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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: OLG 12 Ausl 33/08
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 3
IRG § 8
IRG § 15
IRG § 16
IRG § 73
Zum Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls bei einer Auslieferung zur Strafverfolgung an die Republik Belarus und dort drohender Todesstrafe.
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat

Aktenzeichen: OLG 12 Ausl 33/08

Vorläufiger Auslieferungshaftbefehl

vom 17. April 2008

In der Auslieferungssache

wegen Mordes u.a.

Tenor:

Gegen den Verfolgten wird die vorläufige Auslieferungshaft zum Zwecke seiner Auslieferung an die Republik Belarus angeordnet.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Dresden hat am 31. März 2008 aufgrund einer Interpol-Ausschreibung der belarussischen Behörden zum Zwecke der vorläufigen Inhaftnahme die Festhaltung des Verfolgten angeordnet. Der Ausschreibung liegen ein Haftbefehl des Untersuchungsrichters der Staatsanwaltschaft der Region T T V. vom 05. April 1996 und ein Haftbefehl des Staatsanwalts der Region G Ch S. vom 10. April 1996 zugrunde.

Dem Verfolgten wird vorgeworfen, am 06. August 1995 auf der Autobahn in der Region G /Republik Belarus einen bewaffneten Raub und einen Mord zum Nachteil des weißrussischen Staatsangehörigen I begangen zu haben. Den Pkw des Geschädigten habe er in Besitz genommen und die Leiche im Wald versteckt. Die Fahrzeugidentifikationsnummer und Motornummer des Kraftfahrzeuges habe er sodann verändert und den Pkw in Y verkauft. Am 03. Dezember 1995 soll der Verfolgte auf der Autobahn der Region M einen Mord zum Nachteil des weißrussischen Staatsangehörigen L begangen haben. Auch dabei habe er den Pkw des Geschädigten in Besitz genommen und mit veränderter Fahrzeugidentifikationsnummer und Motornummer in Y verkauft.

In seiner Anhörung vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Dresden am 31. März 2008 hat sich der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt. Er bestreitet die ihm zur Last gelegten Taten.

Der Verfolgte befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgericht Dresden in anderer Sache derzeit in Untersuchungshaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Gegen den Verfolgten ist zur Sicherung und Durchführung der Auslieferung zur Strafverfolgung an die Republik Belarus die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen (§§ 16 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG).

Die Auslieferung erscheint nicht von vornherein unzulässig (§§ 16 Abs. 1, 15 Abs. 2 IRG).

Die in der Interpol-Ausschreibung geschilderten Taten sind gemäß §§ 3 Abs. 1 und 2 IRG auslieferungsfähig. Sie sind nach belarussischem Recht als bewaffneter Raub und Mord strafbar und wären dies auch nach deutschem Recht. Die Taten sind nach belarussischem Recht im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht.

Gründe, die der Auslieferung nach den Bestimmungen des IRG entgegenstehen könnten, sind derzeit nicht ohne Weiteres ersichtlich.

1. Anlass zu einer Prüfung des dringenden Tatverdachts, die nach § 10 Abs. 2 IRG bei Vorliegen besonderer Umstände vorzunehmen ist, besteht derzeit noch nicht. Der Verfolgte hat bisher lediglich die Vorlage von Dokumenten angekündigt, die geeignet sein könnten, das Vertrauen in das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts zu erschüttern.

2. Eine Unzulässigkeit der Auslieferung erwächst derzeit auch noch nicht aus den durch § 73 IRG gesetzten Grenzen. Die fortbestehenden Missstände in Bezug auf die Menschenrechtslage in der Republik Belarus machen die Rechtshilfe im Auslieferungsverkehr nicht von vornherein unzulässig (vgl. OLG Köln OLGSt. IRG § 29 Nr. 1).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungswegen gehalten zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegende Akte mit dem nach Art. 25 Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind. Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, in dem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung für unzulässig erklärt wird, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Ein derartiger Widerspruch gegen den ordre public liegt vor, wenn der Verfolgte durch die Auslieferung der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Dies folgt einerseits aus der im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz mittlerweile fest etablierten Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 MRK; Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966; Übereinkommen gegen Folter oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 sowie innerstaatlich aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (BVerfG NVwZ 2008, 71 m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung)). Die damit einhergehenden Fragen hat der Senat im Auslieferungsverfahren zu beantworten (BVerfG StV 2004, 440).

