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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 27.04.2004
Aktenzeichen: 4 Ws 4/04
Rechtsgebiete: StrRehaG, Bodenreform-Verordnung


Vorschriften:

StrRehaG § 1 Abs. 5
Bodenreform-Verordnung
Im Zuge der Bodenreform ergangene Entscheidungen und Maßnahmen waren keine strafrechtlichen Maßnahmen und sind daher nicht gemäß § 1 Abs. 5 StrRehaG rehabilitierungsfähig.
Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: 4 Ws 4/04

vom 27. April 2004

in der Rehabilitierungssache des

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 21. August 2003 wird als unbegründet verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Rehabilitierungsverfahren erstrebt der Antragsteller die strafrechtliche Rehabilitierung hinsichtlich verschiedener im Zuge der Bodenreform ergangener Entscheidungen und Maßnahmen. Konkret hat er beantragt, die gegen ihn sowie seinen Vater in Anwendung der Bodenreform-Verordnung vom 10. September 1945 durch die Kreisbodenkommission des Kreises D..... getroffenen Entscheidungen hinsichtlich des jeweiligen Vorwurfes, sie seien Angehörige der Klasse der "Großgrundbesitzer", deren "Herrschaft immer ein Hauptpfeiler der Aggression und der Eroberungskriege war, die sich gegen andere Völker richtete", für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben (Anträge Nrn. 1 und 2), ebenso die auf der Grundlage der vorgenannten Entscheidungen in Anwendung der zur Bodenreform-Verordnung ergangenen geheimen Instruktion verhängten "Kreisverweise" mit dem Inhalt eines Verbotes der Rückkehr in das Gebiet des ehemaligen Kreises D..... (Antrag Nr. 3) sowie die Einziehungen eines näher bezeichneten landwirtschaftlichen Betriebes (Antrag Nr. 4) bzw. einer zunächst dem Antragsteller zugewiesenen Neubauernstelle (Antrag Nr. 5).

Das Landgericht Leipzig hat mit Beschluss vom 21. August 2003 die Anträge als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Verfahrensbevollmächtigte fristgerecht Beschwerde eingelegt, mit der er eine strafrechtliche Rehabilitierung auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 StrRehaG erstrebt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Zutreffend hat das Landgericht Leipzig in der angefochtenen Entscheidung die Voraussetzungen für eine Rehabilitierung verneint.

Die hier einzig in Betracht zu ziehende Vorschrift des § 1 Abs. 5 StrRehaG erstreckt die Anwendung der Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auch auf Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind, jedoch nur auf solche mit strafrechtlichem Charakter, welcher vorliegend zu verneinen ist.

1. Allerdings erfasst die Norm, die auch systembedingtes Unrecht im Umfeld oder Vorfeld "geordneter" strafrechtlicher Verfolgung einfangen soll, nicht nur solche Maßnahmen, die in einem förmlichen Strafverfahren ergangen sind, sondern ist so zu interpretieren, dass ein inhaltlicher oder thematischer Zusammenhang einer staatlichen Zwangsmaßnahme mit einem Vorwurf einer nach DDR-Recht oder DDR-Rechtspraxis strafbaren Handlung ausreichend sein kann (Bruns/Schröder/Tappert StrRehaG § 1 Rdnr. 185; KG VIZ 1993, 88; OLG Rostock OLG-NL 1996, 288). Hier fehlt es jedoch bereits an jener Grundvoraussetzung des Zusammenhangs der in Rede stehenden Entscheidungen und Maßnahmen mit einem Strafvorwurf.

Nach dem Vorbringen des Verfahrensbevollmächtigten erfolgten diese im Hinblick auf die Größe des landwirtschaftlichen Betriebes in P. ...... mit einer Grundfläche von 125 ha, die gemäß Artikel II Nr. 3 der Bodenreform-Verordnung vom 10. September 1945 die Einstufung der Betroffenen als sogenannte Großgrundbesitzer durch die Kreisbodenkommission des Kreises D..... nach sich zog.

Diese Tatsache des "Großgrundbesitzes" erfüllte jedoch auch nach dem seinerzeit geltenden Recht für sich genommen keinen Straftatbestand.

