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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 19.04.2000
Aktenzeichen: 6 U 3690/99
Rechtsgebiete: BGB, SächsStrG, ZPO, GKG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 31
BGB § 847
BGB § 254 Abs. 1
SächsStrG § 51
SächsStrG § 10 Abs. 1 Satz 1
SächStrG § 51 Abs. 3
ZPO § 287
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 108
ZPO § 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
ZPO § 3
GKG § 14 Abs. 1
Leitsatz:

1. Die auf der Basis einer gemeindlichen Satzung auf die Anlieger übertragene Räum- und Streupflicht wandelt sich zu einer aus dem Eigentum an dem Grundstück fließenden Verkehrspflicht, die eine Haftung nach § 823 BGB begründen kann.

2. Durch die gemeindliche Satzung können die verpflichteten Anlieger nicht zu qualitativ und zeitlich weitergehenden Räum- und Streumaßnahmen verpflichtet werden, als diese hoheitlich kraft Gesetzes (hier: § 51 SächsStrG) der übertragenden Gemeinde obliegen. Bei der Bestimmung der der Gemeinde obliegenden Streu- und Räumpflicht und der Zumutbarkeit von Maßnahmen ist die Möglichkeit zur Heranziehung der Anlieger zu berücksichtigen.

3. Überträgt der Anlieger wiederum die auf ihn durch Satzung übertragene Räum-und Streupflicht durch Vertrag auf Dritte, kommt es für die Frage der Zumutbarkeit einzelner Räum- und Streumaßnahmen im Einzelfall auf die Person des Anliegers an.

Urt. v. 19.04.2000, Az.: 6 U 3690/99, rechtskräftig


Aktenzeichen: 6 U 3690/99 3 O 3540/99 LG Leipzig

Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 19.04.2000

Die Urkundsbeamtin: Justizobersekretärin

In dem Rechtsstreit

- Klägerin und Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte: ,

gegen

Stadtwerke T. ,

- Beklagte und Berufungsklägerin -

Prozessbevollmächtigte: ,

wegen Schadenersatz

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2000 durch

Richter am Oberlandesgericht ,

Richterin am Landgericht und Richter am Landgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 10.11.1999 - Az: 3 O 3540/99 - wird auf ihre Kosten

zurückgewiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 26.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Den Parteien wird nachgelassen, die zu erbringende Sicherheit in Form einer schriftlichen, selbstschuldnerischen, unbedingten, unwiderruflichen Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen im Bereich der Europäischen Union zugelassenen Kreditinstitutes oder einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.

III. Die Beschwer der Beklagten liegt unter 60.000,00 DM.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 25.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.

Wie im zweiten Rechtszug unstreitig gestellt wurde, stürzte die Klägerin am 19.12.1997 gegen 10.10 Uhr auf dem Gehweg der S...straße in T..., vor den Gebäuden Haus Nr. 12 bis 14. Zu diesem Zeitpunkt herrschte Eisglätte.

Wie weiterhin im Berufungsverfahren unstreitig geworden ist , zog sich die Klägerin aufgrund des Sturzes einen Oberschenkeltrümmerbruch zu, der während eines stationären Krankenhausaufenthaltes vom 19.12.1997 bis 09.01.1998 behandelt wurde. Dabei war eine sogenannte lange Gammanagelung vorgenommen worden. Die Klägerin war bis 31.03.1998 auf Gehhilfen angewiesen. Sie war in diesem Zeitraum zu 100 % arbeitsunfähig geschrieben. Vom 11.10.1999 bis einschließlich 19.10.1999 musste sie sich erneut in stationäre Krankenhausbehandlung begeben. Grund hierfür war die als Folgeoperation notwendig gewordene Herausnahme der zur Heilung des Oberschenkelbruchs implantierten Metallteile gewesen. Als Folge der durchgeführten Operation verblieben eine 14 cm lange Narbe sowie eine Geschwulst von 3 x 5 cm Ausmaß. Ihr Hüftgelenk ist nur noch zu 40°/90° beweglich.

Gemäß § 1 der Satzung der Stadt T... vom 20.10.1995 obliegt den Straßenanliegern innerhalb der geschlossenen Ortslage einschließlich der Ortsdurchfahrten die Verpflichtung, die Gehwege einschließlich der Schnittgerinne zu reinigen und die Gehwege bei Schneefall zu räumen und bei Schnee oder Eisglätte zu streuen. Gemäß § 4 Abs. 6 der Satzung müssen Gehwege werktags bis 7.30 Uhr, an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen bis 8.00 Uhr geräumt und gestreut sein. Soweit nach diesem Zeitpunkt Schnee fällt oder Schnee bzw. Eisglätte auftreten, bestimmt § 4 Abs. 6 der Satzung, dass bei Bedarf auch zu räumen und zu streuen ist. Nach der Satzung endet die Streupflicht um 21.00 Uhr.

Mit "Leistungsvertrag" vom 12./17.11.1997 (Anlage K 2, Bl. 14 dA) hat die Beklagte von der Inhaberin des Anliegergrundstücks, der T...er Wohnstätten GmbH (im Folgenden: Anliegerin), die Bestreuung des Gehwegs übernommen.

