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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 18.06.2009
Aktenzeichen: 3 AR 47/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
Ist dem verweisenden Gericht kein relevanter Fehler unterlaufen, bleibt die Verweisung auch dann bindend, wenn sich im weiteren Verlaufe des Rechtsstreits herausstellt, dass der Beklagte sie durch falsche Tatsachenangaben mitverursacht oder gar erschlichen hat; eine Rückverweisung kommt nicht in Betracht.
Oberlandesgericht Dresden 3. Zivilsenat Beschluss

Aktenzeichen: 3 AR 47/09

vom 18.06.2009

In dem Rechtsstreit

wegen Gerichtsstandsbestimmung

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Richterin am Oberlandesgericht Dr. N, Richterin am Oberlandesgericht E und Richter am Oberlandesgericht B

beschlossen:

Tenor:

Örtlich zuständig ist das Landgericht Berlin.

Gründe:

I.

Das Oberlandesgericht Dresden ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Sachentscheidung des negativen Kompetenzkonfliktes berufen, weil sich die beiden beteiligten, in verschiedenen Bundesländern ansässigen Landgerichte, von denen eines in jedem Falle für die rechtshängige Werklohnklage zuständig ist, unanfechtbar für unzuständig erklärt haben und das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Dresden die Akten mit Beschluss vom 08.06.2009 "seinem" Oberlandesgericht vorgelegt hat.

II.

Als örtlich zuständig ist das Landgericht Berlin zu bestimmen, weil dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Dresden vom 12.12.2008 Bindungswirkung zukommt, § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Diese auch in Gerichtsstandsbestimmungsverfahren zu beachtende Bindungswirkung kraft gesetzlicher Anordnung entfällt nach allgemeiner Ansicht nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn die Verweisung unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder den gesetzlichen Richter ergangen ist oder auf einer objektiv willkürlichen unzutreffenden Rechtsanwendung beruht (Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 36 Rn. 28 m.w.N.). Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

1. Das Landgericht Dresden hat die Verweisung nach mündlicher Verhandlung vom 28.11.2008, in der die Zuständigkeitsfrage kontrovers erörtert wurde, auf den anschließenden, der zuverlässigen Vermeidung eines etwaigen Prozessurteils dienenden Hilfsantrag des Klägers im Schriftsatz vom 08.12.2008 hin ausgesprochen. Seine Begründung, die gemäß § 38 Abs. 1 ZPO prorogationsfähigen Parteien hätten im Bauvertrag als ausschließlichen Gerichtsstand - für eine hier vorliegende Klage des Auftragnehmers - wirksam den Sitz der Beklagten (bzw. ihres Prozessbevollmächtigten) vereinbart, der in Berlin liege, lässt bei Zugrundelegung des damaligen Erkenntnisstandes des Gerichtes weder Willkür noch auch nur einen Fehler erkennen. Dies räumt das Landgericht Berlin in seinem nach mündlicher Verhandlung vom 29.04.2009 am 06.05.2009 verkündeten Beschluss ausdrücklich ein, wenn es davon spricht, das Landgericht Dresden habe aus seiner Sicht zu Recht verwiesen.

2. Das Landgericht Berlin meint vielmehr, die Beklagte habe sich die Verweisung durch bewusst unwahre Angaben ihres Geschäftsführers gegenüber dem Landgericht Dresden zu ihrem Sitz, der sich tatsächlich nicht wie angegeben in Berlin, sondern ausweislich des vom Kläger mit Schriftsatz vom 02.04.2009 vorgelegten Handelregisterauszuges in Dresden befinde, erschlichen. Dies lasse die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfallen und führe entsprechend dem Antrag des Klägers zur Rückverweisung der Sache an das allein zuständige Landgericht Dresden.

