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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 02.12.2008
Aktenzeichen: OLG Ausl 117/08
Rechtsgebiete: US-AuslV


Vorschriften:

US-AuslV Art. 16 Abs. 2 Satz 3
Im deutsch-amerikanischen Auslieferungsverkehr auf der Grundlage des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978 in der Fassung des Zusatzvertrages vom 21. Oktober 1986 (US-AuslV) findet auf deutscher Seite eine Tatverdachtsprüfung grundsätzlich nicht statt. Bei einem amerikanischen Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme bedarf es trotz der Bestimmung in Artikel 16 Abs. 2 Satz 3 US-AuslV keiner weiteren Angaben, die notwendig wären, um die Ausstellung eines Haftbefehls in der Bundesrepublik Deutschland zu rechtfertigen, falls die Straftat hier begangen worden wäre.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: OLG Ausl 117/08

Beschluss

vom 02. Dezember 2008

In der Auslieferungssache

wegen Betruges

Tenor:

Die Einwendungen des Verfolgten gegen den Vorläufigen Auslieferungshaftbefehl vom 05. November 2008 werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Senat hat am 05. November 2008 gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft zum Zwecke seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten von Amerika zur Strafverfolgung angeordnet.

a) Mit Schriftsätzen seiner Beistände vom 11. und 24. November 2008 erhebt der Verfolgte Einwendungen gegen den Vorläufigen Auslieferungshaftbefehl. Er begehrt die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung.

Die notwendigen förmlichen Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft lägen nicht vor. Gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 3 US-AuslV hätte das Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme weitere Angaben enthalten müssen, die notwendig gewesen wären, um die Ausstellung eines Haftbefehls im ersuchten Staat zu rechtfertigen, falls die Straftat in diesem Staat begangen worden wäre. Prüfungsmaßstab seien deshalb nicht die sich aus §§ 15, 16 IRG ergebenden Anforderungen, sondern vielmehr §§ 112 ff. StPO. Dabei sei nicht auf eine materielle Verdachtsprüfung abzustellen. Vielmehr hätte das Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme tatsächliche Angaben dazu enthalten müssen, die die rechtliche Prüfung erlaubt hätten, ob nach deutschem Recht der Erlass eines Haftbefehls gesetzeskonform wäre, wenn die beschriebene Tat hier begangen worden wäre. Ein solcher dringender Tatverdacht sei nicht dargelegt. Das Ersuchen mache auch keine Angaben zum Haftgrund. Der in Betracht kommende Haftgrund der Fluchtgefahr sei nach dem bisherigen Verlauf des amerikanischen Ermittlungsverfahrens nicht anzunehmen.

Auch für die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft fehle es an dem Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Verfolgte befinde sich nicht auf der Flucht, sondern lebe seit Jahren offen und unbehelligt in der Republik Ungarn. Er sei dort sozial fest integriert. Eine Fluchtgefahr könne auch nicht aus dem zu erwartenden Strafmaß hergeleitet werden, weil dieses nicht sicher festgestellt werden könne. Der Verfolgte wisse, dass er sich dem Strafverfahren auch in seinem Heimatland nicht werde entziehen können. Aus dem ungarisch-amerikanischen Auslieferungsübereinkommen ergebe sich, dass es in Ungarn keine Regel gäbe, die ein Auslieferungsverbot für ungarische Staatsbürger begründen könnten. Hinzu komme, dass der Verfolgte auch amerikanischer Staatsbürger sei. Überdies habe Ungarn als Mitgliedsstaat der Europäischen Union das zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika beschlossene Auslieferungsübereinkommen unterzeichnet und in innerstaatliches Recht umgesetzt. Danach sei es erst recht möglich und zulässig, eine Auslieferung von der Republik Ungarn in die Vereinigten Staaten von Amerika zu bewirken. Schließlich könne einem Fluchtanreiz auch dadurch begegnet werden, dass der Verfolgte eine Kaution stelle.

b) Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl in Vollzug zu belassen. Zu dem darin geäußerten - und dem Beistand Dr. W - durch die Generalstaatsanwaltschaft mündlich mitgeteilten tragenden Argument, mit Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung zu Art. 14 US-AuslV finde eine Tatverdachtsprüfung nicht statt, hat der Verfolgte über seinen Beistand Dr. W am 28. November 2008 Stellung genommen.

II.

