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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 19.02.2003
Aktenzeichen: 6 W 73/03
Rechtsgebiete: GKG, StPO, GVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

GKG § 5
GKG § 5 Abs. 2 Satz 3
GKG § 5 Abs. 3 Satz 3
GKG § 5 Abs. 4 Satz 1
GKG § 5 Abs. 4 Satz 2
GKG § 5 Abs. 4 Satz 5
GKG § 5 Abs. 5
GKG § 5 Abs. 6
GKG § 6
GKG § 25 Abs. 1 Satz 2
GKG § 25 Satz 2
GKG § 65
StPO § 230 Abs. 2
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 2
BGB § 847 a.F.
BGB § 253 n.F.
ZPO § 253
1. In einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit kann auch dann gem. § 65 GKG der Fortgang von einem Gerichtskostenvorschuss abhängig gemacht werden, wenn der Rechtsstreit von einem Verwaltungsgericht an ein ordentliches Gericht verwiesen worden ist.

2. Der Streitwert einer unbezifferten Schmerzensgeldklage richtet sich nach dem vom Kläger angegebenen, auf klar geäußerten Erwägungen beruhenden Mindestbetrag.


Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: 6 W 73/03

vom 19.02.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Beschwerde

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B Richter am Amtsgericht K und Richter am Landgericht G

beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Klägers gegen die Verfügung der Vorsitzenden beim Landgericht Chemnitz vom 19.11.2002 - Az.: 5 O 4609/02 - wird zurückgewiesen.

II. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 19.11.2002 - Az. : 5 O 4609/02 - wird zurückgewiesen.

III. Die Entscheidungen ergehen gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden haben in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Beschwerdeführer verlangt von dem Beklagten Schmerzensgeld wegen unrechtmäßiger Inhaftierung.

Mit Schreiben vom 16.08.2002 erhob der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und begehrte die Verurteilung des Beklagten (des F S) zu einer Schmerzensgeldzahlung wegen unrechtmäßiger Inhaftierung.

Der Kläger stützt sein Begehren im Wesentlichen auf amtspflichtwidriges Verhalten von Bediensteten des Beklagten im Zusammenhang mit dem Erlass eines Sitzungshaftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO durch das Amtsgericht Chemnitz. Der Kläger befand sich aufgrund dieses Haftbefehls vom 19.07.1999 bis einschließlich 20.08.1999, dem Tag der Hauptverhandlung, in der er freigesprochen wurde, in Haft. Der Haftbefehl sei zu Unrecht erlassen worden. Infolge der wochenlangen Inhaftierung sei insbesondere das Verhältnis zu seinem Sohn zerrüttet worden.

Er hat mit seiner Klageschrift beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ein "angemessenes Schmerzensgeld" zu bezahlen, wobei er für jeden Hafttag das "durchschnittliche Gehalt eines Richters oder Staatsanwalts für zwei Monate" für angemessen erachtet. Unter Berücksichtigung seiner 31-tägigen Inhaftierung ist er von einem Schmerzensgeldbetrag von "mindestens 310.000,00 Euro" ausgegangen.

Nach Zustellung der Klage an den Beklagten hat das Verwaltungsgericht München die Sache mit Beschluss vom 10.01.2002 an das für den Rechtsweg zuständige Landgericht Chemnitz verwiesen. Mit Beschluss vom 19.11.2002 hat dieses den vorläufigen Streitwert auf 310.000,00 Euro festgesetzt und mit Verfügung der Vorsitzenden vom gleichen Tage den Kläger darauf hingewiesen, dass erst nach Einzahlung des Vorschusses das Verfahren vor dem Landgericht fortgesetzt werden würde.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 15.12.2002. Unter Hinweis auf die von ihm angeblich beantragte Prozesskostenhilfe bat er darin, bis zur Entscheidung über den Antrag die Einforderung von Gerichtskosten zurückzustellen. Darüber hinaus wandte er sich gegen die Festsetzung des Streitwerts mit der Begründung, er habe die Bemessung des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts stellen wollen. Die Angabe eines Mindestbetrages i. H. v. 310.000,00 Euro beruhe ersichtlich auf einem "Berechnungsbeispiel".

Das Landgericht Chemnitz hat mit Beschluss vom 08.01.2003 den Beschwerden nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht Dresden zur Entscheidung vorgelegt.

2. Die Beschwerde gegen die Verfügung der Vorsitzenden vom 19.11.2002 ist gemäß §§ 6, 5 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5 GKG, 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Entgegen der Auffassung des Kostenbeamten in der Stellungnahme vom 06.01.2003 handelt es sich nicht um eine Erinnerung bzw. Beschwerde gegen den Kostenansatz gemäß § 5 GKG, sondern um eine Beschwerde gegen die Anordnung des Vorschusses nach § 6 GKG, wovon auch das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss in Ziffer 2 letztlich offenbar ausgegangen ist.