Dem kann nicht beigetreten werden. Richtig ist zwar, dass eine beklagte Partei, die sich durch bewusst unwahre Angaben im Prozess eine Verweisung durch das vom Kläger angerufene Hauptsachegericht an ein unzuständiges, ihr genehmes Gericht erschleichen will und tatsächlich erreicht, keinen Schutz verdient. Das allein rechtfertigt es jedoch nicht, nach späterer Aufdeckung der Täuschung und damit offenbar gewordener "eigentlicher" Unzuständigkeit des Gerichtes, an welches verwiesen wurde, die Bindungswirkung zu verneinen. Unterläuft dem Ausgangsgericht bei der Verweisung kein - im Rahmen von § 281 ZPO relevanter - Fehler, hat die Verweisung ausnahmslos Bestand und ist das Gericht, an das bindend verwiesen wurde, endgültig für die Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Übergeordnete Gerechtigkeitserwägungen gebieten auch in Fällen wie dem vorliegenden nicht die Zulassung einer Rückverweisungsmöglichkeit.

a) Aus den vom Landgericht für seine gegenteilige Auffassung angeführten obergerichtlichen Entscheidungen (wie folgt veröffentlicht: BayObLG NZI 2004, 147; OLG Celle NZI 2004, 260; OLG Oldenburg NZI 2008, 435) ergibt sich nichts anderes.

Sie betreffen, ebenso wie in jenem Kontext ergangene weitere Rechtsprechung (OLG Celle NZI 2004, 258; OLG Schleswig NZI 2004, 264; OLG Stuttgart OLGR 2004, 184; vgl. auch BGH NZI 2006, 164 sowie Cranshaw juris-InsR 13/2008 Anm. 6), durchweg die Verweisung von Insolvenzverfahren und behandeln die Frage einer insoweit bestehenden Bindungswirkung gemäß § 4 InsO i.V.m. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Dabei wird vor allem die Pflicht des erstbefassten Insolvenzgerichtes hervorgehoben, die differenzierten Zuständigkeitsregeln des § 3 Abs. 1 InsO sowie die insoweit bestehende Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 S. 1 InsO) zu beachten; in diesem Kontext hätten sich die Insolvenzgerichte gegebenenfalls auch mit der Frage eines rechtsmissbräuchlichen Erschleichens der Zuständigkeit auseinanderzusetzen, wenn es um "Firmenbestattungen" gehe und im Zuge der Insolvenzantragstellung etwa der eingetragene Sitz des Unternehmens verlagert worden sei oder der Geschäftsführer unter Aufgabe der bisherigen Geschäftsräume sämtliche Firmenunterlagen mit an seine Privatanschrift genommen habe. Wenngleich die zitierten Beschlüsse im Ergebnis die Bindungswirkung der jeweiligen insolvenzgerichtlichen Verweisung verneint haben, ist dies nicht etwa deshalb geschehen, weil das verweisende Gericht vom Insolvenzantragsteller getäuscht worden war und auf dieser objektiv unzutreffenden Sachverhaltsgrundlage verwiesen hatte, sondern weil es seiner grundlegenden Pflicht, die Frage seiner (Un-)Zuständigkeit zu prüfen, nicht im Ansatz ausreichend nachgekommen war. Die jeweilige Verweisungsentscheidung selbst war also aus vom verweisenden Gericht zu verantwortenden Gründen "makelbehaftet" bzw. willkürlich.

Unabhängig davon lassen sich die im Zusammenhang mit insolvenzverfahrensrechtlichen Besonderheiten anzustellenden Überlegungen auf kontradiktorische Zivilrechtsstreitigkeiten ohnehin nicht übertragen. Der Wunsch eines Klägers, vor den Erschwernissen und Nachteilen einer Verweisung, die auf missbräuchlich täuschendem Verhalten des Beklagten beruht, durch eine Rückverweisung bewahrt zu werden, mag verständlich sein, zwingt aber nicht dazu, der im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht zu beanstandenden Verweisungsentscheidung die in § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ausdrücklich bestimmte Bindungswirkung zu nehmen. Ein Kläger hat es regelmäßig selbst in der Hand, die im Kontext einer Zuständigkeitsrüge vorgebrachten Behauptungen des Beklagten zu überprüfen und einen Verweisungsantrag, ohne den das angerufene Gericht nicht verweisen darf, nicht zu stellen. Überprüft und bestreitet er das entsprechende Vorbringen des Beklagten nicht (oder wie hier erst nach der Verweisung), trägt er mit dazu bei, dem Gericht die nicht von Amts wegen zu ermittelnde Tatsachengrundlage für die rechtliche Beurteilung der Zuständigkeitsfrage zu liefern. Erweist sich auf dieser Grundlage die dann antragsgemäß ausgesprochene Verweisung als richtig oder jedenfalls vertretbar, bindet sie neben dem verweisenden und dem Gericht, an das verwiesen worden ist, auch die Parteien.