Die gemäß § 23 IRG statthaften Einwendungen des Verfolgten gegen den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl und dessen Vollzug erweisen sich als unbegründet.

Das dem vorläufigen Auslieferungshaftbefehl zugrundeliegen- de Ersuchen des amerikanischen Justizministeriums erfüllt die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 und 2 US-AuslV, §§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 15 IRG. Darüber hinausgehender Angaben zum Tatverdacht und zum Vorliegen eines Haftgrundes bedurfte es nicht.

1. Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 und 2 US-AuslV sind erfüllt. Der Senat nimmt insoweit auf seinen vorläufigen Auslieferungshaftbefehl Bezug.

Der Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft steht § 16 Abs. 2 Satz 3 US-AuslV nicht entgegen.

Im deutsch-amerikanischen Auslieferungsverkehr findet auf deutscher Seite bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls eine Tatverdachtsprüfung in materieller Hinsicht grundsätzlich nicht statt. Es besteht deshalb kein Anlass, die Frage einer vorläufigen Inhaftnahme davon abhängig zu machen, ob die amerikanischen Behörden in ihrem Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme weitere Angaben dazu machen, die notwendig wären, um die Ausstellung eines Haftbefehls in der Bundesrepublik Deutschland zu rechtfertigen, falls die Straftat hier begangen worden wäre.

a) Die Frage, welche Anforderungen bei einem amerikanischen Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme gemäß Art. 16 US-AuslV mit Blick auf dessen Satz 3 zu stellen sind, ist höchst- oder obergerichtlich - soweit ersichtlich - nicht entschieden.

Art. 16 Abs. 2 Satz 3 US-AuslV ähnelt in seiner Ausgestaltung jedoch Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV, der die Anforderungen an das dem Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme regelmäßig folgende Auslieferungsersuchen regelt. Danach sind dem Auslieferungersuchen neben dem von einem Richter des ersuchenden Staates ausgestellten Haftbefehl Beweismittel beizufügen, die nach dem Recht des ersuchten Staates eine Verhaftung des Verfolgten und die Anordnung der Hauptverhandlung gegen ihn rechtfertigen würden, wenn die Tat dort begangen worden wäre.

Bei der Bestimmung des Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV ist sich die obergerichtliche Rechtsprechung - mit teils unterschiedlicher Begründung - einig, dass auf deutscher Seite eine Tatverdachtsprüfung grundsätzlich nicht stattfindet. Das formelle Prüfungsprinzip, demzufolge grundsätzlich von der Richtigkeit der dem Ersuchen zugrundeliegenden Beschuldigung ausgegangen werde, gelte im deutschen Auslieferungsrecht grundsätzlich auch bei Auslieferungsersuchen aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis. Hieran vermöge auch die Regelung in Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV nichts zu ändern. Diese Regelung gewinne ihre Bedeutung alleine auf der völkerrechtlichen Ebene, indem sie eine Auslieferungsverpflichtung der Vertragsstaaten von der Vorlage der den Tatverdacht begründenden Beweismittel abhängig mache. Sie schränke die Entscheidungsbefugnis des ersuchten Staates aber nicht in der Weise ein, dass eine nach innerstaatlichem Recht auch ohne belegten Tatverdacht zulässige Auslieferung ausgeschlossen wäre (OLG Karlsruhe MDR 1986, 521; OLG Düsseldorf NStZ 2003, 684 (685); OLG Brandenburg, Beschluss vom 25. September 2003, Az.: 2 Ausl (A) 19/03; OLG Köln, Beschluss vom 05. November 2004, Az.: Ausl 189/04-28).

Die Prüfung der Schuld bleibe dem Strafverfahren vor dem zuständigen Strafgerichten des ersuchenden Staates nach Maßgabe der dort geltenden strafprozessualen Bestimmungen vorbehalten. Dort könne sich der Verfolgte verteidigen, dort könne er die Tat bestreiten, Belastungszeugen befragen und Beweisanträge stellen (OLG Stuttgart Die Justiz 2002, 567 (569)).

Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV schließe die Anwendung des für den ersuchenden Staat günstigeren § 10 Abs. 1 IRG nicht aus. Auslieferungs- und Rechtshilfeverträge begründeten völkerrechtlich nur Mindestrechte für den ersuchenden und Mindestpflichten für den ersuchten Staat. Soweit zwischenstaatliche Voraussetzungen betroffen seien, sei in der Rechtsprechung grundsätzlich die ergänzende Anwendbarkeit des IRG anerkannt. Der ersuchte Staat sei danach nicht gehindert, sein innerstaatliches Auslieferungsrecht dann anzuwenden, wenn und insoweit es zu Gunsten des ausländischen Verfahrens über den Vertrag hinausgehe (OLG Karlsruhe NStZ 1989, 235; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 156).

b) Dieser Rechtsprechung stimmt der Senat im Ergebnis zu. Er teilt jedoch nicht die Auffassung, Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV betreffe allein die völkerrechtliche Auslieferungspflicht. Vielmehr sind damit auch innerstaatlich materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Auslieferung geschaffen worden.

Das deutsche Auslieferungsverfahren ist kein Strafverfahren, sondern stellt lediglich ein Verfahren zur Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung dar. Es überlässt deshalb im vertraglichen Auslieferungsverkehr die Prüfung des Tatverdachts dem ausländischen Verfahren und überträgt dem inländischen Richter, der über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden hat, nur die Prüfung der in den Auslieferungsbestimmungen geschaffenen - formellen - Sicherungen gegen eine unzulässige Unterstützung des ausländischen Verfahrens. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich mit diesem Grundsatz, der schon das Deutsche Auslieferungsgesetz beherrschte und der auch durch das IRG keine Änderung erfahren hat, in Übereinstimmung mit einer gefestigten Rechtstradition des kontinental-europäischen Raumes, die eine Nachprüfung des Schuldverdachts im Auslieferungsverfahren ausschließt (BGHSt 32, 314 (322) m.w.N.).

Dieses formelle Prüfungsprinzip ist dem anglo-amerikanischen Rechtsraum indes fremd. Bei den Verhandlungen zu dem Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika ist es deshalb nicht gelungen, dem europäischen Standard entsprechende Regelungen in den Vertrag aufzunehmen. Die amerikanische Regierung war lediglich bereit zu prüfen, ob und inwieweit sie in Zukunft auf eine Prüfung der den Tatverdacht des Verfolgten betreffenden Beweismittel verzichten könne. Dies setzte aber eine vorherige Änderung des amerikanischen Rechts voraus (Grützner/Pötz/Kreß, IRG 3. Aufl., Teil II V 10, Vorbemerkung Rdnr. 4).

Mit der Ratifizierung des US-AuslV gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ist der Vertrag unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden. Die darin getroffenen Regelungen gehen deshalb gemäß § 1 Abs. 3 IRG den Bestimmungen des IRG vor.

Gleichwohl enthält Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV keine Regelung, die eine Abweichung von dem formellen Prüfungsprinzip in Auslieferungssachen rechtfertigen könnte. Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV regelt lediglich, welche Unterlagen dem Auslieferungsersuchen beizufügen sind, sofern es hierauf ankommen sollte. Die Beifügung von Beweismitteln ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass das amerikanische Rechtssystem eine Tatverdachtsprüfung vorsieht und diese durch die Beifügung ermöglicht werden soll. Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV schreibt eine solche Tatverdachtsprüfung jedoch nicht generell vor. Deshalb richtet sich der Umfang der vorzulegenden Unterlagen danach, ob das jeweilige nationale Recht des ersuchten Staates eine materielle Tatverdachtsprüfung vorsieht. Nachdem dies in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des formellen Prüfungsprinzips grundsätzlich nicht der Fall ist, erweist sich Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV im deutsch-amerikanischen Auslieferungsverkehr von deutscher Seite aus als gegenstandslos (vgl. auch Böse, JR 2003, 523 (524); Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl. § 10 Rdnr. 32 m.w.N.).

Dieses Ergebnis deckt sich auch mit dem Willen der Vertragsparteien, wie er in der Denkschrift zum US-AuslV zum Ausdruck kommt. Danach wird durch Art. 14 Abs. 3 US-AuslV klargestellt, dass einem Ersuchen an die USA (Unterstr. d. d. Senat) - wie auch z.B. entsprechenden Ersuchen an Großbritannien und Kanada - diejenigen Unterlagen beizufügen sind, die es dem zuständigen Gericht ermöglichen, den Auslieferungsfall nach denselben Maßstäben zu prüfen, als ob eine in den USA begangene Straftat zu beurteilen wäre (BT-Drs. 8/3107, S. 24).

