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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 21.09.2005
Aktenzeichen: Ss (OWi) 614/05
Rechtsgebiete: StPO, OWiG
Vorschriften:
StPO § 346 Abs. 1 | |
StPO § 349 Abs. 1 | |
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1 |
2. Die Frage der darauf beruhenden Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde gehört nicht zu den sich aus § 346 Abs. 1 StPO ergebenden Prüfungspflichten des Amtsgerichts.
3. Das Oberlandesgericht ist an einer Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unzulässig gemäß § 349 Abs. 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG gehindert, wenn noch eine Korrektur dieser Entscheidung durch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich wäre.
4. Die Rechtsbeschwerdebegründung ist binnen einer Woche nach Kenntnis des Betroffenen von der Unwirksamkeit seiner bisherigen Rechtsbeschwerdebegründung anzubringen.
Oberlandesgericht Dresden Beschluss
Aktenzeichen: Ss (OWi) 614/05
vom 21. September 2005
in der Bußgeldsache gegen
R W
geboren
wohnhaft
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Tenor:
1. Dem Betroffenen wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gewährt.
2. Der Beschluss des Amtsgerichts Weißwasser vom 21. April 2005 wird aufgehoben.
3. Kosten für die Wiedereinsetzung werden nicht erhoben.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 11. März 2005 wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr zu einer Geldbuße von 500,00 EUR verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten angeordnet.
Gegen das Urteil legte der Betroffene durch einen Bevollmächtigten am 15. März 2005 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts "Beschwerde" ein. Die "Beschwerde" wurde ausschließlich wie folgt begründet:
"Bezüglich der Gründe wird auf die beigefügte Anlage 2 verwiesen.
Dieser Anlage 2 habe ich nichts hinzuzufügen.
Als begründete Unterlagen lege ich weiterhin Anlage 3 bis 5 vor."
Am 19. März 2005 wurde dem Betroffenen das schriftliche Urteil zugestellt.
Mit Beschluss vom 21. April 2005 hat das Amtsgericht das Rechtsmittel des Betroffenen als unzulässig verworfen, weil es nicht binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift begründet worden sei. Der Beschluss wurde dem Betroffenen am 29. April 2005 zugestellt; eine Rechtsmittelbelehrung war dem Beschluss nicht beigefügt.
Gegen den Beschluss richtet sich die am 10. Mai 2005 ebenfalls durch einen Bevollmächtigten zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Weißwasser erklärte "sofortige Beschwerde" des Betroffenen. Der Betroffene meint, die Begründung des Verwerfungsbeschlusses widerspreche der in der mündlichen Verhandlung ausgehändigten Rechtsmittelbelehrung, nach der er Beschwerdeanträge und -begründungen auch zu Protokoll der Geschäftsstelle hätte erklären können. Er beantrage deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt,
1. dem Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zu gewähren,
2. die als Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zu wertende "sofortige Beschwerde" als unbegründet zu verwerfen.
Sie meint, das Amtsgericht habe die Rechtsbeschwerde des Betroffenen im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen, weil das am 15. März 2005 aufgenommene Protokoll nicht den Formvorschriften entspreche.
II.
1. Die am 10. Mai 2005 durch einen Bevollmächtigten zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts erklärte "sofortige Beschwerde" des Betroffenen war gemäß § 300 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG als statthafter Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG auszulegen.
Der Antrag erweist sich als zulässig und begründet.
a) Der Betroffene hat die Frist zur Einlegung des Antrages auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG versäumt. Die Antragsfrist lief am 06. Mai 2005 ab, nachdem dem Betroffenen der Verwerfungsbeschluss am 29. April 2005 zugestellt worden war.
b) Dem Betroffenen ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zu gewähren, denn die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist gemäß § 44 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach § 346 Abs. 2 Satz 3 StPO unterblieben ist. Dies war vorliegend der Fall. Ausweislich eines Aktenvermerks der Geschäftstellenbeamtin des Amtsgerichts vom 16. Juni 2005 war dem angefochtenen Beschluss keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt.
2. Das Amtsgericht durfte die am 15. März 2005 zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärte "Beschwerde", die gemäß § 300 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG als Rechtsbeschwerde auszulegen ist, nicht als unzulässig verwerfen.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts in seinem Beschluss vom 21. April 2005 war die Rechtsbeschwerde nicht deshalb unzulässig, weil sie nicht durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift begründet worden ist. Denn der Betroffene durfte die Rechtsbeschwerde auch gemäß § 345 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen. Diesen Anforderungen hat der Betroffene dadurch genügt, dass er zugleich mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde am 15. März 2005 auch eine Begründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt hat.
