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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 8 U 891/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 406
Für Fälle der Abtretung eines durch Kündigung fällig zu stellenden Anspruchs ist § 406 Halbs. 2 Alt. 2 BGB nicht im Wege der teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass es nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kündigung durch den Zessionar, sondern auf den Zeitpunkt ankommen soll, zu dem dem neuen Gläubiger die Kündigung erstmals möglich gewesen wäre.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 8 U 0891/05

Beschluss des 8. Zivilsenats

vom 30.06.2005

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Häfner, Richter am Oberlandesgericht Bokern und Richter am Oberlandesgericht Dr. Ross

beschlossen:

Tenor:

1. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.07.2005 wird aufgehoben.

2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, da das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die sonstigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen.

3. Die Beklagte erhält Gelegenheit, zur beabsichtigten Zurückweisung ihres Rechtsmittels binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Sie möge zur Vermeidung eines kostenpflichtigen Beschlusses ggf. erwägen, die Berufung zurückzunehmen.

Gründe:

I.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche Würdigung im Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 14.04.2005 - 8 O 3563/04 - Bezug genommen. Zum besseren Verständnis ist zu ergänzen:

Der Sohn der Klägerin war früher in großem Umfang im Immobilienbereich tätig. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch seines Unternehmens spätestens Mitte 2003 ist er untergetaucht. Auch die Klägerin hat bis heute keine Anschrift mitgeteilt, obwohl sie ihn als Zeugen benennt.

Die Klägerin hatte Ende Oktober 1998 auf das bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) geführte Konto ihres Sohnes Nr. 2411261 einen Betrag von 100.000,00 DM überwiesen. Als Verwendungszweck war angegeben: "UEBERTRAGUNG DER IHS DER RAIBA V. F SCH AN M I. WERT V. 100.000,-" (Anlage B 5, B 6). Am 28.12.1999 schrieb die Beklagte die nachrangige Einlage auf die Klägerin um.

Die Parteien des Rechtsstreites haben mit umgekehrtem Rubrum bereits vor dem Landgericht Krefeld prozessiert. Die noch im Jahre 2003 erhobene Anfechtungsklage der hiesigen Beklagten hat offenbar keinen Erfolg gehabt. Nach dem Inhalt einiger auszugsweise vorliegender Unterlagen jenes Prozesses ist zu vermuten, dass die hiesige Beklagte, seinerzeit in dem Glauben, bei der "Abtretung" habe es sich um eine Schenkung des Sohnes an die Mutter gehandelt, versucht hat, sich durch Anfechtung der Übertragung nach den Vorschriften des Anfechtungsgesetzes schadlos zu halten. Der Gedanke, wirtschaftlich dasselbe Ergebnis durch Aufrechnung gemäß § 406 BGB zu erzielen, ist ihr - nach negativem Ausgang des Erstprozesses - wohl erst gekommen, als die Klägerin ihrerseits Auszahlung des Guthabens verlangte.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der zulässigen Berufung verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Der nach Grund und Höhe unstreitige Anspruch der Klägerin auf Auszahlung des gekündigten Sparguthabens (51.129,19 EUR) ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.

1. Das folgt allerdings entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht daraus, dass § 406 Hs. 2, Alt. 2 BGB im Wege der teleologischen Reduktion für Fälle der vorliegenden Art dahin einzuschränken wäre, dass es nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kündigung durch den Neugläubiger ankäme, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem diesem die Kündigung erstmals möglich gewesen wäre.

a) Eine solche teleologische Reduktion ist durch Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten.

§ 406 BGB bezweckt den Schutz des Schuldners, nicht den des neuen Gläubigers (Neugläubiger, Zessionar). Dem Schuldner soll die Möglichkeit, sich durch Aufrechnung einer ihm gegen den Altgläubiger zustehenden Forderung gegenüber dem Zessionar von der Schuld zu befreien, unter bestimmten Voraussetzungen erhalten bleiben, nämlich dann, wenn die Aufrechnungslage bereits bestand, als er von der Abtretung Kenntnis erlangte, oder wenn die aufgerechnete früher oder spätestens gleichzeitig mit der abgetretenen Forderung fällig geworden ist. Damit will die Vorschrift das Vertrauen des Schuldners in eine gegenüber dem bisherigen Gläubiger bestehende Aufrechnungslage sowie die Aussicht auf eine bis zur Fälligkeit der Gegenforderung möglicherweise entstehende Aufrechnungslage schützen (BFHE 206, 309 = BB 2004, 2000 unter II 2 m.w.N.). Die Rechtsprechung verstärkt diesen Schuldnerschutz sogar noch, indem sie die Einschränkungen des § 406 Hs. 2 BGB in manchen Konstellationen nicht zum Zuge kommen lässt (vgl. etwa BGHZ 63, 338, 343; BGH NJW 1974, 2001).

