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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 28.02.2001
Aktenzeichen: 6 U 3035/00
Rechtsgebiete: BGB, GG, SächsStrG


Vorschriften:

BGB § 839
GG Art. 34
SächsStrG § 10 Abs. 1
Leitsätze:

1. Bei der im Rahmen der Straßenverkehrssicherungspflicht zumindest zweimal jährlich gebotenen Sichtkontrolle von Straßenbäumen erkannte Mängel müssen grundsätzlich unverzüglich beseitigt werden. Erkanntes Totholz muss umgehend entfernt werden, um die Verkehrsteilnehmer vor der bestehenden Gefahr durch herabstürzende Äste zu schützen.

2. Hat der Verkehrssicherungspflichtige gegen diese Pflicht verstoßen und wird ein vorbeifahrendes Fahrzeug durch einen morschen Ast beschädigt, spricht ein Anscheinsbeweis zugunsten des Geschädigten dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Sicherung von Straßenbäumen nicht zu dem Unfall gekommen wäre.

OLG Dresden, Urteil vom 28.02.2001 - Az.: 6 U 3035/00 -


Zum Sachverhalt:

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten hinsichtlich einer Staatsstraße in Anspruch. Am 19.09.1996 brach von einer am Straßenrand stehenden 70 bis 80 Jahre alten Esche ein unbelaubter Ast ab und beschädigte das klägerische Fahrzeug. Ein langjähriger Mitarbeiter des Beklagten hatte zuvor am 22.08.1996 die Straßenbäume an der Staatsstraße bei einer sogenannten Vorschau untersucht und die unfallursächliche Esche mit einem roten Fällkreuz gekennzeichnet, wobei er erkannt hatte, dass der Baum Totholz aufwies. Die offizielle Baumschau sollte später durchgeführt werden; hierbei sollten die mit dem Fällkreuz gekennzeichneten Bäume durch einen fachkundigen Mitarbeiter des Umweltschutzamtes noch näher untersucht werden.

Der Kläger begehrt von den Beklagten Zahlung des ihm entstandenen Schadens i. H. v. 1.642,00 DM. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hatte im Wesentlichen Erfolg.

Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 6 U 3035/00 3 O 858/99 LG Zwickau

Verkündet am 28.02.2001

Die Urkundsbeamtin: R Justizobersekretärin

In dem Rechtsstreit

A M , V 9, B

Kläger und Berufungskläger

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt U B G Straße 34, S

gegen

F S , vertr. durch das L f F , dieses vertr. durch das S Z , S 2, D

Beklagter und Berufungsbeklagter

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M & T , B 3, Z

wegen Schadenersatz

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2001 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bey, Richter am Oberlandesgericht Glaß und Richterin am Landgericht Gruber

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 25.10.2000, Az.: 3 O 858/99, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.642,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 28.02.1998 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer beider Parteien übersteigt nicht 60.000,00 DM.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 1.800,00 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist im Wesentlichen begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung des begehrten Schadensersatzes wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG.

1. Dem Beklagten oblag die Verkehrssicherungspflicht für die Staatsstraße S 222 zwischen den Gemeinden E und G nach § 10 Abs. 1 SächsStrG als hoheitliche Aufgabe.

2. Die öffentlich-rechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Die Strassenverkehrsicherungspflicht umfasst auch den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, VersR 1994, 346; OLG Hamm, VersR 1998, 188; OLG Köln, NZV 1993, 434; Brandenburgisches OLG, OLGR Brandenburg 2000, 269). Von Straßenbäumen gehen für die Benutzer der Straße dann Gefahren aus, wenn die Bäume nicht mehr hinreichend stand- bzw. bruchsicher sind und die naheliegende Möglichkeit besteht, dass Äste oder ganze Bäume unvermutet auf die Straße stürzen könnten. Dem Verkehrssicherungspflichtigen obliegt es deshalb, ausreichend Vorsorge dafür zu treffen, dass bei kranken oder alten Bäumen rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der Gemeinden auch zumutbar sind. Zu der allgemeinen Gefahrenvorsorge gehört es danach, Bäume in regelmäßigen Abständen insbesondere auf Fehler in der Rinde, in der Belaubung und auf Totholz zu kontrollieren. Dazu reicht im Regelfall zweimal jährlich eine äußere Sichtprüfung bezogen auf die Gesundheit und Standsicherheit des Baumes aus. Eine eingehendere Untersuchung ist aber dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die der Erfahrung nach auf eine besondere Gefährdung hindeuten, wie etwa eine spärliche oder trockene Belaubung, trockene Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall. Dies alles entspricht gefestigter Rechtsprechung (BGH, VersR 1965, 475; OLG Hamm, VersR 1997, 1148, VersR 1998, 188; OLG Brandenburg, OLGR Brandenburg 2000, 169; OLG Celle, OLGR Celle, 1999, 42 jeweils m. w. N.). Bei der Sichtkontrolle erkannte Mängel müssen unverzüglich beseitigt werden (Rotermund, Haftungsrecht in der kommunalen Praxis, Rdn. 453). Das Vorhandensein von morschen und dürren Ästen gibt in jedem Fall dem Verkehrssicherungspflichtigen Anlass, zumindest dieses Totholz zu beseitigen, im Übrigen aber auch den Baum insgesamt näher zu kontrollieren (Rotermund, a. a. O.; OLG Brandenburg, OLGR Brandenburg 2000, 169).

3. Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Beklagten eine Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten zur Last zu legen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass am 22.08.1996 nicht die endgültige Baumschau unter Teilnahme eines Mitarbeiters der unteren Umweltschutzbehörde, sondern lediglich eine sogenannte Vorschau durch den Mitarbeiter der Straßenmeisterei, den Zeugen L , stattgefunden hat. Unstreitig überprüft dieser üblicherweise bei der Vorschau auffällige Bäume und kennzeichnet diese - solange seiner Auffassung nach nicht Gefahr im Verzug vorliegt und sofortiges Handeln geboten ist - zur Überprüfung bei der zweiten Kontrolle, um in Anwesenheit des Mitarbeiters des Umweltschutzamtes genau zu bestimmen, welche der gekennzeichneten Bäume konkret zu fällen sind und welche nicht. Hinsichtlich des streitgegenständlichen, in der beigezogenen Ermittlungsakte auf Seite 4 abgebildeten und unstreitig unfallursächlichen Baumes stellte der Zeuge L nach seiner Aussage bei der Untersuchung am 22.08.1996 fest, dass im Bereich der Krone im größeren Umfang tote, d. h. unbelaubte Äste vorhanden waren. Aus diesem Grunde markierte der Zeuge den Baum mit einem Fällkreuz. Das Vorhandensein dieses Totholzes hätte aber dem Zeugen nicht nur Anlass geben müssen, eine nähere Kontrolle des Baumes bei der nächsten offiziellen turnusmäßigen Baumschau, sondern darüber hinaus die umgehende Beseitigung des erkannten Totholzes anzuordnen, um die Verkehrsteilnehmer vor der bestehenden Gefahr durch herabstürzende Äste zu schützen. Die bloße Markierung der Esche, um sie bei der eigentlichen Baumschau einer näheren Kontrolle zu unterziehen, war nicht ausreichend, zumal deren Termin - soweit ersichtlich - nicht einmal bekannt war. Bis zum Unfalltage am 19.09.1996 ist dementsprechend auch nichts mehr geschehen. Der Beklagte hätte deshalb zur Verkehrssicherung wegen der erkannten deutlichen Krankheits- bzw. Altersanzeichen entweder eine sofortige nähere Überprüfung veranlassen oder aber zumindest dafür Sorge tragen müssen, dass die toten Äste unmittelbar entfernt werden.

Dass das Ergreifen sofortiger weiterer Maßnahmen im konkreten Fall für den Beklagten unzumutbar war, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte die Durchführung einer weiteren Kontrolle des maßgeblichen Straßenabschnittes am 10.09.1996 vortrug, handelt es sich hierbei offensichtlich nur um die übliche Streckenkontrolle. Da diese nach Angaben des Zeugen P vom Fahrzeug aus während der Fahrt durchgeführt wurde, diente sie in erster Linie der Beobachtung des Straßenzustandes. Dass hierbei eine gezielte eingehendere Untersuchung des streitgegenständlichen Baumes mit dem Prüfungsergebnis, dass unmittelbare Schutzmaßnahmen Maßnahmen nicht veranlasst waren, erfolgte, lässt sich dem Vortrag des Beklagten nicht entnehmen. Zudem ist offensichtlich, dass mit der Kontrolle vom Fahrzeug aus während der Fahrt keine ordnungsgemäße Beobachtung jedes einzelnen Baumes verbunden sein kann.