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat deshalb die belarussischen Behörden über das Landeskriminalamt um Abgabe einer Zusicherung ersucht, dass die Unterbringung des Verfolgten in einer Haftanstalt erfolgen wird, die im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 steht und den Grundsätzen des Europäischen Strafvollzugs sowie den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen vom 12. Februar 1987 entspricht. Die belarussischen Behörden wurden auch um Abgabe einer Zusicherung gebeten, dass der Verfolgte auf seinen Wunsch von deutschen Konsularbeamten in der Haft besucht werden kann.

3. Einer Zulässigkeit der Auslieferung steht derzeit auch noch nicht entgegen, dass dem Verfolgten wegen der ihm vorgeworfenen Taten auch die Verhängung der Todesstrafe droht.

Gemäß § 8 IRG ist die Auslieferung nur zulässig, wenn die Republik Belarus zusichert, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt werden wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat auch insoweit die belarussischen Behörden über das Landeskriminalamt um Abgabe einer Zusicherung ersucht, dass für den Fall der Verurteilung des Verfolgten keine Todesstrafe verhängt oder für den Fall der Verhängung die Todesstrafe nicht vollstreckt werden wird.

Allerdings wird der Senat für den Fall der Vorlage der Auslieferungsunterlagen und Abgabe einer entsprechenden Zusicherung der belarussichen Behörden im Zulässigkeits-verfahren prüfen müssen, ob begründete Zweifel an der Einhaltung einer solchen Zusicherung bestehen. Etwaige Zweifel würden eine Auslieferung ausschließen (Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl. § 8 Rdnr. 16). Dabei wird es darauf ankommen, ob auf Grund der mit den belarussischen Behörden im zwischenstaatlichen Verkehr bisher gesammelten Erfahrungen die sichere Erwartung der Nichtvollstreckung der Todesstrafe begründet ist (Vogler in Grützner/Plötz/Kreß, IRG 3. Aufl. § 8 Rdnr. 20). Nach dem Siebten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen (dort S. 285) wird die Todesstrafe in der Republik Belarus nach wie vor verhängt und auch vollstreckt, weil Präsident Lukaschenko von seinem Begnadigungsrecht in aller Regel keinen Gebrauch macht.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wird deshalb gebeten, eine Stellungnahme der Bundesregierung zu den Fragen einzuholen, ob

- im Auslieferungsverkehr der Republik Belarus in der Vergangenheit von belarussischen Behörden abgegebene Zusicherungen - insbesondere in Fällen angedrohter Todesstrafe - eingehalten worden sind,

- belarussische Behörden generell eine für die Gerichte bindende Zusicherung abgeben können, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder eine verhängte Todesstrafe nicht vollstreckt werden wird.

III.

Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft nach §§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG zur Sicherung und Durchführung der Auslieferung ist notwendig, weil die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren durch Flucht entziehen wird, wenn er auf freien Fuß gesetzt werden würde. Die in der Republik Belarus zu erwartende Freiheitsstrafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz, dem erkennbare soziale Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegenstehen. Zu seinem in Deutschland lebenden 9 Jahre alten Sohn hat der Verfolgte nach seinen Angaben keinen Kontakt; die Beziehung zu der Kindesmutter besteht nicht mehr. Die durch die Straferwartung begründete Fluchtgefahr entfällt auch nicht dadurch, dass sich der Verfolgte derzeit in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet. Denn der Haftgrund der Fluchtgefahr ist allein aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens ohne Rücksicht auf in anderen Verfahren angeordnete freiheitsentziehende Maßnahmen zu beurteilen (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2008, 15 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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