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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 24.11.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 662/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 1
1. Wirksame Ersatzzustellung einer Ladung in der Wohnung trotz längerfristiger Inhaftierung des Adressaten wegen Ersatzfreiheitsstrafe.

2. Zu Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages.


Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 662/04

Beschluss vom 24. November 2004

in der Strafsache gegen

wegen gemeinschaftlichen Einschleusens von Ausländern

hier: Widereinsetzung in den vorigen Stand

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Görlitz vom 05. Oktober 2004 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Das Landgericht hatte am 18. Mai 2004 die Berufung des wegen gemeinschaftlichen Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilten Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil er in der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben war. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag des Angeklagten, ihn gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung in den vorigen Stand wieder einzusetzen, als unbegründet zurückgewiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Die am 12. Februar 2004 erfolgte Ersatzzustellung der Terminsladung zur Berufungshauptverhandlung war wirksam (§ 37 StPO, § 182 ZPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 18. Mai 2004 war daher nicht entbehrlich.

a) Der Wirksamkeit der Zustellung steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte in der Zeit vom 11. Februar 2004 bis zum 10. August 2004 in anderen Sachen zunächst in der Justizvollzugsanstalt Bautzen und sodann in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Haft befunden hat. Zwar setzt die Ersatzzustellung voraus, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt (vgl. BGH NJW 1978, 1858; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 37 Rdnr. 8; Zöllner ZPO 21. Aufl. § 182 Rdnr. 1). Hierfür kommt es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und insbesondere, ob er dort schläft (BGH LM BGB § 328 Nr. 15). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die soweit ersichtlich in der obergerichtlichen Rechtsprechung unbestritten ist, verliert eine (frühere) Wohnung bei Abwesenheit des Zustellungsempfängers dann ihre Eigenschaft als dessen Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften, wenn sich während seiner Abwesenheit der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert. Dies hat der Bundesgerichtshof unter anderem für den Fall angenommen, dass sich der Zustellungsempfänger in einer zweimonatigen Strafhaft befindet, sofern er während seiner Inhaftierung keine fortdauernde persönliche Beziehung zu seiner Wohnung aufrechterhalten hat, wie sie zum Beispiel noch bestehen könnte, wenn Angehörige des Zustellungsempfängers dort noch wohnen würden (BGH NJW 1978, 1858).

b) Hieran gemessen hatten die vom Angeklagten bis zu seiner Inhaftierung ständig genutzten Räume durch die Festnahme ihre Eigenschaft als "Wohnung" im Sinne der Zustellungsvorschriften nicht verloren.

Der Angeklagte hatte von vornherein die Absicht, nach Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafen sowie der vom Amtsgericht Frankfurt am Main angeordneten Untersuchungshaft wieder in seine Wohnung, die er gemeinsam mit seiner Ehefrau D und seiner dreijährigen Tochter C inne hatte, zurückzukehren.

Hinzu kommt, dass bei den hier vom Angeklagten verbüßten Ersatzfreiheitsstrafen und der anschließenden Untersuchungshaft die gesamte Dauer des Zwangsaufenthalts in der Justizvollzugsanstalt nicht von vornherein berechenbar war (so auch für den Fall der Untersuchungshaft OLG Hamm NStZ-RR 2003, 189 m.w.N.). Zum einen bestand für den Angeklagten jederzeit die Möglichkeit, die Ersatzfreiheitsstrafen durch Zahlung der zugrundeliegenden Geldstrafen abzuwenden, zum anderen unterlag die Untersuchungshaft der ständigen Haftkontrolle des Ermittlungsrichters, was auch die Aufhebung des Haftbefehls am 10. August 2004 belegt.