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen:

Zwischen 8 und 9.00 Uhr desselben Tages habe im Stadtgebiet Nieselregen geherrscht, der bei Auftreffen auf den Boden zu sog. "Blitzeis" gefroren sei. Aufgrund der Wettervorhersage habe dieses Wettergeschehen aber vorhergesehen werden können. Daher hätten bei Einsetzen des Niederschlags die entsprechenden Streufahrzeuge der Beklagten bereits beladen sein müssen, um sofort ausrücken zu können. Eine Beobachtungszeit sei der Beklagten nicht zuzubilligen. Im Hinblick auf etwaige Vorlauf- und Beobachtungszeiten seien hier diejenigen Maßstäbe anzulegen, die für die Pflicht eines Grundstückseigentümers bestünden, der sein Grundstück selbst streue.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 DM für die bisher erlittenen Verletzungsfolgen angemessen sei. Weiterhin stehe ihr eine Schadenskostenpauschale in Höhe von 40,00 DM zu. Außerdem könne sie unter Hinweis auf ihre Tätigkeit im Haushalt einen normativen Haushaltsführungsschaden in Höhe von insgesamt 4.704,00 DM für die Zeit vom 19.12.1997 bis zum 31.03.1998 geltend machen. Sie habe sich um einen Dreipersonenhaushalt kümmern müssen, bestehend aus ihrem Mann, ihrem behinderten Sohn und sich selbst. Die Führung des Haushaltes während der stationären Krankenhausbehandlung und daran anschließend in der Zeit bis einschließlich 31.03.1998 sei aufgrund der unfall- und behandlungsbedingt notwendigen Bettruhe sowie der wegen der Schmerzen fehlenden Belastbarkeit nicht möglich gewesen. Hierfür sei eine Arbeitszeit von 40 Stunden unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 12,00 DM anzusetzen. Von dem sich hieraus errechnenden Betrag habe sie 30 % in Abzug gebracht, da sie trotz der dargelegten Beschwerden gewisse leichtere Tätigkeiten faktisch ausgeführt habe.

Es sei nicht auszuschließen, dass sie ihrem Beruf wegen unfallbedingter Gesundheitsschäden, insbesondere nicht auszuschließender Spätfolgen nur vermindert nachgehen könne. Für eine ebenso wenig ausgeschlossene Fortdauer der Behandlung sei mit weiteren Beeinträchtigungen zu rechnen.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 15.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadenersatz in Höhe von 4.744,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999 zu bezahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin einen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Unfall vom 19.12.1997 in T..., S...straße 12 bis 14, noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat in der ersten Instanz vorgetragen:

Der Nieselregen habe am 19.12.1997 gegen 8.30 Uhr begonnen und habe gegen 10.10 Uhr noch angehalten. Aufgrund der damit einhergehenden flächendeckenden Vereisungen hätten sich extreme Witterungs- und Verkehrsbedingungen eingestellt. Ein Vorstreuen sei, abgesehen davon, dass es keine gesicherte Erkenntnis gegeben habe, ob mit Regen zu rechnen sei, nicht sinnvoll gewesen, da das Streugut sofort vom Regen wieder eingeschlossen worden wäre. Die Beklagte habe den Winterdienst tadellos organisiert. Bei einer Kontrolle um 4.00 Uhr desselben Tages habe sich keine Notwendigkeit für den Winterdienst ergeben, da Niederschläge nicht zu verzeichnen gewesen seien. Nachdem um 8.30 Uhr der Niederschlag begonnen habe, habe die Beklagte eine Vorlaufzeit von 1 Stunde benötigt, um ihre Mitarbeiter von anderen Tätigkeiten abzuziehen und die Fahrzeuge zu beladen. Außerdem stehe ihr eine 15 minütige Beobachtungszeit zu. Um 9.30 Uhr habe dann der Winterdienst auf verschiedenen Touren unter Einsatz der vorhandenen Technik begonnen. Die S...straße sei dabei Bestandteil der Tour 4 und der zeitlich dritte von insgesamt 16 winterdienstlich zu betreuenden Abschnitten gewesen. Gegen 10.05 Uhr sei das Streugut des eingesetzten Fahrzeuges aufgebraucht gewesen. Es sei dann über Funk ein Fahrzeug mit neuem Streugut zur S...straße beordert worden. Aufgrund der herrschenden Eisglätte sei die Verkehrslage schwierig gewesen, so dass nach 15 Minuten Fahrzeit das in der S...straße wartende Streufahrzeug von dem hinzukommenden Transportfahrzeug zwischen 10.20 Uhr und 10.30 Uhr neu beladen worden sei. Eine Beladung am näher gelegenen Lagerort des Streumaterials sei aufgrund der dann notwendig werdenden Beladung von Hand wesentlich langwieriger als die Beladung mittels eines Transportfahrzeuges.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen S., Dr. B., K. und Sch.. Hinsichtlich des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.10.1999 (Bl. 144 ff. dA) verwiesen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 10.11.1999, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 159 ff. dA), der Klage unter Abweisung eines Teils der Nebenforderungen im Wesentlichen stattgegeben. Es hat insbesondere dafür gehalten, dass die Beklagte sich nicht auf die Maßstäbe berufen könne, die für die Erfüllung der Streupflicht durch Kommunen von der Rechtsprechung aufgestellt worden seien. Hinsichtlich des zugesprochenen Schmerzensgeldbetrages hat es außerdem als schmerzensgelderhöhend berücksichtigt, dass die Beklagte ein unangemessenes Regulierungsverhalten an den Tag gelegt habe.