c) Auch das Gegenseitigkeitsprinzip gemäß § 5 IRG fordert nicht, dass von deutscher Seite aus eine materielle Tatverdachtsprüfung vorgenommen werden muss (BGHSt 25, 374; OLG Stuttgart Die Justiz 2002, 567 (569) jeweils m.w.N.). Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob § 5 IRG nur für materielle Auslieferungshindernisse gilt (Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner, § 5 Rdnr. 7 m.w.N.) oder ob sich § 5 IRG auf eine Vergleichbarkeit für das Vorliegen eines Verdachts gegen den Verfolgten bezieht. Denn der Umfang, in dem eine materielle Voraussetzung geprüft wird, ist keine Frage des Ersuchens, auf welches sich das Attribut "vergleichbar" in § 5 IRG bezieht (Böse, JR 2003, 523 (524)).

d) Nachdem es damit innerstaatlich in der Bundesrepublik Deutschland bei der Prüfung der Auslieferungsvoraussetzungen im Sinne des § 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV nicht notwendig ist, dass die amerikanische Seite Beweismittel vorlegt, lässt sich dem Vertrag auch nicht entnehmen, dass - unabhängig von einer materiellen Tatverdachtsprüfung - auch eine formelle Tatverdachtsprüfung vorgenommen werden muss. Denn auch hier beschränkt sich das deutsche Auslieferungsrecht grundsätzlich auf das (unverzichtbare) Erfordernis der Vorlage eines Haftbefehls, aus dem sich die Anordnung der Inhaftnahme einer verfolgten Person zum Zwecke der Strafverfolgung ergibt.

e) Die zu § 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV angestellten Überlegungen lassen sich auf die Anforderungen an das Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme nach Art. 16 Abs. 2 US-AuslV übertragen. Auch in diesem frühen auslieferungsrechtlichen Verfahrensstadium findet weder eine materielle noch eine formelle Tatverdachtsprüfung statt. Das in § 10 Abs. 1 IRG seinen Niederschlag gefundene kontinental-europäische Rechtssystem vertraut grundsätzlich auf die in dem angekündigten Auslieferungsersuchen zum Ausdruck kommende Bewertung, dass der Verfolgte der Begehung einer Straftat verdächtig ist. Das im vorliegenden Fall übersandte amerikanische Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme hat deshalb zu Recht keine Angaben enthalten, die zu einer - sei es auch nur formellen - Prüfung geführt hätten, ob in der Bundesrepublik Deutschland der Erlass eines Haftbefehls gerechtfertigt gewesen wäre, wenn die Tat hier begangen worden wäre.

f) Nachdem das amerikanische Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme keine Angaben zu einem Tatverdacht machen musste, erübrigen sich auch Angaben zu einem Haftgrund. Das deutsche Auslieferungsrecht vertraut bei Angabe eines Haftbefehls grundsätzlich auf das Vorliegen einer in dem ersuchenden Staat geltenden Rechtsgrundlage für die Festnahme (Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, § 10 Rdnr. 17 m.w.N.).

2. Vor diesem Hintergrund sind die Voraussetzungen für den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1, 15 IRG erfüllt.

a) Die Frage eines Tatverdachts ist in diesem Prüfungsstadium gemäß §§ 15 Abs. 2, 10 Abs. 2 IRG darauf beschränkt, ob besondere Umstände des Falles Anlass zu der Prüfung geben, ob der Verfolgte der ihm zur Last gelegten Tat hinreichend verdächtig erscheint. Auch hier kann von dem formellen Prüfungsprinzip nur dann abgewichen werden, wenn begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung missbräuchlich geltend macht. Ein derartiger Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn mit dem Auslieferungsersuchen Ziele verfolgt werden, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sind (BGHSt 32, 314 (323)). Darauf weist im vorliegenden Fall nichts hin. Zu der Frage, inwieweit die dem Verfolgten angedrohte Strafe mit dem deutschen Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist, hat sich der Senat im Rahmen der Prüfung des § 15 Abs. 2 IRG bereits in seinem vorläufigen Auslieferungshaftbefehl geäußert.

b) Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG.

Für die Bewertung der Fluchtgefahr im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Verfolgte sich dem in den Vereinigten Staaten von Amerika gegen ihn gerichteten Strafverfahren stellen will, sondern ob die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte dem deutschen Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen wird.