b) Die Zulassung einer außerordentlichen Rückverweisungsmöglichkeit würde darüber hinaus vielfach zu Folgeproblemen und weiterem Streit um die Gerichtszuständigkeit führen. Das aber liefe dem auf der Hand liegenden Zweck des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zuwider, die Zuständigkeitsfrage im Interesse aller Beteiligten möglichst endgültig zu klären und eine baldige gerichtliche Sachbearbeitung sicherzustellen.

So wäre nicht selten zu beantworten, bis zu welchem gegebenenfalls fortgeschrittenen Stadium des Prozesses vor dem Gericht, an das verwiesen wurde, eine Rückverweisung noch möglich wäre. Auch bedürfte unter Umständen weiterer Aufklärung bzw. wäre nicht immer leicht zu entscheiden, ob der Beklagte tatsächlich eine zuständigkeitsrechtlich bedeutsame Falschangabe gemacht hat und ob dies absichtlich geschehen ist, um die Verweisung an ein objektiv unzuständiges Gericht zu erreichen. Das zeigt exemplarisch der vorliegende Fall, in dem die Beklagte dem Vorwurf arglistigen Verhaltens Beachtliches entgegengehalten hat. Danach habe ihre Komplementär-GmbH, nachdem der jetzige Geschäftsführer diese und die KG übernommen hätte, den Sitz tatsächlich von Dresden nach Berlin verlegt; der neue Sitz sei ausweislich des beigebrachten Handelsregisterauszuges am 26.07.2007 und damit bereits vor Abschluss des Bauvertrages im August 2007 in das Handelsregister eingetragen worden. Der Geschäftsführer sei irrtümlich davon ausgegangen, die Anzeige der Sitzverlegung der Komplementärin beim Handelsregister genüge, um die Sitzverlegung des ganzen Unternehmensverbundes zu bewirken. Überdies habe die Beklagte ihren faktischen Sitz seit Anfang 2007 wie die Komplementärin durchgängig in Berlin gehabt. In Dresden unterhalte sie seither keinerlei Büro oder sonstige Kontaktmöglichkeiten. Dies sei dem Kläger auch bekannt gewesen, zumal er kein einziges Schreiben an die frühere Dresdner Adresse des Unternehmens gerichtet habe und im Bauvertrag allein die Berliner Anschrift der Beklagten angegeben gewesen sei. Legt man dieses Vorbringen der Beklagten in dem beim Landgericht Berlin im Original am 23.04.2009 eingegangenen Schriftsatz vom 21.04.2009 zugrunde, dessen abschriftliche Weiterleitung an den Kläger den Akten nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, kann man darüber, ob der Beklagten ein absichtsvoll-täuschendes Verhalten vor dem Landgericht Dresden anzulasten ist, durchaus geteilter Auffassung sein. Die Ansicht des Landgerichts Berlin, das die Frage mit dem knappen Hinweis auf § 347 Abs. 1 HGB bejaht hat, erscheint keineswegs zwingend. Derlei neue Schwierigkeiten aber, die zu bewältigen die grundsätzliche Gestattung einer Rückverweisung in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig mit sich bringen würde, bestärken den Senat gerade in seiner Sichtweise, dass es im Falle einer nicht willkürlichen Verweisung durch das Ausgangsgericht bei deren Bindungswirkung bleibt. Dadurch wird die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen worden ist, entsprechend dem Zweck des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO endgültig begründet und kann später nicht wieder in Frage gestellt werden.

Ende der Entscheidung

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