Ausgehend hiervon spricht nichts für die vom Landgericht vertretene Ansicht, der Wortlaut der Norm sei zu weit - bzw. hinsichtlich der Einschränkungen des Halbsatzes 2: zu eng - gefasst und schieße gewissermaßen über das verfolgte Ziel hinaus. Vielmehr kann der Schuldner gegen vom bisherigen Gläubiger abgetretene Forderungen, deren Fälligkeit erst mit Kündigung eintritt, den Aufrechnungseinwand erheben, solange nur seine eigene Forderung gegen den Zedenten nicht später fällig geworden ist als die abgetretene Forderung. Der Zessionar, dessen Schutz § 406 BGB nicht, jedenfalls nicht erster Linie, im Auge hat, wird dadurch nicht übermäßig hart getroffen. Er kann sich vor der Abtretung beim Zedenten über Gegenansprüche des Schuldners erkundigen. Ferner ist es ihm ggf. unbenommen, die abgetretene Forderung frühzeitig fällig zu stellen und dadurch Aufrechnungsrisiken zu begrenzen. Greift die vom Schuldner erklärte Aufrechnung gleichwohl durch, ist er nicht etwa rechtlos gestellt. Seine Ansprüche gegen den Zedenten richten sich dann nach § 816 Abs. 2 BGB analog und dem Kausalverhältnis (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 406 Rn. 4).

b) Das bedeutet für den vorliegenden Fall:

Unterstellt man mit dem Landgericht auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens eine Fälligkeit der abgetretenen Forderung erst im Februar 2004, so war die gegenüber dem Sohn der Klägerin bestehende und nunmehr aufgerechnete Rückzahlungsforderung der Beklagten aus dem Darlehensvertrag vom 25.07.1997 (Anlage B 12) bereits früher fällig, nämlich im Juli 2003 nach berechtigter außerordentlicher Kreditkündigung. Eine Aufrechnungslage hätte also bestanden. Darauf, dass diese im Falle einer sofortigen Kündigung des Sparguthabens vermieden worden wäre, kommt es im Rahmen des § 406 BGB nicht an.

2. Im Ergebnis erweist sich die angefochtene Entscheidung gleichwohl als richtig. Durchgreifen könnte der Aufrechnungseinwand allenfalls dann, wenn die seinerzeit auf die Klägerin übertragene Forderung tatsächlich erst später als die aufgerechnete Gegenforderung der Beklagten fällig geworden wäre. Dies ist nicht der Fall. Der Tatsachenvortrag der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, der ihre Einschätzung tragen soll, die von der Klägerin übernommene Einlageforderung sei nicht am 31.12.2002, sondern erst im Februar 2004 fällig geworden, ist weder ausreichend substantiiert noch schlüssig.

a) Das entsprechende Tatsachenvorbringen der Beklagten entbehrt bereits der nötigen Substanz.