Gegen das der Beklagten am 16.11.1999 zugestellte Urteil hat diese mit am 15.12.1999 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 17.02.2000 mit an diesem Tage eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie ist der Rechtsauffassung, dass es bereits an einer Anspruchsgrundlage gegen die Beklagte fehle. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB sei nur in Form des Unterlassens denkbar und auch nur, wenn die Beklagte eine Garantenstellung bezogen auf die Klägerin besessen hätte. Aus dem Vertrag zwischen der Beklagten und der Grundstücksanliegerin ergebe sich auch keine Haftung nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Schließlich scheide auch eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB aus, da es sich bei der Winterdienstsatzung der Stadt T... um kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB handele und sich die Satzung auch nicht an die Beklagte richte.

Selbst bei Unterstellung einer derartigen Anspruchsgrundlage liege eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten nicht vor. Dem Grundstücksanlieger könne gemäß § 51 Abs. 5 Satz 1 SächsStrG nur diejenige Pflicht übertragen werden, die nach dem Gesetz der übertragenden Kommune obliege. Damit habe die Stadt T... lediglich diejenigen Pflichten im Zusammenhang mit der Erfüllung des Winterdienstes auf die Anlieger übertragen können, die sie selbst (ohne satzungsmäßige Übertragung) auszuführen gehabt hätte. Für eine stärkere Belastung der Anlieger fehle es demgegenüber an einer Ermächtigungsgrundlage. Eine Pflichtenausdehnung im Wege der Satzung wäre rechtswidrig, die Satzung mithin nichtig. Somit beurteile sich die Frage, ob, welche und innerhalb welcher Zeiten die Winterdienstmaßnahmen durchzuführen gewesen seien, allein danach, ob und welche Maßnahmen die Stadt T... selbst ohne eine Übertragung der Winterdienstpflicht auf die Anlieger in der konkreten Situation hätte ausführen müssen. Dies gelte auch und insbesondere für die zeitliche Komponente. Dabei sei auch der Beklagten eine gewisse Beobachtungsphase einzuräumen, innerhalb derer sie Feststellungen treffen könne, ob die Witterungssituation sich tatsächlich so entwickle, dass flächendeckend der Winterdienst durchzuführen sei.

Im Übrigen sei weder die Stadt T... noch die Beklagte noch sonst ein Grundstückseigentümer gehalten, ständig einsatzbereites Material in sachlicher und personeller Hinsicht vorzuhalten, um vergleichbar der Feuerwehr sofort im Falle notwendig werdender Winterdienstmaßnahmen auszurük-ken. Auch dem Eigentümer sei damit zumindest zuzugestehen, zunächst Kenntnis von der Notwendigkeit des Winterdienstes zu gewinnen. Der Einsatz des konkreten Streufahrzeuges sowie die Tatsache, dass es nach 35 Minuten infolge Verbrauchs des eingefüllten Streugutes wieder befüllt habe werden müssen, begründe keinen Organisationspflichtenverstoß. Im Übrigen seien die Fahrzeuge entgegen der Annahme des Landgerichts zu Beginn des Tages einsatzbereit mit den notwendigen Winterdiensteinrichtungen versehen und beladen gewesen.

Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten scheide schließlich deshalb aus, weil aufgrund der konkreten Witterungssituation jede ausgebrachte Winterdienstmaßnahme alsbald, d.h. innerhalb kürzester Zeit ihre abstumpfende Wirkung vollständig verloren hätte. So hätten um 8.30 Uhr Niederschläge eingesetzt, die aufgrund der vorgefundenen Witterungs- und Temperaturverhältnisse zum Auftreten flächendeckender Eisbildung im gesamten Stadtgebiet von T... geführt hätten. Die Niederschläge hätten auch deutlich über 9.00 Uhr hinaus angehalten, nämlich bis kurz vor dem Unfallzeitpunkt bzw. bis zum Zeitpunkt des Unfalles. In dieser Zeit seien auch mehrere Millimeter Niederschlag gefallen. Jedes etwa präventiv aufgebrachte Streugut in Form abstumpfenden Materials wäre in diesem Falle fest und voll durch den gefrierenden Niederschlag umschlossen worden. Das eingesetzte Streugut hätte dabei seine Wirkung auf jeden Fall bis zum Unfallzeitpunkt wieder verloren. Soweit das Landgericht den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin für nicht ausreichend substantiiert angesehen habe, habe es die Anforderungen an die Darlegungslast der Beklagten überspannt. Im Übrigen sei die Beklagte am Unfalltag auch nicht verpflichtet gewesen, vorsorglich Winterdienstmaßnahmen zu ergreifen. Am Morgen des Unfalltages habe nämlich nicht die Gewissheit bestanden, ob, wann und in welcher Form überhaupt Winterdienstmaßnahmen erforderlich werden würden. Die allgemein vorliegenden Wetterhinweise beinhalteten lediglich die Möglichkeit, dass es zum Auftreten von Winterglätte durch überfrierende Nässe kommen könnte. Ob dies jedoch für das Stadtgebiet von T... zutreffen würde und falls ja wann, sei dem Wetterbericht als solchem nicht zu entnehmen gewesen. Eine punktgenaue Vorhersage für das von der Beklagten zu beräumende Gebiet habe nicht existiert.

