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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 21.02.2002
Aktenzeichen: 22 WF 88/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO n.F. § 620 c
ZPO n.F. § 217
ZPO n.F. § 572 Abs. 1 Satz 1
1. Beabsichtigt das Gericht, über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (nach § 621 g ZPO n.F.) aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden, so sind auch in den selbstständigen Verfahren nach § 621 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 3 oder 7 ZPO (elterliche Sorge, Umgang, Herausgabe eines Kindes, Ehewohnung und Hausrat) die Ladungsvorschriften der ZPO, insbesondere die Ladungsfristen nach § 217 ZPO, einzuhalten.

2. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 620 c ZPO setzt nur voraus, dass aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden wurde. Darauf, ob die Verhandlung prozessordnungsgemäß durchgeführt und alle Beteiligten hierzu rechtzeitig geladen wurden, kommt es insoweit nicht an.

3. Dem Gericht, dessen einstweilige Anordnung mit der Beschwerde nach § 620 c ZPO angefochten wurde, ist es nicht verwehrt, im Rahmen der Abhilfeprüfung nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. mündlich zu verhandeln. Eine entsprechende Verhandlung ist in der Regel dann geboten, wenn der Antragsgegner vor Erlass der einstweiligen Anordnung noch keine Möglichkeit zur Äußerung hatte, weil er zur mündlichen Verhandlung nicht rechtzeitig geladen war.


Oberlandesgericht Dresden 22. Zivilsenat

- Familiensenat - Beschluss

Aktenzeichen: 22 WF 0088/02

vom 21. Februar 2002

In der Familiensache

wegen Ehewohnung

hier: einstweilige Anordnung

hat der 22. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, Richterin am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxx und Richterin am Amtsgericht xxxxxxxxxx

beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 6. Februar 2002 abgeholfen wird, an das Amtsgericht - Familiengericht - zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien sind seit 11.04.1987 verheiratet. Sie streiten um die Zuweisung der Ehewohnung. Bei der Ehewohnung handelt es sich um eine beiden Parteien gehörende Eigentumswohnung, in der sie mit ihrem am 11.09.1987 geborenen Sohn Cxxxxxxxx seit 01.09.2001 getrennt gelebt haben.

Nach einer vorangegangenen Auseinandersetzung am Abend des 29.01.2002, bei der die Antragstellerin verletzt wurde, hat sie mit Schriftsatz vom 31.01.2002 beantragt, ihr die eheliche Wohnung zur alleinigen Benutzung, zusammen mit dem Sohn Cxxxxxxxx, zuzuweisen. Gleichzeitig hat sie den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung, verbunden mit weiteren Regelungen, insbesondere zur Räumung der Wohnung durch den Antragsgegner, beantragt. Das Familiengericht hat daraufhin "Termin zur Anhörung" bestimmt auf 06.02.2002, 13.00 Uhr. Die Ladung zu diesem Termin - mit dem Antrag der Antragstellerin - wurde dem Antragsgegner am 05.02.2002 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. In der Verhandlung vom 06.02.2002, in der er nicht anwesend war, wurde die Antragstellerin angehört. Am Ende der Verhandlung verkündete das Familiengericht einen Beschluss, wonach der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung u.a. die Ehewohnung zur alleinigen Benutzung zugewiesen und der Antragsgegner verpflichtet wurde, die Wohnung sofort, spätestens zum 11.02.2002, zu räumen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde vom 12.02.2002, die beim Amtsgericht am 13.02.2002 einging. Das Familiengericht hat daraufhin am 13.02.2002 verfügt:

"Akte gelangt zur Entscheidung über die eingelegte (sofortige) Beschwerde gegen den Beschluss vom 06.02.2002 an das OLG Dresden".

Beim Oberlandesgericht sind die Akten mit der Beschwerde am 19.02.2002 eingegangen.

II.

Die Sache ist zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerde abgeholfen wird, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn das Familiengericht hat offenbar verkannt, dass es berechtigt und verpflichtet ist, darüber zu entscheiden, ob das Vorbringen des Antragsgegners eine Abänderung der getroffenen Entscheidung rechtfertigt.

1.1.

Ausweislich der Begründung des Beschlusses vom 06.02.2002 hat das Familiengericht seine Entscheidung materiellrechtlich auf § 1361 b BGB in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung durch das "Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung" vom 11.12.2001 (BGBl. 2001 I, S. 3513 ff.) und prozessual auf § 620 Satz 1 Nr. 7 ZPO, jeweils i.V.m. Vorschriften der Hausrats-VO gestützt. Grundlagen der Entscheidung waren somit nicht die Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes (Art. 1 des o.a. Gesetzes vom 11.12.2001). Auch für die Frage der Rechtsbehelfsmöglichkeiten kommt es daher nicht auf diejenigen bei einer Entscheidung nach dem Gewaltschutzgesetz, sondern auf diejenigen an, die in der Zivilprozessordnung - in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung, also unter Einbeziehung der Änderungen durch Art. 4 des o.a. Gesetzes vom 11.12.2001 - geregelt sind, soweit sie Verfahren nach der Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung betreffen.