Die Urkundenlage deutet gerade nicht auf eine ursprüngliche Vereinbarung des von der Beklagten behaupteten Inhalts hin. Der am 28.11.1995 vom Sohn der Klägerin und von der Beklagten unterzeichnete Vertrag über die "nachrangige Einlage mit fester Laufzeit" (Anlage K 4) sah ausdrücklich vor, dass "am Ende der Laufzeit das fällige Kapital dem Konto Nr. 2411261 gutgeschrieben werden" sollte. Demgegenüber behauptet die Beklagte, sie habe mit dem Sohn der Klägerin seinerzeit bei Vertragsabschluss (zusätzlich) vereinbart, dass die nachrangige Einlage mit Laufzeitende planmäßig in eine Spareinlage mit gewöhnlicher Verzinsung und dreimonatiger Kündigungsfrist umgewandelt werde. Dieses bestrittene Tatsachenvorbringen genügt nicht, um Beweis zu erheben. Die Beklagte legt schon nicht dar, wer auf ihrer Seite tätig geworden sein soll. Sie erklärt auch nicht, warum die angebliche Zusatzvereinbarung entgegen sonstigen Bankgepflogenheiten nicht schriftlich fixiert worden ist. Das ist umso erstaunlicher, als die nachrangige Einlage eine Laufzeit von nicht weniger als 7 Jahren hatte und deshalb an sich keinerlei Bedürfnis für eine "Anschlussregelung" des behaupteten Inhalts bestand. Überdies stellten die beiden bei der Beklagten geführten Konten des Sohnes (Nr. 2411261) und der Klägerin (Nr. 2455188), denen das fällige Kapital ausweislich der jeweiligen Vertragsurkunde am 31.12.2002 gutgeschrieben werden sollte (vgl. Anlagen K 1, K 4), bloße Kontokorrentkonten dar. Zum Beweis der Richtigkeit ihres Vorbringens bietet die Beklagte im Übrigen lediglich das Zeugnis ihres Mitarbeiters T an. Dieser hat augenscheinlich das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 02.07.2003 (Anlage B 13) mit unterzeichnet, nicht aber den Vertrag vom 28.11.1995. Alles deutet darauf hin, dass er allenfalls eine übliche Praxis der Beklagten bestätigen kann (vgl. S. 2 und 3, insbesondere S. 3 Mitte des Schriftsatzes der Klägerin vom 28.02.2005), nicht aber an damals mit dem Sohn der Klägerin getroffenen Sondervereinbarungen beteiligt gewesen ist. Es mag auch sein, dass die Beklagte die von ihr angebotene "nachrangige Einlage" als Modifikation der gewöhnlichen Spareinlage mit dreimonatiger Kündigungsfrist begreift, die sie im Regelfall, d.h. ohne eine zusätzliche Vereinbarung der Parteien, nach Ablauf der Laufzeit als gewöhnliche Spareinlage fortführt. Der Kunde kann dies jedoch nicht erkennen. Jedenfalls dann, wenn das im Vertragsformular genannte Gutschriftenkonto - wie hier - kein Spareinlagenkonto bezeichnet, muss er davon ausgehen, dass die Einlageforderung am Laufzeitende ohne weiteres fällig wird und sich nicht automatisch in ein Sparguthaben umwandelt, welches gesonderter Kündigung bedarf.

b) Ungeachtet der durchgreifenden Bedenken, die aus der unzureichenden Substantiierung des Tatsachenvortrages resultieren, fehlt es auch an der Schlüssigkeit des Beklagtenvorbringens.

Die Klägerin hat die Einlageforderung ihres Sohnes nicht allein durch Abtretung erworben. Einem solchen Forderungserwerb stand das im Einlagevertrag vom 28.11.1995 vereinbarte Abtretungsverbot entgegen. Erforderlich war stattdessen die Mitwirkung der Beklagten. Diese hat, dem offenbar übereinstimmenden Willen der Beteiligten entsprechend, die Klägerin in die Position ihres Sohnes einrücken lassen. Gleichzeitig hat sie mit der Klägerin einen neuen Vertrag geschlossen (Anlage K 1), der "auf dem Papier" mit Ausnahme der Person des Anlegers und des Gutschriftenkontos exakt dem Ausgangsvertrag entsprach. Rechtlich betrachtet liegt eine Art Vertragsübernahme, keine isolierte Abtretung vor. Die etwaige mündliche Vereinbarung mit dem ursprünglichen Vertragspartner, dem Sohn der Klägerin, wonach das Kapital am Ende der Laufzeit in eine Spareinlage mit dreimonatiger Kündigungsfrist übergehe, ist dabei nicht Inhalt des Vertrages mit der Klägerin geworden. In der Vertragsurkunde (Anlage K 1) fehlt insoweit jeder Anhaltspunkt. Darin ist lediglich ein Kontokorrentkonto der Klägerin bei der Beklagten bezeichnet, welchem das Kapital am Ende der Laufzeit gutgebracht werden sollte. Unter diesen Umständen hätte es zwischen den neuen Vertragspartnern einer Einigung bedurft, dass die von der Beklagten behauptete "Anschlussregelung" - trotz des anders lautenden Wortlautes der Vertragsurkunde - auch für das neue Vertragsverhältnis Geltung beanspruchen sollte. Eine solche Verständigung hat es nicht gegeben. Die Beklagte behauptet dies selbst nicht, sondern hebt insoweit ausschließlich auf eine ursprüngliche Absprache mit dem Sohn der Klägerin ab.

Muss sich die Klägerin also nicht an einer etwaigen mündlichen Zusatzvereinbarung zwischen ihrem Sohn und der Beklagten festhalten lassen, ist ihre Forderung gegen die Beklagte mit Ablauf der vereinbarten Laufzeit (31.12.2002) und damit früher als die "Gegenforderung" gegen den Sohn fällig geworden. Diese konnte die Beklagte daher gemäß § 406 BGB nicht mehr aufrechnen.

Ende der Entscheidung

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