner - im Rahmen eines Parteiausschlussverfahrens gegen G abgegebenen - eidesstattlichen Versicherung 11m 03.04.1991 darüber hinaus mitgeteilt, G habe sich im November 1948 im NKWD-Gefängnis in im Vernehmungszimmer befunden, als er, K, nach seiner Verhaftung am 09.11.1948 zur Vernehmung vorgeführt worden sei. G habe sich mit einem in Zivil gekleideten Mann unterhalten. Beide seien von dem ihn vernehmenden Offizier mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt worden. G und der Zivilist hätten seiner Vernehmung zugehört, seien nach einigen Minuten aufgestanden und an der Tür vom Vernehmungsoffizier mit Handschlag verabschiedet worden. Am gleichen Tage, nach Beendigung der Vernehmung, habe er G nochmals im Zimmer des Vernehmungsgebäudes gesehen und beobachtet, wie G mit zwei sowjetischen Offizieren gesprochen und sich von diesen mit Handschlag verabschiedet habe.

b) Darüber hinaus drängt sich auf Grund weiterer Indizien der Schluss auf, dass es gerade der Angeschuldigte war, der die zur Verhaftung und späteren Verurteilung der vorgenannten Geschädigten führenden Informationen dem sowjetischen Geheimdienst übermittelte. Er stellt nicht nur das einzige Bindeglied zwischen den drei Fällen dar; auch wird in allen drei Tatkomplexen von den Geschädigten übereinstimmend berichtet, die ihnen vorgehaltenen und zur Last gelegten Sachverhalte hätten genau dem Wissenstand des Angeschuldigten entsprochen. Die ehemaligen Mitglieder des "AAK" bekunden explizit, dass G unbekannt gebliebene Personen, die in gleicher Weise wie andere, dem Angeschuldigten bekannte an Treffen des "AAK" teilgenommen hätten, im Gegensatz zu diesen nicht verfolgt worden seien. Darüber hinaus verfügten die sowjetischen Stellen über Informationen, die außer G lediglich den Geschädigten bekannt waren:

- I und G wurden verhaftet, nachdem G sich detailliert über Zeit und Ort ihres Aufenthalts im Anschluss an gemeinsame Treffen informiert hatte;

- I - als Koordinator der von ihm geleiteten Gruppe - äußerte gegenüber W in der Haft, außer den drei Geschädigten sei lediglich G in die Absprachen bezüglich der Weitergabe von Informationen an die Kurierin am 15.09.1947 eingeweiht gewesen;

- bei B Verhaftung wurde - vergeblich - gezielt nach dem ihm von G zuvor übergebenen Manuskript gesucht, von dem außer ihm lediglich der ebenfalls verhaftete G Kenntnis gehabt hatte;

- N wie S bekunden übereinstimmend, ihnen seien ins Einzelne gehende protokollartige Vermerke über interne Treffen des "AAK" vorgehalten worden, die lediglich ein Teilnehmer habe machen können.

Schließlich hat die Zeugin L, die unter ähnlichen Umständen verhaftet und gemeinsam mit G, der sie als Verfasserin von Artikeln für westzonale Zeitungen gewonnen hatte, abgeurteilt wurde, bekundet, ihr sei von den sowjetischen Richtern explizit gesagt worden, G habe sie der Spionage bezichtigt.

c) Die Gesamtschau dieser und weiterer den Angeschuldigten belastender Umstände begründet den hinreichenden Verdacht, dass die genannten Geschädigten Opfer einer gezielten Denunziation durch den Angeschuldigten geworden sind.

6. Der Angeschuldigte ist auch hinreichend verdächtig, die Verhaftung und die dieser jeweils nachfolgende Verurteilung der Geschädigten zu außer jedem Verhältnis stehenden Freiheitsstrafen als sichere Folge seiner Denunziationen vorausgesehen und die Freiheitsberaubung der Geschädigten damit zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt zu haben.