Jedenfalls sei der Klägerin ein anteiliges Mitverschulden anspruchsmindernd zuzurechnen. Es bestehe ein Anscheinsbeweis für eine nicht den vorgefundenen Witterungsverhältnissen angemessene, besonders sorgfältige Gehweise, soweit ein Fußgänger infolge Glätte zu Fall komme.

Schließlich habe das Landgericht auch zu Unrecht ein unangemessenes Regulierungsverhalten der Beklagten bzw. der Haftpflichtversicherung der Beklagten zugrunde gelegt.

Hinsichtlich des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens bestreitet die Beklagte, dass die Klägerin den Haushalt ihrer Familie tatsächlich allein versorgt habe. Es sei unklar, ob nicht zwischen ihr und ihrem Ehemann unter Berücksichtigung des zu betreuenden Kindes eine andere Arbeitsteilung gewählt worden sei.

Weiter bestreitet die Beklagte die geltend gemachten Dauerschäden mit Nichtwissen. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt sei das erforderliche Feststellungsinteresse für den Feststellungsantrag entfallen.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt im Wesentlichen ihren Vortrag erster Instanz.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachvortrages wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2000 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

(I)

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht in der vom Landgericht titulierten Höhe aus §§ 823, 31, 847 BGB ein Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegen die Beklagte zu.

1. Im Freistaat Sachsen ist die den Organen und Bediensteten der damit befassten Körperschaften obliegende Pflicht, die öffentlichen Straßen in verkehrssicherem Zustand zu erhalten, als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt ausgestaltet (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SächsStrG). Spezielle Ausprägung dieser allgemeinen Straßenverkehrssicherungspflicht ist die Pflicht der winterdienstlichen Sicherung. Gemäß § 51 Abs. 3 SächStrG sind die Gemeinden verpflichtet, die Gehwege und Überwege für Fußgänger vom Schnee zu räumen und bei Schnee und Eisglätte zu streuen. Sowohl die Räum- und Streupflicht der Gemeinde wie auch die bei einer Übertragung der Räum- und Streupflicht auf die Anlieger verbleibende Pflicht zur Überwachung der Anlieger auf die Einhaltung der Räum- und Streupflicht stellen Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Gewalt dar (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.1992, Az. III ZR 134/91, BGHZ 118, 368, für die diesbezüglich ähnliche Rechtslage in Niedersachsen).

Die Räum- und Streupflicht beurteilt sich nach ständiger und gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nach den Umständen des Einzelfalles, wobei Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen sind wie seine Gefährlichkeit und Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Grundsätzlich muss sich der Fußgängerverkehr auch im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Der Sicherungspflichtige hat aber durch Schneeräumen und Streuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, im Rahmen und nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze zu beseitigen (BGHZ 112, 74, 75/76; BGH, NJW 1993, 2802, 2803). Die Streupflicht beinhaltet nicht, dass die Wege bei Winterglätte derart zu bestreuen sind, dass ein Verkehrsteilnehmer überhaupt nicht ausgleiten kann; vielmehr müssen die Wege nur derart bestreut werden, dass sie von den Verkehrsteilnehmern, die ihrerseits die erforderliche Sorgfalt aufwenden, ohne Gefahr benutzt werden können (Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 22. Aufl., Kap. 14, Rn. 147; Urteile des Senats vom 07.10.1998, Az.: 6 U 946/98 und vom 14.09.1998, Az.: 6 U 786/98). Zum Schutze des Fußgängerverkehrs sind an die Streupflicht strenge Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Urteil vom 14.09.1998, Az.: 6 U 786/98).

2. Die Räum- und Streupflicht wurde von der verkehrssicherungspflichtigen Stadt T... in zulässiger Weise auf die Anliegerin übertragen.

Die Zulässigkeit einer solchen Übertragung der hoheitlich ausgestalteten Winderdienstpflicht auf die Anlieger ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt und findet im Übrigen in § 51 Abs. 5 Satz 1 SächsStrG seine landesgesetzliche Ausgestaltung. Von dieser Ermächtigung hat die Stadt T... aufgrund der Satzung vom 20.10.1995 (Bl. 121 ff. dA) in der Weise Gebrauch gemacht, dass die Straßenanlieger innerhalb der geschlossenen Ortslage auf der ganzen Länge ihrer Grundstücke die Gehwege einschließlich des Schnittgerinnes zu reinigen und die Gehwege bei Schneefall zu räumen sowie bei Schnee- und Eisglätte zu streuen haben.

