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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 18.07.2007
Aktenzeichen: 8 U 730/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 331 Abs. 3
1. Nach Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid und Versäumung einer im schriftlichen Vorverfahren gesetzten Frist zur Verteidigungsanzeige darf gegen den Beklagten ein auf § 331 Abs. 3 ZPO gestütztes (zweites) Versäumnisurteil nicht ergehen.

2. Ein gleichwohl in dieser Weise erlassenes zweites Versäumnisurteil kann nicht mit dem Einspruch angegriffen werden, sondern unterliegt allein der Berufung.


Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 8 U 730/07

Verkündet am 18.07.2007

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2007 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H....., Richter am Oberlandesgericht B..... und Richter am Amtsgericht R......

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 13.04.2007 erlassene "2. Versäumnisurteil" der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

- Streitwert des Berufungsverfahrens:

bis zum 02.07.2007: bis 30.000,00 EUR (Hauptforderungen 1 bis 4 lt. Vollstreckungsbescheid ohne in Pos. 3 enthaltene Verzugszinsen)

seither: bis 7.000,00 EUR (bis zur einseitigen Erledigungserklärung entstandene Kosten) -

Gründe:

A.

Die Klägerin erwirkte gegen den Beklagten am 23.01.2007 einen Vollstreckungsbescheid über Forderungen, wegen deren Bezeichnung auf den Aktenausdruck des Mahngerichts Bezug genomnmen wird. Nach Einspruch des Beklagten und Abgabe der Sache an das Streitgericht begründete die Klägerin ihre Ansprüche mit Schriftsatz vom 16.03.2007 und beantragte, den Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten. Das Landgericht ordnete das schriftliche Vorverfahren an. Die gesetzte "Notfrist" zur Verteidigungsanzeige ließ der Beklagte verstreichen. Am 13.04.2007, einem Freitag, erließ das Landgericht "im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO" ein so bezeichnetes "2. Versäumnisurteil", mit dem es den Vollstreckungsbescheid aufrechterhielt. Am selben Tag gelangte das Urteil zur Geschäftsstelle und wurde die Zustellung veranlasst. Ebenfalls am 13.04.2007 ging um 15.36 Uhr die Bestellungs- und Verteidigungsanzeige der Prozessbevollmächtigten des Beklagten ein. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem Beklagten persönlich jeweils am 17.04.2007 zugestellt.

Am 10.05.2007 hat der Beklagte Berufung eingelegt und diese mit dem Ziel der Klageabweisung, hilfsweise der Zurückverweisung an das Landgericht begründet. Die Klägerin hat zunächst die Zurückweisung des Rechtsmittels insoweit beantragt, als die Aufhebung des Vollstreckungsbescheides und die Abweisung der Klage begehrt wurde; im Übrigen hat sie den Anträgen des Beklagten zugestimmt. Mit Schriftsatz vom 29.06.2007 hat sie die Hauptsache für erledigt erklärt. Die aus den beiden streitgegenständlichen Darlehen geltend gemachten Teilforderungen seien durch Verrechnung mit einem ihr zufließenden Erlös aus der Verwertung einer die Darlehen besichernden Grundschuld erloschen; das von ihr betriebene Zwangsversteigerungsverfahren habe am 03.04.2007 mit dem Zuschlag zu einem baren Meistgebot von 235.000,00 EUR geendet. Der Beklagte stimmt der Erledigungserklärung nicht zu.

B.

Die Berufung hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.

Das Rechtsmittel ist zulässig.

1. Obwohl das angefochtene Urteil eine Säumnisentscheidung darstellt, kann es mit der Berufung angegriffen werden. Denn ein Einspruch des Beklagten gegen das zweite Versäumnisurteil war nicht statthaft, § 345 ZPO (hier zumindest entsprechend). Die Berufung kann in einem solchen Fall - nur - darauf gestützt werden, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Solches macht der Beklagte geltend.

2. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels scheitert nicht daran, dass ein tauglicher Anfechtungsgegenstand fehlt. Das zweite Versäumnisurteil ist existent geworden; zumindest besteht der entsprechende Anschein.