Es bestehen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass es im Tatzeitraum, wenn nicht allgemein, so doch zumindest jedem am Zeitgeschehen einigermaßen Interessierten bekannt war, dass auch geringfügige, als "Spionage" oder "antisowjetische Tätigkeit" bewertbare Vergehen durch die sowjetische Besatzungsmacht mit außer jedem Verhältnis stehenden Freiheitsstrafen zur Abschreckung politischer Gegner geahndet wurden. Die Zeugin L, die wegen Spionage zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, brachte mit ihrer Bemerkung, "das war einheitlich damals" die zwischenzeitlich allgemeinkundige Tatsache zum Ausdruck, dass dies das übliche Strafmaß in derartigen Fällen war. In einem der Standardwerke zur Geschichte der politischen Justiz in der SBZ und der DDR wird von Presseberichten über derartige Fälle gehandelt (Karl Wilhelm Fricke, Politik und Justiz in der DDR, 2. Aufl. 1990, Zeittafel S. 570/571), die gezielt als abschreckende Propaganda eingesetzt wurden (vgl. - mit Darlegung der Entwicklung der abgeurteilten Sachverhalte - Fricke a.a.O., S. 106 ff., Quellennachweise S. 625).

Es besteht deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Gericht in einer Hauptverhandlung - gegebenenfalls sachverständig beraten - von diesem Umstand wird überzeugen können. Auch die alsbald nach seiner Freilassung durch das NKWD im Jahre 1946 begonnene politische Karriere des Angeschuldigten, die ihn im Alter von 22 Jahren bereits den Posten des ersten Bürgermeisters der Stadt bekleiden ließ, legt den Schluss nahe, dass auch ihm die Verhaftungs- und Urteilspraxis der SMAD des NKWD nicht verborgen geblieben war. Umso weniger kann dies angesichts der von ihm selbst bekundeten hervorragenden Kontakte zur SMAD und den insbesondere vom Zeugen K beobachteten offenbar vertrauensvollen Beziehungen zum NKWD angenommen werden. Der Angeschuldigte selbst hat in seiner Vernehmung als Beschuldigter ausgeführt (Bl. 402/403 d.A.), "leider [sei] in diesen Jahren in der Sowjetischen Besatzungszone eine Verhaftungswelle von der anderen abgelöst worden;... in vielen Fällen nur, weil sie [die Betroffenen] eine andere Meinung hatten..." und damit - wie sein danach folgender Rekurs auf ihm bekannte Fälle zeigt - seine damalige Kenntnis der sowjetischen Verfolgspraxis eingeräumt.

III.

Die Taten, deren Begehung der Angeschuldigte danach hinreichend verdächtig ist, begründen seine Strafbarkeit wegen Anstiftung zur Freiheitsberaubung.

1. Der Angeschuldigte war als zur Tatzeit Deutscher für seine im Inland begangenen Taten der Geltung des deutschen Strafrechts, das durch das Besatzungsrecht nur partiell, nicht aber im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe, außer Kraft gesetzt war, nicht entzogen. Er unterfiel der mit dem alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 4 wieder eingesetzten deutschen Strafgerichtsbarkeit, von der er nicht durch dessen Art. III lit. c) befreit war. Durch diese Vorschrift wurden allein Staatsangehörige der Alliierten und deren übriges Militärpersonal im Sinne einer Exterritorialität von der deutschen Gerichtsbarkeit freigestellt.

Ein danach gemäß § 3 RStGB - sowohl nach der das Personalitätsprinzip einführender Neufassung von 1940, wie nach der nach Kriegsende jedenfalls im Land wieder angewandten (vgl. Schwarz, StGB, 14. Aufl. 1951, § 3 Anm. B), auf das Territorialprinzip abstellenden Vorfassung - entstandener inländischer Strafanspruch ist mit Gründung der DDR auf diese und von dieser auf die vereinte Bundesrepublik Deutschland übergegangen.

