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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 18.09.2009
Aktenzeichen: WVerg 3/09
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 100 Abs. 2 d
Zum Beschluss des Vergabesenats des OLG Dresden vom 18.09.2009 (WVerg 3/09) § 100 Abs. 2 d GWB enthält gleichwertig nebeneiander stehende Geheimhaltungstatbestände. Diese stehen nicht zur Disposition des öffentlichen Auftraggebers, so dass es nicht entscheidend darauf ankommt, ob dieser den Auftrag zunächst öffentlich ausgeschrieben hat. Die letzte Tatbestandsalternative ist dann erfüllt, wenn eine objektiv gewichtige und deshalb vorrangig zu berücksichtigende Gefährdung der Sicherheitslage des Staates die Vernachlässigung der vergaberechtlichen Interessen der Allgemeinheit und der beteiligten Bieter rechtfertigt.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: WVerg 3/09

Verkündet am 18.09.2009

Beschluss

des Vergabesenats

In dem Vergabenachprüfungsverfahren

wegen Vergabe BOS Digitalfunk im Freistaat Sachsen

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. August 2009 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bastius, Richter am Oberlandesgericht Piel und Richterin am Oberlandesgericht Riechert

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 12.06.2009 - 1/SVK/11-09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Kosten der anwaltlichen Vertretung des Antragsgegners trägt die Antragstellerin.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 800.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob auf das streitbefangene Beschaffungsvorhaben des Antragsgegners ("BOS Digitalfunk im Freistaat Sachsen, Betrieb der BOS-Leitstellen Digitalfunk") Vergaberecht anwendbar ist oder die Bereichsausnahme des § 100 Abs. 2 d GWB gilt.

Der Auftraggeber hatte das Vorhaben unter dem 02.08.2008 im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben, die Antragstellerin hatte sich beteiligt und nach entsprechender Aufforderung fristgerecht ein Angebot abgegeben; im weiteren Verlauf wurde sie zu einem Bietergespräch eingeladen und auch in die nachfolgende erste Verhandlungsrunde einbezogen. Unmittelbar vor der zweiten Verhandlungsrunde Anfang März 2009 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, sie werde vorerst nicht an weiteren Verhandlungen beteiligt, die auf der letzten Stufe des Auswahlprozesses - auch aus Gründen der Geheimhaltung des Projekts -ankündigungsgemäß nur mit dem zum damaligen Zeitpunkt favorisierten Bieter weitergeführt werden sollten.

Die Antragstellerin hat das Verhalten des Auftraggebers als vergaberechtswidrig beanstandet und schließlich ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet, in dessen Verlauf sich der Auftraggeber erstmals auf die Geltung der o. g. Bereichsausnahme und damit auf die Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts hinsichtlich der beabsichtigten Auftragserteilung berufen hat. Die Vergabekammer hat sich mit dem angefochtenen Beschluss der Sichtweise des Auftraggebers angeschlossen und den Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gründe der angegriffenen Kammerentscheidung sowie auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und der dazu überreichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde der Antragstellerin bleibt in der Sache ohne Erfolg; denn der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung der Vergabekammer, dass das streitbefangene Beschaffungsvorhaben gemäß § 100 Abs. 2 d GWB dem Vergaberecht nicht unterliegt und damit auch einer inhaltlichen Nachprüfung im Verfahren nach den §§ 102 ff. GWB entzogen ist.

1. Gemäß § 100 Abs. 2 d GWB gilt der 4. Teil dieses Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht für solche, die in Übereinstimmung mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland für geheim erklärt werden oder deren Ausführung nach diesen Vorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert oder wenn der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates es gebietet. Von diesen drei gleichwertig nebeneinanderstehenden Ausschlusstatbeständen ist vorliegend der erste unstreitig nicht anwendbar, weil es an Rechts- und Verwaltungsvorschriften fehlt, mit denen der hier in Rede stehende Auftrag förmlich für geheim erklärt worden wäre. Der Senat hält indes die zweite, zumindest jedoch die dritte Alternative für einschlägig, so dass die Vergabekammer das Nachprüfungsbegehren zutreffend als unzulässig verworfen hat.

2. Die Ausführung des in Rede stehenden Auftrags erfordert nämlich nach inländischen Rechts- und Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen. Bestandteil der mit dem Zuschlag an den Bieter zu übertragenden Aufgaben ist der Betrieb der Funkleitstellen unter Einsatz von Mitarbeitern des Bieters. Für diese Mitarbeiter, die in den Dienstbetrieb der Leitstellen vollständig integriert sein werden, war deshalb schon mit den Verdingungsunterlagen eine Sicherheitsüberprüfung nach dem Sächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) vorgesehen. Der Beschwerde ist zuzugeben, dass eine europarechtskonforme Auslegung von § 100 Abs. 2 d GWB - der wortgleich in den entsprechenden Gemeinschaftsrichtlinien vorgegeben ist - voraussetzt, dass die Bedingungen für die dort angesprochenen besonderen Sicherheitsmaßnahmen (hier nach dem SÜG) auch materiell gegeben sind; das unterliegt unstreitig auch der Nachprüfungskompetenz der hierzu berufenen Organe im Verfahren der §§ 102 ff. GWB. Der Senat teilt die von der Beschwerde hierzu vorgetragenen Bedenken aber nicht.

