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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 20.06.2008
Aktenzeichen: Ausl 51/08
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 79 Abs. 2 Satz 1
Ein Ermessensnichtgebrauch der Generalstaatsanwaltschaft bei der Entscheidung nach § 79 Abs. 2 Satz 1 IRG führt zur Feststellung der Rechtsfehlerhaftigkeit dieser Entscheidung und zur Zurückstellung der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung.
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Beschluss

Aktenzeichen: OLG Ausl 51/08

vom 20. Juni 2008

In der Auslieferungssache gegen den polnischen Staatsangehörigen

wegen Menschenhandels u. a.

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass die Vorabentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 05. Juni 2008 rechtsfehlerhaft getroffen ist.

2. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen wird zurückgestellt.

3. Eine Entscheidung über die Haftfortdauer ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Der Senat hat am 23. April 2008 gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft zum Zwecke seiner Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Republik Polen angeordnet.

Gegen den Verfolgten liegt ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts G vom 16. November 2005 (Az: II Kop 37/05) vor. Der Haftbefehl ist auf ein Urteil des Bezirksgerichts G vom 28. Juni 2002 (Az: II K 72/00) gestützt. Danach ist der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden, weil er im Zeitraum von 1993 bis September 1994 gemeinsam mit anderen Tätern fünf - teilweise minderjährige - Frauen zum Zwecke der Prostitutionsausübung nach Berlin gelockt, aus der Ausübung der Prostitution in Berlin sich einen Vermögensvorteil verschafft und die Frauen danach an verschiedene Bordelle verkauft hat.

In seiner Anhörung vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Dresden am 19. April 2008 hatte sich der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt. Er hatte angegeben, wegen der ihm vorgeworfenen Taten bereits durch das Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt war, verurteilt worden zu sein. Die Strafe sei nach dem Ende der Bewährungszeit erlassen worden.

Nunmehr liegen das Urteil des Bezirksgerichts G vom 28. Juni 2002 sowie das Urteil des Landgerichts B vom 12. Januar 1999, Az: (503) 68 Js 60/94 KLs (22/95), die dem Urteil zugrundeliegende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft B und Auszüge aus dem Hauptverhandlungsprotokoll des Landgerichts B vor. Aus den beiden Urteilen ergibt sich, dass die Tat zum Nachteil der Geschädigten A R , geb. Gr , sowohl durch das Landgericht B als auch durch das Bezirksgericht G abgeurteilt worden ist. Die vom Bezirksgericht G abgeurteilte Tat zum Nachteil der Geschädigten M K war durch die Staatsanwaltschaft zwar angeklagt worden; das Verfahren ist insoweit jedoch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht B am 04. Januar 1999 gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden beabsichtigt ausweislich ihrer Vorabentscheidung vom 05. Juni 2008 nicht, Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen. Gleichzeitig hat sie die Auslieferung des Verfolgten mit Ausnahme "der Tat zum Nachteil der Geschädigten A R geb. G ", bewilligt.

Zu ihrer Vorabentscheidung und der Bewilligungsentscheidung hat die Generalstaatsanwaltschaft den Verfolgten am 10. Juni 2008 durch das Amtsgericht Dresden anhören lassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat nunmehr beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären.

II.

Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung ist zurückzustellen.

Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG geltend zu machen, hält derzeit der nach § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG durchzuführenden Überprüfung nicht stand.

Zwar unterliegt die Vorabentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft aufgrund des der Bewilligungsbehörde eingeräumten weiten Ermessens nur einer eingeschränkten Überprüfung. Nach zwischenzeitlich ständiger Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist jedoch auch unter Berücksichtigung dieses Ermessens erforderlich, dass die nach § 79 Abs. 2 Satz 2 IRG zu begründende Vorabentscheidung dem Oberlandesgericht die gebotene Überprüfung ermöglicht, ob die Bewilligungsbehörde die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 83 b IRG zutreffend beurteilt hat und sich bei Vorliegen von Bewilligungshindernissen des ihr eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles bewusst war (OLG Karlsruhe NJW 2007, 2567 m.w.N.). Dabei gilt nach allgemeinen Grundsätzen, dass sich gerichtlich zu beanstandende Ermessensfehler aus einer Ermessensüberschreitung, einem Ermessensnichtgebrauch oder einem Ermessensfehlgebrauch - sei es wegen Nichtberücksichtigung ermessensrelevanter tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte, sei es wegen Berücksichtigung ermessensirrelevanter, sachfremder Gesichtspunkte - ergeben können (OLG Stuttgart NJW 2007, 1702).

Im vorliegenden Fall ist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer kombinierten Bewilligungs- und Vorabentscheidung zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Einstellung des Verfahrens bezüglich der Tat zum Nachteil der Geschädigten Malgorzata Kamerska nach § 154 Abs. 2 StPO grundsätzlich kein Auslieferungshindernis darstellt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2001, 613). Die Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch nicht in ihre Überlegungen einbezogen, dass hinsichtlich dieser Tat die Bewilligung der Auslieferung gemäß § 83 b Abs. 1 Buchst. b IRG abgelehnt werden kann, weil das Landgericht Berlin insofern ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt hat. Dies begründet einen Ermessensnichtgebrauch und führt zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Vorabentscheidung sowie zur Zurückstellung einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung (OLG Karlsruhe NJW 2007, 617; KG Berlin NJW 2006, 3507).

III.

Bei der erneut zu treffenden Ermessensentscheidung werden von der Generalstaatsanwaltschaft alle Umstände des Einzelfalles angemessen zu berücksichtigen sein. Dabei wird sie zu bedenken haben, das nach § 79 Abs. 1 IRG eine grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung zulässiger Auslieferungsersuchen besteht. Sollte sie ausnahmsweise Bewilligungshindernisse geltend machen wollen, wird sie die dem Gesetzentwurf zum Europäischen Haftbefehlsgesetz (Drucksache 16/1024, S. 13) zugrundeliegenden Kriterien zu berücksichtigen haben.

Nach der erneuten Anhörung des Verfolgten wird bei der anschließenden Vorlage der Akten im Verfahren gemäß § 29 Abs. 1 IRG zum einen zu bedenken sein, dass schon nach dem derzeitigen Sachstand - entgegen dem bisherigen vorliegenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - eine unbeschränkte Zulässigkeit nicht in Betracht kommen kann. Zum anderen wird zu prüfen sein, inwieweit dem - auch von dem Beistand des Verfolgten bereits angesprochenen - Umstand Bedeutung zukommt, dass die Strafe für die Tat zum Nachteil der Geschädigten A R in einer durch das Bezirksgericht G gebildeten Gesamtstrafe aufgegangen ist.

IV.

Eine Entscheidung über die Fortdauer der Haft ist derzeit nicht veranlasst. Der Senat hat zuletzt am 14. Mai 2008 über Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl vom 23. April 2008 entschieden und dabei die Haftfrage geprüft. Seit dieser Entscheidung sind noch keine zwei Monate (§ 26 Abs. 1 Satz 1 IRG) vergangen. Derzeit liegen auch keine Anhaltspunkte vor, die Haftfrage abweichend zu den vorangegangenen Beschlüssen zu bewerten.

Ende der Entscheidung

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