Anhaltspunkte dafür, dass die Übertragung des Winterdienstes auf die Anlieger hier mangels ausreichender Bestimmtheit in der Satzung unwirksam sein könnte (vgl. Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 2. Aufl., Rdn. 449; OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.04.1992, Az. 18 U 218/91, VersR 1993, 577), sind nicht ersichtlich. Gemäß § 2 Abs. 1 der Satzung sind Straßenanlieger die Eigentümer oder Besitzer von Grundstücken, die an einer Straße bzw. an einem zu streuenden Gehweg liegen und deren Grundstück durch öffentliche Straßen erschlossen wird. Dies ist hier der Fall, da die Anliegerin jedenfalls Besitzerin des Anliegergrundstücks ist. Die im Wege öffentlich-rechtlicher Delegation (BGH, Urteil vom 03.10.1989, Az. VI ZR 310/88, VersR 1989, 1209) übertragene Verkehrssicherungspflicht in Form des Winterdienstes wandelt sich damit zu einer aus dem Eigentum an dem Grundstück fließenden Verkehrspflicht (so wohl Bergmann/Schumacher, a.a.O., Rdn. 498). Nichts anderes gilt für die Haftung aus § 823 BGB, wenn die tatsächliche Sachherrschaft (§ 854 BGB) an dem Grundstück nicht von dem Eigentümer ausgeübt wird, für die Haftung des Besitzers. Anspruchsgrundlage ist daher nicht § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, sondern die zivilrechtlich-deliktische Haftung nach § 823 BGB.

3. Wird - wie im vorliegenden Fall - die Räum- und Streupflicht auf die Anlieger übertragen, bemisst sich der Umfang der übertragenen Verpflichtung grundsätzlich nach demjenigen, der der übertragenden Gemeinde oblag. § 51 SächsStrG bürdet zunächst der Gemeinde die Reinigungspflicht auf und ermöglicht in Absatz 5 sodann, die Räum- und Streupflicht auf die Anlieger zu delegieren und den Gemeinden sich dieser Aufgabe weitgehend zu entledigen. Mangels Ermächtigungsgrundlage können die Anlieger nicht dazu verpflichtet werden, qualitativ weitergehende Streu- und Räummaßnahmen durchzuführen, als sie im Rahmen der Leistungsverwaltung von der betreffenden Kommune zu erbringen wären (vgl. Rotermund, Die Haftung der Kommunen für die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht, 2. Aufl., Rdnr. 99; Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., Kap. 41, Rdn. 15). Davon erfasst werden die Art und Weise der zu leistenden Maßnahmen, wie etwa die Frage, welches Streumittel Verwendung findet und in welchen zeitlichen Grenzen grundsätzlich der Winterdienst geleistet werden bzw. wo und in welchem Umfang geräumt und gestreut werden muss.

Andererseits ist hinsichtlich der Frage der Leistungsfähigkeit der Gemeinde eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise anzuwenden. Maßgebend ist nicht, ob die Körperschaft, um deren Sicherungspflichten es geht, für leistungsfähig befunden wird oder nicht. Entscheidend ist, welche organisatorischen Vorkehrungen und welche Sicherungsmaßnahmen von einer Körperschaft dieser Struktur bei Abwägung der Interessen aller potentiell Betroffenen billigerweise und typischerweise erwartet werden müssen (Rinne, Aus der neueren Rechtsprechung des BGH zur Haftung der öffentlichen Hand bei Verletzung der Räum- und Streupflicht auf öffentlichen Verkehrsflächen, NJW 1996, 3303, 3308). Zu diesen der Gemeinde obliegenden organisatorischen Maßnahmen gehört auch die Heranziehung der Anlieger durch Satzung; hiervon ist der Gesetzgeber - wie auch in anderen Straßen(reinigungs)gesetzen - ausgegangen.

Die Gründe für die in § 51 Abs. 5 SächsStrG den Gemeinden eingeräumte Möglichkeit der Übertragung des Winterdienstes sind - wie sich bereits aus der in dieser Norm angeführten Möglichkeit der anteiligen Heranziehung zu den Kosten ergibt - nicht so sehr Kostengesichtspunkte, sondern vor allem der Gedanke der Effizienzsteigerung durch eine dergestalt erreichte dezentralisierte, auf mehreren Schultern lastende Winterdienstverpflichtung. Soweit nämlich durch entsprechende Witterungsverhältnisse ein rasches Räumen und Streuen nötig wird, kann dies auch für ansonsten nur sehr spät zu behandelnde Wegstrecken, insbesondere Gehwege sehr viel schneller erreicht werden. Dadurch dass der sächsische Gesetzgeber den Gemeinden über § 51 Abs. 5 SächsStrG die Möglichkeit eröffnet, zur effektiven Gestaltung des Räum- und Streudienstes die Anlieger heranzuziehen, bemisst sich zugleich die Leistungsfähigkeit der Gemeinden danach, was ihr bei Heranziehung der Anlieger zuzumuten ist. Im Ergebnis richtet sich das Maß der Zumutbarkeit im Einzelfall danach, was dem Anlieger zumutbar ist.

4. Die Anliegerin hat wiederum mit Leistungsvertrag vom 12.11./17.11.1997 die ihr aufgrund der Winterdienst-Anliegersatzung übertragene Räum- und Streupflicht auf die Beklagte übertragen mit der Folge, dass diese unmittelbar aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) für Schäden infolge unzureichender Streuung Dritten gegenüber haftet (Rotermund, a.a.O., Rdnr. 95).