Diese Frage hat der Senat bejaht. Es ist wahrscheinlich, dass sich der Verfolgte seiner Auslieferung von der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinigten Staaten von Amerika eher entziehen als sich für das Auslieferungsverfahren zur Verfügung halten wird. Der Verfolgte verfügt nach seinem eigenen Vortrag über intensive soziale und wirtschaftliche Beziehungen zur Republik Ungarn. Es ist deshalb zu erwarten, dass sich der Verfolgte im Falle seiner Freilassung in die Republik Ungarn begeben wird und damit dem deutschen Auslieferungsverfahren nicht mehr zur Verfügung steht. Denn eine Auslieferung des Verfolgten aus der Republik Ungarn an die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls wird rechtlich nicht möglich sein.

c) Diese Fluchtgefahr wird auch nicht dadurch gemindert, dass auch die Republik Ungarn bi- und multilaterale Auslieferungsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika unterhält. Denn der Verfolgte wäre in einem solchen Auslieferungsverfahren besser gestellt als in der Bundesrepublik Deutschland.

Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung (ABl. EU Nr. L 181, S. 27) enthält keine Bestimmungen über die Auslieferung eigener Staatsangehöriger. Im Übrigen ist es von der Republik Ungarn möglicherweise bereits ratifiziert, gleichwohl aber noch nicht in Kraft getreten.

Der ungarisch-amerikanische Auslieferungsvertrag trifft zur Frage der Auslieferung eigener Staatsangehöriger keine abschließende Regelung; eine Auslieferung des Verfolgten wäre danach möglich. Denn Art. 3 Abs. 1 des Vertrages enthält eine Bestimmung, die in ihrem Wortlaut Art. 7 Abs. 1 US-AuslV entspricht. Danach sind die Vertragsparteien nicht verpflichtet, ihre eigenen Staatsangehörigen auszuliefern. Die zuständige Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates ist gleichwohl berechtigt, die Auslieferung eigener Staatsangehöriger zu bewilligen, wenn dies nach ihrem Ermessen angebracht erscheint und das Recht des ersuchten Staates dem nicht entgegensteht.

Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger wird in der Republik Ungarn jedoch durch das Ungarische Rechtshilfegesetz (Gesetz Nr. XXXVIII von 1996) geregelt. Danach wäre gemäß § 13 Abs. 1 des Ungarischen Rechtshilfegesetzes eine vorbehaltlose Auslieferung des Verfolgten an die Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund der (auch) amerikanischen Staatsangehörigkeit des Verfolgten nur möglich, wenn der Verfolgte seinen ständigen Wohnsitz - anders im vorliegenden Fall - in den Vereinigten Staaten von Amerika hätte. Im Übrigen kann ein ungarischer Staatsangehöriger gemäß § 13 Abs. 2 des Ungarischen Rechtshilfegesetzes nur mit der Maßgabe ausgeliefert werden, dass er zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe in sein Heimatland zurücküberstellt wird. Schließlich sieht § 2 Abs. 1 des Ungarischen Rechtshilfegesetzes - ähnlich zur deutschen Regelung in § 73 IRG - vor, dass die Gewährung der Rechtshilfe nicht gegen den ordre public der Republik Ungarn verstoßen darf.

Die Auslieferung des Verfolgten von der Republik Ungarn an die Vereinigten Staaten von Amerika wäre damit nur unter einer Maßgabe möglich und würde auch in der Republik Ungarn eine erneute Prüfung veranlassen, ob die dem Verfolgten drohende Straferwartung mit dem dortigen ordre public vereinbar wäre. Der Verfolgte würde damit im Falle seiner Freilassung und Ausreise in die Republik Ungarn seine auslieferungsrechtliche Position in einem Maße verbessern, dass die Gefahr begründet ist, der Verfolgte werde sich dem deutschen Auslieferungsverfahren - auch bei Hinterlegung einer Kaution - nicht mehr zur Verfügung halten.

3. Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ist auch verhältnismäßig. Trotz der zwischenzeitlich elf Jahre zurückliegenden Taten hat der Verfolgte auch nach deutschen Maßstäben mit Blick auf den Vermögensschaden großen Ausmaßes mit einer noch erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Auch insoweit nimmt der Senat auf seinen Vorläufigen Auslieferungshaftbefehl Bezug.

Den mitgeteilten Bedenken bezüglich einer Haftfähigkeit des Verfolgten könnte zunächst durch die Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt mit Krankenhaus begegnet werden.

Ende der Entscheidung

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