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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 19.12.2005
Aktenzeichen: 3 Ss 588/05
Rechtsgebiete: StGB, StVG


Vorschriften:

StGB § 316 Abs. 1
StVG § 24 a Abs. 1
Ein alkoholisierter Fahrlehrer, der sich während einer Fahrschulfahrt auf die Bestimmung des Fahrtweges und eine mündliche Korrektur der Fahrweise beschränkt, führt das Fahrzeug nicht im Sinne des § 316 Abs. 1 StGB. Er begeht auch keine Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 1 StVG.
Oberlandesgericht Dresden 3. Strafsenat Beschluss

vom 19. Dezember 2005

Aktenzeichen: 3 Ss 588/05

24 Ss 588/05 GenStA Dresden

in der Strafsache gegen

wegen Trunkenheit im Verkehr

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Weißwasser vom 11. Mai 2005 aufgehoben.

Der Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse, die auch seine notwendigen Auslagen zu tragen hat, freigesprochen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von acht Monaten festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts unternahm der Angeklagte am 03. Dezember 2004 ab 16.00 Uhr als Fahrlehrer mit einer Fahrschülerin eine Überlandfahrt. Das hierbei benutzte Kraftfahrzeug war als Fahrschulwagen umgebaut und war auch auf der Beifahrerseite mit zusätzlichen Pedalen für Gas, Bremse und Kupplung ausgerüstet. Das Fahrzeug wurde von der Fahrschülerin, die zu diesem Zeitpunkt etwa 20 Fahrstunden absolviert hatte, gesteuert. Der Angeklagte gab der Fahrschülerin während der Fahrt Anweisungen, die den Fahrtweg betrafen. In einem Fall wies er die Fahrschülerin an, nicht so weit rechts zu fahren.

Der Angeklagte war bereits während der Fahrt alkoholisiert. Eine um 18.38 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,49 Promille.

Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Revision meint, das Verhalten des Angeklagten stelle kein Führen im Sinne des § 316 StGB dar.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Sie meint, die Fahrzeugführereigenschaft des Angeklagten ergebe sich bereits aus § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG. Zudem sei ein Fahrlehrer mit dem Betrieb des Fahrzeugs und der Bewältigung von Verkehrsvorgängen in einer Weise beschäftigt, die es rechtfertige, sowohl den Fahrschüler als auch den Fahrlehrer als Führer des Kraftfahrzeuges anzusehen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zum Freispruch.

1. Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Vorschrift verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 71, 108 [114]; 73, 206 [234]; 92, 1 [12] m.w.N.).

Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (BVerfGE 1, 299; 11, 126; 48, 256).

Der Begriff des "Führens" in § 316 Abs. 1 StGB kann nicht dahin ausgelegt werden, dass ihm auch ein Fahrlehrer unterfällt, dessen Verhalten sich auf die Bestimmung des Fahrtweges und eine mündliche Fahrkorrektur beschränkt. Vielmehr hat im vorliegenden Fall ausschließlich die Fahrschülerin das Fahrzeug geführt.

a) Das Strafgesetzbuch definiert den Begriff des "Führens" nicht.

aa) Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG gilt jedoch der Fahrlehrer bei Fahrschulfahrten als Führer des Kraftfahrzeugs im Sinne dieses Gesetzes (des StVG), wenn der Fahrschüler keine entsprechende Fahrerlaubnis besitzt. Bereits nach ihrem Wortlaut ("im Sinne dieses Gesetzes") hat die Vorschrift damit ausschließlich Geltung für das StVG.

Auch der mit der Vorschrift verfolgte Zweck verbietet eine Übertragung der gesetzlichen Fiktion auf das StGB. Denn die Vorschrift ist ein Schutzgesetz zugunsten des Fahrschülers (Janiszewski/Jagow/Burmann-Jagow, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 2 StVG Rdnr. 21b ff.). Sie dient insbesondere dazu, den Fahrschüler vor einer Strafbarkeit nach § 21 StVG zu schützen und entfaltet im Übrigen nur Wirkung für die Frage zivilrechtlicher Gefährdungshaftung (König DAR 2003, 448 [449]; Joerden Blutalkohol 2003, 104 [106]; LK-König, StGB, 11. Aufl., § 315 c Rdnr. 42; AG Cottbus DAR 2003, 476 [477]).

bb) Aus dem Sinn des Wortes "Führen" in § 316 Abs. 1 StGB und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. BGHSt 35, 390 [392 f.]) ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass nur derjenige Führer eines Fahrzeugs sein kann, wer sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind. Es muss also jemand, um Führer eines Fahrzeuges sein zu können, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzen oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrraum ganz oder wenigstens zum Teil lenken (BGHSt 18, 6 [8 f.]; 35, 390 [393]; 36, 341 [343 f.]).

b) Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung war im vorliegenden Fall ausschließlich die Fahrschülerin Führerin des Kraftfahrzeuges.

aa) Der Angeklagte hat keine wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient. Ohne Einfluss auf die rechtliche Bewertung ist dabei, dass der Beifahrer sich vorbehält, im Notfall einzugreifen und die Führung des Fahrzeuges zu übernehmen (BGHSt 13, 226 [227 f.]).

bb) Die vom Angeklagten mündlich erteilte Korrektur, nicht so weit rechts zu fahren, führt zu keiner anderen Bewertung.

Nach einer zivilrechtlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes führt die das Steuer bedienende Person das Fahrzeug dann nicht, wenn sie den Anweisungen der anderen Personen bedingungslos folgt, Art und Richtung der Bewegung des Fahrzeuges ganz dem anderen überlässt und nur ohne eigene Verantwortung dem anderen hilft, der dadurch selbst die Führung des Fahrzeugs übernommen hat (BGH VRS 52, 408 [409]).