Zwar ist die Beschwerde nach dem Wortlaut des § 6 GKG allein gegen einen förmlichen Beschluss statthaft. Allerdings ist anerkannt, dass nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch eine Verfügung des Vorsitzenden die Beschwerde nach § 6 GKG eröffnet, soweit das weitere Tätigwerden des Gerichts von einer Vorschusszahlung abhängig gemacht wird und die veranlasste Tätigkeit nach der zugrunde zu legenden Prozessordnung (hier der ZPO) durch den Vorsitzenden und nicht durch förmlichen Beschluss des Kollegialgerichts erfolgen muss (vgl. Markl/Meyer, GKG, 5. Aufl., § 6, Rdn. 5; OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.02.1998 - 7 W 49/97, NJW-RR 1999, 291). Nach dem Verfahrensstand nach Verweisung an das Landgericht Chemnitz war entweder die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens bzw. die Anberaumung eines Gütetermins wahlweise i. V. m. einem frühen ersten Termin angezeigt (§§ 272 Abs. 2, 278 ZPO). Dies geschieht aber nicht durch förmlichen Beschluss, sondern durch Verfügung des Vorsitzenden (§ 272 Abs. 2 ZPO).

Die Beschwerde ist indes unbegründet. Die Anforderung des Vorschusses beruht auf § 65 GKG, der zwar seinem Wortlaut nach nur eine Sollvorschrift ist, allerdings voraussetzt, dass bei pflichtgemäßem Ermessen - abgesehen von eng umgrenzten Ausnahmefällen - dem Gericht obliegt, den Vorschuss abzufordern (vgl. nur OLG Brandenburg, a. a. O.). Prozesskostenhilfe ist nicht gewährt worden, ein dahingehender Antrag bislang auch nicht gestellt.

Unerheblich ist, dass das fälschlich angerufene Verwaltungsgericht München die Klageschrift dem Beklagten bereits zugestellt hat. Zwar darf grundsätzlich der weitere Fortgang eines Verfahrens nicht nachträglich von einer Vorschusszahlung abhängig gemacht werden, nachdem einmal die Klage zugestellt worden ist; dies gilt auch grundsätzlich im Falle einer Verweisung (OLG Brandenburg, a. a. O., Seite 292). Das Gericht, an welches dann bindend verwiesen wurde, ist an die damit bereits getroffene Ermessensentscheidung, den Vorschuss nicht zu erheben, gebunden (Markl/Meyer, a. a. O., § 65 Rdn. 7). Etwas anderes gilt aber, wenn in dem zunächst angegangenen anderen Rechtsweg gar kein Vorschuss zu erheben war (OLG Brandenburg, a. a. O., Seite 292; BGHZ 62, 174, 177). § 65 GKG stellt eine Vorschusspflicht nur in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auf, nicht jedoch in verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten (vgl. Markl/Meyer, a.a.O., § 65, Rn 2).

Andernfalls zöge eine Partei, die - wie hier - ein ersichtlich rechtswegfremdes Gericht angerufen hat, einen unbilligen Vorteil gegenüber einer Partei, die von Anfang an den richtigen Rechtsweg beschriften hätte (OLG Brandenburg, a. a. O.).

Auch die Beschwerde gegen die vorläufige Festsetzung des Gebührenstreitwerts hat keinen Erfolg. Sie ist gemäß §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 6, 5 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1, 2 und 5 GKG, § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG zwar zulässig, aber unbegründet.

Wie der Gebührenstreitwert bei einer zulässigerweise unbezifferten Schmerzensgeldklage zu bestimmten ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur nach wie vor umstritten. Während eine Auffassung der Angabe eines Mindestbetrages durch den Kläger dann keine zwingende Wirkung für die Höhe der Gebührenstreitwertbemessung einräumt, wenn nach der Vorstellung des Gerichts ein anderer Betrag angemessen wäre (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.01.1998 - 5 W 20/97, JurBüro 1998, 260; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.1994 - 4 U 127/94, OLGR 1995, 45; KG, Beschl. v. 12.07.1990 - 12 W 5104/89, JURIS; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.03.1981 - 4 W 17/81, RPfleger 1981, 317; KG, Beschl. v. 16.10.1972 - 12 W 1409/72, DAR 1973, 73; Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 3 Rn 16 "Unbezifferte Klageanträge"; ebenso wohl auch: Musielak/Smid, ZPO, 3. Aufl., § 3 Rn 32), vertritt die Gegenauffassung die Ansicht, dass die vom Kläger angegebene Mindestgröße auch wertbestimmend für den Gebührenstreitwert ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.01.1996 - 22 W 48/95, OLGR 1996, 175; OLG Schleswig, Beschl. v. 05.09.1995 - 11 W 4/95, OLGR 1995, 14; OLG München, Beschl. v. 26.04.1994 - 1 W 2878/93, VersR 1995, 1117; OLG Köln, Beschl. v. 31.05.1990 - 27 W 15/90, VersR 1991, 1430; OLG München, Beschl. v. 02.03.1987 - 24 W 35/87, MDR 1987, 850; OLG Bamberg, Beschl. v. 25.02.1986 - 5 W 2/86, JurBüro 1986, 908; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.01.1985 - 10 W 69/84, Justiz 1985, 167; OLG Bamberg, Beschl. v. 15.02.1978 - 6 W 27/77, JurBüro 1978, 578; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.12.1977 - 1 W 65/77, JZ 1978, 109; OLG Hamm, Beschl. v. 15.03.1977 - 9 W 8/77, VersR 1977, 935; OLG Celle, Beschl. v. 20.05.1976 - 9 W 41/76, VersR 1977, 59; OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.06.1975 - 9 W 57/75, MDR 1976, 411; OLG München, Beschl. v. 22.05.1968 - W 1/67, NJW 1968, 1937; einschränkend: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., Anh § 3 Rn 99; MüKo/Schwerdtfeger, ZPO, 2. Aufl., § 3, Rn 121), dies jedenfalls dann, wenn aus dem Sachvortrag des Klägers der Bindungswille an die geäußerte Betragsvorstellung zu Tage tritt (OLG Hamm, Urt. v. 08.02.1983 - 27 W 9/83, ZfSch 1983, 142). Zum Teil wird vertreten, dass eine Abweichung nach unten auf bis höchstens 80% des genannten Mindestbetrages der Streitwertbestimmung zugrunde zu legen ist, wenn die Betragsvorstellungen des Klägers zu hoch gegriffen erscheinen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.04.1982 - 22 W 9/82, MDR 1982, 674).