2. Dabei hat der Angeschuldigte sich nicht der Teilnahme an einer Rechtsbeugung strafbar gemacht.

Dies ergibt sich daraus, dass Täter einer Rechtsbeugung gemäß §§ 336, 359 RStGB (ebenso wie gemäß §§ 339, 11 Abs. 1 Nr. 2 a StGB und sinngemäß § 244 StGB/DDR) nur ein inländischer Richter sein konnte. Dies lässt - anders als die Exterritorialität eines Straftäters - bereits materiell die Strafbarkeit der sowjetischen Militärrichter, die die Geschädigten verurteilten, entfallen. Das gilt selbst dann, wenn man die Richter alliierter Gerichte in Ausübung der ihnen kraft Besatzungsrecht zukommenden Strafgewalt - schon im Hinblick auf die durch das Analogieverbot gezogenen Grenzen der Auslegung bedenklich - als "im Dienste des Reiches oder... eines Bundesstaates" stehend ansehen wollte. Zwar war das Besatzungsrecht (auch) inländisches Recht, doch wurden die Geschädigten gerade nicht nach diesem, sondern allein nach sowjetischem Strafrecht abgeurteilt. Jedenfalls deswegen, weil die sowjetischen Militärrichter als solche nach ihrem eigenen innerstaatlichen Recht handelten, konnten sie eine Rechtsbeugung nach deutschem Recht, an der der Angeschuldigte hätte teilnehmen können, nicht begehen.

3. Die Taten, derer der Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist, waren aber zur Tatzeit als Anstiftung zur Freiheitsberaubung gemäß §§ 239 Abs. 1 und 2, 48 RStGB strafbar und sind es auch nach den als Zwischenrecht zu prüfenden §§ 131 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB/DDR geblieben.

a) Die Inhaftierung der sieben Geschädigten war jeweils rechtswidrige Freiheitsberaubung. Die zu Grunde liegenden Urteile der sowjetischen Militärtribunale können zumindest deswegen keine rechtfertigende Anerkennung finden, weil die verhängten Strafen auch unter Berücksichtigung der Zeitumstände außer jedem Verhältnis zu den abgeurteilten Handlungen standen. Der Senat teilt insoweit - ebenso wie das Landgericht - die in der Anklage ausführlich begründete Einschätzung der Staatsanwaltschaft.

Dabei bedarf keiner abschließenden Prüfung, ob - wie die Entscheidung des Obersten Militärstaatsanwalts der Russischen Föderation, mit der I, K und W im April 1995 rehabilitiert wurden, nahe legt - die Richter sich nach sowjetischem Recht der Rechtsbeugung strafbar gemacht haben. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB (dessen Regelungsgehalt die Rechtslage auch zur Tatzeit entsprach, vgl. LK-Jagusch, 7. Aufl. 1954, Anm. 5; LK-Gribbohm, 11. Aufl. 1997, Rdnr. 29 f.) kommt es auf diese Frage für Inlandstaten nicht an.

Nach dem seit der Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29.05.1943 das deutsche Strafrecht beherrschenden Prinzip der limitierten Akzessorietät (§ 50 Abs. 1 RStGB, § 29 StGB), welches auch im Strafrecht der DDR anerkannt war (Kommentar zum Strafgesetzbuch, Hrsg. Ministerium der Justiz, Autorenkollektiv, 5. Aufl. 1987, § 22 Anm. 4.) ist es für die Strafbarkeit des Angeschuldigten ebenfalls ohne Belang, ob die sowjetischen Richter ihr Tun etwa für gerechtfertigt hielten. Sollten sie die Grenzen ihrer Strafgewalt verkannt haben, hätten sie sich lediglich in einem schuldaussschließenden Verbotsirrtum befunden.

Der Umstand, dass sie der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen waren, wirkt sich auf die Strafbarkeit des Angeschuldigten nicht aus.

b) Die Denunziationen, deren der Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist, stellen sich rechtlich nach allen in Betracht kommenden Strafgesetzen als Anstiftung dar.

Die Verantwortlichen des NKWD und der Sowjetischen Militäradministration entschlossen sich auf Grund der Denunziation der Geschädigten, diese wegen der vom Angeschuldigten mitgeteilten - wahren - Sachverhalte zu verhaften und im Anschluss zu rechtswidrigen Freiheitsstrafen zu verurteilen. In ähnlich gelagerten Fälle aus der NS-Zeit wurden die Denunzianten nicht nur vom Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 3, 110, 114), sondern offenbar auch von den Gerichten in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone regelmäßig wegen (täterschaftlicher) Freiheitsberaubung verurteilt (vgl. OLG Halle NJ 1947, 64; OLG Gera NJW 1947/48, 32 Nr. 85).