Ein im schriftlichen Vorverfahren erlassenes Versäumnisurteil wird nicht verkündet, sondern durch Zustellung an beide Parteien an Verkündungs statt existent, §§ 331 Abs. 3 Satz 1, 310 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Das ist hier - in Bezug auf die Zustellung an den Beklagten tatsächlich oder scheinbar - am 17.04.2007 geschehen; die Bemerkung in der Terminierungsverfügung des Landgerichts vom 03.05.2007, das zweite Versäumnisurteil sei "verkündet" worden, ist falsch. Ob die am 13.04.2007 um 15.36 Uhr beim Landgericht eingegangene Bestellungsanzeige erst vorlag, nachdem das von der Richterin unterschriebene Urteil die Geschäftssstelle erreicht (vgl. § 331 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 ZPO) und von dort Ausfertigungen zum Zwecke der Zustellung das Postausgangsfach verlassen hatten, ist anhand der Aktenlage nicht sicher zu beurteilen, bedarf aber keiner Aufklärung.

a) War dies der Fall, worauf Uhrzeit und Wochentag hindeuten könnten, so besteht an der Wirksamkeit der Zustellung (auch) an den Beklagten kein Zweifel. Denn diese war dann zu einem Zeitpunkt abschließend veranlasst, als dem Gericht die Bestellungsanzeige der anwaltlichen Bevollmächtigen noch nicht vorlag. Der bislang fehlende Zustellungsvermerk auf der Urschrift des Versäumnisurteils könnte nachgeholt werden.

b) War das Urteil bei Faxeingang um 15.36 Uhr dagegen entweder noch nicht unterzeichnet oder noch nicht zur Geschäftsstelle gelangt oder lagen jedenfalls in dem Moment, als die Bestellungsanzeige der Geschäftsstelle bekannt sein musste, die erstellten Ausfertigungen - sei es auch postausgangsfertig - noch auf der Geschäftsstelle, was nach Aufklärung und verbleibenden Zweifeln trotz grundsätzlicher Beweislast des Beklagten zu dessen Gunsten angenommen werden müsste (vgl. BGH VersR 1980, 90 f.; BGH NJW 1981, 1673 f.; OLG Köln NJW 1983, 460; OLG München OLGR 1999, 10), so ist das Versäumnisurteil zwar nicht existent geworden. Es unterliegt aber gleichwohl der Berufung.

In diesem Fall war die Zustellung zwingend an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu bewirken, § 172 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die tatsächlich an den Beklagten persönlich gerichtete Zustellung konnte keine Wirkungen entfalten. Der Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 189 ZPO geheilt worden. Es ist schon fraglich, ob eine Heilung nach dieser Vorschrift überhaupt in Betracht kommt, wenn der verlautbare Zustellungswille des Gerichts auf den objektiv falschen Adressaten zielte. Jedenfalls aber kann im Streitfall nicht festgestellt werden, dass das zuzustellende Schriftstück als solches, die Ausfertigung des zweiten Versäumnisurteils, die Prozessbevollmächtigten tatsächlich erreicht hat und ihnen damit zugegangen ist. Diese (Mindest-)Voraussetzung des § 189 ZPO ist nicht erfüllt, wenn der Prozessbevollmächtigte, wie hier nahe liegt, von seinem Mandanten, dem vorschriftswidrig persönlich zugestellt wurde, oder von dritter Seite über den Inhalt des Schriftstückes in Kenntnis gesetzt wird oder eine Kopie erhält (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 128, 129 m.N.) oder er, wie hier ebenfalls geschehen, Akteneinsicht nimmt und dadurch Kenntnis erlangt (BayObLG NJW 2004, 3722 unter II 1 b m.w.N.).

Die Unwirksamkeit der Zustellung eines Versäumnisurteils an Verkündungs statt gemäß §§ 331 Abs. 3, 310 Abs. 3 ZPO hat zwar zur Folge, dass es bislang nicht existent geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2002 - IX ZR 100/99, WM 2002, 512 unter II 4 m.w.N.). Dass der Rechtsstreit bei dieser Sachlage noch in der ersten Instanz anhängig ist, steht unter den besonderen Umständen des Streitfalles indes nicht der Anrufung des Berufungsgerichts entgegen. Gleichgültig, ob man das nicht ordnungsgemäß verlautbarte "2. Versäumnisurteil" unter den gegebenen Umständen als bloßen Entwurf i.S.v. § 299 Abs.4 ZPO oder als Schein- bzw. Nichturteil qualifiziert, erweckt es den Anschein, es sei in der Welt und entfalte Wirkungen. So haben es von Anfang an ersichtlich auch das Landgericht und die Parteien gesehen. Dass das Landgericht den am 13.04.2007 vorsorglich erhobenen und mit Schriftsatz vom 02.05.2007 wiederholten Einspruch des Beklagten als zulässig angesehen und Termin anberaumt (und später wieder aufgehoben) hat, ändert nichts. Denn das Landgericht hat die Möglichkeit, die mit dem Einspruch bekämpfte "Entscheidung" könne gar nicht in der Welt sein, offensichtlich ebensowenig wie die Parteien auch nur in Betracht gezogen. Sein Hinweis bei Terminierung am 03.05.2007 auf den eigenen Verstoß - unter anderem - gegen § 700 Abs. 4 Satz 2 ZPO dagegen war zwar inhaltlich richtig. Das Landgericht hat diesen Hinweis aber mit der im Hinblick auf § 345 ZPO (analog) evident gesetzwidrigen Einschätzung verknüpft, "deshalb" sei der Einspruch zulässig. Der Beklagte konnte sich nicht darauf verlassen, dass das Landgericht bei dieser unzutreffenden Sichtweise bleiben würde; im Übrigen musste er, selbst wenn das Landgericht bei dieser Einschätzung blieb, Rechtsnachteile in einem späteren Rechtsmittelverfahren befürchten.

