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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 23.09.2004
Aktenzeichen: 7 U 753/04
Rechtsgebiete: SGB X, BGB, ZPO


Vorschriften:

SGB X § 116
SGB X § 116 Abs. 1 Satz 1
BGB § 282 a.F.
BGB § 1846
BGB § 1906 Abs. 4
BGB § 1908i Abs. 1
ZPO § 304
Zu den Pflichten eines Altenpflegeheims, wenn die zeitweise verwirrte, hochbetagte Heimbewohnerin innerhalb eines Monats drei Mal zur Nachtzeit aufsteht und in ihrem Zimmer stürzt und gleichwohl zu geeigneten Maßnahmen der Sturzprophylaxe - hier: nächtliches Hochziehen des Bettgitters - ihre Einwilligung versagt.
Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES GRUNDURTEIL

Aktenzeichen: 7 U 753/04

Verkündet am 23.09.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2004 durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Werber, Richter am Oberlandesgericht Dr. Märtens und Richterin am Landgericht Dr. Schönknecht

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 26.03.2004 abgeändert. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die klagende Krankenkasse begehrt vom Beklagten als Betreiber eines Pflegeheims in Dresden aus übergegangenem Recht der bei ihr krankenversicherten (nachfolgend: Geschädigte) die Erstattung von verauslagten Behandlungskosten nach einem Sturz der Geschädigten.

Die im Jahre 1915 geborene Geschädigte lebte seit 04.03.1997 im Pflegeheim des Beklagten in Dresden und erhielt dort vollstationäre Pflege. In einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 10.12.1996 (Anlage K 4) wurde die Geschädigte in die Pflegestufe II eingestuft. Unter der Rubrik "funktionelle Einschränkungen des ZNS und der Psyche" heißt es in dem Gutachten u.a.:

"Zeitweise schwere Schwindelzustände bei Kleinhirnatrophie mit Stürzen, ...".

Vorangegangen waren drei Stürze der Geschädigten im Jahre 1996, bei denen sie sich u.a. eine Trümmerfraktur des linken Schultergelenks zugezogen hatte.

Das Zimmer der Geschädigten im Pflegeheim lag gegenüber dem Zimmer der Pflegekräfte, dessen Tür immer offen stand. Die Geschädigte wurde vom Pflegepersonal der Beklagten ständig aufgefordert, das Personal zu rufen, wenn sie z.B. zur Toilette gehen oder das Bett verlassen wollte. Sie war in der Lage, zu diesem Zweck die im Zimmer befindliche Klingel zu betätigen und nutzte diese Möglichkeit auch häufig. Teilweise rief sie auch nach einer Schwester. In vielen Fällen beschloss sie jedoch, Dinge noch völlig selbständig durchzuführen, wie beispielsweise den Toilettengang. Auf die Frage, warum sie bei den selbständig verrichteten Tätigkeiten nicht um Hilfe gebeten habe, erklärte die Geschädigte, sie wolle ihre Dinge soweit wie möglich alleine regeln. Die regelmäßig gestellte Frage, ob nachts zur eigenen Sicherheit das Bettgitter hochgezogen werden solle, verneinte die Geschädigte, weil sie die Toilette ohne Begleitung benutzen wolle. Das Pflegepersonal des Beklagten versuchte die bestehende Gefährdung infolge nächtlichen Aufstehens dadurch zu kompensieren, dass ein Toilettenstuhl an das Bett der Geschädigten gestellt und im Bad das Licht angelassen wurde.

Nachdem in erster Instanz die Parteien vorgetragen haben, die Geschädigte sei Anfang des Jahres 2000 zwei Mal gestürzt, ist Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig geworden, dass die Geschädigte am 28.01., am 31.01. und am 24.02.2000 jeweils in ihrem Zimmer gestürzt ist. Alle drei Stürze wurden vom Nachtdienst des Pflegeheims ohne nähere Zeitangaben dokumentiert. Nach dem Sturz am 31.01.2000 wurde die Geschädigte nach Schmerzen im Oberarm in die Chirurgie überwiesen, wo aber keine Fraktur festgestellt wurde.

