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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 04.11.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 563/03
Rechtsgebiete: ZPO, StPO


Vorschriften:

ZPO § 319
StPO § 311
Gegen einen Beschluss, der in einer Strafsache die Berichtigung der Urteilsformel wegen offensichtlicher Unrichtigkeit zum Gegensand hat, ist zur Rechtsklarheit nur das befristete Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft (§ 319 Abs. 3 ZPO analog).
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Beschluss

Aktenzeichen: 2 Ws 563/03

vom 04. November 2003

in der Strafsache gegen

wegen Betruges

hier: Auslagenentscheidung

Tenor:

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 13. August 2003 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeklagte.

Gründe:

I.

Das Landgericht Chemnitz hatte am 24. Februar 2003 die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 04. September 2002 "kostenpflichtig" verworfen. Seine Kostenentscheidung hat es den Urteilsgründen zufolge auf § 473 Abs. 1 StPO gestützt. Die Entscheidung ist seit dem 04. März 2003 rechtskräftig.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 08. August 2003 hat der Angeklagte beantragt, "die noch ausstehende Kostengrundentscheidung hinsichtlich der dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen im Berufungsverfahren ergänzend zu treffen".

Ohne vorherige Anhörung der Staatsanwaltschaft hat die Berufungskammer am 13. August 2003 beschlossen:

"Das Urteil des Landgerichts Chemnitz wird dahingehend berichtigt, dass sich die Kostenentscheidung auch auf § 473 Abs. 2 StPO stützt.

Gründe:

Es liegt ein offensichtliches Schreibversehen vor, denn anders als in § 467 StPO ist nach § 473 Abs. 2 StPO zwingend die Staatskasse verpflichtet, im Falle der erfolglosen Berufung der Staatsanwaltschaft neben den Kosten des Verfahrens stets auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen."

Gegen diesen ihr ohne förmliche Zustellung am 11. September 2003 bekannt gewordenen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz am 29. September 2003 Beschwerde eingelegt.

Nachdem das Landgericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und der Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, liegt die Sache dem Senat zur Entscheidung vor. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Allerdings ist entgegen der vielfach in Literatur (HK-Julius, StPO 3. Aufl. § 268 Rdnr. 9; KK-Hürxthal, StPO 4. Aufl. § 267 Rdnr. 46; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 268 Rdnr. 12; LR-Gollwitzer, StPO 25. Aufl. § 268 Rdnr. 58) und Rechtsprechung vertretenen Ansicht gegen einen Beschluss, mit dem die Berichtigung der Urteilsformel (oder der -gründe) wegen offensichtlicher Unrichtigkeit erfolgt ist, nur das befristete Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft, § 311 StPO.

Denn es ist allgemein anerkannt, dass in Ermangelung einer einschlägigen Vorschrift in der StPO auch Strafurteile in Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens des § 319 ZPO einer Berichtigung zugänglich sind (BGHSt 12, 376; OLG Celle GA 1960, 217; OLG Hamm Beschluss vom 30. September 1977 - 3 Ws 593/77 -; OLG Stuttgart Justiz 1972, 42; KMR StPO, 6. Aufl. § 260 Anm. 3 b; Gollwitzer a.a.O. § 268 Rdnr. 43 m.w.N.; Meyer-Goßner a.a.O. § 267 Rdnr. 39). Folgerichtig ist dann auch nur das in Absatz 3 der Vorschrift genannte Rechtsmittel der befristeten Beschwerde statthaft.

Die hier vertretene Auffassung wird gestützt durch die von der Rechtsprechung und den Kommentatoren an gleicher Stelle geteilten - zutreffenden - Überlegung, dass der Berichtigungsbeschluss Teil der Sachentscheidung und damit Grundlage für die sachliche Überprüfung des Urteils wird (Gollwitzer a.a.O. Rdnr. 55; BGHSt 12, 374 ff.). Entsprechend ist der Beschluss zuzustellen (Gollwitzer a.a.O. Rdnr. 54), durch einen Vermerk auf der Urteilsurkunde auf ihn hinzuweisen, und er setzt die für die Sachentscheidung maßgebliche Rechtsmittelfrist in Gang (BGHSt 12, 374 ff.).