Der Senat folgt der - wohl überwiegenden (vgl. oben) - Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach sich der Kläger grundsätzlich an der genannten Mindestgröße festhalten lassen muss, jedenfalls in Fällen, in denen ersichtlich die Mindestgröße nicht nur eine gegriffene Größe darstellt, sondern auf hinreichend bestimmten, klar geäußerten Erwägungen des Klägers fußen, mögen diese auch die Vorstellungen des zuständigen Gerichts u.U. erheblich übersteigen. In diesen Fällen wäre es unbillig, den Kläger von dem Kostenrisiko im Falle eines - auch nur teilweisen - Unterliegens gänzlich freizustellen. Dagegen spricht auch nicht, dass dem Kläger durch § 847 BGB a.F. bzw. § 253 BGB (n.F.) gerade ermöglicht werden soll, einen unbestimmten Antrag zu stellen (vgl. Zöller/Herget, a.a.O.). Einem Kläger ist es zuzumuten, sich bei der für die Bestimmtheit des Antrags (§ 253 ZPO) notwendigen ungefähren Eingrenzung seines Begehrens (vgl. hierzu Zöller/Greger, a.a.O., § 253 Rn 14 m.w.N.) Gedanken darüber zu machen, welcher Betrag angemessen sein könnte, und so ein Teilunterliegen bzw. ein erhöhtes Kostenrisiko zu vermeiden. Der mit dem Schätzermessen des Gerichts in Zusammenhang stehenden Beurteilungsrisiken wird er im Regelfall durch die Angabe eines zahlenmäßig weiter gefassten betragsmäßigen Spielraums begegnen können. Gleiches mag für den Fall gelten, dass der Kläger klar zu erkennen gegeben hat, dass er lediglich eine gegriffene Größe angibt, allein um der Bestimmtheit der Klage nach § 253 ZPO zu genügen, sich aber erkennbar nicht auf eine bestimmte Mindestgröße festlegen lassen will. So liegt der Fall hier aber nicht.

Der Kläger, nach seinen eigenen Angaben Jurist bzw. Rechtsassessor, hat zwar die Angabe in der Klageschrift im Nachhinein zu relativieren versucht und in diesem Zusammenhang nur von einer beispielhaften Berechnungsgrundlage gesprochen. Dem widerspricht allerdings bereits die eindeutige Angabe in der Klageschrift, wo der Kläger unzweideutig und unmissverständlich darlegt, dass er sich pro Hafttag eine Entschädigung in Höhe eines durchschnittlichen zweimonatigen Richtergehalts für jeden zu entschädigenden Hafttag als Mindestbetrag vorstellt. Dies gilt umso mehr, als diese Berechnungsart eines Mindestbetrages sprachlich unzweideutig in Abgrenzung zu der von ihm zuvor evident nur scherzhaft gemeinten Berechnungsart erfolgt ist. Dass das zugrunde gelegte Monatsbruttogehalt (gerundet) tatsächlich der Endgehaltsstufe eines Richtergehalts (Besoldungsgruppen R1 und R2) entspricht, bestätigt nur, dass der Beschwerdeführer nicht lediglich einen ungefähren, auch nach seiner Vorstellung nur gegriffenen Betrag seinem Klageantrag zugrunde legen wollte, sondern sich klare Wertvorstellungen gemacht hat. Hieran muss er sich festhalten lassen.

Auf die Frage, auf welche Größenordnung in Fällen widersprüchlicher Formulierungen abzustellen ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.12.1977, a.a.O., S. 110), kommt es deshalb hier nicht an.

Das Landgericht hat daher den vorläufigen Gebührenstreitwert im Einklang mit der Mindestangabe des Klägers zutreffend festgesetzt.

4. Die Nebenentscheidung beruht auf §§ 6, 5 Abs. 6, 25 Satz 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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