Da sich die Beklagte in Ziffer 1 der besonderen Vertragsbedingungen verpflichtete, den Winterdienst im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht der Hauseigentümer zu übernehmen, richtet sich der Umfang und der Inhalt der von ihr vertraglich übernommenen Räum- und Streupflicht, nach demjenigen, zu dem die Anliegerin aufgrund der Übertragung durch die gemeindliche Satzung verpflichtet war.

Insoweit kann sich - soweit die Anliegerin winterdienstpflichtig war - die Beklagte nicht darauf berufen, dass sie insgesamt für ein weiträumiges Gebiet in T... den Winterdienst verrichten musste. Die Beklagte war daher verpflichtet, personell und/oder materiell ihre Organisation entsprechend den übernommenen Verpflichtungen zu gestalten oder aber von der Übernahme weiterer Winterdienstpflichten Abstand zu nehmen.

5. Gemessen an den unter Ziffer I 1 - 4 aufgeführten Grundsätzen hat die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Zwar ist dem Streupflichtigen eine gewisse Zeitspanne zur Erfüllung seiner Streupflicht einzuräumen, wenn der Beginn der Glätte nicht mit dem in der Ortssatzung bestimmten Zeitpunkt für den Streubeginn zusammenfällt (BGH, Urt. v. 27.11.1984, Az: VI ZR 49/83, NJW 1985, 484; OLG Schleswig, VersR 1975, 431). Unter Berücksichtigung einer angemessenen Rüstzeit hätte die Anliegerin und somit die Beklagte allerdings zum Zeitpunkt des Unfalls hier die fragliche Stelle bereits abgestumpft haben müssen. Auch nach dem Vortrag der Beklagten setzten die Niederschläge bereits um 8.30 Uhr ein, also eine Stunde und 40 Minuten vor dem Sturz der Klägerin, so dass auch unter Berücksichtigung einer angemessenenen Beobachtungs- und Rüstzeit für die kraft Satzung Verkehrssicherungspflichtige und damit für die von ihr beauftragte Beklagte der Gehweg an der Unfallstelle zu diesem Zeitpunkt bereits hätte abgestumpft gewesen sein müssen, so dass dahinstehen kann, inwieweit die Beklagte aufgrund von Wettervorhersagen mit Eisbildung zu dieser Zeit bereits vorher tatsächlich rechnen musste. In diesem Fall wäre die Beobachtungszeit allenfalls völlig zu vernachlässigen gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass der Grundstücksanliegerin, auf die - wie oben dargestellt - hier abzustellen ist, eine noch längere Beobachtungs- und Rüstzeit zugestanden werden müsste, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

6. Soweit die Beklagte behauptet, der Niederschlag habe bis zum Unfallzeitpunkt angedauert, ist ihr zuzugeben, dass ein Bestreuen dann unzumutbar, weil sinn- und zwecklos, ist, wenn es sich um außergewöhnliche Witterungsverhältnisse handelt. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Umständen, die ein Streuen zwecklos machen, trifft die Beklagte (BGH, Urt. v. 27.11.1984, a.a.O.; Urt. v. 22.11.1965, Az: III ZR 32/65, VersR 1966, 90). Die Beklagte hat aber auch in der Berufungsinstanz nicht hinreichend substantiiert die Voraussetzungen derartiger ungewöhnlicher Witterungsverhältnisse dargelegt. Sie hätte insbesondere im Einzelnen vortragen müssen, welche Niederschlagsmenge am Vormittag des Unfalltages pro Quadratmeter gefallen war (BGH, Urt. v. 20.11.1984, a.a.O.). Allein durch die Behauptung, infolge des bis zum Unfallzeitpunkt andauernden Regens sei es nicht möglich gewesen, durch Streuen mit abstumpfendem Material oder Salz den Bürgersteig begehbar zu halten, genügt die Beklagte vorliegend nicht ihrer Darlegungslast (vgl. BGH, a.a.O.), ebensowenig wie mit dem in der Berufungsinstanz im Vergleich hierzu allenfalls geringfügig präzisierten Vortrag, die Niederschlagsmenge habe mehrere Millimeter gemessen. Unklar ist, welche konkrete Niederschlagsmenge damit gemeint sein soll. Insbesondere bleibt offen, inwieweit nicht zumindest eine Verminderung der Rutschgefahr - gegebenenfalls durch wiederholtes Streuen in angemessenen Zeitabständen - durch den Einsatz von Streumitteln hätte erreicht werden können, wovon im Übrigen die Beklagte nach ihrem eigenen Vortrag selbst ausging, als sie ihre Mitarbeiter um 9.30 Uhr zum Streueinsatz schickte. Der Einholung eines meteorologischen Sachverständigengutachtens bedurfte es im Hinblick darauf nicht. Dies würde einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen, zumal die Beklagte selbst etwa unter Zuhilfenahme eines Privatgutachtens diesen Vortrag ohne ersichtliche Schwierigkeiten hinreichend zu konkretisieren vermocht hätte.

7. Unstreitig ist die Klägerin am 19.12.1997 gegen 10.10 Uhr auf dem nicht gestreuten, eisglatten Gehweg gestürzt. In diesem Fall spricht ein Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht, also insbesondere einer gründlichen Beräumung des Fußweges oder aber einer wirksamen Abstumpfung, nicht zu den Verletzungen gekommen wäre, dass sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten (BGH, NJW 1984, 432, 433; Urteil des Senats vom 29.07.1998, Az: 6 U 473/98).