So liegt der Fall hier nicht. Insbesondere hat das Amtsgericht gerade nicht festgestellt, dass die Fahrschülerin Art und Richtung der Bewegung des Fahrzeugs ganz dem Angeklagten unter bedingungsloser Folgeleistung überlassen hat.

Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm betätigt sich jemand an der Führung eines Kraftfahrzeuges, wenn die Fahrkenntnisse des Fahrzeugführers mangelhaft sind und sich der Lenker im wesentlichen nach den technischen Anweisungen des anderen richtet. In einem solchen Fall hänge das gesamte Fahrgeschehen weitgehend vom Willen des Anderen ab, der deshalb als Führer des Kraftfahrzeugs anzusehen sei (OLG Hamm VRS 37, 281 [282]).

Auch so liegt der Fall hier nicht. Die Fahrschülerin hatte bereits 20 Fahrstunden genommen und absolvierte die Überlandfahrt - abgesehen von der einmaligen mündlichen Korrektur - beanstandungsfrei. Darüber hinaus gehende technische Anweisungen hat der Angeklagte nicht gegeben.

Nach einer Entscheidung des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts soll der Führer eines Motorbootes auch dann Fahrzeugführer bleiben, wenn er einem Fahrgast die Führung des Ruders und zugleich des Motors überlässt. Der Schiffsführer sei anders als der Halter eines Kraftfahrzeuges zu keiner Zeit bloß Mitfahrender, sondern bleibe auch bei Überlassung des Ruders an einen anderen für die Führung des Schiffes verantwortlich (SchlHA 1970, 196).

Auch diese Entscheidung trifft den vorliegenden Fall nicht, weil die Entscheidung ausdrücklich zwischen einem Kraftfahrzeugführer und einem Schiffsführer unterscheidet.

2. Eine Strafbarkeit des Angeklagten durch anderes strafrechtlich relevantes Verhalten als das der unmittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 1. Alt. StGB) ist nicht denkbar.

Nach der unter II. 1. a) bb) dargestellten Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 316 Rdnrn. 2, 3; LK-König, StGB, 11. Aufl., § 315 c Rdnr. 201 m.w.N.; Janiszewski/Jagow/Burmann-Burmann, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 2; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., § 316 Rdnr. 22) handelt es sich bei § 316 StGB um ein eigenhändiges Delikt. Damit ist eine Strafbarkeit aufgrund mittelbarer Täterschaft, Mittäterschaft sowie Nebentäterschaft ausgeschlossen (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., vor § 25 Rdnr. 1; LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 40), und zwar selbst für den Fall, dass man die Rechtsfigur des eigenhändigen Deliktes bei § 316 StGB überhaupt in Frage stellen wollte (vgl. allgemein LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 40 ff.; Schubarth, ZStW 110, 827).

a) Eine mittelbare Täterschaft des Angeklagten scheidet nämlich schon deshalb aus, weil bei der Fahrschülerin keine "Defizite" (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 25 Rdnr. 4) festzustellen sind und sie deshalb nicht als Werkzeug (LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 40; MK-Joecks, StGB, § 25 Rdnr. 49) des Angeklagten gehandelt hat.

b) Auch eine uneigenhändige Mittäterschaft kommt schon nicht in Betracht, weil sich die Fahrschülerin rechtmäßig verhalten und den Tatbestand des § 316 StGB nicht in eigener Person erfüllt hat .

c) Eine uneigenhändige Nebentäterschaft - wie im vorliegenden Fall vom Amtsgericht angenommen (vgl. insoweit auch AG Cottbus DAR 2003, 476) - scheidet aus, weil der Angeklagte und die Fahrschülerin nicht unabhängig voneinander einen deliktischen Erfolg herbeiführen wollten (LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rdnr. 222). Vielmehr ist auch hier entscheidend, dass die Fahrschülerin mit Blick auf § 316 StGB rechtmäßig gehandelt hat.

3. Aus den genannten Gründen kommt auch eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 1 StVG nicht in Betracht.

§ 24 a StVG wird zwar dem Wortlaut nach vom Geltungsbereich der Vorschrift des § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG erfasst. Die Bestimmung dient jedoch - abgesehen von ihrem Einfluss auf die zivilrechtliche Gefährdungshaftung - nach ihrem Zweck in strafrechtlicher Hinsicht ausschließlich dem Schutz des Fahrschülers, weil dieser nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist (vgl. II.1 a) aa)). Jede andere (weitergehende) Auslegung würde zu dem untragbaren Ergebnis führen, dass der Fahrschüler im Falle seiner Alkoholisierung nicht wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG verfolgt werden könnte, weil ausschließlich der Fahrlehrer aufgrund gesetzlicher Fiktion als Führer des Kraftfahrzeuges anzusehen wäre.

4. Soweit das Oberlandesgericht Karlsruhe (VRS 64, 153) und mit ihm Teile der Literatur (Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., § 316 Rdnr. 23; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 2; Janiszewski/Jagow/Burmann-Burmann, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 2; Lütkes/Ferner/Kramer, Straßenverkehrsrecht, § 2 StVG Rdnr. 148) ) gleichwohl eine Strafbarkeit des Fahrlehrers aufgrund der Regelung in § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG annehmen, ist eine Vorlage gemäß § 121 Abs. 2 GVG nicht veranlasst. Bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe kam es auf die Frage, wer Fahrzeugführer im Sinn des § 316 StGB oder des § 24 a StVG ist, nicht an. Außerdem ergeht die hier getroffene Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

III.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind vollständig. Es ist auszuschließen, dass eine neue Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zu erbringen vermag. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO). Mangels eines Verstoßes gegen § 316 StGB oder § 24 a StVG war der Angeklagte mit der sich aus § 467 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge freizusprechen.



Ende der Entscheidung

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