2. Im Ergebnis zu Recht hat die Strafkammer dem Angeklagten auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt.

a) Zwar dürfen bei Anwendung und Auslegung der Wiedereinsetzungsvorschriften die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung nicht überspannt werden. Denn das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient unmittelbar der Gewährleistung des verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzes, so dass der Zu- gang zum Gericht nicht in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter Weise erschwert werden darf (vgl. BVerfGE 41, 332, 334; BVerfG Beschluss vom 06. Oktober 1992 - 2 BvR 805/91 -). Daraus folgt, dass derjenige, der eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, für die Zeit seiner Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen braucht. Vielmehr soll er grundsätzlich damit rechnen können, dass er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten wird.

b) Dies gilt allerdings nicht, wenn ihm, wie hier dem Angeklagten, ein anderes Verschulden zur Last gelegt werden muss, wenn er zum Beispiel die Abholung vernachlässigt hat (vgl. BVerfGE 25, 158, 166; BVerfGE 40, 42, 44). Denn Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG schützen denjenigen nicht, der der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht. Von einem Betroffenen kann daher verlangt werden, dass er selbst zumutbare Anstrengungen zum "Wegfall des Hindernisses" unternimmt, wenn er dazu Anlass hat und in der Lage ist (vgl. BVerfGE 44, 120, 126).

Ein "Wegfall des Hindernisses" kann danach von dem Zeitpunkt an angenommen werden, zu dem die Unkenntnis, auf der die Säumnis beruht, behoben gewesen wäre, wenn der Betroffene sich in der ihm in der konkreten Fallgestaltung zumutbaren Weise zureichend um die Verfolgung seiner Interessen bemüht hätte (BVerfG Beschluss vom 06. Oktober 1992 - 2 BvR 805/91 -).

c) Zwar ist dem Antrag des Angeklagten, der allein auf seine Inhaftierung hinweist, gerade noch die Behauptung zu entnehmen, dass er die gerichtliche Ladung zum Hauptverhandlungstermin nicht erhalten habe. Bei Anwendung des vorstehend aufgezeigten Maßstabes ist ihm aber die Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt worden.

Die Strafkammer hätte den Wiedereinsetzungsantrag allerdings schon als unzulässig zurückweisen müssen, weil sich der Antragsbegründung kein Sachvortrag entnehmen lässt, der eigene Bemühungen des Angeklagten um die Sache darlegt und ihre Beurteilung als "zureichend" im Sinne der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht.

Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehört nämlich nach allgemeiner Auffassung und ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass der Antragsteller einen konkreten Sachverhalt schildert, aus dem sich sein Unverschulden an der Versäumung ergibt.

Sein bloßer Hinweis auf den Haftaufenthalt reicht hierfür nicht aus. Zu beachten ist, dass die Ladung zur Berufungshauptverhandlung bereits am 12. Februar 2004 zugestellt worden war, die Hauptverhandlung allerdings erst drei Monate später, am 18. Mai 2004, stattfinden sollte. In Anbetracht dessen, dass die gemeinsame eheliche Wohnung weiterhin von seiner Ehefrau mit Tochter bewohnt war, das zuzustellende Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden war und noch ein Zeitraum von drei Monaten für eine mögliche Kenntnisnahme zur Verfügung stand, hätte der Angeklagte einen Sachverhalt vortragen müssen, aus dem sich prüffähig ergibt, dass er sich trotz seiner Inhaftierung zureichend um die Verfolgung seiner Interessen gekümmert hat.

Nach Lage des Falles hatte er hierzu auch Anlass; zugleich war er hierzu in der Lage. Gegen den Angeklagten war bereits ein Strafverfahren anhängig, das aufgrund einer Hauptverhandlung zu seiner Verurteilung geführt hatte, gegen die er ein Rechtsmittel eingelegt hatte.

Danach musste der Angeklagte jederzeit mit der Ladung zur Berufungsverhandlung rechnen. Wenngleich der Haftaufenthalt des Angeklagten nicht aufgrund eines vorbereiteten freiwilligen Haftantritts, sondern für ihn überraschend - durch seine Verhaftung begründet worden ist, weshalb er vorbereitend keine Maßnahmen mehr treffen konnte, hätte der Angeklagte dennoch vortragen müssen, weshalb er in den folgenden drei Monaten nicht in der Lage war, von dem Verhandlungstermin Kenntnis zu erhalten. Hierzu trägt er nichts vor, so dass bereits sein Antrag unzulässig war. Der alleinige Hinweis auf den Haftaufenthalt genügt insoweit nicht.

Der offenbar völlige Mangel eigener Bemühungen, sich auch aus der Haftanstalt heraus um seine Sache zu kümmern, begründet zugleich in der Sache das eigene Verschulden des Angeklagten an der Versäumung der Berufungshauptverhandlung.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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