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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 29.01.1999
Aktenzeichen: 8 W 1964/98
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 397
BGB § 765
Leitsätze zum Beschluss des 8. Zivilsenates vom 29. Januar 1999, Az. 8 W 1964/98 §§ 397, 765 BGB

1. Die bloße Rücksendung des Originals der Bürgschaftserklärung an den Bürgen lässt im Allgemeinen nicht eindeutig auf einen Erlasswillen des Gläubigers schließen.

2. Hat der Bürge den Gläubiger dagegen unter Angabe vonGründen aufgefordert, ihn aus der Haftung zu entlassen, darf er die anschließende Übersendung der Bürgschaftsurkunde als Ausdruck des Verzichtswillens verstehen. Ein etwaiger, in einem solchen Fall regelmäßig vermeidbarer Irrtum über den Erklärungsgehalt des schlüssigen Verhaltens berechtigt den Gläubiger lediglich zur Anfechtung gemäß §§ 119ff BGB.

Oberlandesgericht Dresden 8 W 1964/98.P - 8. Zivilsenat -


Sachverhalt:

Die Beschwerdegegnerin, eine herstellergebundene Leasinggesellschaft, nimmt den Beschwerdeführer als Bürgen in Anspruch. Vor Einleitung des Mahnverfahrens hatte ihre mit der Abwicklung betraute Vertreterin dem Beschwerdeführer das Original seiner Bürgschaftserklärung zurückgesandt. Der in erster Linie hierauf gestützten Rechtsverteidigung des Beschwerdeführers hat das Landgericht keine Erfolgsaussichten eingeräumt. Die Beschwerde gegen die weitgehende Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe hatte Erfolg.

Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 8 W 1964/98

2 O 177/98 LG Görlitz

Beschluss

des 8. Zivilsenats

vom 29. Januar 1999

In dem Rechtsstreit

GmbH,

vertr. d.d. Geschäftsführer,

- Klägerin und Beschwerdegegnerin -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen

S.,

- Beklagter und Beschwerdeführer -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin

wegen Forderung

hier: Beschwerde gegen Versagung von Prozesskostenhilfe

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Häfner,

Richter am Amtsgericht Bokern und

Richter Kadenbach

beschlossen:

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 27. November 1998 teilweise

abgeändert.

Dem Beschwerdeführer wird für die erste Instanz - rückwirkend ab Antragstellung am 23. Oktober 1998 - Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die gesamte Klageforderung bewilligt.

Gründe:

Das gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Rechtsmittel ist in vollem Umfang begründet.

I.

Zu Unrecht hat das Landgericht dem Beschwerdeführer die begehrte Prozesskostenhilfe weitestgehend versagt. Der ansonsten sorgfältigen und überzeugenden Begründung, mit der das Landgericht - sowohl im angefochtenen wie auch im Nichtabhilfebeschluss - der Rechtsverteidigung keine Erfolgsaussichten beigemessen hat, vermag sich der Senat in einem einzelnen, allerdings entscheidenden Punkt nicht anzuschließen. Gegenwärtig spricht alles dafür, dass der mit der Klage verfolgte Bürgschaftsanspruch aufgrund eines durch schlüssiges Verhalten zustande gekommenen Erlassvertrages (§ 397 BGB) erloschen ist.

1. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, derder Senat beitritt, ist es - allgemeinen Rechtsgrundsätzen entsprechend - möglich, dass ein Erlass- oder Verzichtsvertrag durch schlüssiges Handeln zustande kommt (BGH WM 1995, 1677 unter II 2 b: Verzicht auf die Hälfte einer Bürgschaftsforderung; BGH FamRZ 1981, 763 unter 1 a: Verzicht auf Unterhaltsansprüche durch Untätigbleiben). Dabei sind freilich strenge Anforderungen an die Annahme eines konkludent erklärten Verzichtes zu stellen. Zu vermuten ist ein solcher niemals (BGH WM 1984, 271 unter II 1). Erforderlich ist ein unzweideutiges Verhalten, das vom Erklärungsgegner als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann (BGH FamRZ 1981, aaO.) und tatsächlich so verstanden wird. Andererseits kommt es - ebenfalls nach allgemeinen Grundsätzen - nicht darauf an, ob der Handelnde mit Erklärungsbewusstsein, also mit tatsächlichem Rechtsbindungs- oder Geschäftswillen, gehandelt hat. Sein Verhalten wird bereits dann als Willenserklärung wirksam, wenn er fahrlässig nicht erkannt hat, dass es als Willenserklärung aufgefasst werden konnte, und wenn der Empfänger es tatsächlich auch so verstanden hat (eingehend BGHZ 109, 171, 177 m.w.N.).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall, ausgehend vom derzeitigen Sach- und Streitstand, ein Erlassvertrag zustande gekommen.