Am 09.03.2000 stürzte die Geschädigte gegen 22.30 Uhr in ihrem Zimmer ein weiteres Mal. Zuvor war die für den Beklagten tätige Pflegekraft W nach der Dienstübergabe, die in der Zeit von 21.45 Uhr bis 22.00 Uhr stattfindet, im Zimmer der Geschädigten. Diese hatte bereits im Bett gelegen, war jedoch gerade im Begriff aufzustehen. Sie hatte die Angewohnheit, sich abends noch einmal an den Tisch zu setzen. Da das Bett der Geschädigten zerwühlt war, richtete Frau W das Bett, woraufhin sich die Geschädigte wieder zum Schlafen legte. Frau W löschte das Licht und verließ das Zimmer. Nach kurzer Zeit hörte sie ein Geräusch im Zimmer und fand die Geschädigte neben ihrem Bett liegend. Noch am Tage des Unfalls hatte Frau W die Geschädigte gefragt, ob das Bettgitter hochgezogen werden sollte. Die Geschädigte lehnte das - wie auch an den anderen Tagen zuvor - ab. Neben dem Bett befand sich wie üblich ein Nachtstuhl. In dem von Frau W ausgefüllten Unfallfragebogen der Klägerin heißt es zur Unfallursache:

"Hbw war sehr verwirrt, stand wieder von alleine auf und stürzte. Das war um 22.30 Uhr. Sie rief um Hilfe. Ich fand sie liegend vor dem Bett."

Bei dem Sturz am 09.03.2000 verletzte sich die Geschädigte schwer. Sie zog sich Frakturen des Halswirbelkörpers C1/C2 mit Lähmung aller vier Extremitäten, eine rispiratorale Insuffienz (kein richtiges selbständiges Atmen mehr möglich) und eine Lungenentzündung zu. Sie wurde noch am 09.03.2000 in das Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt verbracht, wo sie am 07.06.2000 verstarb.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Kosten für die stationäre Behandlung der Geschädigten im Krankenhaus hätten sich auf 167.958,54 DM belaufen. Einschließlich weiterer Kosten für den Krankentransport, die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln und einer Vertikalstütze habe sie als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung der Geschädigten abzüglich der Eigenanteile 168.332,50 DM (= 86.067,04 Euro) erstatten müssen. Der Beklagte habe seine Pflichten aus dem Pflegevertrag mit der Geschädigten schuldhaft verletzt. Aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes vom Dezember 1996 sowie den zuvor geschehenen Stürzen hätte er die Betreuung so organisieren müssen, dass der Sturz am 09.03.2000 vermieden worden wäre. Unter Beachtung des jeweiligen Gesundheitszustandes müsse das Pflegepersonal Einzelentscheidungen auch gegen den Willen des Heimbewohners treffen, wenn erkannt werde, dass eine erhebliche Gefährdung bestehe. Dies sei bei der Geschädigten der Fall gewesen. Als weitere mögliche Maßnahmen der Sturzprophylaxe sei eine Sensormatratze, ein Lichtschrankensystem, Bettverstellungen, die Veränderung des Bodenbelages oder eine Hüftschutzhose in Betracht gekommen. Der Beklagte sei beweispflichtig dafür, dass der Sturz nicht auf einem Fehlverhalten seines Personals beruhe. In dem nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16.03.2004 hat die Klägerin unter Beweis von Sachverständigengutachten gestellt, dass die Verwendung einer Sensormatratze oder eines Lichtschrankensystems am Bett verhindert hätten, dass die Geschädigte unbeaufsichtigt hätte aufstehen und stürzen können. Das Tragen einer Hüftschutzhose hätte die Sturzfolgen gemindert.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 86.067,04 Euro nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.01.2002 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse vom Dezember 1996 sei ihm nicht bekannt gewesen. Aufgrund der einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen habe er kein Einsichtsrecht in das Gutachten gehabt. Der Sturz der Geschädigten am 09.03.2000 hätte lediglich dadurch verhindert werden können, dass sie entweder rund um die Uhr von einer eigens abgestellten Pflegekraft bewacht worden wäre oder dass die Geschädigte am Bett fixiert oder das Bettgitter nachts hochgezogen worden wäre. Vorliegend sei keine dieser Maßnahmen in Betracht gekommen. Das ständige Abstellen einer Betreuerin zur Verhinderung eines Sturzes sei bei der erforderlichen Abwägung des dafür erforderlichen personellen und finanziellen Aufwandes im Verhältnis zum Risiko nicht vertretbar und würde die finanziellen Möglichkeiten des Betreibers eines Pflegeheimes sprengen. Die Fixierung am Bett und das Hochziehen des Bettgitters habe gegen den erklärten Willen der Geschädigten nicht durchgeführt werden dürfen. Ausreichender Anlass zur Einholung einer vormundschaftlichen Genehmigung für eine zwangsweise Fixierung bzw. das Hochziehen des Bettgitters habe für den Beklagten nicht bestanden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie rügt, das Landgericht habe zu Unrecht ihre Beweisangebote im Hinblick auf die erhöhte Sturzgefahr und die Möglichkeiten der Sturzprohylaxe auch über die Fixierung am Bett hinaus nicht beachtet. Des Weiteren ergebe sich die Pflichtverletzung des Beklagten daraus, dass er sich nach eigenem Bekunden nicht über das Gutachten des Medizinischen Dienstes und damit die gesundheitliche Vorgeschichte der Geschädigten informiert habe. Der Beklagte habe durch die Nichtbeachtung der gesundheitlichen Vorgeschichte und das Versäumnis der notwendigen Sturzprohylaxe seine Betreuungsleistungen nicht anhand des anerkannten Standes der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse erbracht und damit seine Vertragspflichten verletzt. Rechtsfehlerhaft sei des Weiteren die Annahme des Landgerichts, die Darlegungs- und Beweislast für die Pflichtverletzung treffe nicht den Beklagten, sondern die Klägerin.