Die durch den Beschluss als Bestandteil der Sachentscheidung neu gefasste - "berichtigte" - Urteilsformel ist als eintragungspflichtige Entscheidung im Bundeszentralregister zu vermerken; sie muss damit als Teil der Hauptentscheidung an der Rechtskraft teilhaben und darf aus Gründen der Rechtsklarheit nicht - wie es bei Statthaftigkeit einer unbefristeten Beschwerde der Fall sein würde - stets unter dem Vorbehalt einer möglichen späteren Aufhebung stehen. Für den Bereich des Zivilprozesses ist deshalb in § 319 Abs. 3 ZPO nur eine befristete Anfechtungsmöglichkeit eröffnet. Überzeugende Gründe für eine andere Handhabung im Bereich des wesentlich stärker grundrechtseingreifenden Strafrechts sind nicht ersichtlich.

b) Die Frist für das in entsprechender Anwendung des § 319 Abs. 3 ZPO eröffnete Rechtsmittel beträgt - mangels einer Regelungslücke in der StPO - eine Woche, § 311 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 16. August 2001 - 3 Ws 12/00 -).

Allerdings hat die Staatsanwaltschaft diese Rechtsmittelfrist nicht versäumt, weil ihr der angefochtene Beschluss nicht zugestellt worden ist und daher die mit der förmlichen Zustellung verbundenen Rechtsfolgen nicht ausgelöst worden sind.

2. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Zwar ist die Berichtigung der Urteilsformel grundsätzlich möglich, sofern offensichtliche Schreibversehen und offensichtliche Unrichtigkeiten berichtigt werden (Meyer-Goßner a.a.O. § 268 Rdnr. 10 m.w.N. auf die Rechtsprechung).

Aber entgegen der Auffassung des Landgerichts Chemnitz liegt ein solch offensichtliches Schreibversehen hier nicht vor.

Wenngleich die als ungenau abzulehnende Urteilsformel, derzufolge die Berufung "kostenpflichtig" verworfen wurde, grundsätzlich der Auslegung fähig sein kann, ist aus Gründen der Rechtssicherheit strikt zwischen Kosten und Auslagen zu unterscheiden (LR-Hilger, StPO 25. Aufl. § 464 Rdnrn. 26 f.).

Die früher vielfach vertretene Ansicht, eine "kostenpflichtige" Verurteilung oder Rechtsmittelverwerfung auch als Ausspruch über die notwendigen Auslagen zu werten, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten (vgl. KKSchimansky, StPO 4. Aufl. § 464 Rdnr. 6 mit weiteren Hinweisen auf den Meinungsstand). Die Erstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten setzt vielmehr eine ausdrückliche Kostengrundentscheidung voraus. Eine solche ausdrückliche Kostengrundentscheidung ist auch dann erforderlich, wenn sich die Kostenfolge einer gerichtlichen Maßnahme unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Nicht die materielle Rechtslage, sondern erst der gerichtliche Ausspruch bildet als Kostentitel die Grundlage der Kostenfestsetzung (§ 464 b Satz 3 i.V.m. § 103 Abs. 1 ZPO). Werden der Staatskasse nur die Verfahrenskosten auferlegt, kann dies nicht - auch wenn offensichtlich ein Fall des § 473 Abs. 1, Abs. 2 StPO gegeben ist - dahin ausgelegt werden, dass auch die Auslagen des Angeklagten zu tragen sind (Hilger a.a.O.).

Fehlt eine solche Grundentscheidung, trägt jeder Beteiligte seine notwendigen Auslagen selbst; für einen Erstattungsanspruch ist kein Raum. Das Landgericht war daher nicht befugt, das am 24. Februar 2003 verkündete, am 04. März 2003 in Rechtskraft erwachsene Urteil, wie tatsächlich geschehen, inhaltlich abzuändern. Es durfte seine unvollständige Entscheidung nicht ergänzen; der Mangel konnte nur durch eine - hier versäumte - sofortige Beschwerde behoben werden, §§ 464 Abs. 3, 311 Abs. 3 StPO (Schimansky a.a.O. 4. Aufl. § 464 Rdnr. 4 m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung).

III.

Die Kostenentscheidung für dieses Beschwerdeverfahren folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 465 StPO.

Ende der Entscheidung

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