Entsprechendes legt zunächst mittelbar die Regelungssystematik der Bodenreform-Verordnung nahe. Diese unterschied bei der Umschreibung des zu enteignenden Grundbesitzes zwischen solchem der "Kriegsverbrecher" und "Kriegsschuldigen" sowie hochrangiger aktiver Repräsentanten des nationalsozialistischen Regimes (Artikel II Nr. 2 a und b der Verordnung) und "feudal-junkerlichem Boden und Großgrundbesitz über 100 ha" (Artikel II Nr. 3 der Verordnung). Dieser Differenzierung in der Anknüpfung an individuell vorwerfbares, insbesondere nach den Wertungen des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 bzw. der Kontrollratsdirektive Nr. 38 strafbares Verhalten einerseits und den bloßen Besitz an Grundflächen bestimmter Größe andererseits hätte es nicht bedurft, wenn sich auch der Personenkreis der sogenannten "Großgrundbesitzer" hätte unter die erstgenannten Fallgruppen subsumieren lassen.

Die vom Verfahrensbevollmächtigten behauptete Strafbarkeit der Großgrundbesitzer unter dem Gesichtspunkt eines sogenannten "Organisationsverbrechens" lässt sich nicht begründen. Insbesondere ergibt sie sich nicht aus Artikel II Nr. 1 d i.V.m. Nr. 2 e des Kontrollratsgesetzes Nr. 10. Zwar ist danach die "Zugehörigkeit zu gewissen Kategorien von Verbrechervereinigungen oder Organisationen, deren verbrecherischer Charakter vom Internationalen Militärgerichtshof festgestellt worden ist" (Nr. 1 d) unter Strafe gestellt, ebenso wie die Zugehörigkeit zu einer Organisation oder Vereinigung, die mit der Ausführung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden bzw. die Menschlichkeit in Zusammenhang stand (Nr. 2 e), jedoch erfasst keine dieser Vorschriften den hier in Rede stehenden Fall. Nichts anderes ergibt sich auch aus der vom Verfahrensbevollmächtigten vorgelegten Kommentarliteratur. So ist in der Kommentierung von Kraus zum Kontrollratsgesetz Nr. 10 in der zitierten Anmerkung 1 zu Artikel II Abs. 1 a lediglich die abstrakte Möglichkeit eines "Kollektivverbrechens" in Abgrenzung zum "Individualverbrechen" erwähnt, jedoch ergibt sich hieraus nicht, dass der Großgrundbesitz als solcher, wie er in der Bodenreform-Verordnung umschrieben ist, einen solchen Verbrechenstatbestand erfüllte. Insoweit fehlt es ganz offensichtlich bereits an dem seinerzeit insoweit als elementar erachteten Merkmal des Zusammenschlusses Mehrerer, der eine erhöhte Rechtsgutsgefährdung begründet, (vgl. hierzu Haensel - Das Organisationsverbrechen - Nürnberger Betrachtungen zum Kontrollratsgesetz Nr. 10, 1947 S. 28). Von einem solchen Organisationsgrad der Großgrundbesitzer gehen erkennbar auch die Regelungen der Bodenreform-Verordnung nicht aus, namentlich ergibt sich ein solcher nicht aus der in Artikel 1 der Verordnung erfolgten pauschalen Bewertung dieser gesellschaftlichen Gruppe als "Bastion der Reaktion und des Faschismus" und als "eine der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker". Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, mit den Regelungen der Bodenreform sei bereits vor Erlass des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 der Tatbestand eines Organisationsverbrechens geschaffen worden, nicht begründbar.

Ebenso wenig lässt sich - entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten - eine Strafbarkeit aus der von ihm in den Raum gestellten "Kriminalisierung" der Großgrundbesitzer durch die zuvor zitierte Charakterisierung bzw. durch die Gleichbehandlung dieser Gruppe mit "Kriegsverbrechern" und anderen Personen im Sinne des Artikels II Nr. 2 der Bodenreform-Verordnung oder die in politischen Manifesten erfolgte Abwertung dieses Personenkreises als "Verbrecher" herleiten. Nicht jedes sozialethische Unwerturteil trägt automatisch strafrechtlichen Charakter; der Ausspruch eines solchen ist zwar Straftatbeständen und insbesondere auf dieser Grundlage ergangenen Verurteilungen in besonderem Maße immanent (in diesem Sinne ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Juli 2003, veröffentlicht in ZOV 2003, 304 zu verstehen), jedoch nicht ausschließlich diesen vorbehalten. Anderes ist auch den vom Verfahrensbevollmächtigten eingereichten Auszügen aus dem "Kleinen politischen Wörterbuch" der DDR zu den Begriffen des Strafrechts und der Straftat nicht zu entnehmen. Auch der Umstand, dass im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 eine Vermögenseinziehung erfolgen konnte, rechtfertigt nicht den Schluss, dass jeder anderen Form eines entsprechenden Vermögensverlustes automatisch Strafcharakter zukäme.