Im Ausgang teilt der Senat die vom Bundesgerichtshof erstmals in seiner Entscheidung zum Nationalen Verteidigungsrat (BGHSt 40, 218, 236 f.) vertretene Auffassung, dass unter bestimmten Umständen auch der Hintermann eines volldediktisch handelnden Täters als mittelbarer Täter verantwortlich sein kann. Doch hat der Angeschuldigte weder als dem unmittelbaren Täter in hierarchischer Struktur übergeordneter Hintermann gehandelt noch ist er nach dem bisherigen Ermittlungsstand hinreichend verdächtig, eine unbedingte Handlungsbereitschaft der sowjetischen Täter ausgenutzt und die Inhaftierung der Geschädigten als Ergebnis eigenen Handelns gewollt zu haben. Vielmehr hat er nach bisherigem Erkenntnisstand lediglich mit bedingtem - wenn auch damit für eine Anstiftung ausreichendem - Vorsatz bezüglich einer rechtswidrigen Inhaftierung der Denunzierten diese der Willkür des NKWD ausgeliefert. Den sowjetischen Offizieren - und nicht dem Angeschuldigten - verblieb die Entscheidung, die Denunzierten rechtswidrig ihrer Freiheit zu berauben oder nicht. Sollte der zweiten Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs zu DDR-Denunziationen (BGHSt 42, 275 ff.) die Ansicht zu entnehmen sein, dass der Denunziant allein dadurch zum mittelbaren Täter werde, dass er mit seinem Handeln zumindest auch eigene Ziele verfolgte (BGH aaO. 276 f.), so könnte der Senat sich dem im Hinblick auf die etwa von Roxin (vgl. Leipziger Kommentar, StGB § 25, Rdnr. 56 f.) dargelegten Argumente nicht anschließen.

Soweit das Strafrecht der DDR als milderes Zwischenrecht zur Anwendung käme, schiede eine Bewertung der Handlungen des Angeschuldigten als mittelbare Täterschaft bereits deshalb aus, weil eine solche nach § 22 Abs. 1 2. Alt. StGB/DDR nur in Betracht kommt, wenn der Tatmittler für seine Tat selbst nicht verantwortlich ist.

Die Taten des Angeschuldigten sind nicht gerechtfertigt. Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass auch eine eventuelle Anzeigepflicht bei im Falle ihrer Erfüllung drohender rechtswidriger Verurteilung einen Rechtfertigungsgrund nur unter dem Gesichtspunkt des Notstandes ergeben könnte. Nach den bisherigen Erkenntnissen hat sich der Angeschuldigte in einem solchen nicht befunden. In keinem der Fälle hat er sich auf die Anzeige ihm bekannt gewordener Sachverhalte beschränkt. Stets war er an den Handlungen der von ihm denunzierten Geschädigten aktiv beteiligt, bezüglich der Geschädigten K und B hat er die diesen später zu Last gelegten Umstände maßgeblich selbst geschaffen.

3. Welches Strafgesetz als mildestes Recht gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung berufen ist, wird maßgeblich vom Ergebnis der Hauptverhandlung abhängen.

Sofern das Landgericht zu einem Schuldspruch unter Anwendung von Erwachsenenstrafrecht gelangen würde, wäre nämlich dann, wenn auch hinsichtlich der unzweifelhaft die objektiven Voraussetzungen des § 131 Abs. 2 2. Alt. StGB/DDR erfüllenden Umstände der Freiheitsberaubung ein bedingter Vorsatz des Angeschuldigten erweislich ist, zu beachten, dass der dann eröffnete Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - anders als die isoliert betrachtet schärfere Strafdrohung der sonst heranzuziehenden § 239 Abs. 2 a.F. StGB/bzw. § 239 Abs. 3 n.F. StGB - eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht zulässt. In diesem Falle wäre nach dem Grundsatz strikter Alternativität zunächst zu prüfen, ob bei Anwendung des geltenden Strafrechts eine zu verhängende Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden könnte (vgl. BGH NJW 1995, 2861 ff.; 3324, 3332).