Auf die Frage, ob die Art der Protokollierung an sich unzulässig war, und das Amtsgericht deshalb im Ergebnis zu Recht entschieden hat, kommt es hier nicht an, weil diese Frage durch das Amtsgericht nicht hätte geprüft werden dürfen (KK-Kuckein, StPO, 5. Aufl., § 346 Rdnr. 8).
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 21. April 2005 war deshalb aufzuheben.
3. Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde obliegt damit dem Senat, der seinerseits zunächst die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde zu prüfen hat.
a) Die Rechtsbeschwerde ist fristgerecht durch einen Bevollmächtigten des Betroffenen am 15. März 2005 eingelegt worden.
b) Allerdings entspricht die durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommene Protokollierung der Rechtsbeschwerdebegründung am 15. März 2005 nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG.
Die Einschaltung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dient dazu, dem Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung grundloser und unverständlicher Anträge zu ersparen. Er hat deshalb eine Prüfungs- und Belehrungspflicht (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 345 Rdnr. 20 m.w.N.; KK-Kuckein, StPO, 5. Aufl., § 345 Rdnr. 18). Das von ihm aufgenommene Protokoll ist unwirksam, wenn er einen von dem Betroffenen gefertigten Schriftsatz nur mit den üblichen Eingangs- und Schlussformeln eines Protokolls umkleidet und den Schriftsatz unter bloßer Bezugnahme als Anlage zum Protokoll nimmt (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 345 Rdnr. 21 m.w.N.).
So liegt der Fall hier. Nachdem der Betroffene innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG keine weitere Begründung mehr abgegeben hat, führt dies grundsätzlich zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde.
Der Senat kann die Rechtsbeschwerde gleichwohl derzeit noch nicht als unzulässig gemäß § 349 Abs. 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG verwerfen, weil noch eine Korrektur dieser Entscheidung durch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich wäre (vgl. BVerfG, Rechtspfleger 2002, 279). Denn den Betroffenen trifft nach Aktenlage an dem Formfehler und der darauf beruhenden Fristversäumung kein Verschulden.
Dass die den förmlichen Anforderungen nicht entsprechende Rechtsbeschwerdebegründung im vorliegenden Fall nicht auf der Unkenntnis des das Protokoll aufnehmenden Rechtspflegers, sondern auf ein Verschulden des Betroffenen zurückzuführen ist, lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Vielmehr verstößt das Protokoll gegen Nr. 150 Abs. 3 RiStBV. Einen Hinweis darauf, dass der Urkundsbeamte das Protokoll aufgenommen hat, obwohl er dafür die Verantwortung ablehnt (Nr. 150 Abs. 2 Satz 4 2. Halbsatz RiStBV) enthält das Protoll nicht.
c) Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Betroffene bereits zu Protokoll der Geschäftsstelle am 10. Mai 2005 erklärt. Allerdings kannte der Betroffene zum damaligen Zeitpunkt die Unwirksamkeit des am 15. März 2005 aufgenommenen Protokolls noch nicht und hat deshalb die versäumte Handlung auch nicht nachgeholt. Seinem Wiedereinsetzungsantrag und dem Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist jedoch der unmissverständliche Wille entnehmen, das Verfahren auch heute noch fortsetzen zu wollen.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG ist innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Handlung nachzuholen. Dies bedeutet im Falle der Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist, dass grundsätzlich innerhalb einer Woche die fehlende Rechtsbeschwerdebegründung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form anzubringen ist (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 45 Rdnr. 11 m.w.N.; KK-Maul, StPO, 5. Aufl., § 45 Rdnr. 9 m.w.N.). Diese Frist beginnt für den Betroffenen erst mit Zugang dieses Beschlusses, denn hierdurch erfährt er erstmals, dass seine bisherige Rechtsbeschwerdebegründung unwirksam ist.
d) Der Senat wird dem Betroffenen deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist gewähren, wenn der Betroffene binnen einer Woche nach Zustellung dieses Beschlusses seine Rechtsbeschwerdeanträge und deren Begründung entweder in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Weißwasser anbringt.
e) Sollte der Betroffene die Rechtsbeschwerdeanträge und deren Begründung erneut zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Weißwasser erklären wollen, wird der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bei der Aufnahme des Protokolls Nr. 150 Abs. 2 bis 6 RiStBV zu beachten haben.
III.
Die Entscheidung über die Kosten der Wiedereinsetzung beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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