Eine Sicherheitsüberprüfung ist nach dem SÜG durchzuführen bei Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben; betroffen ist davon u. a., wer Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die mit dem Geheimhaltungsgrad VS-Vertraulich oder höher eingestuft sind. Zugunsten der Beschwerdeführerin mag davon ausgegangen werden, dass diese Voraussetzungen auf ihre Mitarbeiter während des Vergabeverfahrens (noch) nicht zutreffen. Darauf kommt es nach dem klaren Wortlaut sowohl von § 100 Abs. 2 d GWB als auch der Vorschriften des SÜG aber nicht an: Denn nicht das Verfahren zur Erteilung, sondern die Ausführung des Auftrags muss besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern, und die Notwendigkeit einer Sicherheitsüberprüfung ergibt sich -außer in Fällen der Wiederholungsüberprüfung - stets aus einer künftigen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Der Senat unterstellt auch im Sinne der Beschwerdeführerin, dass der Funkverkehr, der demnächst (auch und gerade durch Mitarbeiter des erfolgreichen Bieters) über die einzurichtenden Leitstellen betrieben werden soll, keine Verschlusssachen im förmlichen Sinne zum Gegenstand haben soll (was der Antragsgegner explizit bestreitet).

Das ändert jedoch nichts daran, dass die Infrastruktur des Digitalfunknetzes selbst, dessen integraler Bestandteil die Leitstellen sein werden, zumindest in Teilen -und sei es nur durch Stellen des Bundes, die ihrerseits mit der Implementierung des deutschlandweit vernetzten Funksystems verantwortlich befasst sind - als geheimhaltungsbedürftig eingestuft worden ist (das räumt auch die Beschwerdeführerin selbst ein). Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, wie mit dem Betrieb der Leitstellen in Sachsen betraute private Mitarbeiter des Bieters zuverlässig und dauerhaft daran gehindert werden könnten, sich dabei Kenntnisse über in vorgenanntem Sinne sicherheitsrelevante Aspekte ihrer Tätigkeit zumindest zu verschaffen, so dass eine Sicherheitsüberprüfung entbehrlich sein könnte.

Dann aber sind die Voraussetzungen einer Beschaffung ohne Bindung an das materielle Vergaberecht gemäß § 100 Abs. 2 d GWB erfüllt. Da die Anwendung dieser Vorschrift nach allgemeiner Auffassung nicht zur Disposition des öffentlichen Auftraggebers steht, dieser im Falle ihrer Geltung also nicht ausschreiben darf, ist das Nachprüfungsbegehren damit unzulässig, ohne dass es darauf ankommt, ob der Auftraggeber die Frage seiner Ausschreibungspflicht ursprünglich anders beurteilt und, wie hier, tatsächlich ausgeschrieben hat.

3. Dessen ungeachtet hielte der Senat aber auch den dritten in § 100 Abs. 2 d GWB angeführten Ausschlusstatbestand im vorliegenden Fall für erfüllt.

Danach ist die Anwendung des Vergaberechts ausgeschlossen, wenn der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates es gebietet. Der Senat teilt die von der Beschwerdeführerin zitierte Auffassung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30.04.2003, Verg 61/02), dass die darin zum Ausdruck kommende Vernachlässigung der vergaberechtlichen Interessen der Allgemeinheit und der beteiligten Bieter nur durch eine - auch in Abwägung zu diesen Belangen - objektiv gewichtige und deshalb vorrangig zu berücksichtigende Gefährdung der Sicherheitslage des Staates gerechtfertigt sein kann. Diese Gefährdung sieht der Senat hier indes gegeben:

Die in Sachsen einzurichtenden Funkleitstellen werden nicht nur dem polizeilichen Funkverkehr dienen, sondern darüber hinaus dem aller Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, von der Feuerwehr über den Rettungsdienst bis zum Katastrophenschutz etc. Die beim Betrieb der Leitstellen eingesetzten Mitarbeiter des privaten Bieters erlangen somit - das ist in der Senatsverhandlung vom 11.08.2009 unstreitig gewesen - auf Jahre hinaus (der Auftrag soll zunächst für fünf Jahre vergeben werden) volle Kenntnis von jeglichem Funkverkehr, der innerhalb Sachsens und deutschlandweit, sofern sächsische Stellen beteiligt sind, Gefahrenabwehr zum Gegenstand hat, von der einfachen polizeilichen Fahndungsmaßnahme bis hin zur Terrorismusbekämpfung. Wenn der Antragsgegner hierdurch die innere Sicherheit in empfindlicher Weise berührt sieht, liegt darin eine Beurteilung, die der Senat auch unter Berücksichtigung der Belange der Beschwerdeführerin und unter Beachtung der durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgestellten Abwägungskriterien (vgl. etwa Urteil vom 16.10.2003, NZBau 2004, 281 - Küstenbeobachtung -) als zumindest gut vertretbar erachtet und daher nicht zu beanstanden vermag.

Dem steht auch hier im Ergebnis nicht entgegen, dass der Auftraggeber diese Sicherheitsbedenken zunächst selbst nicht in dieser Schärfe gehabt und deswegen ausgeschrieben hat. Denn auch wenn man annähme, dass er deshalb an seine eigene ursprüngliche Beurteilung grundsätzlich gebunden sein könnte, würde dies allenfalls bei unveränderter Sachlage gelten. Der Auftraggeber hat aber in der Verhandlung vom 11.08.2009 für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass der Geheimhaltungsbedarf derzeit höher eingeschätzt wird als zum Zeitpunkt der Ausschreibung und daher die innerhalb des bisherigen Verfahrens vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen (von der Ausschreibung als Verhandlungsverfahren mit ausgewählten Bietern bis hin zur Beschränkung der letzten Verhandlungsrunde allein auf den bis dahin erstplatzierten Bieter) als nicht mehr ausreichend angesehen werden.

Nach alledem ist die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht dabei auf dem Rechtsgedanken des § 97 Abs. 1 ZPO, der festgesetzte Gegenstandswert auf § 50 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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