IV.

Die Straftaten, deren der Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist, sind noch nicht verjährt.

1. Sie waren zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik bis zum Wirksamwerden des Beitritts am 03.10.1990 unverjährt, so dass die Verjährung an diesem Tage gemäß Art. 315 a Abs. 1 Satz 3 EGStGB unterbrochen wurde.

Da es sich um Taten handelt, die entsprechend dem mutmaßlichen Willen der Staats- und Parteiführung der DDR aus politischen Gründen nicht geahndet wurden, hat die Verjährung gemäß dem (deklaratorischen) Art. 1 VerjährungsG vom 26.03.1993 während des Zeitraums vom 11.10.1949 bis 02.10.1990 geruht. Da die Verjährung der Tat des Anstifters erst mit Beendigung der Haupttat beginnt (Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. 1999, § 78 a Rdnr. 5) und mit Ausnahme des zuvor verstorbenen I alle Geschädigten erst nach dem 11.10.1949 aus der Haft entlassen wurden, kann von vornherein lediglich bezüglich der gegen I gerichteten Tat ein Teil der Verjährungszeit abgelaufen sein, wenn man nicht ohnehin - was nahe liegt - auch für die Sowjetische Besatzungszeit ein quasi-gesetzliches Verfolgungshindernis mit der Folge des Ruhens der Verjährung annimmt.

2. Die Verjährung der im dem Angeschuldigten günstigsten Fall im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedrohten Taten tritt gemäß § 315 a Abs. 2 EGStGB erst mit Ablauf des 2. Oktober 2000 ein.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nimmt die Vorschrift nur auf das geographische Gebiet des Einigungsvertrages Bezug. Sie findet auch im vorliegenden Fall Anwendung, da im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des 2. Verjährungsgesetzes am 30.09.1993 die seit 03.10.1990 gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre betragende Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war. Auch insoweit kommt es auf die Frage eines Ruhens der Verjährung während der sowjetischen Besatzungszeit im Fall Ihmels nicht an. Dies gilt auch im Hinblick auf einen denkbaren Ablauf der absoluten Verjährungsfrist gemäß § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB, da diese Vorschrift nur im Rahmen von Art. 315 a Abs. 1 EGStGB unberührt bleibt und von dem Absatz 2 dieser Vorschrift dessen Sinn und Zweck nach suspendiert wird (LK-Jähnke, 11. Aufl. 1994, § 78c Rdnr. 44).

V.

Nach alledem ist das Verfahren vor dem Landgericht - Jugendkammer - zu eröffnen. Für eine Eröffnung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts besteht aus Sicht des Senats keine Veranlassung.

Zwar wäre seitens der Staatsanwaltschaft die Anklage vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts zu erheben gewesen, da die Voraussetzungen der §§ 41 Abs. 1 Nr. 1 und 3, 108 Abs. 1 JGG nicht vorlagen. Das Jugendschöffengericht hätte jedoch gemäß §§ 40 Abs. 2, 108 Abs. 2 JGG dann wegen des besonderen Umfangs bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens die Sache der Jugendkammer zur Übernahme vorlegen können. Eine sinnvolle Lösung des Problems, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage bei einem an sich sachlich zunächst nicht zuständigen Gericht erhoben und dieses diesen Fehler nicht bemerkt hat, kann in Ausfüllung der gesetzlichen Regelungslücke für vorliegenden Fall nur darin bestehen, dass es auch im gegenwärtigen Stande des Verfahrens noch möglich ist, die Sache, welche die Kräfte des Jugendschöffengerichts übersteigen würde, vor die Jugendkammer zu bringen (vgl. hierzu auch BGH NJW 1960, 2203).

C.

Die Entscheidung über den Nebenklägeranschluss beruht auf §§ 395 Abs. 1 Nr. 1 d), 396 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StPO. Das Oberlandesgericht ist zu dieser Entscheidung berufen, weil das Verfahren derzeit bei ihm anhängig ist (Klein- knecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, § 396 Rdnr. 8).

Ende der Entscheidung

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