a) Zwar trifft es zu, dass ein Bürgschaftsgläubiger mit der bloßen Übersendung der Bürgschaftsurkunde an den Bürgen nicht zwangsläufig zu erkennen gibt, er werde ihn nicht mehr in Anspruch nehmen, mag dies auch im Allgemeinen die am ehesten plausible Erklärung für das bemerkenswerte Verhalten des Gläubigers sein. Bei isolierter Betrachtung der Rücksendung der Bürgschaftserklärung vom 02.05.1996 und des kurzen Begleitschreibens der B. GmbH vom 06.05.1997 ("beiliegend erhalten Sie die Bürgschaftserklärung ... wieder zurück") wäre daher in der Tat zweifelhaft, ob der Beschwerdeführer allein daraus auf einen Verzichtswillen der mit der Abwicklung des Leasingvertrages betrauten Vertreterin der Beschwerdegegnerin (§§ 164 Abs. 1, 166 Abs. 1 BGB) hätte schließen können. Indessen erfolgte die Übersendung der Urkunde aus der maßgebenden Empfängersicht des Beschwerdeführers nicht gleichsam "zufällig" oder "aus heiterem Himmel". In seinem Namen und Auftrag hatte seine jetzige Prozessbevollmächtigte die Bürgschaftserklärung mit Schreiben an die B. GmbH vom 17.04.1997 - zunächst mit einfacher Post versandt und kurz darauf mit eingeschriebenem, am 25.04.1997 zugegangenen Brief wiederholt - in entsprechender Anwendung von § 7 Abs. 2 VerbrKrG widerrufen. Mit dem Widerruf hatte sie die Bitte um Bestätigung der Entlassung aus der Bürgschaftsverpflichtung verbunden. Der Beschwerdeführer, der eine Abschrift sowohl dieses als auch des Parallelschreibens seiner Rechtsanwältin vom 16.04.1997 an die Münchner Rechtsanwälte der Beschwerdegegnerin erhielt, konnte in der Folgezeit mit einer Antwort der Beschwerdegegnerin oder ihrer Vertreterin rechnen. Wenn bei dieser Ausgangslage die einzige zeitnahe Reaktion der Gläubigerseite (der Mahnbescheid wurde erst mehr als drei Monate später beantragt; sonstigen Schriftverkehr gab es in der Zwischenzeit, soweit ersichtlich, nicht) darin bestand, ihm das Original der Bürgschaftserklärung am 06.05.1997 zurückzuschicken, durfte der Beschwerdeführer die Reaktion dahin verstehen, dass sich die B. GmbH von der an den Widerruf anknüpfenden Argumentation seiner Rechtsanwältin hatte überzeugen lassen und der Aufforderung, ihn aus der Bürgenhaftung zu entlassen, Folge leisten wollte. Dass er tatsächlich angenommen hat, er hafte nun nicht mehr, stellt die Beschwerdegegnerin nicht in Abrede, ergibt sich im Übrigen auch zweifelsfrei aus seiner Begründung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid.

b) Bekräftigt wird diese am Empfängerhorizont orientierte Wertung des Gläubigerverhaltens durch den objektiv durchaus vorhandenen Anlass, den Beschwerdeführer als Bürgen nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Auf die näheren Umstände, vor allem auf ein mögliches Motiv für den einseitigen Verzicht, stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung in erster Linie ab, wenn es um die Frage geht, ob der Erklärungsempfänger eine Äußerung oder ein bestimmtes Verhalten des Gegners als Ausdruck von dessen Verzichtswillen auffassen darf (vgl. BGH WM 1995, 1677 unter II 1; BGH WM 1984, 271 unter II 2 b; BGH FamRZ 1981, 763 unter 1 a; ähnlich auch OLG Hamburg, NJW 1986, 1691, 1692). Zum damaligen Zeitpunkt war die Frage, ob das Haustürwiderrufsgesetz sowie das Verbraucherkreditgesetz - und damit das hier binnen Jahresfrist ausgeübte Widerrufsrecht im Falle fehlender Widerrufsbelehrung, § 7 VerbrKrG - ebenso wie auf den Schuldbeitritt (grundlegend BGHZ 133, 71, und 133, 220) auf die Bürgschaft anzuwenden sind, höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden, sondern in Instanzrechtsprechung und Literatur lebhaft umstritten (eingehend z. B. Pfeiffer, ZIP 1998, 1129 ff m.w.N. in Fußn. 1). Teilfragen aus diesem Bereich harren ungeachtet der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 17.03.1998 (ZIP 1998, 554) und des Bundesgerichtshofes vom 21.04.1998 (BGHZ 138, 321) und vom 14.05.1998 (ZIP 1998, 1144) weiterhin der Klärung (vgl. nur erneute EuGH-Vorlage des LG Potsdam vom 27.04.1998, ZIP 1998, 1147). Vor diesem rechtlichen Hintergrund war es aus der Sicht des Beschwerdeführers jedenfalls nicht gänzlich überraschend, wenn sich die Vertreterin der Beschwerdegegnerin nunmehr dem Rechtsstandpunkt seiner Rechtsanwältin anschloss und dies durch Übersendung der Bürgschaftserklärung zum Ausdruck brachte.

c) Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer im vorausgegangenen, bis Ende 1996 geführten Schriftverkehr (Schreiben der Rechtsanwälte der Beschwerdegegnerin vom 20.11. und 03.12.1996; Antwortschreiben der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 29.11. und 19.12.1996) seine anfänglich grundsätzlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit hatte fallen und stattdessen - allerdings nicht anerkenntnisgleich - signalisieren lassen, Ratenzahlungen leisten zu wollen. Denn die im April 1997 auf Vorschriften des Verbraucherkreditgesetzes gestützte Argumentation, seine Inanspruchnahme sei nicht mehr gerechtfertigt, war nicht Gegenstand des früheren Meinungsaustausches. Aus der Sicht des Beschwerdeführers lag deshalb die Annahme, die Gläubigerseite habe ihren ursprünglichen Standpunkt und folgerichtig ihr Zahlungsverlangen aufgegeben, keineswegs fern.

d) Eine andere Beurteilung folgt entgegen der Ansicht des Landgerichts und der Beschwerdegegnerin auch nicht daraus, dass die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers in den Schreiben vom 16. und 17.04.1997 eine "schriftliche" Bestätigung der Entlassung aus der Bürgschaftsverpflichtung verlangt hatte. Mit dieser Auffassung bezweckte der Beschwerdeführer allein, den etwaigen Forderungsverzicht oder eine sonstige Nichtinanspruchnahmeerklärung der Beschwerdegegnerin möglichst beweiskräftig zu erhalten. Als eine Wirksamkeitsvoraussetzung im Sinne eines strengen Schriftformerfordernisses war die Bitte ersichtlich nicht zu verstehen. Dementsprechend musste sich der Beschwerdeführer nicht sagen, die schlichte Rücksendung des Originals seiner Bürgschaftserklärung stelle noch nicht den gewünschten Forderungserlass dar. Er durfte im Gegenteil von Rechts wegen das eine mit dem anderen gleichsetzen.

e) Sonstige Umstände, die dem Beschwerdeführer Anlass zu Zweifeln am Erklärungsgehalt hätten bieten können, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Dass das Begleitschreiben der B. GmbH vom 06.05.1997 das Datum der Bürgschaftserklärung mit dem 30.03.1994 angibt, ist unerheblich. In den Betreffzeilen des Schreibens ist der Sachverhalt zutreffend der tatsächlichen Bürgschaft vom 02.05.1996 zugeordnet. Die Beschwerdegegnerin stützt sich, da es offenbar keine Bürgschaft vom 30.03.1994 gibt, folgerichtig selbst nicht auf die Falschdatierung im Anschreiben.

Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, es habe sich um ein bloßes Versehen ihrer Vertreterin gehandelt, mag zutreffen, ist rechtlich aber ebenfalls bedeutungslos. Denn die Beschwerdegegnerin zeigt nicht auf, aufgrund welcher Umstände der Beschwerdeführer das geltend gemachte Versehen als ernsthafte Möglichkeit in seine Überlegungen hätte einbeziehen müssen. Im Übrigen fällt auf, dass die Beschwerdegegnerin außer dem allgemeinen Hinweis auf ein Versehen bis heute nicht näher dargetan hat, warum oder ggf. wie es überhaupt zur Rücksendung der Bürgschaft gekommen ist.

f) Für das Zustandekommen des Erlassvertrages kommt es schließlich nicht darauf an, ob - was allerdings naheliegt - das Gläubigerverhalten als schlüssige Annahme eines entsprechenden Angebotes des Beschwerdeführers gewertet wird oder ob das Verhalten seinerseits konkludent einen Erlassantrag darstellte, den der Beschwerdeführer noch annehmen musste. Im letzteren Falle wäre die sichtbare Betätigung des Annahmewillens im Behalten der rückübersandten Bürgschaftsurkunde zu sehen. Des Zugangs dieser Annahmeerklärung bedurfte es nach den Umständen nicht, § 151 BGB (vgl. für den umgekehrten Fall, dass der Bürgschaftsgläubiger die Urkunde behält, BGH WM 1997, 1242).

3. Der Erlassvertrag ist nach wie vor wirksam. Angefochten hat die Beschwerdegegnerin ihre konkludente Vertragserklärung nicht (zu dieser Möglichkeit bei lediglich potentiellem Erklärungsbewusstsein eingehend BGHZ 91, 324). Gelegenheit dazu wird sie nun nicht mehr haben, § 121 Abs. 1 BGB.

4. Nach allem ist die Rechtsverteidigung gegen die Klage, ausgehend vom gegenwärtigen Sach- und Streitstand, an dem sich durch das zwischenzeitlich am 20.01.1999 verkündete Endurteil des Landgerichts nichts geändert hat, in vollem Umfang erfolgversprechend. Dem Beschwerdeführer war deshalb, da er selbst zur Aufbringung der Kosten der Prozessführung nicht in der Lage ist, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

II.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da Kosten weder zu erheben noch zu erstatten sind (§ 127 Abs. 4 ZPO).



Ende der Entscheidung

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