Die Klägerin beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 86.067,04 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % über den jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.01.2002 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Soweit die Klägerin sich auf seinen Vortrag zu den verschiedenen Möglichkeiten der Sturzprohylaxe beziehe, könne das schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil der diesbezügliche Schriftsatz erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eingereicht worden sei, ohne dass die Klägerin Schriftsatznachlass beantragt und erhalten habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird Bezug genommen auf die von den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht aus gem. § 116 SGB X übergegangenem Recht der Geschädigten gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der aus dem Pflegevertrag resultierenden Pflichten zu.

1. Die Klägerin ist zur Geltendmachung des Klageanspruchs aktivlegitimiert. Der der Geschädigten gegen den Beklagten zustehende Schadensersatzanspruch ist gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerin als Versicherungsträgerin übergegangen. Der Forderungsübergang umfasst auch vertragliche Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung (vgl. nur Palandt/Heinrichs, 63. Aufl., vor § 249 Rn. 151 m.w.N.).

2. Der Beklagte hat die ihm aus dem Pflegevertrag mit der Geschädigten obliegende Pflicht, sie vor Schäden aufgrund der vorhandenen körperlichen Gebrechlichkeit zu bewahren, schuldhaft verletzt. Die Beklagte hat nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um den Sturz vom 09.03.2000 zu verhindern.

a) Die Geschädigte war spätestens nach dem dritten Sturz im Februar 2000 für die Beklagte erkennbar akut sturzgefährdet.