1.2.

Ohne Bedeutung ist dabei, dass das Familiengericht als verfahrensrechtliche Grundlage für die vorläufige Regelung § 620 Satz 1 Nr. 7 ZPO angegeben hat. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift liegen hier allerdings nicht vor. Denn aus dem systematischen Zusammenhang und § 620 a Abs. 2 Satz 1 ZPO folgt, dass einstweilige Anordnungen nach § 620 ZPO nur bei Anhängigkeit einer Ehesache oder nach Einreichung eines eine Ehesache betreffenden Prozesskostenhilfeantrages erlassen werden dürfen.

Nach der seit Jahresbeginn maßgebenden Rechtslage folgt die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen, die die Ehewohnung betreffen, auch nicht mehr aus § 18 a i.V.m. § 13 Abs. 4 der Hausrats-VO. Denn der Gesetzgeber hat nunmehr durch Art. 4 Nr. 7 des o.a. Gesetzes vom 11.12.2001 als § 621 g in die Zivilprozessordnung folgende neue Regelung eingeführt: "Ist ein Verfahren nach § 621 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 oder 7 anhängig oder ist ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein solches Verfahren eingereicht, kann das Gericht auf Antrag Regelungen im Wege der einstweiligen Anordnung treffen. Die §§ 620 a bis 620 g gelten entsprechend." Folgerichtig wurde durch Art. 12 Nr. 1 des Gesetzes vom 11.12.2001 der ursprüngliche Absatz 4 des § 13 Abs. 4 Hausrats-VO gestrichen und es wurde an dieser Stelle eine ganz andere Regelung eingefügt.

1.3.

Damit gelten also nunmehr für einstweilige Anordnungen in isolierten Verfahren, die die elterliche Sorge, den Umgang, die Herausgabe eines Kindes oder Ehewohnung und Hausrat betreffen, nicht mehr die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bzw. der Hausrats-VO, sondern es sind die Vorschriften der §§ 620 a bis 620 g über die einstweiligen Anordnungen in Ehesachen entsprechend anzuwenden. Die Anfechtungsmöglichkeiten richten sich daher nach den §§ 620 b und 620 c ZPO, wobei hinsichtlich des § 620 c Satz 1 wiederum die Neufassung durch Art. 4 Nr. 3 des Gesetzes vom 11.12.2001 maßgebend ist.

1.4.

Aus alledem folgt für den vorliegenden Fall, dass die vom Antragsgegner eingelegte sofortige Beschwerde statthaft ist, da das Familiengericht aufgrund mündlicher Verhandlung über einen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung entschieden hat.

Allerdings war das Verfahren des Familiengerichtes insoweit fehlerhaft. Nach § 620 a Abs. 1 ZPO kann eine einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung ergehen. Andererseits unterscheidet das Gesetz hinsichtlich der Rechtsbehelfsmöglichkeiten in den §§ 620 b und 620 c ZPO zwischen Entscheidungen, die ohne und solchen, die aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen. Die nach § 621 a Abs. 1 für Verfahren der vorliegenden Art grundsätzlich anwendbaren Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthalten keine allgemeinen Vorschriften über die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Art der Durchführung einer mündlichen Verhandlung völlig im Belieben des Gerichtes stehen würde. Vielmehr muss dabei dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass jede mündliche Verhandlung dazu dienen soll, dass die Parteien in einer bestimmten Form, eben im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, rechtliches Gehör erhalten sollen. Das aber setzt notwendigerweise voraus, dass sie zu der Verhandlung so rechtzeitig geladen werden, dass sie vernünftigerweise die Chance haben, den Termin wahrzunehmen. Deshalb sind zumindest in den Fällen, in denen, wie hier, (auch) Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden sind, die an eine mündliche Verhandlung anknüpfen, die Ladungsvorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1992, 1198 f., 1199). Daher ist auch dann, wenn über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mündlich verhandelt werden soll, § 217 ZPO zu beachten (Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl., Rdnr. 24 zu § 620 a ZPO) . Danach beträgt die Frist, die zwischen der Zustellung der Ladung und dem Terminstag liegen soll, wenn es sich - wie hier - nicht um einen Anwaltsprozess handelt, mindestens drei Tage. Diese Frist wurde im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Denn die Ladung zum Termin vom 06.02.2002 wurde dem Antragsgegner mit dem verfahrenseinleitenden Antrag erst am 05.02.2002 zugestellt.

Dies führt indessen nicht dazu, dass die sofortige Beschwerde nach § 620 c Satz 1 ZPO unstatthaft wäre. Denn tatsächlich hat das Familiengericht eine mündliche Erörterung der Sache durchgeführt und ausdrücklich "nach mündlicher Verhandlung" entschieden. Schon im Interesse der Rechtsklarheit für die Parteien im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeiten nach §§ 620 b Absätze 1 und 2 oder 620 c Satz 1 ZPO ist es geboten, auch eine verfahrensfehlerhafte Verhandlung als mündliche Verhandlung i. S. des § 620 c Satz 1 ZPO anzusehen (im Ergebnis ebenso Zöller/Philippi, a.a.O., Rdnr. 8 am Ende zu § 620 c) .