Darüber hinaus besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 13.02.1962, Az. VI ZR 81/61, VersR 1962, 449, 450; BGH, Urteil vom 17.09.1987, Az. III ZR 138/86) ein Anscheinsbeweis dafür, dass die verkehrswidrige Gefahrenquelle Ursache des Sturzes war, wenn, wie hier, aufgrund der Beweisaufnahme erwiesenermaßen ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe einer Gefahrenquelle stürzt (vgl. auch Urteil des Senats vom 29.07.1998, Az. 6 U 473/98). Anhaltspunkte, die diesen Anscheinsbeweis entkräften könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Allein die Behauptung, dass es im Übrigen zu keinerlei Stürzen an dieser Stelle gekommen sei, ist nicht ausreichend.

8. Die Beklagte handelte auch schuldhaft. Da die Beklagte keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat, in einem ausreichenden Zeitraum die hier unfallursächliche Stelle abzustumpfen, haftet sie wegen unzureichender Organisation ihres Streudienstes, der ein rechtzeitiges Streuen nicht ermöglicht hat. Darauf, dass sie aufgrund weiterer winterdienstlicher Verpflichtungen nicht in der Lage war, rechtzeitig zu streuen, kommt es aus den unter Ziffer I.4 genannten Gründen nicht an.

Das Verschulden der insoweit für die Beklagte verantwortlich handelnden Organe hat sie sich gemäß § 31 BGB wie eigenes zurechnen zu lassen.

9. Die erstinstanzlich von der Beklagten behaupteten und durch die Beweisaufnahme erwiesenen Verletzungen werden - mit Ausnahme des Dauerschadens - von der Beklagten nicht mehr bestritten. Aus der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen Dr. B. ergibt sich darüber hinaus, dass als bleibender Dauerschaden eine bleibende Beweglichkeitseinschränkung im Hüftgelenk auf der rechten Seite sich abzeichnet, die sich jedoch im praktischen Leben als nicht besonders gravierend auswirkt. Trotz eines voraussichtlich wieder normalen Gangbildes sei weder Rennen, Laufen noch Springen möglich, ebenso sei ein dauerhaftes allerdings nicht besonders ins Gewicht fallendes Schmerzsyndrom zu verzeichnen. Schließlich bestehe durch die Entfernung des eingebrachten metallischen Nagels für einen Zeitraum von einem halben Jahr ein erhöhtes Bruchrisiko für die Klägerin, was zu weiteren materiellen und immateriellen Beeinträchtigungen in der Zukunft führen könne.

Wie das Landgericht hält der Senat bei Abwägung aller im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden Umstände einen Schmerzensgeldbetrag in der titulierten Höhe gemäß § 287 ZPO für insgesamt angemessen. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Landgerichts (S. 15 des Urteils) (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Nicht anzuschließen vermag der Senat sich allerdings der vom Landgericht als schmerzensgelderhöhend zugrunde gelegten Erwägung eines teilweise unangemessenen Regulierungsverhaltens der Beklagten. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass ein verzögerliches Regulierungsverhalten bei der Zumessung von Schmerzensgeld erhöhend berücksichtigt werden kann (OLG Nürnberg, Urt. v. 25.04.1997, Az: 6 U 4215/96, VersR 1998, 731). Diese Voraussetzungen liegen hier allerdings nicht vor. Es stellt vielmehr ein zulässiges prozessuales Verhalten der Beklagten dar, soweit sie das Unfallgeschehen und die Unfallfolgen mit Nichtwissen bestritten hat. Im Gegensatz zu dem vom Oberlandesgericht Nürnberg (a.a.O.) entschiedenen Fall, bei dem trotz dem Grunde nach unstreitiger Haftung dennoch und mit nicht nachvollziehbaren Gründen nur schleppend Zahlungen geleistet wurden, war vorliegend der Unfall als solcher nicht unstreitig. Solche außergewöhnlichen Umstände sind hier nicht zu erkennen. Allein die - zugegebenermaßen - nicht immer sensible Diktion im Verteidigungsvorbringen der Beklagten vermag einen weiteren, das Schmerzensgeld erhöhenden Umstand nicht zu begründen. Der Senat hält gleichwohl auch ohne Berücksichtigung dieses Aspekts das zugesprochene Schmerzensgeld gemäß §§ 847 BGB, 287 ZPO im Hinblick auf dessen Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion insgesamt für angemessen.