Dem Gutachten des Medizinischen Dienstes vom Dezember 1996 kommt allerdings kein wesentlicher Erkenntniswert in Bezug auf die Bewertung des Sturzrisikos im März 2000 zu. Zwar kann grundsätzlich angenommen werden, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Aufnahme der Geschädigten in das Heim im Mai 1997 verpflichtet war, sich ein umfassendes Bild über den Gesundheitszustand und den daraus folgenden Pflegeaufwand zu machen. In diesem Zusammenhang müsste er auch zumindest versuchen, sich Kenntnis vom Inhalt des medizinischen Gutachtens zu verschaffen, welches der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit der Geschädigten diente. Die dagegen gerichtete datenschutzrechtliche Argumentation des Beklagten überzeugt nicht, weil er zumindest hätte versuchen können, sich eine Einwilligung der Geschädigten in die Einsichtnahme zu verschaffen. Hätte sie eine solche Einwilligung erteilt, hätten einer Einsichtnahme in das Gutachten keine datenschutzrechtlichen Hindernisse entgegengestanden. Jedoch ist zu beachten, dass die Geschädigte vom Zeitpunkt ihrer Aufnahme in das Pflegeheim von April 1997 an bis Ende 1999 nicht mehr gestürzt ist. Das zeigt, dass die neue Situation im Pflegeheim das Sturzrisiko zunächst erheblich reduziert hat.

Jedoch zeigen die drei Stürze vom 28.01., 31.01. und 24.02.2000, dass im März 2000 wieder akute Sturzgefahr bestanden hat. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Umstand zu, dass alle drei Stürze sich in ähnlicher Weise und zu vergleichbaren Zeiten abgespielt haben, nämlich immer nachts im Zimmer der Geschädigten. Angesichts dieser drei Vorfälle innerhalb nur eines Monats musste sich den zuständigen Organen des Beklagten die hohe Wahrscheinlichkeit weiterer vergleichbarer Stürze aufdrängen. Dass die drei vorangegangenen Stürze keine gravierenden Verletzungen mit sich gebracht haben, durfte für den Beklagten kein Grund sein, davon auszugehen zu können, dass auch künftige Stürze mit glimpflichen Folgen verlaufen würden. Es ist allgemein bekannt, dass Stürze körperlich gebrechlicher Menschen im hohen Alter zu ganz erheblichen Gesundheitsschäden verschiedener Art führen können und dass es vordringliche Aufgabe des Pflegeheims sein muss, solche Stürze nach Möglichkeit zu verhindern.

b) Die vom Personal des Beklagten ergriffenen Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Stürze wurden dem geschilderten akuten Sturzrisiko nicht gerecht. Der Beklagte hat sich nach der eigenen Schilderung darauf beschränkt, zwar täglich aber doch mehr oder weniger routinemäßig die Geschädigte auf die Möglichkeit des Klingelns hinzuweisen und nach dem Einverständnis mit dem Hochziehen des Bettgitters zu fragen. Der Ernst der Lage hätte es jedoch geboten, gegebenenfalls unter Einschaltung eines Arztes, der Heimleitung oder auch des Neffen oder anderer Vertrauenspersonen das intensive Gespräch mit der Geschädigten zu suchen und in diesem Zusammenhang nochmals eindringlich darauf hinzuwirken, dass sie vielleicht doch ihr Einverständnis zum Hochziehen des Bettgitters in der Nachtzeit erteilt.

Hätten auch diese Gespräche nicht zum Erfolg geführt, hätten die drei Stürze innerhalb nur eines Monats immer zur Nachtzeit und die nach den Angaben des Beklagten zumindest zeitweise auftretende Verwirrtheit der Geschädigten Anlass sein müssen, das Vormundschaftsgericht über die Situation zu informieren. Dieses hätte sodann einen vorläufigen Betreuer einsetzen können (§§ 70h, 69f FGG), welcher gegebenenfalls einen Antrag auf Genehmigung des Hochziehens des Bettgitters gem. § 1906 Abs. 4 BGB hätte stellen können. Im Eilfall hätte das Gericht eine solche Maßnahme ohne vorherige Bestellung eines Betreuers im Rahmen der §§ 1908i Abs. 1, § 1846 BGB auch selbst anordnen können. Die nachts vorhandene Sturzgefahr seitens der Geschädigten war so groß und akut, dass zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Einzelfall die Anordnung eines Hochziehens des Bettgitters in der Nachtzeit im Rahmen der gem. § 1906 Abs. 4 BGB erforderlichen Abwägung erforderlich und verhältnismäßig, mithin rechtmäßig, gewesen wäre. Der Senat verkennt nicht, dass das Anbringen eines Bettgitters zur Nachtzeit gegen den Willen eines Pflegepatienten eine erhebliche Einschränkung der persönlichen Freiheit bedeutet, die nur im Falle einer konkreten, akuten und erheblichen Gesundheitsgefährung gerechtfertigt sein kann. Die mit einem weiteren Sturz verbundenen möglichen Gesundheitsschäden der Geschädigten und das akute Sturzrisiko wiegen im vorliegenden Fall aber so schwer, dass auch diese strengen Voraussetzungen erfüllt waren. Zu bedenken ist schließlich, dass möglicherweise bereits die Einleitung des geschilderten vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens und eine in diesem Zusammenhang durchzuführende persönliche Anhörung der Geschädigten durch das Gericht zu einen Sinneswandel bei der Geschädigten im Hinblick auf ein Einverständnis mit dem Hochziehen des Bettgitters hätten führen können.