4. Die Verletzung dieser Verkehrssicherungspflicht ist ursächlich für den Schaden an dem klägerischen Kraftfahrzeug.

Mittlerweile ist unstreitig, dass das Fahrzeug durch einen von dem streitgegenständlichen Baum herabfallenden Ast beschädigt wurde. Da feststeht, dass der Beklagte gegen die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen hat und nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme durch Einvernahme der Zeuginnen B und M ebenso feststeht, dass der schadenverursachende Ast nicht belaubt und damit tot war und das klägerische Fahrzeug in zeitlicher Nähe zu der Verkehrssicherungspflichtverletzung durch den Beklagten durch diesen Ast beschädigt wurde, spricht ein Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Sicherung von Straßenbäumen nicht zu dem Unfall gekommen wäre, dass sich also in dem Ereignis gerade die typische Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die ordnungsgemäße Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht verhindern sollte (vgl. BGH, NJW 1994, 945).

Diesen Anscheinsbeweis hat der Beklagte nicht entkräftet. Dass starker Wind geherrscht haben soll, reicht nicht. Es ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass derart außergewöhnliche Windverhältnisse herrschten, dass der Abbruch des Astes nicht mehr hinreichend sicher auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen sein könnte. Ferner handelt es sich bei der Behauptung, dass der schadenverursachende Ast ebenso durch ein anderes Fahrzeug beschädigt worden und deshalb herabgefallen sein könne, lediglich um eine Vermutung des Beklagten und rein theoretische Möglichkeit. Der zugunsten des Klägers streitende Anscheinsbeweis ist aber erst dann erschüttert, wenn Tatsachen zur Überzeugung des Gerichtes feststehen, die auf einen untypischen Tatsachenverlauf schließen lassen. Insoweit konnte der Beklagte jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte darlegen.

Da die Amtspflichtverletzung danach kausal für den klägerischen Schaden war, konnte die zwischen den Parteien heftig umstrittene Frage, ob dem Beklagten darüber hinaus eine schuldhafte Beseitigung von Beweismitteln anzulasten war, ebenso dahinstehen wie die damit verbundene Problematik, ob nicht auch der Kläger für seine Beweisführung durch Sicherung des schadensursächlichen Astes hätte Sorge tragen müssen.

5. Der Beklagte ist damit zum Ersatz des geltend gemachten Schadens in Höhe von insgesamt 1.642,00 DM verpflichtet.

Die geltend gemachten Schäden sind voll umfänglich erstattungsfähig. Der Kläger hat gemäß § 249 Satz 2 BGB Anspruch auf Zahlung der nunmehr unstreitigen Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 DM als Restbetrag der von der Teilkaskoversicherung des Klägers erstatteten Reparaturkosten in Höhe von ursprünglich 4.469,75 DM. Der Kläger hat ferner Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Nutzungsausfalles in Höhe von insgesamt 792,00 DM für den unstreitigen Ausfall seines Fahrzeuges während der 11 Tage andauernden Reparatur. Die Bemessung der Einbuße der Nutzungsmöglichkeit des klägerischen PKW vom Typ Opel Vectra mit 72,00 DM pro Tag ist auch angemessen und entspricht dem in der Nutzungsentschädigungstabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch (NJW 1997, 700) angegebenem Wert. Darüber hinaus kann der Kläger nach § 251 Abs. 1 BGB Zahlung des merkantilen Minderwertes verlangen. Unstreitig handelt es sich bei den Sachschäden nicht um reine Blechschäden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass auch nach der Reparatur ein merkantiler Minderwert verbleibt. Dieser kann gemäß § 287 ZPO geschätzt werden und ist mit 500,00 DM, d. h. ca. 10 % der unstreitigen Reparaturkosten angemessen bewertet. Schließlich stellen die ebenfalls geltend gemachten 50,00 DM Auslagenpauschale einen nach ständiger Rechtsprechung des Senates in dieser Höhe vertretbar zu schätzenden (§ 287 ZPO) ersatzfähigen Schaden dar, da dieser Betrag nach Auffassung des Gerichtes erforderlich ist, um die allgemeinen Unkosten für Telefon, Porto und Fahrtkosten abzudecken.

Soweit der Kläger darüber hinaus 20,00 DM für die Einsichtnahme in die Bußgeldakte begehrte, war die Berufung zurückzuweisen, da es sich hierbei um Kosten der Rechtsverfolgung und damit um Prozesskosten im Sinne der §§ 91 ff. ZPO handelt, deren Geltendmachung dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten bleibt (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 91, Rdn. 15).

6. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284, 285, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 546 ZPO, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 12, 14 GKG i. V. m. § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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