2.1.

Bei seiner Verfügung vom 13.02.2002, wonach die Akte zur Entscheidung über die Beschwerde dem Oberlandesgericht Dresden vorgelegt werde, hat das Familiengericht offenbar übersehen, dass nunmehr, anders als nach der bis zum 31.12.2001 geltenden Rechtslage (§ 577 Abs. 3 ZPO a.F.) in allen Beschwerdeverfahren (abgesehen von der nur wenige Fälle betreffenden Ausnahme in § 572 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, darüber zu entscheiden hat, ob der Beschwerde abgeholfen wird oder nicht.

Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist zwar keine zwingende Voraussetzung dafür, dass das Beschwerdegericht in der Sache selbst entscheidet (Zöller/Gummer, a.a.O., Rdnr. 1 zu § 571 ZPO). In der Regel begründet die fehlende Abhilfe allerdings einen Verfahrensverstoß, der zur Zurückverweisung führen kann (Zöller/Gummer, a.a.O. sowie Rdnrn. 4 und 17 zu § 571 ZPO).

2.2.

Eine Zurückverweisung hält der Senat im vorliegenden Fall insbesondere aus folgenden Gründen für geboten: Bei seiner Entscheidung ist das Familiengericht allein von dem tatsächlichen Vorbringen der Antragstellerin ausgegangen, das es für glaubhaft erachtet hat. Es hat dabei insbesondere zugrunde gelegt, dass der Antragsgegner die Antragstellerin am Abend des 29.01.2002 vorsätzlich angegriffen und nicht unerheblich verletzt und weitere Angriffe ihr gegenüber und "unter Umständen" gegen das gemeinsame Kind angekündigt habe. Die Richtigkeit des Vorbringens der Antragstellerin hat der Antragsgegner nunmehr mit einer substantiierten Gegendarstellung bestritten. Beide Parteien haben ihr Vorbringen in gleicher Weise durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft zu machen versucht. Welche der beiderseitigen Darstellungen richtig ist oder eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit für sich hat, lässt sich ohne eine Anhörung und Gegenüberstellung beider Parteien schwerlich abschätzen. Da beide Parteien in Leipzig wohnen und auch Anwälte aus Leipzig haben, wäre der Aufwand für die Beteiligten wesentlich größer, wenn die von der Sache her gebotene Verhandlung vor dem Beschwerdegericht in Dresden stattfinden würde. Nimmt man noch hinzu, dass der Antragsgegner faktisch keine Möglichkeit hatte, sich vor der Entscheidung des Familiengerichtes zu äußern, so erscheint es erst recht angezeigt, dass das Familiengericht zunächst das Abhilfeverfahren durchführt. Schließlich liegt nicht fern, dass es im Rahmen des Abhilfeverfahrens möglich sein wird, eine gütliche Lösung zu finden und damit die weitere Durchführung des Beschwerdeverfahrens entbehrlich zu machen.

An der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist das Familiengericht verfahrensrechtlich nicht gehindert. Zwar kann aus der Vorschrift des § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach bei einer Nichtabhilfe die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen ist, geschlossen werden, dass über Abhilfe oder Nichtabhilfe zügig entschieden werden soll. Das schließt es aber nicht aus, im Rahmen der Abhilfeprüfung eine mündliche Verhandlung durchzuführen (Baumbach/Albers, ZPO, 60. Aufl., Rdnr. 3 zu § 572 ZPO). Schießlich ergibt sich schon aus den geänderten Vorschriften in § 571 ZPO n.F., wonach die Beschwerde nicht nur auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden, sondern auch das erstinstanzliche Gericht den Beteiligten für entsprechendes Vorbringen eine Frist setzen kann, dass der Abhilfeentscheidung grundsätzlich eine sorgfältige Prüfung vorausgehen und diese Prüfung nicht in das Verfahren vor dem Beschwerdegericht verlagert werden soll.

3.

Abschließend sei bemerkt, dass der Senat auch geprüft hat, ob bereits derzeit und somit, ehe noch das Familiengericht wieder mit der Sache befasst ist, eine Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung geboten ist. Für eine solche Entscheidung besteht indessen keine hinreichende Dringlichkeit. Denn wie auf die telefonische Nachfrage von den beiderseitigen Bevollmächtigten übereinstimmend mitgeteilt wurde, hat der Antragsgegner mittlerweile ohnehin die Ehewohnung zunächst verlassen und dabei verschiedene Gegenstände mitgenommen. Es kann daher angenommen werden, dass er nicht so dringend auf eine Rückkehr angewiesen ist, dass es nicht einstweilen bei dem derzeitigen Zustand, also der alleinigen Nutzungsberechtigung durch die Antragstellerin und dem gemeinsamen Sohn, verbleiben könnte.

Ende der Entscheidung

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