3. Das schuldhafte Unterlassen der geboten Maßnahmen seitens des Beklagten war ursächlich für den Sturz der Geschädigten am 09.03.2000. Wie allgemein bei der Verletzung berufsspezifischer Pflichten, die dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen, tritt entsprechend § 282 BGB a.F. (vgl. heute § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) auch in Bezug auf die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden eine Umkehr der Beweislast ein (vgl. für Pflichtverletzungen von Krankenpflegepersonal: BGH NJW 1971, 243; VersR 1991, 310; zum Pflegeheimpatienten: OLG Dresden NJW-RR 2000, 761). Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass die Ungewissheit, ob ein intensives Gespräch mit der Geschädigten unter Hinzuziehung von Vertrauenspersonen sowie die Information des Vormundschaftsgerichts tatsächlich dazu geführt hätten, dass der Sturz der Geschädigten verhindert worden wäre, zu Lasten des Beklagten geht. Die gegenteilige Auffassung des Beklagten und des Landgerichts, die vorliegend eine Umkehr der Beweislast anhand der Grundsätze des § 282 BGB a.F. ablehnen, überzeugt nicht. Die Sturzgefahr war in der konkreten Situation der Geschädigten nicht lediglich Bestandteil deren allgemeinen Lebensrisikos. Sie beruhte vielmehr gerade auf der körperlichen Gebrechlichkeit der Geschädigten. Der Schutz der Geschädigten vor den mit der körperlichen Gebrechlichkeit zusammenhängenden besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit war wiederum spezifische Pflicht der Beklagten aus dem mit der Geschädigten geschlossenen Pflegevertrag, so dass auch im vorliegenden Fall eine Umkehr der Beweislast geboten ist.

4. Aufgrund der von dem Sturz verursachten Gesundheitsverletzung ist der Geschädigten ein Vermögensschaden im Hinblick auf die dadurch verursachten Heilbehandlungskosten entstanden. Hinsichtlich der Höhe des entstandenen Schadens ist der Rechtsstreit jedoch noch nicht entscheidungsreif, so dass ein Grundurteil gem. § 304 ZPO sachgerecht ist. Die Klägerin hat die Höhe des vom Beklagten geltend gemachten Schadens bestritten und insbesondere die vorgelegten Rechnungen für die stationäre Behandlung im Krankenhaus als nicht nachvollziehbar gerügt. Dieses Bestreiten ist prozessual beachtlich, denn die vom Beklagten vorgelegten Rechnungen des Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt (Anlage K 5) nehmen offenbar auf Gebührentatbestände Bezug und sind deshalb aus sich heraus nicht verständlich. Es ist deshalb zunächst Sache der Klägerin - die als Krankenkasse hierzu in der Lage sein müsste -, die einzelnen Rechnungen aufzuschlüsseln und anzugeben, welche einzelnen Leistungen jeweils abgerechnet worden sind. Die Klägerin hat das im nachfolgenden Betragsverfahren nachzuholen.

5. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nach Auffassung des Senats nicht. Die Frage der Beweislastumkehr bei der Verletzung berufsspezifischer Pflichten ist durch die zitierte Rechtsprechung - von der die Entscheidung nicht abweicht - hinreichend geklärt.

Ende der Entscheidung

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