Nach alledem ist schon mangels Zusammenhanges mit einem strafrechtlich relevanten Verhalten eine strafrechtliche Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 5 StrRehaG zu verneinen.

2. Selbst dann, wenn - was nach dem vorstehend Dargelegten nicht der Fall ist - ein inhaltlicher oder thematischer Zusammenhang mit einem strafbaren Verhalten zu bejahen wäre, käme gleichwohl eine Rehabilitierung auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 StrRehaG nicht in Betracht, denn diese Vorschrift ist - wie das gesamte strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz - generell nur dann anwendbar, wenn das jeweils in Rede stehende staatliche Handeln seinerzeit als spezifisch strafrechtliche Vergeltung für das missbilligte Verhalten angesehen worden ist (OLG Brandenburg VIZ 1995, 679; OLG Dresden Beschluss vom 23. März 2004 - 4 Ws 13/04 -).

Dies war mit der auf die Umverteilung von Landbesitz zielenden Bodenreform, den hierzu ergangenen Regelungen der zuvor zitierten Verordnung und den hierauf fußenden Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen jedoch ersichtlich nicht bezweckt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Verfahrensbevollmächtigten, mit dem dieser nachzuweisen sucht, dass die Bodenreform als Ganzes die "Bestrafung" der von ihr Betroffenen zum Ziel hatte. Mit der Durchführung der Maßnahmen nach der Bodenreform-Verordnung gingen zweifellos Sanktionswirkungen einher, die nach den vom Verfahrensbevollmächtigten eingereichten umfangreichen Materialien von den damaligen Machthabern ebenso zweifellos auch erwünscht waren. Diese tragen jedoch keinen Strafcharakter im Sinne des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Soweit in diesem Zusammenhang der Begriff der "Bestrafung" oder eine vergleichbare Terminologie zur Beschreibung der Sanktionswirkungen Verwendung fand oder noch findet, dient dies der plakativen Veranschaulichung, kann aber die technische Begriffsbestimmung, die nach spezifischen materiellen Kriterien zu erfolgen hat, nicht beeinflussen.

Danach ist die Bodenreform jedoch eindeutig verwaltungsrechtlicher Natur, die auch nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass die diesbezüglichen Regelungen zum Teil an Umstände anknüpfen, die sich gleichzeitig als strafbares Verhalten darstellen. Wie heute, so konnte auch damals ein bestimmter Sachverhalt unterschiedliche staatliche Reaktionen zur Konsequenz haben, die ihren jeweils eigenen Regelungen folgen. So war etwa für ein sogenanntes "Kriegsverbrechen" einerseits die strafrechtliche Verurteilung auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 bzw. der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vorgesehen, andererseits aber auch die Enteignung nach Maßgabe der Bodenreform-Verordnung. Ebenso wie eine an strafbares Verhalten anknüpfende Schadensersatzverpflichtung ihren zivilrechtlichen Charakter behält mit der Folge, dass nach einhelliger Auffassung eine Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nicht einmal dann erfolgen kann, wenn über den Anspruch im Strafurteil mit entschieden worden ist (grundlegend Bruns/Schröder/Tappert a.a.O. § 1 Rdnr. 26; Schwarze in PK-Rehabilitierung 2. Aufl. § 1 Rdnr. 11 m.N. auf die Rechtsprechung), verbleibt es vor diesem Hintergrund auch bei der verwaltungsrechtlichen Natur der Durchführung der Bodenreform mit entsprechenden rehabilitierungsrechtlichen Folgen (vgl. dazu auch das Urteil des VG Magdeburg ZOV 2003, 342 ff., wonach jedenfalls der im Zuge der Bodenreform verhängte Kreisverweis gemäß § 1 a VwRehaG rehabilitierungsfähig ist).

Danach sind weder die Entscheidungen der Kreisbodenkommission D..... noch der Kreisverweis als strafrechtliche Maßnahmen im Sinne des § 1 Abs. 5 StrRehaG zu bewerten, so dass diese - wie auch die auf dieser Grundlage ausgesprochenen Enteignungen - nicht im Wege der strafrechtlichen Rehabilitierung für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden können. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass im Rahmen der Durchführung der Bodenreform schweres Unrecht zugefügt wurde. Jedoch kann eine Rehabilitierung nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erfolgen, deren Voraussetzungen - jedenfalls was das allein in die Zuständigkeit des Rehabilitierungssenats des Oberlandesgerichts fallende Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz betrifft - hier nach dem vorstehend Dargelegten aber nicht erfüllt sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG.

Ende der Entscheidung

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