10. Hinsichtlich des ausgeurteilten materiellen Schadensersatzes folgt der Senat den Ausführungen des Landgerichts zum zugesprochenen Haushaltsführungsschaden (S. 17 des Urteils, c) (§ 543 Abs. 1 ZPO). Der auf der Basis des § 287 ZPO geschätzte Schaden der Klägerin hält sich sowohl hinsichtlich des zugrunde gelegten Stundensatzes wie auch unter Berücksichtigung des von der Klägerin selbst angegebenen Prozentsatzes von 70 % in angemessenen Grenzen. Der Senat geht daher - wie das Landgericht - von einer geschätzten Wochenarbeitszeit von 28 Stunden im Haushalt aus, was bei einer im Haushalt zugrunde zu legenden Siebentagewoche einem druchschnittlichen Tagesaufwand von nur vier Stunden entspricht, für die eine Haushaltshilfe benötigt worden wäre. Auch der Stundensatz von 12 DM ist angemessenen. Dabei geht der Senat davon aus, dass bei der hier aufgrund der nicht erfolgten Einstellung einer Ersatzkraft zugrunde zu legenden Nettoentlohnung (BGH NJW-RR 1990, 34) auch unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern jedenfalls kein geringerer Betrag in Ansatz zu bringen ist. Soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz bestritten hat, dass die Klägerin in dem angegebenen Umfang im Haushalt tatsächlich tätig geworden sei, handelt es sich lediglich um ein unsubstantiiertes und damit unbeachtliches Bestreiten. Es ist nämlich nicht ansatzweise erkennbar und wird so von der Beklagten auch nicht substantiiert behauptet, dass der Ehemann der Klägerin vor dem Unfall den Haushalt allein geführt hätte oder der noch im Haushalt lebende (behinderte) Sohn dies getan hätte. Im Übrigen hat der Ehemann der Klägerin als Zeuge ausgesagt, dass die Klägerin vor dem Unfall den Großteil der Hausarbeit erledigt habe. Gründe, an dieser Aussage zu zweifeln sind - zumal angesichts des jedenfalls in der älteren Generation noch stark vorherrschenden Rollenverständnisses von Mann und Frau - nicht ersichtlich.

11. Die darüber hinaus begehrte Schadenskostenpauschale für durch den Unfall adäquat kausal verursachte Aufwendungen für Fahrten, Telefon- und Schriftverkehr hat der Senat gemäß § 287 ZPO wie beantragt auf 40,- DM geschätzt.

12. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist gegeben, da aufgrund der nicht mehr bestrittenen körperlichen Verletzungen und der Aussage des Zeugen Dr. B. zumindest feststeht, dass die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass in Zukunft weitere, ursächlich auf den Unfall zurückzuführende, materielle und immaterielle Schäden eintreten, die nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergehen (so etwa vom Krankenversicherer nicht übernommene Rezeptgebühren). Weitere immaterielle Beeinträchtigungen drohen bereits aufgrund der vom Zeugen Dr. B. bestätigten Möglichkeit einer Folgeoperation.

Auch das materielle Erfordernis einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines weiteren Schadens (BGH, Urt. v. 23.04.1991, Az: X ZR 77/89, BB 1991, 1670; BGH, Urt. v. 19.11.1971, Az: I ZR 72/70, NJW 1972, 198) ist gegeben. Weiter auftretende, adäquat-kausal auf den Sturz zurückzuführende gesundheitliche Beeinträchtigungen sind insbesondere nach der insoweit vom Beklagten nicht angegriffenen Aussage des Zeugen nicht vollkommen ausgeschlossen, zumal unstreitig der Knochenhaken noch nicht entfernt ist und die Notwendigkeit, diesen zu entfernen auch zukünftig nicht vollkommen ausgeschlossen ist.

13. Ein anteiliges Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB war weder hinsichtlich des materiellen Schadens noch - im Rahmen der Abwägung bei § 847 BGB - hinsichtlich des Schmerzensgeldes anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

Zu Recht hat das Landgericht darauf verwiesen, dass der Vortrag der darlegungsbelasteten Beklagten hierfür nicht ausreichend ist. Insbesondere folgt der Senat nicht deren Auffassung, wonach bei einem bei Glätte stürzenden Fußgänger ein Anscheinsbeweis zu dessen Lasten bestehe, dass der Unfall auf Unachtsamkeit beruhe. Auch der sorgfältigste Fußgänger kann bei Eisglätte zu Fall kommen, ohne dass ihm bereits deshalb automatisch der Vorwurf der Fahrlässigkeit gemacht werden könnte. Eine entsprechende, für den prima-facie-Beweis notwendige Erfahrungstypik besteht nicht. Allein die Tatsache, dass, wie die Klägerin selbst vorgetragen hat, im gesamten Stadtgebiet Eisglätte geherrscht habe, rechtfertigt jedenfalls insoweit nicht den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn sich der Zustand an der Unfallstelle optisch nicht als besonders gefährlich von dem der Umgebung unterschieden hat (OLG Köln, Urt. v. 17.11.1995, Az: 19 U 37/95, VersR 1996, 246). Im Übrigen hat die Beklagte auch nicht vorgetragen, dass sich die Klägerin trotz der herrschenden Eisglätte und in Kenntnis der Gefährdungssituation bewusst und ohne Not, d.h. ohne rechtfertigenden Anlass, auf die Straße begeben hätte oder die Gefährdungssituation an der Unfallstelle als solche ohne weiteres offenbar gewesen wäre.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

(II)

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.

Die Revision war gemäß § 546 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, in welchem Umfang sich die Zumutbarkeit winterdienstlicher Maßnahmen an der Person des hoheitlich Übertragenden oder des kraft Satzung Verpflichteten bemisst, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht geklärt.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes beruht auf §§ 3 ZPO, 14 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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