Bei dieser besonderen Ausgangslage war es dem Beklagten nicht verwehrt, Berufung einzulegen, um das zweite Versäumnisurteil ungeachtet der Frage seiner rechtlichen Existenz aus der Welt zu schaffen.

3. Da alle weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, ist das Rechtsmittel zulässig.

II.

Die Berufung ist begründet.

1. Das Landgericht durfte kein zweites Versäumnisurteil erlassen. Ein Fall schuldhafter Säumnis des Beklagten lag nicht vor, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

a) Das Landgericht hat die maßgeblichen prozessualen Vorschriften für die Behandlung eines Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid grundlegend verkannt. Nach Abgabe an das Streitgericht und Eingang der Anspruchsbegründung ist ein "gewöhnliches" schriftliches Vorverfahren, wie es nach Eingang einer Klage oder nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid stattfinden kann, nicht anzuordnen. § 700 Abs. 4 Satz 2 BGB klammert u.a. diejenigen Vorschriften, die den Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ermöglichen, gerade aus. Deshalb war bereits - einmal abgesehen von dem aktenkundigen Verstoß des Landgerichts vom 05.03.2007, auf das Verstreichen der etwa eine Woche zuvor abgelaufenen Anspruchsbegründungsfrist nicht mit unverzüglicher Terminierung zu reagieren (§ 700 Abs. 5 Satz 1 ZPO) - die nach Eingang der Anspruchsbegründung am selben Tag (19.03.2007) getroffene Verfügung zum schriftlichen Vorverfahren gemäß §§ 276, 277 ZPO fehlerhaft. Dieser Fehler hat sich gewissermaßen fortgeschrieben, indem das Landgericht am 13.04.2007 -als die dem Beklagten gesetzte, von Gesetzes wegen nicht existente "Notfrist" verstrichen war - glaubte, eine Säumnisentscheidung gemäß § 331 Abs. 3 ZPO treffen zu dürfen, und inhaltlich noch verstärkt, indem das Landgericht kundtat, der Vollstreckungsbescheid werde durch zweites Versäumnisurteil aufrechterhalten.

b) Da das Gesetz die Möglichkeit, nach zulässigem Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid diesen im schriftlichen Vorverfahren durch zweites Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten, schlechthin nicht eröffnet, sondern bei Versäumung dem Beklagten gesetzter Erklärungsfristen zwingend Termin anzuberaumen ist und erst eine dortige Säumnis unter den Voraussetzungen des § 331 Abs. 1, Abs. 2 1. Hs. ZPO zur Verwerfung des Einspruchs nach § 345 ZPO berechtigt (§ 700 Abs. 6 ZPO), lag dem angegriffenen Urteil keine schuldhafte Säumnis des Beklagten zugrunde.

2. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZPO auf die übereinstimmenden Anträge der Parteien an das Landgericht zurückzuverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch, weil bislang jegliche Feststellungen fehlen und Sichtung, Sammlung und Zusammenfassung des Tatsachenstoffes zuvörderst dem Ausgangsgericht obliegen. Das Landgericht wird auf das im Berufungsverfahren in zulässiger Weise umgestellte Begehren der Klägerin hin prüfen müssen, ob die im Vollstreckungsbescheid titulierten Haupt- und Nebenforderungen bei Rechtshängigkeit bestanden und durchsetzbar waren und, wenn ja, ob die ursprünglich begründeten Ansprüche durch die von der Klägerin geschilderte Verrechnung mit dem Zwangsversteigerungserlös erloschen sind. Soweit beide Voraussetzungen vorliegen, wird es die Erledigung der Hauptsache festzustellen, anderenfalls oder im Übrigen die Erledigungsfestellungsklage abzuweisen haben.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 21 GKG, §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Auch wenn dieses Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat (und zudem keinem zulässigen Rechtsmittel unterliegt), ist es für vorläufig vollstreckbar zu erklären (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 538 Rn. 59 m.w.N.). Gründe, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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