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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 11.12.2007
Aktenzeichen: 8 U 1812/07
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1b
ZPO § 233
Ein für die Versäumung der Berufungsfrist mitursächliches, zur Gewährung von Wiedereinsetzung führendes schuldhaftes Untätigbleiben kann der Berufungsführer, dessen Berufungsschrift gegen das amtsgerichtliche Urteil eine Woche vor Ablauf der Berufungsfrist beim Landgericht eingegangen ist und der erst nach Verstreichen dieser Frist beim gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zuständigen Oberlandesgericht Berufung eingelegt hat, dem Landgericht allenfalls dann anlasten, wenn die diesem rechtzeitig vorliegenden Informationen auf den ersten Blick dessen Unzuständigkeit ergaben.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 8 U 1812/07

Beschluss

des 8. Zivilsenats vom 11.12.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H , Richter am Oberlandesgericht B und Richter am Amtsgericht R

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass ihr Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg verspricht und deshalb ihr Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen sein wird.

2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 02.01.2008. Die Beklagte möge ggf. erwägen, Berufung und Wiedereinsetzungsantrag zurückzunehmen.

3. Der anberaumte Verhandlungstermin bleibt vorsorglich einstweilen aufrechterhalten.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat der Kaufpreiszahlungsklage der in der Türkei ansässigen Klägerin stattgegeben. Gegen das ihr am 17.09.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.10.2007 beim Landgericht Berufung eingelegt. Den Hinweis der Klägerin im Schriftsatz vom 29.10.2007 auf die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts nahm die Beklagte zum Anlass, am 09.11.2007 Berufung beim Oberlandesgericht einzulegen und Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu beantragen. Am 12.11.2007 beantragte sie ferner gegenüber dem Landgericht "unter Hinweis auf die offensichtlich gegebene Unzuständigkeit die Weiterleitung ... an das Oberlandesgericht". Innerhalb antragsgemäß verlängerter Berufungsbegründungsfrist hat sie ihr Rechtsmittel schließlich mit dem Ziel der Klageabweisung begründet.

II.

Das zum Oberlandesgericht eingelegte Rechtsmittel ist unzulässig.

Zwar ist das Oberlandesgericht das gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zuständige Berufungsgericht; die Klägerin hatte im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit - und hat bis heute - ihren allgemeinen Gerichtsstand in der Türkei. Innerhalb der bis zum 17.10.2007 laufenden Berufungsfrist (§ 517 ZPO) ist eine Berufungsschrift beim zuständigen Oberlandesgericht aber nicht eingegangen.

III.

Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist wird der Beklagten nicht gewährt werden können. Die Beklagte war nicht ohne eigenes Verschulden gehindert, das Rechtsmittel rechtzeitig beim Oberlandesgericht einzulegen, § 233 ZPO.

Sie muss sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten bei der Ermittlung des zuständigen Berufungsgerichts zurechnen lassen, § 85 Abs. 2 ZPO. Zu Unrecht meint sie, dieses Verschulden sei bei wertender Betrachtung für die Fristversäumung nicht kausal geworden, weil die Frist bei unverzüglicher Weiterleitung der am 10.10.2007 und damit eine Woche vor Fristablauf eingegangenen Berufungsschrift durch das Landgericht an das zuständige Oberlandesgericht eingehalten worden wäre. Wie der Bundesgerichtshof gerade für Fälle des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG bereits mehrfach entschieden hat, besteht keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen und vorher mit der Sache noch nicht befassten Landgerichts, durch Hinweise oder geeignete Maßnahmen rechtzeitig ein Fristversäumnis des Berufungsführers zu verhindern (Beschlüsse vom 19.06.2007 - VI ZB 3/07, NJW-RR 2007, 1436, 1437 und vom 15.06.2004 - VI ZB 75/03, VersR 2005, 247, 248). In der zuletzt zitierten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung betont, dass der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden muss, und in diesem Zusammenhang weiter hervorgehoben, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Im Streitfall war das für die Einlegung der Berufung unzuständige Landgericht vorher mit dem Fall noch nicht befasst. Die Berufungsschrift vom 10.10.2007 bezeichnete als Anschrift der Klägerin zwar eine in Antalya; gleichzeitig benannte sie aber als Vorstand der Klägerin Frau B O mit einer Anschrift in Dresden. Bei dieser Sachlage war für das Landgericht, dem die über die Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtshängigkeit näheren Aufschluss gebenden Akten nicht vorlagen, bei Eingang der Berufung nicht auf den ersten Blick - mehr konnte von ihm in diesem Stadium keinesfalls verlangt werden - zu erkennen, dass der zu einer näheren Zuständigkeitsprüfung in eigener Verantwortlichkeit verpflichtete Prozessbevollmächtigte der Beklagten in Verkennung der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG das falsche Berufungsgericht ausgewählt hatte. Vielmehr durfte das Landgericht die rechtliche Prüfung der Zuständigkeit ohne Verstoß gegen Grundrechte der Beklagten dem normalen Geschäftsgang, also der Bearbeitung durch den Richter nach Eingang der angeforderten Akten und der Berufungsbegründung, überlassen.

Ende der Entscheidung

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